Hitler-Tagebücher

Hitler-Tagebücher

Die Veröffentlichung von Hitler-Tagebüchern, die sich schnell als Fälschungen erwiesen, durch das Nachrichtenmagazin Stern 1983 gilt als einer der größten Skandale in der Geschichte der bundesdeutschen Presse. Am 25. April 1983 erklärte der Stern, Adolf Hitlers geheime Tagebücher befänden sich in seinem Besitz. Am 28. April 1983 begann die Veröffentlichung als Serie. Am 5. Mai 1983 wurde klar, dass es sich um Fälschungen handelte. Der Stern hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 62 Bände gefälschter Tagebücher für 9,3 Millionen DM (ca. 4,7 Millionen Euro) erworben.

Inhaltsverzeichnis

Verlauf des Skandals

Entdeckt wurden die angeblichen Tagebücher von dem Hamburger Stern-Reporter Gerd Heidemann. Über den Militaria-Sammler und Industriellen Fritz Stiefel erhielt er im Januar 1980 Kontakt zu Konrad Kujau, der Heidemann gegenüber behauptete, Hitler-Tagebücher in seinem Besitz zu haben. Kujau hatte Stiefel die Tagebücher bereits im November 1975 zum Kauf angeboten, der sich davon begeistert zeigte. Heidemann hatte Stiefel kennengelernt, als er diesem einige Göring-Utensilien verkaufen wollte, um die von ihm erworbene ehemalige Yacht des Reichsmarschalls zu finanzieren. Angeblich seien die Tagebücher kurz vor Kriegsende bei Börnersdorf in Sachsen in einem Flugzeug (Junkers Ju 352) gefunden worden, das am 21. April 1945 dort abgestürzt war. Heidemann fuhr daraufhin nach Börnersdorf, wo er die Gräber der Piloten fand.

Die Verantwortlichen für das Ressort Zeitgeschichte beim Stern, denen Heidemann im April 1980 von seiner Entdeckung berichtete, schafften es am 27. Januar 1981, die Verlagsleitung von der Echtheit der Tagebücher zu überzeugen. Um die Recherchen vor der „internationalen Konkurrenz“ geheimzuhalten, wurde die Redaktion des Stern übergangen und vorerst nicht informiert. Es wurde das Geheimprojekt „Grünes Gewölbe“ innerhalb des Stern ins Leben gerufen. Nur ein innerer Zirkel von Verlagsleitung und Mitarbeitern des Ressorts Zeitgeschichte beim Stern war eingeweiht. In einem ersten Schritt wurden von Verlagschef Manfred Fischer 2 Millionen Mark für den Kauf der Bücher bereitgestellt. Am 13. Februar 1981 wurden zunächst drei Tagebücher für je 85.000 DM ohne den Erhalt einer Quittung erworben. Im späteren Prozess wurde Heidemann vorgeworfen, nur 60.000 DM pro Band an Kujau bezahlt und den Rest unterschlagen zu haben. Später veranlasste die Verlagsleitung den Ankauf weiterer 59 Bände für über 9 Millionen DM. Außerdem wurde ein Kanzelteil der angeblich bei Börnersdorf abgestürzten Maschine erworben und im Verlagshaus in einem extra angekauften riesigen Tresor gelagert.

Im April und Mai 1981 tauchten erste Hinweise auf, dass die Dokumente wahrscheinlich gefälscht seien. In einer Fachzeitschrift warnte Eberhard Jäckel, ein deutscher Historiker, der hauptsächlich über die Zeit des Nationalsozialismus forschte und publizierte, vor Dokumenten von Hitler aus einer dubiosen Quelle, von der er selbst Unterlagen erhalten hatte. Heidemann hatte zeitgleich engen Kontakt zu einem ehemaligen hochrangigen SS-Offizier, dem er aus den Tagebüchern vorlas. Dieser wies auf sachliche Fehler in den Tagebüchern hin, die ignoriert wurden.

Erst am 13. Mai 1981 wurde die Chefredaktion um Chefredakteur Peter Koch informiert.[1] Dieser äußerte Zweifel an der Echtheit der Tagebücher. Danach wurden Gutachten des Hitler-Kenners Hugh Trevor-Roper sowie im April 1982 der Schriftexperten Max Frei-Sulzer und Lothar Michel eingeholt, welche die Authentizität der Tagebücher zu bestätigen schienen. Auch das Bundesarchiv und das LKA Rheinland-Pfalz waren zuerst von der Echtheit überzeugt. Niemandem fiel jedoch auf, dass einige der Vergleichsschriftproben, die den Gutachtern vorgelegt wurden, ebenfalls aus Kujaus Feder stammten. Nur das BKA hielt sein Gutachten bis zum Schluss zurück. Dabei gab es mehr als genug Zweifel an der Echtheit vor der Veröffentlichung. Zeitzeugen konnten beispielsweise nicht bestätigen, dass Hitler Tagebuch schrieb. Ebenso fiel die fehlerfreie Schreibweise auf. Die Tagebücher hatten keine Korrekturen. Aber auch die unterschiedlichen Beschaffungsgeschichten, die Heidemann Trevor-Roper auftischte, oder die mit der Zeit immer größer werdende Anzahl an Tagebüchern hätten verdächtig wirken müssen.[2] Waren es zu Beginn der Beschaffungsaktion 27 Bücher, so stieg die Zahl am Schluss auf 62 Ausgaben.[3] Als größtes Versäumnis der Redaktion muss angesehen werden, dass die Tagebücher vorschnell veröffentlicht wurden und man das BKA-Gutachten nicht abwartete. Zumindest teilweise kann das mit dem öffentlichen Druck erklärt werden, der auf eine Veröffentlichung drängte.

