Gilgamesch-Epos

Gilgamesch-Epos
Tafel mit Gilgamesch-Epos

Das Gilgamesch-Epos ist ein literarisches Werk aus dem babylonischen Raum und eine der ältesten überlieferten literarischen Dichtungen.

Der ursprüngliche Titel des Werkes lautete "Derjenige, der die Tiefe sah" (Sha naqba īmuru) oder „Derjenige, der alle anderen Könige übertraf“ (Shūtur eli sharrī).

Die umfassendste bekannte Version des Epos ist auf zwölf Tontafeln aus der Bibliothek des Assyrischen Königs Aššurbanipal (Ashurbanipal) erhalten. Jedoch ist auch diese Fassung unvollständig.

Das vorhandene Schriftmaterial erlaubt die Rückdatierung der ursprünglichen Fassung bis wenigstens in das 18. Jahrhundert v. Chr., reicht aber wahrscheinlich in die Abfassungszeit des Etana-Mythos im 24. Jahrhundert v. Chr. zurück.[1] Das Gilgamesch-Epos stellt in seinen verschiedenen Fassungen das bekannteste Werk der akkadischen und der sumerischen Literatur dar.

Inhaltsverzeichnis

Wiederentdeckung

Die ersten Tontafeln mit Fragmenten des Gilgamesch-Epos wurden 1853 von Hormuzd Rassam gefunden. Ihre Übersetzung fand jedoch erst 1872 durch George Smith (1840-1876) statt, der daher als der eigentliche Wiederentdecker des Gilgamesch-Epos gilt. Smith übersetzte damals das Fragment, das sich mit der Überflutung der Erde beschäftigte und auffällige Ähnlichkeiten zum Bericht der Sintflut im Buch Genesis (Gen 7,10-24 EU und Gen 8,1-14 EU) der Bibel aufwies. Dieses Fragment bildet heute das Schlusskapitel des Gilgamesch-Epos.

Übersetzung

Der Text des gesamten Epos musste aus verschiedenen Fragmenten rekonstruiert werden, wobei größere Lücken (Lacunae) bestehen blieben. Da die verschiedenen Fragmente in verschiedenen Sprachen (altbabylonisch, akkadisch, hurritisch und hethitisch) verfasst worden waren, ergaben sich zusätzliche Übersetzungs- und Zuordnungsschwierigkeiten. Einige Textstellen waren gar nicht erhalten und mussten frei rekonstruiert werden. Häufig war auch die Bedeutung wichtiger Begriffe nicht bekannt, weshalb sich die Forscher auf ihre Erfahrung und ihren Sinn für die alten Sprachen verlassen mussten.

Erst S. N. Kramer, Sumerologe aus Philadelphia (USA), stellte große Teile der sumerischen Mythendichtungen wieder in einen sinnvollen Zusammenhang. Die erste vollständige deutsche Übersetzung erstellte Alfred Jeremias im Jahr 1891. 1934 wurde das Epos erneut von Albert Schott übersetzt. Schott hat die Personennamen des Epos vereinheitlicht, so dass sich der Name Gilgamesch auch für die älteren Erzählungen durchsetzte, die im Original für die Hauptperson den Namen Gischgimmasch verwenden. Das Gleiche gilt für die Namenspaare Chuwawa/Chumbaba und Sursunabu/Urschanabi.

Mit einer neuen wissenschaftlichen Edition stellte der Londoner Altorientalist Andrew R. George im Jahr 2003 die textkritische Erforschung des Gilgamesch-Epos auf eine neue Grundlage. Aus über 100 Textfunden, die zwischenzeitlich neu übersetzt worden waren, ergab sich eine Neubewertung des überlieferten Textes. Zusätzlich konnten zwischen 2003 und 2005 fünf weitere Bruchstücke übersetzt werden. Der Assyrologe Stefan Maul legte deshalb im Jahr 2008 eine komplett überarbeitete neue poetische Übersetzung vor, die Ergänzungen, persönliche Interpretationen und Erweiterungen zu den älteren Übersetzungen des Gilgamesch-Epos enthält.

