NS-Tötungsanstalt Hadamar

NS-Tötungsanstalt Hadamar
Mahnmal auf dem Friedhof der Gedenkstätte.

In der NS-Tötungsanstalt Hadamar auf dem Gelände des Altbaus des heutigen vitos Hadamar (Psychiatrische Klinik) auf dem Mönchberg in Hadamar/Hessen wurden zwischen Januar 1941 und März 1945 im Rahmen der sogenannten Aktion T4 etwa 14.500 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen in einer Gaskammer, durch tödliche Injektionen und Medikationen sowie durch vorsätzliches Verhungernlassen ermordet. An dieses Verbrechen erinnert heute die Gedenkstätte Mönchberg.

Inhaltsverzeichnis

Die Tötungsanstalt Hadamar

Garage der „grauen Busse“, mit denen Menschen in die Tötungsanstalt gebracht wurden. Heute Teil der Gedenkstätte.
Innenansicht der Busgarage.

Herkunft der Opfer

Die Herkunft der Opfer war durch das vorgegebene Einzugsgebiet der seit 1907 bestehenden Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar bestimmt. Im November 1940 gab die Provinz Hessen-Nassau die Leitung der Anstalt an die für die Aktion T4 zuständigen Berliner Behörden ab. Sie war damit die letzte der sechs späteren Tötungsanstalten, die von den jeweiligen Gebietskörperschaften in die Hoheit des Reichs übergingen. In Hadamar wurden ab 1941 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen aus Heilanstalten der preußischen Provinzen Hessen-Nassau, Westfalen, Hannover und der Rheinprovinz sowie der Länder Hessen, Baden und Württemberg ermordet.

Die „Zwischenanstalten“

Hadamar waren neun sogenannte Zwischenanstalten zugeordnet, in die die zu ermordenden Menschen aus den einzelnen Heilanstalten ohne vorherige Information der Angehörigen in Sammeltransporten verlegt wurden. Von dort wurden sie je nach vorhandener Kapazität in Hadamar abgerufen und zur gezielten Ermordung abtransportiert.

  1. Landes-Heilanstalt Herborn (Dillkreis, Hessen-Nassau)
  2. Landes-Heilanstalt Weilmünster (Oberlahnkreis, Hessen-Nassau)
  3. Landes-Heil- und Pflegeanstalt Eichberg/Eltville am Rhein (Rheingaukreis, Hessen-Nassau)
  4. Privat-Heilerziehungsanstalt Kalmenhof/Idstein (Untertaunuskreis, Hessen-Nassau)
  5. Heilerziehungs- und Pflegeanstalt Scheuern/Nassau (Unterlahnkreis, Hessen-Nassau)
  6. Galkhausen (Rhein-Wupper-Kreis, Rheinprovinz)
  7. Andernach (Landkreis Mayen, Rheinprovinz)
  8. PLK Wiesloch (Landkreis Heidelberg, Baden)
  9. Heilanstalt Weinsberg (Landkreis Heilbronn, Württemberg)

In den Zwischenanstalten wurden Menschen nach Abschluss der ersten Phase der Aktion T4 in eigener Verantwortung der Anstaltsärzte, gewissermaßen „dezentralisiert“ ermordet.

Zahl der Opfer 1941

Die Gaskammer in Hadamar
In diesem Gebäude befanden sich Gaskammer und Krematorium

Nach einer erhalten gebliebenen internen T4-Statistik wurden in der Tötungsanstalt Hadamar in nur acht Monaten zwischen dem 13. Januar 1941 und dem 1. September 1941 insgesamt 10.072 Menschen[1] durch das Gas Kohlenmonoxid ermordet, in der Sprache ihrer Mörder: „desinfiziert“. Gemäß aktualisierter Opferliste der Gedenkstätte Hadamar (Stand 2010) betrug die Opferzahl 10.122.[2] Die Menschen wurden in einem als Duschraum getarnten Kellerraum ermordet und ihre Leichen in einem angrenzenden Krematorium verbrannt. Die Umbauarbeiten der Kellerräumlichkeiten in Gaskammern wurden von Fritz Schwerwing, einem Schwager Fritz Bernotats, und anderen Installateuren ausgeführt. Die Rauchwolken des Krematoriums und der Geruch nach verbrannten Leichen führten zusammen mit Berichten des Personals der Anstalt dazu, dass die Einwohner von Hadamar und Umgebung die systematischen Ermordungen zumindest vermuten konnten. Das Sonderstandesamt Hadamar-Mönchberg versandte an Angehörige Sterbeurkunden mit unzutreffenden Todesursachen.