Ebenso hätte auffallen müssen, dass es sich bei dem ersten der beiden goldfarbenen und verzierten Buchstaben auf der ersten Seite des Einbands nicht um ein „A“ für „Adolf“ (Hitler), sondern um ein „F“ handelte. Man versuchte dafür abenteuerliche andere Erklärungen zu finden: „FH“ = „Führer Hitler“, oder „Führer Hauptquartier“. Mehrere deutsche Historiker, unter anderem der Kölner Ordinarius Andreas Hillgruber, drängten auf eine chemisch-physikalische Echtheitsüberprüfung durch die Labors des Bundesarchivs in Koblenz und des Bundeskriminalamtes. Der Stern bezeichnete Hillgruber daraufhin in seinem Editorial als „Archiv-Ayatollah“,[4] musste sich aber dem Druck fügen.

Trotzdem wurden die ersten beiden Tagebücher veröffentlicht. Am 25. April 1983 lud der Stern zu einer internationalen Pressekonferenz in sein Verlagshaus, an der 15 Fernsehmannschaften und hunderte Reporter anderer Zeitungen teilnahmen. Bei dem tumultartigen Ereignis drückte man Stern-Reporter Heidemann die Tagebücher in die Hände und dieser ließ sich in der Euphorie zu Siegerposen mit „Victory“-Zeichen hinreißen und ablichten – das Bild blieb in Erinnerung. In der ersten bereits gedruckten Ausgabe behauptete der Stern-Chefredakteur: „Große Teile der deutschen Geschichte müssen umgeschrieben werden.“

Eine Woche später flog der Schwindel auf. Das Gutachten des Bundeskriminalamts und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung hatte zweifelsfrei ergeben, dass die bei der Bindung verwendeten Materialien erst nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellt wurden. Bei einem Test unter ultraviolettem Licht lumineszierte das Papier, wodurch sich sogenannte Weißmacher nachweisen ließen, die erst seit 1950 bevorzugt zur Papierherstellung und in Textilstoffen eingesetzt werden. Weiterhin ergaben linguistische Analysen, dass der Sprachduktus der Tagebücher nur bedingt dem Hitlers entspricht. Ein Zweitgutachten der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in St. Gallen bestätigte diesen Befund und fand einen weiteren Beweis für die Fälschung: Unter anderem konnten die Fachleute nachweisen, dass die roten Siegelkordeln mit einem Reaktivfarbstoff eingefärbt waren, der erst 1956 auf den Markt kam. Auch die "antike" Patina der Bücher erwies sich als nachträglich fabriziert. Ein anderer Schweizer Gutachter, der noch zuvor die Echtheit der Tagebücher bestätigt hatte, änderte seine Meinung und sprach in einer Livesendung in der ARD am 5. Mai 1983 von Fälschungen.

In den beiden veröffentlichten Tagebüchern schrieb Kujau über „Frauengeschichten“ von Goebbels und einen Erlass, mit dem Hitler seinen Mitarbeitern solche Affären verbieten wollte, daneben behandelte er viele private Dinge und unterstellte Hitler dabei eine Tablettenabhängigkeit. Der zweite Band befasste sich u. a. mit dem England-Flug des Hitlerstellvertreters Heß. Der Inhalt der restlichen Tagebücher ist bis heute größtenteils unbekannt.

Nachspiel vor Gericht

Kujau und Heidemann wurden im Juni 1985 in Hamburg vor Gericht gestellt und verurteilt. Kujau legte ein Geständnis ab, die 62 Bände selbst geschrieben zu haben. Er wurde wegen Betruges zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, jedoch bereits nach drei Jahren wegen seiner schweren Kehlkopfkrebs-Erkrankung entlassen. Nach seiner Haftstrafe nutzte Kujau seine gewonnene Popularität und eröffnete ein eigenes Atelier, in dem er „original Kujau-Fälschungen“ offiziell verkaufte.[5]

