Geschichtsfälschung

Geschichtsfälschung

Bei einer Geschichtsfälschung wird vorsätzlich versucht, mit wissenschaftlich unlauteren Mitteln einen falschen Eindruck von historischen Ereignissen und ihrer Interpretation zu vermitteln.

Inhaltsverzeichnis

Arten der Fälschung

Die „Eiserne Jungfrau“ (rechts im Bild), angeblich ein Folterinstrument des Mittelalters, ist ein Fantasieprodukt des 19. Jahrhunderts.

Auf dem langen Weg von den Quellen und der vorherigen Sekundärliteratur zur Darstellung gibt es viele Möglichkeiten der Manipulation.

Quellenfälschung

Am grundlegendsten ist die materielle Fälschung, also die Produktion eines Objektes, das vom Fälscher oder seinen Auftraggebern als alte Quelle ausgegeben wird, beispielsweise eine angeblich alte Urkunde (wie bei der Konstantinischen Schenkung). Entsprechend der Urkundenfälschung kann man Quellenfälschung wie folgt definieren: Jedes Dokument hat einen Aussteller. Eine Fälschung liegt vor, wenn der angebliche Aussteller das Dokument in Wirklichkeit nicht ausgestellt hat, sondern jemand anders.

Nicht um eine Fälschung handelt es sich, wenn das Objekt nicht als alt ausgegeben wird, beispielsweise eine Rekonstruktion für ein Museum.

Eine oft effektivere Variante der Quellenfälschung ist die Verfälschung einer echten Quelle. Ein Beispiel wäre das Entfernen oder Hinzufügen von Textstellen in einer Urkunde.

Fuchs und Raab nennen in ihrem Geschichtswörterbuch vor allem die Münzfälschung und die Urkundenfälschung als strafbare Handlungen sowie, als jüngeres Beispiel, die Hitlertagebücher von Konrad Kujau.[1]

Falsche Behauptungen und Interpretationen

Die meisten Geschichtsfälschungen kommen hingegen durch eine willkürliche Interpretation des Quellenmaterials zustande, am einfachsten durch das Weglassen bzw. Nichtbeachten unerwünschter Quellen, also eine einseitige Quellen-/Literaturauswahl.

Eher selten, da leicht zu durchschauen und zu widerlegen, ist die direkte Lüge in der Darstellung, beispielsweise die Aussage im maßgeblichen DDR-Geschichtsatlas, am 25. Juni 1950 hätte Südkorea den Norden überfallen statt umgekehrt; siehe Koreakrieg.[2]

Ziele und Motive

Seite der angeblich mittelalterlichen „Königinhofer Handschrift“, 1817
Reichsäpfel stellen die Weltkugel dar und widerlegen die im 19. Jahrhundert aufgestellte und heute noch verbreitete Behauptung, im Mittelalter hätte es eine Doktrin der flachen Erde gegeben.

Da eine Geschichtsfälschung immer einen gewissen, zum Teil sogar erheblichen Aufwand darstellt, haben die Fälscher ein oder mehrere Motive, die sie antreiben:

