Claude Simon

Claude Simon

Claude Simon (* 10. Oktober 1913 in Tananarive, Madagaskar; † 6. Juli 2005 in Paris) war ein französischer Schriftsteller. Er erhielt 1985 den Nobelpreis für Literatur.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Simon wurde auf der damaligen französischen Kolonie Madagaskar als Sohn eines Offiziers der Marineinfanterie geboren. 1914 kehrte die Familie nach Frankreich zurück, der Vater fiel zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Flandern. Claude Simon wuchs bei Perpignan auf, der Heimat seiner Mutter.

Als 1924 die Mutter starb, wurde einer ihrer Vettern, ein Kavallerieoffizier im Ruhestand, Vormund des Elfjährigen. Er kam auf ein Internat in Paris. Nach Beendigung der Schule besuchte Simon Kurse für Malerei. 1934/35 leistete er Militärdienst bei der Kavallerie. Nach seiner Entlassung aus dem Militär erhielt er durch einen Freund einen Mitgliedsausweis der Kommunistischen Partei Frankreichs. Er reiste damit nach Barcelona ins Hauptquartier der republikanischen Seite im Spanischen Bürgerkrieg (später Thema seines Romans Le Palace), kehrte aber nach zwei Wochen nach Frankreich zurück, weil er dort keine sinnvolle Aufgabe für sich fand. In Frankreich gehörte er zu einer Gruppe, die einen Waffentransport als Nachschub für die Republikaner organisierte. 1937 begab er sich auf eine große Europareise (Berlin, Warschau, Sowjetunion, Istanbul, Griechenland, Norditalien). Er unternahm erste, von ihm als unbedeutend eingestufte literarische Versuche.

Angesichts des heraufziehenden Zweiten Weltkriegs wurde Simon Ende August 1939 wieder in seine alte Kavallerieeinheit eingezogen. Im Krieg wurde seine Schwadron in Belgien aufgerieben, er selbst gefangen genommen und in ein Kriegsgefangenenlager nach Mühlberg/Elbe deportiert. Seine Kriegserfahrungen verarbeitete er später in verschiedenen Romanen (La Route des Flandres, Les Géorgiques, L'Acacia). Im Oktober flüchtete er während eines Arbeitseinsatzes aus der Kriegsgefangenschaft. Er gelangte in das in dem von den Deutschen unbesetzten Teil Frankreichs gelegene Perpignan. Als die Behörden der Vichy-Regierung auf ihn aufmerksam geworden waren, begab er sich 1944 nach Paris, um seiner Verhaftung zu entgehen.

In dieser Zeit entstand sein erster Roman Le Tricheur (Der Betrüger), der 1945 veröffentlicht wurde und genauso unbeachtet blieb wie die drei folgenden, die bis Mitte der 1950er Jahre entstanden. 1956 lernte er Alain Robbe-Grillet kennen, der für den Verlag Editions de Minuit arbeitete und ihm vorschlug, dort zu veröffentlichen. Der Verlag war die Keimzelle einer literarischen Bewegung, die später als Nouveau Roman bekannt wird. In der Folgezeit wuchsen Simons Bekanntheit und die ihm gezollte künstlerische Anerkennung, seine Texte wurden nun auch in andere Sprachen übersetzt. 1961 erhielt er für La Route des Flandres den Preis der Zeitschrift L'Express, 1967 den Prix Médicis für Histoire. 1985 wird ihm zur Überraschung weiter Teile der Fachwelt und der Öffentlichkeit der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Simons Literatur