Die Opferzahl von mehr als 10.000 Menschen umfasst lediglich die erste Phase der Aktion T4 in Hadamar. Diese wurde auf Anordnung Adolf Hitlers mit dem Datum 24. August 1941 abgeschlossen. Dazu hatte der Protest der katholischen Kirche beigetragen. Auch der Limburger Bischof Antonius Hilfrich, in dessen Diözese Hadamar lag, hatte einen Protestbrief an das Reichsjustizministerium geschickt. Nach dem Stopp der ersten Phase wurden die Räume, in denen die Morde stattgefunden hatten, im Frühjahr 1942 umgebaut, um Spuren zu verwischen.

Zeitraum von 1942 bis 1945

Am 31. Juli 1942 ging die T4-Anstalt Hadamar wieder als Landesheilanstalt in die Trägerschaft des Bezirksverbandes Nassau in Wiesbaden über. Oberarzt Adolf Wahlmann übernahm die ärztliche Leitung, Landessekretär Alfons Klein die Verwaltungsgeschäfte. Unter der Verantwortung dieser beiden Männer wurden ab August 1942 die Morde an behinderten und psychisch kranken Menschen fortgesetzt. Jetzt jedoch nicht mehr in einer Gaskammer, sondern durch von Ärzten und Pflegern verabreichte Injektionen und überdosierte Medikamente sowie durch planmäßiges und vorsätzliches Verhungernlassen.

Der Kreis der zu ermordenden Menschen wurde in dieser zweiten Phase der Tötungsanstalt Hadamar noch zweimal erweitert. Im April 1943 wurde dort auf Anweisung des Reichsministeriums des Innern ein vorgebliches „Erziehungsheim für minderjährige jüdische Mischlingskinder“ (Kinder mit einem jüdischen Elternteil) aus staatlichen Fürsorgeeinrichtungen des Reichs eingerichtet. An sich waren diese Kinder auf Grund der Nürnberger Gesetze als so genannte „Halbjuden“ vor Deportation und Ermordung geschützt. Nun wurden sie in die allgemeine Vernichtung mit einbezogen: 39 „jüdische Mischlinge“ wurden nach Hadamar eingewiesen. 34 Kinder wurden durch Giftinjektionen ermordet, fünf Kinder wurden auf energischen, auch juristischen Druck ihrer Angehörigen hin aus der Anstalt Hadamar entlassen.

Ab Ende Juli 1944 wurden angeblich unheilbar an Tuberkulose erkrankte „Ostarbeiter“ durch Giftinjektionen ermordet. Es handelte sich um 274 Männer, 173 Frauen und 21 Kinder im Alter von unter 15 Jahren, insgesamt um 468 Menschen. 375 waren Sowjetbürger und 63 Polen.

Zwischen dem 13. August 1942 und dem 24. März 1945 wurden 4.817 Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung nach Hadamar transportiert, die meisten davon durch die Gekrat, die Transportorganisation der T4. 4.422 von ihnen starben in diesem Zeitraum, der überwiegende Teil keines natürlichen Todes.

Erst die Besetzung Hadamars durch US-Truppen am 26. März 1945 beendete die bis zum Kriegsende anhaltende systematische Ermordung von Menschen. Die Gesamtzahl der Opfer in der Tötungsanstalt Hadamar beläuft sich auf mindestens 14.494 Menschen.

Tötungsärzte

Wahlmann mit Hilfspfleger Karl Willig (rechts) nach ihrer Festnahme im April 1945.
Vernehmung der Oberschwester Irmgard Huber, Hadamar Mai 1945.