Sumerische Vorlagen

Das Epos hat seinen Ursprung in den sumerischen Städten in Mesopotamien. Aus sumerischer Zeit sind einige Tontafeln in sumerischer Keilschrift mit Fragmenten mehrerer Texte bekannt

  • Zyklus um Gilgamesch, der Held heißt hier „Bilgamesch“ oder kurz „Bilga“.[2]
    • Gilgamesch und Agga von Kisch, dieser Text wird im späteren Epos nicht verwendet.[3]
    • Gilgamesch und Huwawa, von diesem Text liegen zwei bis drei Fassungen vor. Er bildet den Ausgangspunkt für das spätere Epos.[3]
    • Gilgamesch und der Himmelsstier.[3]
    • Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt, dieser Text wird in den frühen Fassungen des Epos nur als Anregung verwendet. Erst spät wird die zweite Hälfte davon als Anhang hinzugefügt. In einigen Fragmenten wird Gilgamesch als Richter in der Unterwelt vorgeführt.[3]
    • Tod des Gilgamesch, auch dieser Text wird nur als Anregung verwendet.[3]
  • Die Sintflut-Erzählung, in der sumerischen Fassung der Sintflut-Geschichte gehört sie nicht zu den Geschichten um Gilgamesch. Der Überlebende heißt Ziusudra. Die Übersetzung erfolgte rückwirkend in die sumerische Sprache. Die sumerische Sintfluterzählung selbst entstammt wahrscheinlich mehreren älteren Fassungen und stellt einen eigenständigen mythischen Bericht dar.[4]

Die babylonischen Fassungen

Altbabylonisch

Bisher sind nur wenige Bruchstücke bekannt geworden. Es zeichnet sich ab, dass bereits vor der ersten Dynastie Babyloniens beziehungsweise vor der Isin-Larsa-Zeit ein erstes Epos aus den sumerischen Stoffen um Gilgamesch erstellt wurde, das später mehrfach ausgebaut und variiert wurde. Der Held wird in der altbabylonischen Zeit kurz „Gisch“ geschrieben, allerdings wohl „Gil“ ausgesprochen.[2]

In der ersten Tafel ist nur die Anfangszeile und ein kurzes Fragment über die Erschaffung Enkidus erhalten.[5] Die zweite Tafel, heute in Pennsylvania, stammt möglicherweise aus Uruk oder Larsa. Auf der Tafel selber befindet sich die Bemerkung, dass es die zweite einer Serie sei: Ankunft des Enkidu in Uruk zusammen mit seiner Frau. Gilgamesch will von seinem ius primae noctis Gebrauch machen, woran ihn Enkidu hindert. Beide kämpfen miteinander. Gilgamesch bricht den Kampf ab und nimmt Enkidu als Gefolgsmann auf.[6] Die dritte Tafel, heute in Yale, schließt direkt an die vorhergehende Tafel an. Weitere Fragmente aus der Sammlung Schoyen, Nippur und Harmal: Gilgamesch will mit Enkidu Zedernholz holen. Enkidu warnt ihn vor dem Wächter Huwawa, den er von früher kennt.[6] Die vierte Tafel: Lücke. Die fünfte Tafel mit Fragment in Bagdad: Gilgamesch und Enkidu erschlagen Huwawa, öffnen den Weg zu den Annunaki und flößen die Zedernstämme über den Euphrat nach Hause.[5] Die sechste Tafel: Lücke.

Bei der siebten Tafel, heute im Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin und in London, passen die Bruchstücke genau aneinander, möglicherweise aus Sippar: Gilgamesch, aus Trauer um den verstorbenen Freund Enkidu, sucht nach Uta-na'ischtim, der nach der Sintflut von den Göttern ewiges Leben geschenkt bekommen hat. Auf dieser Suche spricht er mit der Schenkin Siduri.[6] Bei der achten Tafel fehlt der Schluss. Neben dem Sintfluthelden Uta-na'ischtim gibt es im Altbabylonischen das ältere Atraḫasis-Epos über die Sintflut, das außerhalb der Gilgamesch-Tradition steht.

Mittelbabylonisch

Unter der kassitischen Dynastie verbreitete sich das Epos bis nach Hattuša und Megiddo. Es wurde über das Hurritische auch in das Hethitische übersetzt. Bisher lässt sich noch kein einheitliches Epos rekonstruieren.

