Czesław Miłosz

Czesław Miłosz
Czesław Miłosz 1998
Czesław Miłosz, 1986

Czesław Miłosz [ˈt​͡ʂɛswaf ˈmiwɔʂ] ( anhören?/i) (* 30. Juni 1911 in Šeteniai (poln.: Szetejnie), Gouvernement Kowno, Russisches Kaiserreich (heute Litauen); † 14. August 2004 in Krakau, Polen) war ein polnischer Dichter. 1980 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Die Familie gehörte dem alteingesessenen polnischen Landadel an. Czesław Miłosz absolvierte sein Mittel- und Hochschulstudium in Wilna, das nach 1918 zu Polen gehörte. Sein Literaturstudium brach er ab, weil, wie er erzählte, an dieser Fakultät so viele Frauen studierten, dass sie die „Heiratsabteilung“ genannt wurde. Stattdessen nahm er widerwillig ein Jurastudium in Angriff. Seine ersten Gedichte wurden 1930 in der Studentenzeitung Alma Mater Vilnensis abgedruckt. Zwischen 1931 und 1934 gehörte er einem Kreis von Literaten an, die sich im Café Rudnicki trafen und gemeinsam ein Avantgarde-Blättchen namens Żagary herausgaben, in dem sie ihre Kunstrichtung, den Katastrophismus, propagierten. 1933 erschien sein erster Gedichtband Poemat o czasie zastygłym. Im folgenden Jahr schloss er sein Studium ab und erhielt den ersten seiner vielen literarischen Preise sowie ein Stipendium, das ihm erlaubte, sich in Paris ein Jahr lang weiterzubilden.

Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg war er im Untergrund tätig. Er wurde dafür von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Titel Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet.

Zwischen 1945 und 1949 bekleidet er verschiedene Posten in Polens diplomatischen Vertretungen in New York City und Washington D. C. 1950 wird er nach Paris versetzt. Bei einem Ferienaufenthalt in Warschau wird ihm im Dezember der Pass entzogen, den er nur dank der Fürsprache einflussreicher Persönlichkeiten Ende Januar 1951 zurückerhält – eine letzte Chance. Am 1. Februar 1951 „springt“ Miłosz „ab“, wie das zu dieser Zeit genannt wird, und erhält in Frankreich politisches Asyl. 1953 erscheint gleichzeitig in New York und Paris in englischer Sprache The Captive Mind (Verführtes Denken). Das Buch analysiert anhand von vier Fallstudien (Alpha, Beta, Gamma, Delta) die ungeheure Anziehungskraft, die totalitäre Systeme auf die schreibende Zunft ausüben. Die große Sehnsucht des freischwebenden Intellektuellen ist es, zur Masse zu gehören. Dies Bedürfnis ist so ungestüm, dass viele, die einst im faschistischen Deutschland oder Italien Inspirationen suchten, sich jetzt zum Neuen Glauben bekehrt haben.[1] Dieser Stalldrang der Schreibenden ist es, meint Miłosz, der es allen Hausierern so leicht macht, ihnen ihre Murti-Bing-Pillen anzudrehen (das Bild entlehnt er bei Witkiewicz). Am meisten verärgert Miłosz jedoch die in Paris den Ton angebende Intelligentsia mit ihrer konsequenten Weigerung, sich – wie andere schreibende Abgesprungene – auf einen Dialog mit dem dialektischen Materialismus einzulassen. Er konzentriert sich stattdessen darauf, die Auswirkungen dieser Methode zu beschreiben und zu analysieren. Die Methode selbst tut er kurz mit der alten Geschichte von der Schlange ab, die ohne Zweifel ein dialektisches Tier ist: „Papa, hat die Schlange einen Schwanz?“ fragte der kleine Hans. „Nichts anderes als einen Schwanz“, antwortete der Vater.[2] – Gewisse Kritiker bestanden von allem Anfang an darauf, das Buch gegen jede Evidenz als eine Art Schlüsselroman und Personenkritik zu deuten, und sahen es als ihre Pflicht an, „aufzudecken“, welche „bekannten“ Leute Miłosz gemeint haben könnte, so z.B. Jerzy Putrament (als Gamma, „der Sklave der Geschichte”), Tadeusz Borowski (als Beta) und seinen ehemals guten Freund Jerzy Andrzejewski (als Alpha) etc.

1960 wirkt Miłosz als Gastdozent im Department of Slavic Languages and Literatures an der University of California in Berkeley. 1961 wird er dort ordentlicher Professor. 1970 erhält er die amerikanische Staatsbürgerschaft.

1978 wird ihm der Neustadt International Prize for Literature verliehen. Er gibt die Lehrtätigkeit auf und wird von seiner Universität mit der höchsten Anerkennung, The Berkeley Citation, ausgezeichnet. 1980 erhält er den Nobelpreis für Literatur. Das Verbot seiner Bücher in Polen wird im gleichen Jahr aufgehoben. Im Juni 1981 betritt Miłosz nach 30 Jahren Exil wieder polnische Erde, kehrt bald darauf jedoch nach Berkeley zurück. Im Dezember werden seine Bücher ein weiteres Mal verboten. Nach der Wende im Jahre 1989 pendelt Miłosz zwischen Krakau und Berkeley hin und her, bis er sich schließlich im Jahre 2000 endgültig in Krakau niederlässt, wo er am 14. August 2004 stirbt.

