Sowjetische Besetzung Ostpolens

Sowjetische Besetzung Ostpolens
Sowjetische Besetzung Ostpolens
Teil von: Zweiter Weltkrieg
Datum 17. September1. Oktober 1939
Ort Polen, Litauen, Sowjetunion: Weißrussland, Ukraine
Casus Belli Hitler-Stalin-Pakt
Ausgang Aufteilung Polens unter dem Deutschen Reich und der Sowjetunion
Folgen Eingliederung Ostpolens an die Sowjetunion und Rückgabe des Wilna-Gebietes an Litauen
Konfliktparteien
Befehlshaber
Edward Rydz-Śmigły Michail Kowaliow (Weißrussische Front),
Semjon Timoschenko (Ukrainische Front)
Truppenstärke
20.000 Soldaten des Grenzschutzkorps der polnischen Armee 620.000 – 800.000 Soldaten
4.700 Panzer
3.300 Flugzeuge
Verluste
3.000 – 7.000 Tote und Vermisste
20.000 Verwundete
230.000 – 452.500 Kriegsgefangene[1]
3.000 Tote
10.000 Verwundete[2]

Die Sowjetische Besetzung Ostpolens begann am 17. September 1939 um 3:00 Uhr mit dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen. Diese folgte dem geheimen Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 und dem Beginn des Polenfeldzuges der deutschen Wehrmacht vom 1. September 1939.

Josef Stalin rechtfertigte den Überfall sowjetischer Truppen auf Polen als notwendigen Schutz für die Ukrainer und Weißrussen auf polnischem Gebiet. Die wenigen zum Schutz Ostpolens noch verbliebenen polnischen Truppen leisteten Widerstand.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Geheimes Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt
Sowjetischer Aufruf an polnische Soldaten vom 17. September 1939, in dem die Schuld am Krieg der polnischen Regierung zugeschoben wird

Osteuropäisches Spannungsfeld nach 1918

Im Ersten Weltkrieg zerfielen das Russische Reich und die Österreichisch-Ungarische Monarchie. Die übrigen alten und neuen Staaten im Osten und Südosten Europas versuchten das entstandene Machtvakuum für ihre jeweiligen Interessen und Neuformierungen auszunutzen. Die in den Pariser Verhandlungen vorgeschlagene Grenzziehung unter Bezugnahme auf die Muttersprache der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung (Curzon-Linie) wurde von Polen nicht akzeptiert.

So kam es zum Polnisch-Ukrainischen Krieg (1918–1920) und zum nachfolgenden Polnisch-Sowjetischen Krieg (1920–1921), in dem Polen versuchte, bei den Teilungen verlorene Gebiete wiederzuerlangen, während Sowjetrussland sein System ausbreiten wollte. Im Frieden von Riga konnten beide ihre Kriegsziele nur teilweise durchsetzen.

In den Jahren danach kam es auf Initiative von Maxim Litwinow zwischen Polen und der UdSSR zu einer Politik der Entspannung und des Interessenausgleichs, so dass am 9. Februar 1929 das Litwinow-Protokoll und am 23. Januar 1932 der Polnisch-Sowjetische Nichtangriffspakt unterzeichnet werden konnten. In dessen Zusatzbestimmung vom Juni 1932 verpflichtete sich die UdSSR, keine gegen Polen gerichteten Bündnisse mit Deutschland einzugehen.

Unter Wjatscheslaw Molotow verfolgte die sowjetische Außenpolitik eine erneute Annäherung an das Deutsche Reich, die in dem Abschluss des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes, des sogenannten Hitler-Stalin-Pakts mit „Geheimem Zusatzprotokoll“, am 23. August 1939 gipfelte. In einem geheimen Zusatzprotokoll beschlossen die Vertragspartner die Aufteilung Nordost- und Südosteuropas in Interessensphären, wobei die Gebiete Ostpolens der UdSSR zugeschlagen wurden. Im Fall eines deutschen Krieges mit Polen konnte sich die Rote Armee demnach in Einvernehmen mit der deutschen Führung bzw. Hitler jener Gebiete bemächtigen.