Hattuša
Dort haben sich mittelbabylonische Fragmente gefunden, die von der Ankunft Enkidus in Uruk und dem Zug zum Zedernwald berichten. Ebenfalls finden sich bereits Spuren vom Abenteuer mit dem Himmelsstier. Die Fragmente brechen mit einem Traum Enkidus von einer Götterversammlung ab. Neben diesen mittelbabylonischen Fragmenten fand sich eine hethitische Nacherzählung, die wohl nicht direkt, sondern über eine hurritische Fassung, von der sich hier ebenfalls eine Spur gefunden hat, angefertigt wurde.[6]
Ugarit: Stück eines neuen Prologs und Fragment aus dem Kampf mit Huwawa.[5]
Megiddo und Ur
Fragmente, die auf das Sterben Enkidus Bezug nehmen (Traum von der Unterwelt und Flüche).[5] Diese Stücke sind neu und zeigen die Entwicklung vom sumerischen „Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt“ auf die neubabylonische Fassung voraus.
Nippur und Emar
Bereits bekannte Stücke betreffen die Abreise zum Zedernwald und die dortigen Kämpfe.[5]

Neubabylonisch

Die elf Tafeln sollen einer nicht nachprüfbaren Überlieferung zufolge von dem Dichter Sin-leqe-unninni stammen, der im 12. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat. Das heute bekannte Epos wurde in Uruk in ca. 3600 Verszeilen auf elf Tafeln niedergeschrieben. Der Großteil des Werkes ist durch zwölf jüngere, babylonische Tontafeln überliefert, die in der Tontafelbibliothek Assurbanipals (669 v. Chr. – 627 v. Chr.) in Ninive gefunden wurden.

Die hethitische Fassung

Die hethitische Fassung des Epos ist leider nur sehr bruchstückhaft erhalten (bestehend aus einigen Dutzend Bruchstücken von Tafeln), obwohl die Zahl der Duplikate zeigt, dass das Werk wohl sehr bekannt gewesen sein muss. In der Hauptstadt Hattusa sind außerdem auch zwei akkadische Versionen gefunden worden, und einige hurritische Fragmente weisen ebenfalls Textbezüge auf.

Gegenüber den mesopotamischen Versionen des Epos ist die hethitische Version deutlich vereinfacht und entbehrt vieler Details und auch einer ganzen Reihe an Nebencharakteren. Die hethitische Version umfasst bisher etwa drei Tafeln, aber der Text ist an vielen Stellen unzusammenhängend, weil von den Tafeln zu wenig erhalten ist.

Das Epos

Gilgamesch war nach sumerischer Überlieferung König der sumerischen Stadt Uruk; zu einem Drittel menschlich und zu zwei Dritteln göttlich. Sein Name bedeutet Der Vorfahr war ein Held beziehungsweise Der Nachkomme ist ein Held. Das Epos erzählt von den Heldentaten Gilgameschs und seiner Freundschaft mit dem von der Göttin Aruru erschaffenen menschenähnlichen Wesen Enkidu, thematisiert aber vor allem seine Suche nach Unsterblichkeit.

Das Epos gilt als die erste Dichtung, welche die Loslösung von den Göttern, zugleich aber auch die Angst vor der Vergänglichkeit des Lebens thematisiert. Gilgamesch gilt daher als das erste existentialistische Werk der Menschheit. Da Gilgamesch rastlos nach ewigem, mithin göttlichem Leben sucht, ist hier auch ein frühes faustisches Motiv zu erkennen. Auch kann das in dem Epos hervorgehobene Motiv des Baumfällens, mit dem sich Gilgamesch „einen Namen machen“ will, im Zusammenhang mit der Beschreibung der verödeten Steppenlandschaft als frühzeitlicher Hinweis auf die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Waldes interpretiert werden.

Eine Reihe anderer altorientalischer Werke weisen auffällige Ähnlichkeiten zur Gilgamesch-Sage auf. Dazu zählen auch interessante Parallelen in der späteren biblischen Überlieferung. So erinnert die Figur des biblischen Noach stark an den göttlich auserwählten Helden Utnapischtim.[7] Im Pentateuch (Genesis, Kapitel 6 EU) findet sich auch das Motiv der Söhne Gottes, die sich auf der Erde materialisiert haben und Beziehungen mit Menschenfrauen eingegangen sind. Die dabei gezeugten Kinder werden „Nephilim“ genannt und als eine Art „Halbgötter“ beschrieben, die für ihre übermenschliche Stärke und ihren aufbrausenden und schlechten Charakter bekannt sind.