  • Manchen Fälschern geht es um eine Selbstbestätigung; sie wollen erproben, ob sie eine Fälschung zustande bringen können, die die Fachwelt zum Narren hält.
  • Wissenschaftsorientiert ist das Motiv, wenn der Fälscher seine eigene historische Interpretation gegenüber denen von Fachkollegen aufwerten bzw. seine Karriere fördern will.
  • Politisch ist das Motiv, wenn der Fälscher das historische Bild einer Person oder Personengruppe bis hin zur Nation ändern will:
    • Rechtfertigung oder Verharmlosung von Diktaturen, Kriegsverbrechen u.ä.; die Kehrseite kann dann die Abwertung des politischen Gegners sein: Mit der Dolchstoßlegende versuchten deutsche Militärs nach dem Ersten Weltkrieg, die Verantwortung für die Niederlage politischen Parteien zuzuschieben.
    • Entfernung von unliebsam gewordenen Personen aus Dokumenten der Zeitgeschichte; so wurden etwa unter Stalin wiederholt in Ungnade gefallene Politiker aus Fotos herausretuschiert (siehe auch Fotomanipulation).
    • Aufwertung: Mit der Königinhofer Handschrift wurde versucht, die Literaturgeschichte der tschechischen Nation zu verlängern.
    • Verächtlichmachung, wie zum Beispiel durch die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“.
  • Rechtspositionen: Insbesondere die Urkundenfälschungen des Mittelalters, wie die Konstantinische Schenkung, wollten eine konkrete rechtliche Position verändern, wie den Besitz von Land. Durch die vereinfachende Aussage im Kriegsschuldartikel (Vertrag von Versailles, 1919) wurden die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland begründet. Änderungen von Geschichtsbildern und die Begründung von Rechtspositionen können auf diese Weise stark mit einander verwoben sein.
  • Mit Fälschungen lässt sich mitunter Geld verdienen, nicht nur auf dem Kunst- und Antiquaria-Markt, sondern auch durch die publizistische Darstellung der vermeintlichen wissenschaftlichen Sensation. Bekannte Beispiele sind die Hitlertagebücher oder die Gesänge Ossians.

Abgrenzung

Eine Geschichtsfälschung liegt nur vor, wenn in betrügerischer Absicht manipuliert wurde, um das Geschichtsbild zu verändern. Keine Geschichtsfälschung ist daher

  • ein veralteter Forschungsstand an sich, da es auch in der Geschichtswissenschaft Entwicklungen und Neuentdeckungen gibt,
  • eine bloße abweichende Meinung, die aufgrund anderer Vorgaben bei der Interpretation zustande kommt,
  • ein Irrtum.

Die Grenzen zwischen der abweichenden Meinung und einer Fälschung können fließend sein: Generell ist jede Theorie und eine Gesamtdarstellung eine Vereinfachung der Realität. Ob die Vereinfachung als angemessen empfunden wird, ist dann die Ursache möglichen Streits. Die Chronologiekritik („Erfundenes Mittelalter“) von Heribert Illig scheint durchaus ernst gemeint zu sein und ist daher im eigentlichen Sinne keine Fälschung, auch wenn die Fachwelt Illigs Theorien strikt ablehnt.

Materielle Fälschungen, die zum Verkauf angeboten werden, sind an sich noch keine Geschichtsfälschungen, wenn kein Geschichtsbild verändert wird. Dazu gehören vor allem Kunstfälschungen und Briefmarkenfälschungen, also von normalerweise bereits bekannten Abbildungen. Streng genommen gilt dies auch für die Hitler-Tagebücher, da ihr Inhalt trivial war und kaum ein neues Geschichtsbild vortäuschen sollte. Dem Fälscher Kujau ging es nur um den materiellen Vorteil.

Beim angeblichen Überfall auf den Sender Gleiwitz (1939) oder dem Tonkin-Zwischenfall wurde zwar versucht, auch das spätere Geschichtsbild zu prägen. Da die Handelnden aber bereits bei der Tat die Weltöffentlichkeit täuschen wollten, handelt es sich streng genommen nicht um Geschichtsfälschungen.

Den Ausdruck der Geschichtsfälschung verwendet man in der Regel für die Geschichte von Menschen, nicht für die Naturgeschichte. Daher gehören der Piltdown-Mensch oder die Kreationismus-Debatte nicht zu den Geschichtsfälschungen im Sinne der Geschichtswissenschaft.

Fiktionale Werke wie Romane und Spielfilme, die sich auf einen historischen Hintergrund beziehen, verändern diesen Hintergrund häufig. Man vergleiche etwa Bounty mit Meuterei auf der Bounty (1935). Ob es sich um eine Geschichtsfälschung handelt, ist strittig, denn ein fiktionales Werk ist definitionsgemäß kein Sachbuch und erst recht keine Fachliteratur. Die Kritik hat wohl am ehesten dann anzusetzen, wenn der Autor oder Produzent die angebliche historische Verbürgtheit anpreist oder ein Geschichtsbild beeinträchtigt, das über den Einzelfall hinausgeht.