Sowjetische Angriffsvorbereitungen

Ende August 1939 begann der Generalstabschef der Roten Armee, Boris Schaposchnikow, einen sowjetischen Angriffsplan auszuarbeiten. Am 30. August, nach der polnischen Generalmobilmachung, gab die sowjetische Nachrichtenagentur Tass den Plan bekannt, den zahlenmäßigen Bestand der Garnisonen an den westlichen Grenzen der UdSSR erheblich zu verstärken. Nach dem Angriff der Wehrmacht am 1. September 1939 begannen die sowjetischen Streitkräfte, den Einmarsch praktisch vorzubereiten. Am 3. September befahl Volkskommissar Kliment Woroschilow den Truppen in Weißrussland und der Ukraine, sich in Kampfbereitschaft zu halten. Am 6. September wurde in der Sowjetunion die Generalmobilmachung ausgerufen; vom 8. bis 13. September wurden sodann die sowjetischen Truppen an die Grenze verlegt und in zwei Hauptangriffsgruppen (Fronten) gruppiert.

Trotz Drängens der Wehrmachtsführung auf einen raschen Beginn, um deutsche Truppen an die entblößte Westfront abziehen zu können, verzögerte sich der sowjetische Angriff bis zum 17. September. Er sollte zuerst mit dem „Schutz der weißrussischen und ukrainischen Bevölkerung vor den deutschen Eroberern“ gerechtfertigt werden. Nach einem Protest des deutschen Botschafters dagegen wurde er allgemein damit begründet, dass die Rote Armee somit die „ostslawischen Brüdervölker“ schützen müsse, da jede staatliche Ordnung in Polen infolge des Krieges zu bestehen aufgehört habe. Schließlich kündigte Außenminister Molotow dem polnischen Botschafter in Moskau gegenüber alle Verträge im Zusammenhang mit dem Auseinanderbrechen des polnischen Staates auf. Wenige Stunden später begann die sowjetische Offensive.

Europa nach dem 28. September 1939
Armee/Front[3] Soldaten Artillerie Panzer
3. Armee 121 968 752 743
11. Armee 90 000* 520* 265
Mechanisierte Kavalleriegruppe 65 595 1 234 834
10. Armee 42 135 330 28
4. Armee 40 365 184 508
Alleiniges 23. Schützenkorps 18 547 147 28
Weißrussische Front 378 610 3 167 2 406
5. Armee 80 844 635 522
6. Armee 80 834 630 675
12. Armee 77 300 527 1 133
Ukrainische Front 238 978 1792 2330
Alle Zusammen 617 588 4959 4736

*) geschätzte Zahlen

Der Angriff

Ziele

Welche Ziele die Sowjetunion mit der Besetzung Ostpolens und dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts verfolgte, der sie erst möglich machte, ist in der Forschung bis heute umstritten. Die Historikerin Ingeborg Fleischhauer sieht darin eine eher defensive Realpolitik, zu der Stalin angesichts der Isolation, in die sein Land seit dem Münchner Abkommen 1938 geraten war, kaum eine realistische Alternative gehabt habe.[4] Andere Forscher vermuten hinter der sowjetischen Teilnahme an der vierten Teilung Polens die ideologisch geprägte Absicht, einen weiteren Weltkrieg zwischen den imperialistischen Mächten zu provozieren. Das Ergebnis eines solchen Krieges wäre, so hatte Lenin es 1916 in seiner Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus vorhergesagt, die Weltrevolution.[5] Sowjetische und ostdeutsche Historiker wiederum behaupteten nach Kriegsende, neben dem Schutz der Ukrainer und Weißrussen sei es um die Einbeziehung weiterer Verteidigungszonen gegangen, um für den trotz des Paktes zu erwartenden Krieg mit Deutschland besser vorbereitet zu sein.

Verlauf

Siegesparade, Heinz Guderian und Semjon Kriwoschein in Brest-Litowsk, 22. September 1939
Polnische Kriegsgefangene der Roten Armee

Die Truppen der Roten Armee waren in zwei Fronten gegliedert, die über 25 Schützendivisionen, 16 Kavalleriedivisionen und 12 Tankbrigaden verfügten. Die Gesamtstärke belief sich auf 466.516 Mann,[6] 3.739 Panzer, 380 Panzerwagen und etwa 2.000 Kampfflugzeuge.[7]

  • Hauptangriffsrichtungen der Weißrussischen Front:

WilnaBaranowiczeWołkowyskGrodnoSuwalkenBrest-Litowsk, wobei Wilna, Grodno und Brest zwischen dem 20. und 22. September und Suwałki am 24. September erreicht wurden.