Es lassen sich auch Entsprechungen im griechischen Götterhimmel mit seinen Titanen und Halbgöttern finden, besonders in den menschlichen Kindern des Zeus, die dieser den Göttersagen zufolge nach Lust und Laune mit normal sterblichen Frauen gezeugt haben soll.

Der Inhalt

Gilgamesch, der Held der Geschichte, ist zu zwei Dritteln Gott und zu einem Drittel Mensch. Er besitzt außergewöhnliche physische Kräfte, wird als furchtloser und ungehobelter Tatmensch geschildert und herrscht als König in Uruk. Sein despotischer Regierungsstil und die bedrückenden Lasten, die mit seinen Bauprojekten verbunden sind, führen insbesondere zur Verärgerung der Frauen von Uruk, die sich bei Ištar beschweren.[8] Um den Herrscher zu bändigen, erschafft die Muttergöttin Aruru gemäß der Anordnung des Himmelsgottes An, Vater der Ištar, aus Lehm Enkidu, der zunächst als wildes, menschenähnliches Wesen in der Steppe bei Uruk mit den Tieren der Wildnis zusammenlebt.[8] Gilgamesch erhält mittels zweier Träume Kenntnis von Enkidu. Gilgameschs Mutter Ninsun, Traumdeuterin und Wissende der Zukunft, weist Gilgamesch auf die bevorstehende Ankunft des Enkidu in Uruk hin, der später sein Bruder werden wird. Gilgamesch ist von Ninsuns Mitteilung erfreut und erwartet ungeduldig die Ankunft Enkidus.

Ein Fallensteller[9] entdeckt Enkidu, der als Schützer der Wildtiere die Herde vor den tödlichen Anlagen des Fallenstellers bewahrt. Dessen Vater rät ihm, nach Uruk zu gehen und Gilgamesch um die Entsendung der Dirne[10] Šamḫat zu bitten, die durch sexuelle Verführung von Enkidu seine Herde ihm entfremden soll.[11] Gilgamesch wiederholt die Worte des Vaters vom Fallensteller bezüglich Šamḫats, die mit dem Wissen um den ursprünglichen Götterauftrag, Enkidu nach Uruk als Widerpart von Gilgamesch zu führen, sich mit dem Jäger in die Steppe begibt.[12] Als Enkidu Šamḫat entdeckt, erliegt er ihren Verführungskünsten. Nach dem folgenden einwöchigen Liebesspiel flieht, wie vom Vater des Fallenstellers vorhergesagt, Enkidus Herde in die Weiten der Steppe und lässt ihn allein. Šamḫat kann Enkidu überzeugen, mit ihr nach Uruk zu gehen. Während eines Zwischenaufenthaltes in einem Hirtenlager nahe Uruk lernt Enkidu die menschliche Nahrung und das Bier kennen.[13] Zuvor hatte er im Beisein von Šamḫat den Verstand erworben.[14] Enkidu wandelt sich unter anderem durch das Wirken eines Barbiers endgültig zu einem Menschen.[15] In Uruk angekommen, treffen Enkidu und Gilgamesch aufeinander. Der sich anschließende Kampf endet unentschieden. Ermüdet von der Auseinandersetzung sinken die beiden Helden nieder und schließen Freundschaft.