Bei Heidemann gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass er von dem Geld, das der Stern zur Verfügung stellte, einen Betrag in Millionenhöhe nicht an Kujau weitergeleitet, sondern unterschlagen habe. Sein hartnäckiges Leugnen wurde strafverschärfend gewertet. Er wurde im Juli 1985 vom Hamburger Landgericht zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt[6] und lebte zeitweise von Sozialhilfe. Die Nichte Kujaus hat inzwischen ihre Annahme bekundet, dass Heidemann wohl kein Geld unterschlagen hat.[7]

Folgen

Der Stern musste sich für die Veröffentlichung der Fälschung öffentlich entschuldigen.[8] Die Chefredaktion trat zurück. Die Auflage des Sterns fiel massiv; nach einigen Monaten konnte sich das Blatt jedoch erholen.[9] Die Affäre um die Tagebücher haftet dem Stern aber auch heute noch negativ an.[9][10] Zudem ist die Affäre neben z. B. der Geiselnahme von Gladbeck ein Lehrbuchbeispiel in der Medienethik.[11]

Robert Harris veröffentlichte 1986 das Buch "Selling Hitler" über den Skandal. Es bildete die Grundlage für eine fünfteilige TV-Komödie mit Jonathan Pryce. Die zweite satirische Verarbeitung des Stoffes erfolgte in dem Film Schtonk! von 1992, der eine Oscar-Nominierung erreichte. Er machte die Akteure, vor allem Kujau, noch bekannter.

Der letzte Band der gefälschten Tagebücher wurde am 23. April 2004 in Berlin versteigert. Ein anonymer Käufer erwarb den Band für 6.500 Euro.

Literatur

  • Manfred Bissinger (1984): Hitlers Sternstunde. Kujau, Heidemann und die Millionen. Bramsche: Rasch & Röhring, 237 S., ISBN 3891360118.
  • Robert Harris (1991): Selling Hitler: Story of the Hitler Diaries. London: Faber and Faber, 402 S., ISBN 0-571-14726-7.
  • Manfred R. Hecker (1993): Forensische Handschriftenuntersuchung – eine systematische Darstellung von Forschung, Begutachtung und Beweiswert., Heidelberg, Kriminalistik Verlag.
  • Peter-Ferdinand Koch (1990): Der Fund. Die Skandale des Stern – Gerd Heidemann und die Hitler-Tagebücher. Hamburg: FACTA, 831 S., ISBN 3-926827-24-6.
  • Erich Kuby (1983): Der Fall „Stern“ und die Folgen. Hamburg: Konkret Literatur Verlag, 207 S., ISBN 3-922144-33-0 und Berlin: Volk und Welt, 206 S.
  • Günther Picker (1992): Der Fall Kujau. Chronik eines Fälschungsskandals. Berlin: Ullstein, 140 S., ISBN 3548349935.
  • Michael Seufert (2008): Der Skandal um die Hitler-Tagebücher. Frankfurt/Main: Scherz, 288 S., ISBN 3-502-15119-9.

Folgende Stern-Ausgaben berichteten von den gefälschten Tagebüchern: Stern Nr. 18/1983 (Hitlers Tagebücher entdeckt), Stern Nr. 19/1983 (Der Fall Heß) und Stern Nr. 11/2008 (Gier nach dem großen Geld, Interview mit Michael Seufert über sein Buch und seine Rolle als Leiter der Ressorts Deutschland und Ausland im Jahr 1983)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Seufert: Der Skandal um die Hitler-Tage-Bücher., Scherz, 2008, S. 117.
  2. vgl. Manfred R. Hecker: Das Handschriftengutachten als Sachbeweis, NStZ 1990, 463, 468f.
  3. Seufert: Der Skandal um die Hitler-Tage-Bücher., Scherz, 2008.
  4. Frankfurter Rundschau vom 25. April 2008: Hitler-Tagebücher - Die Droge Sensation, zuletzt abgerufen am 18. Dezember 2010.
  5. Joachim Löffler: Künstlersignatur und Kunstfälschung - Zugleich ein Beitrag zur Funktion des § 107 UrhG, NJW 1993, 1421, 1422.
  6. vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 16. März 1988 - 2 Ws 52/88; NStZ 1988, 274.
  7. Onkel Konrads letzter Knüller. In: Berliner Morgenpost, 5. Juni 2003 (online).
  8. vgl. Manuela Pauker: VDZ-Rückblick: Die 80er Jahre - Der große Bluff, Werben & Verkaufen vom 4. November 2004, S. 22.
  9. a b Markus Scholz: Presse und Behinderung. Eine qualitative und quantitative Untersuchung, 1. Auflage 2010, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, ISBN 978-3-531-17080-0, S. 96.
  10. Bengt Pflughaupt: Kujaus ,Stern'-Stunde, Extradienst Nr. 04/2008, S. 52.
  11. vgl. Christian Schicha: Medienskandale, in: Christian Schicha, Carsten Brosda (Hrsg.): Handbuch Medienethik, 1. Auflage 2010, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, ISBN 978-3-531-15822-8, S. 381f.

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