Simons literarisches Werk besteht hauptsächlich aus Romanen. Als Teil der literarischen Bewegung des Nouveau roman weichen seine Werke deutlich von den klassischen Beispielen dieser Gattung aus dem 19. Jahrhundert ab, typisch ist z. B. das Fehlen eines Allwissenden Erzählers, der den Leser durch eine spannende oder zumindest interessante Geschichte mit einer chronologischen, durchgehenden Handlung führt. Auch der Erzähler scheint keine tiefere Einsicht in das Geschehen zu besitzen, er beschränkt sich weitgehend auf äußerliche Beschreibung, ohne dass die Einzelheiten deutlich erkennbar in einen übergeordneten Handlungsstrang eingeordnet erscheinen. Eine psychologische Charakterisierung der Romanfiguren bzw. Erklärung ihrer Handlungen findet nicht statt, statt dessen erfährt man in umfangreichen Passagen aus Innerem Monolog und Erlebter Rede etwas über Gedanken und Motive einiger Protagonisten. Der Roman insgesamt ist aus einer Aneinanderreihung zahlreicher fragmentierter Handlungsstränge aufgebaut, die unvermittelt abbrechen (bisweilen mitten im Satz) und später im Text wieder aufgenommen werden können. Die Stränge sind inhaltlich durch ein dichtes Beziehungsgeflecht miteinander verbunden, ohne dass sich allerdings so etwas wie eine chronologische Handlung ergibt.

Wiederkehrende Themen in Simons Romanen sind Geschichte einschließlich der eigenen Familiengeschichte, Krieg und die darin gemachte Erfahrung von extremer Gewalt.

Werke

  • La Corde raide. Roman 1947. (Dt. Das Seil. 1964, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • Le Vent. Tentative de restitution d 'un rétable baroque. Roman 1957. (Dt. Der Wind. Versuch der Wiederherstellung eines barocken Altarbildes. 1959, Ü. Eva Rechel-Mertens, und 2001, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • L'Herbe. Roman 1958. (Dt. Das Gras. 1970, Ü. Erika und Elmar Tophoven, und 2005, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • La Route des Flandres. Roman 1959. (Dt. Die Straße in Flandern. 1960, Ü. Elmar Tophoven, und 2003, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • Le Palace. Roman 1962. (Dt. Der Palast. 1966, Ü. Elmar Tophoven, und 2006, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • Femmes, sur 23 peintures de Joan Mirò. 1966, neu herausgegeben 1983 als La chevelure de Bérénice. (Dt. Das Haar der Berenike. 1994, Ü. Silvia Ronelt, und 2006, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • Histoire. Roman 1967. (Dt. Geschichte. 1999, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • La Bataille de Pharsale. Roman 1969. (Dt. Die Schlacht bei Pharsalos. 1972, Ü. Helmut Scheffel.)
  • Orion aveugle. 1970, ein Text, der größtenteils in Les corps conducteurs aufgenommen wurde. Der Band enthält die Abbildungen, anhand derer Simon ihn verfasste, und ein in seiner Handschrift wiedergegebenes Vorwort "Les sentiers de la création" (= Titel der Reihe, in der das Buch erschien). (Dt. Der blinde Orion. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-86150-858-8, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • Les Corps conducteurs. Roman 1971. (Dt. Die Leitkörper. 1974, Ü. Irma Reblitz.)
  • Triptyque. Roman 1973. (Dt. Triptychon. 1986, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • Leçon de choses. Roman 1974. (Dt. Anschauungsunterricht. 1986, Ü. Christine Stemmermann.)
  • Les Géorgiques. Roman 1981. (Dt. Georgica. 1992, Ü. Doris Butz-Striebel und Tresy Lejoly.)
  • L'Invitation. Ohne Gattungsbezeichnung 1987. (Dt. Die Einladung. 1988, Ü. Christine Stemmermann.)
  • L'Acacia. Roman 1989. (Dt. Die Akazie. 1989, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • Le Jardin des Plantes. Roman 1997, (Dt. Jardin des Plantes. 1998, Ü. Eva Moldenhauer.)
  • Le Tramway. Roman 2001. (Dt. Die Trambahn. 2002, Ü. Eva Moldenhauer.)