Gilgamesch und Enkidu nehmen sich vor, gemeinsam eine Heldentat zu vollbringen und Chumbaba, den Hüter des Zedernwaldes, zu töten und in Ištars Wald Zedern zu fällen. Gilgameschs Mutter Ninsun bittet aufgrund der bevorstehenden Gefahren den Sonnengott Šamaš um Hilfe und erklärt Enkidu durch Adoption zu ihrem Sohn. Zusätzlich versieht sie Enkidu im Nacken mit ihrem göttlichen Zeichen als Schutzsymbol. Nunmehr als Brüder machen sich Gilgamesch und Enkidu auf den Weg. Sie finden Chumbaba, können ihn töten, und fällen anschließend die Zedern. Als Ištar den zurückgekehrten Helden Gilgamesch erblickt, verliebt sie sich in ihn. Doch Gilgamesch weist sie zurück. Erbost darüber geht sie zum Göttervater Anu und verlangt, den Himmels-Stier auszusenden, um Gilgamesch zu töten. In Uruk angelangt, richtet das Ungeheuer schlimme Zerstörungen an. Der Stier tötet Hunderte von Uruks Männern, bis Enkidu und Gilgamesch den Kampf aufnehmen und ihn töten. Als die Götter dies sehen, sind sie sich einig, dass die beiden jetzt zu weit gegangen sind. Sie beschließen, die Aufrührer zu bestrafen, zunächst, indem sie eine Krankheit schicken, an der Enkidu stirbt.

Der Tod Enkidus macht Gilgamesch nachdenklich und er begibt sich auf eine lange Wanderschaft, um in der Fremde das Geheimnis des Lebens zu finden. Er will nicht das gleiche Schicksal wie Enkidu erleiden und hofft, dass ihm sein Urahn Uta-napišti dabei helfen kann. Auf seiner Suche irrt er zunächst durch die Weite der Steppe und kommt schließlich zum Berg Maschu, in dem sich der Einstieg in den nächtlichen Tunnel befindet, den die Sonne Šamaš nachts auf ihrem Weg von West nach Ost durchläuft. Gilgamesch kann die Wächter des Tunnels, zwei Wesen, die halb Mensch, halb Skorpion sind, überreden, ihn passieren zu lassen. Als er aus dem Tunnel heraustritt, befindet er sich im Edelsteingarten und trifft dort an einer Schänke auf die göttliche Wirtin Siduri, die ihm den Weg zum Fährmann Ur-šanabi weist.

Gilgamesch findet also den Fährmann Ur-šanabi, der ihn über das „Wasser des Todes“ zur Insel „Land der Seligen“ bringen soll, auf der Uta-napišti mit seiner Frau lebt. Aber im Streit zerschlägt Gilgamesch die Wesen, genannt Die Steinernen, die die Stocherstangen als Fährhilfe für die Überfahrt herstellten. Nur mit diesen speziellen Stangen kann sich ein Schiffer problemlos über die Wasser des Todes fortbewegen. Da Die Steinernen ansonsten Ur-šanabi begleiteten, musste nun Gilgamesch deren Funktion übernehmen und zusätzlich 300 Stocherstangen aus Holz schnitzen. Nach Abfahrt lässt Gilgamesch die gerade benutzte Stange in das Wasser hineingleiten, da sie mit dem Wasser des Todes in Berührung gekommen und dadurch unbrauchbar geworden war. Als sie die letzte Stange aufgebraucht haben, sind sie noch immer nicht an der Insel angelangt. Gilgamesch zieht Urschanabis Kleid aus und hängt es wie ein Segel zwischen seinen Armen auf. So erreichen sie Utnapischtim.