Miłosz hat seine Werke fast ausschließlich auf polnisch geschrieben, auch in der Zeit seines Exils. Das Gros seines dichterischen Werks liegt in englischer Übersetzung in sehr guten Ausgaben von Harper Collins und Tate/Penguin vor. Besonders erwähnenswert sind darin die späteren Gedichte, deren Übersetzungen ins Englische er selbst (in Zusammenarbeit mit Robert Hass) vorgenommen hat.[3]

Der Dichter im Urteil bedeutender Kollegen

Joseph Brodsky nennt ihn einen der größten (vielleicht den größten) Dichter unserer Zeit.

Für Seamus Heaney gehört er zu den wenigen Menschen, die mehr von der Wirklichkeit wissen und sie auch besser aushalten können als alle andern.

Andrew Motion ist überzeugt davon, dass die Wende, die Ted Hughes mit Crow einleitete, sich ohne den Einfluss von Miłosz nicht erklären lässt.[4]

Tony Judt hielt ihn für den größten polnischen Dichter des 20. Jahrhunderts.[5]

Werke in polnischer Sprache

  • 1930: Kompozycja (Komposition)
  • 1930: Podróż (Reise)
  • 1933: Poemat o czasie zastygłym
  • 1936: Trzy zimy (Drei Winter)
  • 193?: Obrachunki
  • 1940: Wiersze (Gedichte)
  • 1942: Pieśń niepodległa
  • 1945: Ocalenie
  • 1947: Traktat moralny
  • 1953: Zniewolony umysł (Verführtes Denken)
  • 1953: Zdobycie władzy (Das Gesicht der Zeit)
  • 1953: Światło dzienne (Tageslicht)
  • 1955: Dolina Issy (Das Tal der Issa) – basiert auf den Kindheitserlebnissen des Autors im Tal der Nevėžis
  • 1957: Traktat poetycki
  • 1958: Rodzinna Europa (West- und Östliches Gelände)
  • 1958: Kontynenty
  • 1961: Człowiek wśród skorpionów (Mensch unter Skorpionen)
  • 1961: Król Popiel i inne wiersze (König Popiel und andere Gedichte)
  • 1965: Gucio zaczarowany
  • 1969: Widzenia nad zatoką San Francisco
  • 1969: Miasto bez imienia (Stadt ohne Namen)
  • 1972: Prywatne obowiązki (Private Verpflichtungen)
  • 1974: Gdzie słońce wschodzi i kiedy zapada (Wo die Sonne aufgeht und wann sie untergeht)
  • 1977: Ziemia Ulro
  • 1979: Ogród nauk
  • 1982: Hymn o perle
  • 1984: Nieobjęta ziemia
  • 1987: Kroniki (Chroniken)
  • 1985: Zaczynając od moich ulic
  • 1989: Metafizyczna pauza
  • 1991: Dalsze okolice (Weit entfernte Gegenden)
  • 1991: Poszukiwanie ojczyzny (Suche nach der Heimat)
  • 1991: Rok myśliwego (Jahr des Jägers)
  • 1992: Szukanie ojczyzny
  • 1994: Na brzegu rzeki (Am Flussufer)
  • 1996: Legendy nowoczesności
  • 1997: Życie na wyspach (Leben auf den Inseln)
  • 1997: Piesek przydrożny
  • 1997: Abecadło Miłosza (Miłosz-Alphabet)
  • 1998: Inne abecadło (Anderes Alphabet)
  • 1999: Wyprawa w dwudziestolecie
  • 2000: To
  • 2003: Orfeusz i Eurydyka

Werke in deutscher Übersetzung

Literatur

  • Ralf Georg Czapla: Warschau, Ostern 1943. Czesław Miłosz' Shoa-Gedicht «Campo di Fiori». In: Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft V/2, Sommer 2011, S. 39-46.
  • Christian Heidrich: Strategien gegen die Sterblichkeit. Czeslaw Milosz sucht Gnade in der Schwerkraft. In: Akzente, Heft 3, Juni 2007, 230-248.
  • Ulrike Jekutsch (Hrsg.): Glaubensfragen. Religion und Kirche in der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. 1. Auflage. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-447-06454-5, DNB 1010035037 (Insbesondere S. 25-67.).
  • Natacha Royon: Wiederkehr im Wort. Östliche Erinnerungsorte in Werken von Czeslaw Milosz u.a. Hamburg 2008.
  • Andrzej Wiercinski: Der Dichter in seinem Dichtersein. Versuch einer philosophisch-theologischen Deutung des Dichterseins am Beispiel von Czeslaw Milosz. Frankfurt/M. 1997.

Weblinks

 Commons: Czesław Miłosz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Czeslaw Milosz: Verführtes Denken. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1959, S. 20
  2. Czeslaw Milosz: Verführtes Denken. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1959, S. 61
  3. Czesław Miłosz: New and Collected Poems (1931-2001). Harper Collins, New York 2001
  4. Nicholas Roe: Czesław Miłosz A Century's Witness. In The Guardian Profile, 10. November 2001
  5. Tony Judt: Captive Minds. In New York Review of Books, 30. September 2010, Seiten 8–10, hier: 8

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