Werkausgaben

Literatur

  • Irene Albers: Photographische Momente bei Claude Simon. Königshausen & Neumann, Würzburg 2002, ISBN 3-8260-2202-5 Reihe: Epistemata - Literaturwissenschaft, 402
    • Irene Albers und Wolfram Nitsch, Hgg.: Transports. Les métaphores de Claude Simon. Peter Lang, Frankfurt 2006,ISBN 3-631-54269-0
  • Elsbeth Bellina-Hennermann: Wandel und Kontinuität in Claude Simons Prosa am Beispiel der Romane "Histoire", "La bataille de Pharsale", "Les corps conducteurs" und "Triptique". Lang, Frankfurt 1993, ISBN 3-631-46053-8 (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 13; 183)
  • Claude Simon. Bilder des Erzählens. Du (Zeitschrift) für Kultur, Heft 691. Zürich, Januar 1999, ISBN 3-908515-24-6
  • Beeke Dummer: Von der Narration zur Deskription. Generative Textkonstitution bei Jean Ricardou, Claude Simon und Philippe Sollers. Grüner, Amsterdam 1988 (= Bochumer Arbeiten zur Sprach- und Literaturwissenschaft)
  • Ilana Hammerman: Formen des Erzählens in der Prosa der Gegenwart. Am Beispiel von Philippe Sollers, Robert Pinget und Claude Simon. Klett-Cotta, Stuttgart 1979, ISBN 3-12-933210-3
  • Thomas Klinkert: Bewahren und Löschen. Zur Proust-Rezeption bei Samuel Beckett, Claude Simon und Thomas Bernhard. Narr, Tübingen 1996, ISBN 3-8233-4788-8 (= Romanica Monacensia; 48)
  • Till R. Kuhnle: Chronos und Thanatos. Zum Existentialismus des "nouveau romancier" Claude Simon. Niemeyer, Tübingen 1995, ISBN 3-484-55022-8 (= Mimesis; 22)
  • Jochen Mecke: Michel Butor, "La Modification" 1957; Claude Simon, "La Route des Flandres" 1960. in: Wolfgang Asholt Hg.: Interpretation: Französische Literatur, 20. Jh., Roman. Stauffenburg, Tübingen ISBN 978-3-86057-909-1
  • Wolfram Nitsch: Sprache und Gewalt bei Claude Simon. Interpretationen zu seinem Romanwerk der sechziger Jahre. Narr, Tübingen 1992, ISBN 3-8233-4306-8 (= Romanica Monacensia; 39)
  • Liisa Saariluoma: Der postindividualistische Roman. Königshausen & Neumann, Würzburg 1994, ISBN 3-88479-874-X
  • Dorothea Schmidt:Schreiben nach dem Krieg. Studien zur Poetik Claude Simons. Winter, Heidelberg 1997, ISBN 3-8253-0552-X (= Studia Romanica; 89)
  • Stefan Schreckenberg: Im Acker der Geschichten. Formen historischer Sinnstiftung in Claude Simons "Les Géorgiques". Winter, Heidelberg 2003, ISBN 3-8253-1521-5 (= Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; 18)
  • Vera Szöllösi-Brenig: Die "Ermordung" des Existentialismus oder das letzte Engagement. Künstlerische Selbstfindung im Frühwerk von Claude Simon zwischen Sartre und Merleau-Ponty. Narr, Tübingen 1995, ISBN 3-8233-4786-1 (= Romanica Monacensia; 46)
  • Rolf Vollmann: Akazie und Orion. Streifzüge durch die Romanlandschaften Claude Simons. Dumont, Köln 2004, ISBN 3-8321-7880-5
  • Barbara Vinken: The Stained Paper: Claude Simon’s Leçon de choses. In: Yale French Studies, Sonderheft The French Novel Today, S. 35-45, 1988
    • Barbara Vinken: Makulatur oder Von der Schwierigkeit zu lesen: Claude Simon. In: Poetica, Heft 22, S. 403-428, 1989
  • Theo Rommerskirchen: Claude Simon. In: viva signatur si! Remagen-Rolandseck 2005. ISBN 3-926943-85-8
  • Brigitte Burmeister: Die Sinne und der Sinn. Erkundungen der Sprachwelt Claude Simons. Matthes & Seitz Berlin, 2010 ISBN 978-3-88221-686-8

Weblinks


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