Auf der elften Tafel des Epos wird die Geschichte einer Flutkatastrophe erzählt. Eine vollständig erhaltene Fassung der Tafel ist nicht vorhanden. Deshalb musste die Handlung aus sumerischen, babylonischen, akkadischen, hurritischen und hethitischen Überlieferungsfragmenten rekonstruiert werden. Demnach sucht Gilgamesch seinen Urahnen auf, der in der sumerischen Fassung der Erzählung Ziusudra heißt und ihm die Geschichte von der Flut erzählt (Rahmenhandlung). Dieser Erzählung zufolge hatte der Gott Enki den Menschen Ziusudra vor einer Flut gewarnt, die alles Leben vernichten wird, und ihm geraten, ein Schiff zu bauen. Verkompliziert wird die Situation dadurch, dass Enki den anderen Göttern zuvor hatte schwören müssen, über die kommende Katastrophe Stillschweigen zu bewahren. Um seinen Eid nicht zu brechen, wendet Enki eine List an und redet nicht unmittelbar mit dem Menschen, sondern spricht seine Worte gegen die aus Schilf bestehende Wand des Hauses, in dem Ziusudra schläft. So wird Ziusudra im Schlaf in Form eines Traumes vor der Gefahr gewarnt. Er folgt daraufhin den erhaltenen Befehlen Enkis aus dem Traum, reißt sein Haus ab und baut aus dem Material ein Boot. Auf ausdrückliche Weisung Enkis verrät er den anderen Menschen nichts von dem drohenden Untergang. In das Boot lässt Ziusudra nun die Tiere der Steppe, seine Frau und seine gesamte Sippe einsteigen. Die babylonische Fassung berichtet im weiteren Verlauf über den Ablauf der Katastrophe, die in Form einer Flut[16] über das Land hereinbricht und es untergehen lässt. Nach dem Ablaufen des Wassers werden Ziusudra und seine Frau von Enlil für die Rettung der Lebewesen dadurch belohnt, dass beide vergöttlicht werden und ein göttliches Leben auf der Götterinsel „Land der Seligen“ führen dürfen. Im Gilgamesch-Epos wird Šuruppak im unteren Mesopotamien als der Ort angegeben, von dem die Flut ihren Ausgang nahm.[17][18] Nun setzt die Rahmenhandlung wieder ein. Nach dem Anhören der Geschichte schläft Gilgamesch ein. Er schläft sechs Tage und sechs Nächte lang. Nachdem er am siebten Tag aufgewacht ist, sagt Uta-napišti ihm schließlich, wo er die geheimnisvolle Pflanze finden kann, die das ewige Leben bewirkt. Gilgamesch kann das Gewächs finden und macht sich auf den Weg zurück in die Heimat, wo er die Wirkung der Pflanze zunächst an einem Greis testen will, ehe er die Substanz der Pflanze an sich selbst erprobt. Als Gilgamesch an einem Brunnen rastet, ist er jedoch unvorsichtig und eine Schlange kann ihm die Pflanze des Lebens stehlen. Betrübt und niedergeschlagen kehrt er nach Uruk zurück. Als Trost für sein Scheitern bleibt ihm letztlich nur der Stolz auf die von ihm errichtete Stadtmauer.

Moderne Rezeption

Im Gegensatz zu vielen griechisch-römischen Mythen wurde der Gilgamesch-Mythos erst spät für Musik (als Opern, Oratorien) und Literatur (insbesondere Fantasyromane) als Stoff entdeckt. Thomas Mann hat in seiner Tetralogie Joseph und seine Brüder (ab 1933), der Bibelforschung seiner Zeit folgend, die unter anderem nach Vorlagen der biblischen Motive suchte, Elemente der Gilgamesch-Mythologie in die Josephs-Legende verwoben. Hans Henny Jahnns Romanzyklus Fluss ohne Ufer (ab 1949) basiert in wesentlichen Motiven auf dem Gilgamesch-Epos.

Zu den modernen Interpretationen des Mythos zählen Stephan Grundys Roman Gilgamesch von 1998 sowie das 2001 erschienene Drama Gilgamesh von Raoul Schrott. Auch der 1988 erschienene Roman Gilgamesch, König von Uruk von Thomas R. P. Mielke erzählt eine weitere Variante des Epos. Gilgamesch im Outback ist eine Fantasy-Geschichte von Robert Silverberg, in der Gilgamesch und Enkidu in der Unterwelt weiter zusammenleben, sich entzweien und mit der Hilfe von Albert Schweitzer wieder zusammenfinden. Des Weiteren erschien 2006 Gilgamesh: A Verse Play (Wesleyan Poetry) von Yusef Komunyakaa.

In der Folge Darmok der Star-Trek-Serie Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert erzählt Captain Picard einem im Sterben liegenden Alien Teile des Gilgamesch-Epos.

Das Oratorium „Gilgamesch und Christus“ wurde von Wolfgang Witzenmann komponiert und am 14. Oktober 2007 in Pforzheim uraufgeführt. Witzenmann stellt dabei Parallelen und Unterschiede zwischen Gilgamesch und Jesus Christus dar. Eine neuere CD-Aufnahme von Naxos präsentiert das Oratorium „Gilgamesch“ (Uraufführung 1958) von Bohuslav Martinů.