Die T4-Organisatoren Viktor Brack und Karl Brandt ordneten an, dass die Tötung der Kranken ausschließlich durch das ärztliche Personal erfolgen durfte, da sich das Ermächtigungsschreiben Hitlers vom 1. September 1939 nur auf Ärzte bezog. Die Bedienung des Gashahns war somit Aufgabe der Vergasungsärzte in den Tötungsanstalten. Allerdings kam es im Laufe der Aktion auch vor, dass bei Abwesenheit der Ärzte oder aus sonstigen Gründen der Gashahn auch vom nichtärztlichen Personal bedient wurde. Alle Ärzte traten im Schriftverkehr nach außen nicht mit ihrem richtigen Namen auf, sondern verwendeten Tarnnamen. In Hadamar waren als Tötungsärzte tätig:

Gedenkstätte Hadamar

1953 wurde in der Eingangshalle des Psychiatrischen Krankenhauses Hadamar ein Wandrelief angebracht. 1964 wurde der Friedhof, auf dem die Toten der Jahre 1942 bis 1945 liegen, umgestaltet und durch den Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Pfarrer Martin Niemöller, der Öffentlichkeit übergeben. Ein Mahnmal und symbolische Grabsteine erinnern an die Opfer. Betrieb und Pflege der Gedenkstätte liegen beim Landeswohlfahrtsverband Hessen.

1983 wurde auf Initiative des damaligen ärztlichen Leiters des Krankenhaus und eines Mitarbeiters eine erste Ausstellung in den Kellerräumen der einstigen Tötungsanstalt eingerichtet. 1991 wurde eine neu konzipierte Dauerausstellung durch den Landeswohlfahrtsverband der Öffentlichkeit präsentiert, die nicht mehr im Keller, sondern im Erdgeschoss des Gebäudes untergebracht ist.

Seit 2006 steht eine digitale Opferdatenbank zur Verfügung, die in ihrer Vollständigkeit einmalig für die sechs Tötungsanstalten ist. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, Angehörige bei der Aufdeckung der verschleierten Todesumstände zu unterstützen. Sie leistet so einen wichtigen Beitrag zum Gedenken.

Die Gedenkstätte umfasst neben der Ausstellung ein Archiv, eine Bibliothek und Seminarräume. Ein Förderverein unterstützt die Arbeit der Gedenkstätte. Rund 15.000 Menschen besuchen pro Jahr die Gedenkstätte, die meisten von ihnen im Rahmen einer etwa dreistündigen Führung. Zusätzlich zum Denkmalschutz hat die Gedenkstätte den Schutzstatus für den Kriegsfall nach der Haager Konvention erhalten.

Siehe auch

Literatur

  • Gerhard Baader, Johannes Cramer, Bettina Winter: „Verlegt nach Hadamar“. Die Geschichte einer NS-„Euthanasie“-Anstalt. Begleitband zu einer Ausstellung des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen; Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Kataloge Band 2; Landeswohlfahrtsverband Hessen, Kassel 1991; ISBN 3-89203-011-1.
  • Peter Chroust u.a. (Hrsg.): „Soll nach Hadamar überführt werden“. Den Opfern der Euthanasiemorde 1933 bis 1945 (Ausstellungskatalog), Frankfurt am Main 1989; ISBN 3-925499-39-3.
  • Uta George, Stefan Göthling (Hrsg.): Was geschah in Hadamar in der Nazizeit? Ein Katalog in leichter Sprache, o.O.2005. (Schriftenreihe "Geschichte verstehen", 1)
  • Uta George: Hadamar. Heilstätte - Tötungsanstalt - Therapiezentrum, Marburg 2006, ISBN 978-3-89445-378-7. (Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen: Quellen und Studien, 12)
  • Uta George: Kollektive Erinnerung bei Menschen mit geistiger Behinderung. Das kulturelle Gedächtnis des nationalsozialistischen Behinderten- und Krankenmordes in Hadamar. Eine erinnerungssoziologische Studie. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2008. ISBN 978-3-7815-1649-6, (Zugleich Dissertation an der Universität Giessen 2007).
  • Peter Sander: Verwaltung des Krankenmordes. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus, Gießen 2003. ISBN 978-3-89806-320-3. (Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen: Hochschulschriften, 2)
  • Birthe Klementowski: Stille/Silence. Euthanasie in Hadamar 1941-45. Berlin 2010, ISBN 978-3-86505-195-0.

Film

  • Thomas Koerner: „War der Hitler ein Drecksack“ – Ein Besuch der Gedenkstätte Hadamar. Deutschland, 2007; 30 Min.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ernst Klee (Hrsg.): Dokumente zur "Euthanasie". Fischer, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3596243270.
  2. [1], zuletzt abgerufen am 17. November 2010
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