Einen weiteren strittigen Fall stellen die Hypothesen von der Entstehung der menschlichen Kultur durch Eingreifen von Wesen aus dem Weltraum dar, wie sie von Erich von Däniken vertreten werden. Von Däniken selbst beendet seine Vorträge übrigens mit dem Aufruf, ihm nichts zu glauben; in einzelnen Fällen hat er auch eingestanden, Beweisstücke gefälscht zu haben. Ihm geht es aber nicht um einen fachwissenschaftlichen Standpunkt, sondern um das Erreichen eines großen Publikums und das Verkaufen seiner – finanziell erfolgreichen – Bücher.

Prominente Beispiele

Petersburger revolutionärer Klub, 1897, kurz vor der Festnahme durch die russische Geheimpolizei. In der Bildmitte Lenin.
Nachdem Alexander Maltschenko 1930 bei Stalin in Ungnade gefallen war, wurde er auf dem Bild nachträglich entfernt.

Im Hinblick auf Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus, des Marxismus-Leninismus oder des europäischen Faschismus im 20. Jahrhundert geht es oft um das Leugnen von Verbrechen: des türkischen Völkermordes an den Armeniern, die Verbrechen der Sowjetunion (Stalinsche Säuberungen, Massaker von Katyn), der europäischen Judenverfolgungen (siehe Holocaustleugnung).

Teilweise lassen sich die Motive in ideologische und nationalistische aufteilen. So hat sich die Sowjetunion darum bemüht, die russische Wissenschaftsgeschichte auch des 19. Jahrhunderts als Erfolgsgeschichte darzustellen. Dies ist weniger mit der kommunistischen Ideologie als mit dem großrussischen Nationalismus erklärbar, der seit Stalin als neuer „Sowjetpatriotismus“ dargestellt wurde.

Historische Abläufe werden oftmals aus verschiedenen Sichtweisen betrachtet. Bestimmte Ereignisse haben immer eine Vorgeschichte, die sich interpretieren lässt im Sinne von „was wäre geschehen, wenn …”. So schreibt Udo Walendy in seinem Buch Wahrheit für Deutschland – Die Schuldfrage des Zweiten Weltkriegs die Hauptschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Großbritannien zu. Werden allerdings bestimmte historische Zusammenhänge bewusst verschwiegen, so kann dies leicht zu einer Geschichtsfälschung werden.

Geschichtsklitterung

Als Geschichtsklitterung[3] bezeichnet man eine unkritische Geschichtsdarstellung, die den Sinn entstellt oder welche unvollständig respektive einseitig anmutet. Der Begriff geht auf den Titel des 1575 erschienenen Buches Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung von Johann Fischart zurück.[4] Nicht selten wird der Begriff aber nicht nur für die unabsichtliche, sondern, wenn auch sprachgeschichtlich unbegründet, auch für die absichtliche Geschichtsfälschung gebraucht.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Konrad Fuchs/ Heribert Rab (Hrsg.), Wörterbuch Geschichte, 13. Auflage, München: dtv, 2002, unter Fälschung.
  2. Atlas zur Geschichte, Band 2, 3. Auflage, Gotha: VEB Hermann Haack, 1982, S. 89.
  3. Das Große Lexikon der Geschichte, München: Heyne Verlag, 1976, Band 1, unter Geschichtsklitterung: „fälschende Geschichtsschreibung, sinnentstellende Verwendung geschichtl. Fakten“.
  4. Johann Fischart, Affentheuerlich Naupengeheurliche Geschichtsklitterung. Mit einem Auszug aus dem Gargantua des Rabelais, basierend auf der Texteinrichtung der von Ute Nyssen 1963 herausgegebenen Ausgabe, Eichborn (Die andere Bibliothek), 151, hrsg. v. Hans Magnus Enzensberger, Frankfurt M. 1997, ISBN 3-8218-4151-6.

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