In der Bildenden Kunst haben der Maler Willi Baumeister und der Grafiker Carlo Schellemann in jeweiligen Bilderserien dem Gilgamesch-Epos visuell Gestalt gegeben.

Der amerikanische Science-Fiction-Autor Robert Silverberg spinnt in seinem 1990 erschienenen Roman Das Land der Lebenden (im Original To the Land of the Living) die Gilgamesch-Saga weiter, indem er Gilgamesch in einem Totenreich „wiederauferstehen“ lässt, das sich nur geringfügig von unserer heutigen Welt unterscheidet. Sämtliche Toten unserer Welt, aus allen Zeitaltern der Geschichte, sind dort versammelt. So trifft Gilgamesch nicht nur auf Platon, Lenin, Albert Schweitzer, Picasso und viele andere - sondern auch auf seinen Freund Enkidu, nur um ihn allerdings kurz darauf wieder zu verlieren.

Auf 358 Seiten erschien 2010 die Gilgamesch-Epos-Interpretation als Graphic Novel illustriert durch den Künstler Burkhard Pfister.

Siehe auch

Literatur

Texteditionen
  • Andrew R. George: The Babylonian Gilgamesh Epic. Introduction, Critical Edition and Cuneiform Texts. 2 Bde, Oxford University Press, London 2003, ISBN 0-19-814922-0
Übersetzungen
Sekundärliteratur
  • Gary Beckman: The Hittite Gilgamesh. In: B. R. Foster (ed.): The Epic of Gilgamesh. A New Translation, Analogues, Criticism. New York London 2001, S.157-165.
  • Jürgen Joachimsthaler: Die Rezeption des Gilgamesch-Epos in der deutschsprachigen Literatur. In Sascha Feuchert u.a. (Hrsg.): Literatur und Geschichte. Festschrift für Erwin Leibfried. Lang, Frankfurt/M. 2007 ISBN 3-631-55566-0
  • Walther Sallaberger: Das Gilgamesch-Epos. Mythos, Werk und Tradition. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56243-3
  • Wolfram von Soden, Albert Schott:Das Gilgamesch-Epos, Reclam, Stuttgart 1982, Nachdruck 1997, ISBN 3-15-007235-2

Weblinks

 Commons: Gilgamesch-Epos – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Onlineausgaben und Artikel
Videos

Anmerkungen

  1. Claus Wilcke: Vom göttlichen Wesen des Königtums und seinem Ursprung im Himmel. In: Franz-Reiner Erkens: Die Sakralität von Herrschaft - Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume: Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen. Akademie, Berlin 2002, ISBN 3-05-003660-5, S. 67.
  2. a b Walther Sallaberger: Das Gilgamesch-Epos. Mythos, Werk und Tradition. Verlag C. H. Beck, München 2008, S. 42.
  3. a b c d e Wolfram von Soden, Albert Schott:Das Gilgamesch-Epos, Reclam, Stuttgart 1982, S. 115-120., vgl. auch Walther Sallaberger: Das Gilgamesch-Epos. Mythos, Werk und Tradition. Verlag C. H. Beck, München 2008, S. 61-67.
  4. Wolfram von Soden, Albert Schott:Das Gilgamesch-Epos, Reclam, Stuttgart 1982 Schott-Soden (1982), S. 120-122.
  5. a b c d e Walther Sallaberger: Das Gilgamesch-Epos. Mythos, Werk und Tradition. Verlag C. H. Beck, München 2008), S.80-82.
  6. a b c d Wolfram von Soden, Albert Schott: Das Gilgamesch-Epos. Reclam, Stuttgart 1982, S. 6-8 und S. 26-32; vgl. auch Walther Sallaberger: Das Gilgamesch-Epos. Mythos, Werk und Tradition. Verlag C. H. Beck, München 2008, S. 80-82.
  7. Vgl. 1. Buch Mose (Genesis) Kapitel 6-9 und 11. Tafel Gilgamesch-Epos.
  8. a b Stefan Maul: Das Gilgamesch-Epos. S. 49–50; Walther Sallaberger: Das Gilgamesch-Epos. S. 10.
  9. Der hier gemeinte Fallensteller stellt den Typ des nicht kämpfenden Tierfängers dar, eine in den Steppenlandschaften Mesopotamiens negativ angesehene Tätigkeit; gemäß Stefan Maul: Das Gilgamesch-Epos. S. 157.
  10. Die mesopotamischen Bezeichnungen Dirne, Kurtisanin und Freudenmädchen stellen Bezeichnungen der Tempeldienerinnen Ištars dar, die Bezug auf ihre außerhalb des Tempels vollzogenen normalen Gewerbetätigkeiten nehmen und nicht auf der eigentlichen Tempeltätigkeit fußen. Sie gehören gleichzeitig zum Kultpersonal der jeweiligen Tempel und repräsentieren die sexuelle Libido der Göttin Ištar; gemäß Stefan Maul: Das Gilgamesch-Epos. S. 158.
  11. Der Vater des Fallenstellers zu seinem Sohn sprechend: „Geh mein Sohn, mit dir führe Šamḫat, die Dirne […] Wenn die Herde eintrifft an der Wasserstelle, soll sie ihre Kleider von sich streifen und ihre Reize zeigen […] Fremd wird ihm seine Herde (dann) sein, in deren Mitte er aufwuchs. [Der Sohn reagierend:] Auf den Rat seines Vaters gab er acht, der Fallensteller ging davon, er begab sich auf die Reise“; gemäß Stefan Maul: Das Gilgamesch-Epos. S. 51.
  12. Der göttliche Auftrag, dass Enkidu Gilgameschs Taten in Uruk ein Ende setzen soll, kommt in der späteren Rede Šamḫats gegenüber Enkidu zum Ausdruck; gemäß Stefan Maul: Das Gilgamesch-Epos. S. 158.
  13. Walther Sallaberger: Das Gilgamesch-Epos. S. 11.
  14. Stefan Maul: Das Gilgamesch-Epos. S. 158.
  15. Der Barbier rasiert und ölt Enkidu, der dadurch „so zu einem Mensch geworden“; gemäß Stefan Maul: Das Gilgamesch-Epos. S. 59.
  16. In der Schilderung des Weltuntergangs ist hier von loderndem Feuer, anschließenden Stürmen und nachfolgend einbrechenden Flutwellen die Rede, die an eine Sturmflut oder einen Tsunami erinnern. Von Regenfällen, die nach der Erzählung der Bibel für die Sintflut verantwortlich waren, wird nichts berichtet. Auszug aus der deutschen Übersetzung des Originaltextes: „Aus den schwarzen Wolken brüllte Adad, es gehen ihm die Thronträger Schullat und Hanisch voran, über Berg und Land. Errakal reißt die Pflöcke, mit Ninurta ging er zusammen, ließ die Wehre überquellen. Die Unterweltsgötter erhoben die Fackeln und setzen alles Land in Brand. […] Am ersten Tag walzte der Sturm das Land rasend nieder. Dann brachte der Ostwind die Flut, die wie ein Schlachtengemetzel mit Wucht über die Menschen kam. Niemand konnte mehr den anderen sehen in der Vernichtung. Selbst die Götter zogen sich aus Angst vor der Gewaltigkeit der Flut zurück. […] Wie Fische füllen die Menschen jetzt das Meer […] sieben Nächte gehen Wind, Wetter, Sturm und die Flut einher, doch am 7. Tag kam der Ozean zur Ruhe“
  17. Die Flut-Geschichte liegt in der neuen und erweiterten Übersetzung von Stefan Maul (Das Gilgamesch-Epos, C. H. Beck Verlag, 3. Auflage 2006, ISBN 3-406-52870-8) vor und ist in dieser Form die Grundlage der hier geschilderten Handlung. In diese Neuübersetzung sind auch Texte aus zwischenzeitlich gefundenen weiteren Tafelfragemente eingeflossen, die nun eine genauere Rekonstruktion der Gilgamesch-Erzählung erlauben.
  18. Archäologische Funde aus dieser Region bestätigen, dass es in alter Zeit mehrere größere Überschwemmungen des Euphrat und Tigris gab. Ein früher einmal vermuteter Zusammenhang zwischen diesen historischen Überschwemmungen und der legendären Sintflut kann vom Standpunkt der heutigen Wissenschaft aus betrachtet aber nicht bestätigt werden.

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