  • Hauptangriffsrichtungen der Ukrainischen Front:

DubnoLuzkWladimir WolinskChełmZamoschLublin, TarnopolLembergCzortkówStanislauStryjSambor und Kolomea.

Die Rote Armee erreichte Lemberg am 19. September, Lublin am 28. September. Insgesamt waren die Einheiten der Ukrainischen Front bis Anfang Oktober in verschiedene Kampfhandlungen verwickelt.

Am 22. September 1939 nahmen General der Panzertruppe Heinz Guderian und Brigadekommandeur Semjon Kriwoschein die erste gemeinsame deutsch-sowjetische Militärparade in Polen ab, tauschten feierlich Hakenkreuz gegen Rote Fahne, verwundete, von sowjetischen Ärzten versorgte versprengte Wehrmachtssoldaten wurden übergeben. Während der Parade an der Demarkationslinie in der Stadt Brest-Litowsk, die zwischen den zwei verbündeten Aggressoren geteilt wurde, gratulierte Kriwoschein im Namen der sowjetischen Führung den Deutschen zu ihren Kriegserfolgen und erklärte, die Deutschen nach ihrem bevorstehenden Sieg über Großbritannien in Moskau begrüßen zu wollen.[8]

Das hohe Tempo der sowjetischen Vorstöße hatte mehrere Gründe: Zum einem waren das die Kriegserfolge der Wehrmacht im Westen Polens, aber auch die Tatsache, dass der sowjetische Angriff völlig überraschend kam und somit die polnische Armee weder richtig aufgestellt war, um einen Angriff aus dem Osten abzuwehren, noch klare Kampfbefehle gegen die Rote Armee hatte. Der Marschall Edward Rydz-Śmigły gab am 17. September 1939 nur einen Befehl aus:

„[…] allgemeiner Rückzug nach Rumänien und Ungarn. […] Mit Bolschewiken nicht kämpfen, es sei denn, beim Entwaffnungsversuch oder Angriff ihrerseits.“

Darüber hinaus gab es auch rein militärische Gründe: Beide Aggressoren waren sowohl zahlenmäßig als auch hinsichtlich ihrer Ausstattung mit modernen Waffen wie Panzern und Kampfflugzeugen den Polen weit überlegen. Die polnische Armee war einem Zweifrontenkrieg schlicht nicht gewachsen.

Am 22. Oktober 1939 fanden die Wahlen zur Volksversammlung der Westukraine statt. Nach offiziellen Angaben nahmen 4.433.000 (92,83 %) Wähler an der Wahl teil und 90,93 % hätten für die „Kandidaten des Blocks von Arbeitern, Bauern und der Intelligenz“ gestimmt.[9] Die Volksversammlung begann ihre Arbeit am 26. Oktober und bereits am 27. Oktober 1939 verkündete sie die „Deklaration über das Eintreten der Westukraine in die UdSSR.“

Als Reaktion auf den Einmarsch deklarierte die Polnische Exilregierung am 18. Dezember 1939 den Kriegszustand mit der Sowjetunion.

Besatzung

Die deutsch-sowjetische Demarkationslinie durch Polen, die insgeheim bereits am 23. August verabredet worden war, wurde am 22. September 1939 vorgestellt. Sie entsprach ungefähr der Curzon-Linie, die 1919 nach dem Ersten Weltkrieg eine Kommission unter Lord Curzon als ethnisch angemessene Ostgrenze Polens bezeichnet hatte.

Die Besatzungszeit dauerte bis zum Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 an und war von sowjetischen Kriegsverbrechen und Deportationen begleitet, die einer breiteren internationalen Öffentlichkeit teilweise erst viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt und anfangs der Wehrmacht angelastet wurden.

Kriegsverbrechen und Verbrechen an der Zivilbevölkerung

Während der Eroberung des ostpolnischen Gebietes hat sich die Rote Armee zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Der Historiker Andrzej Friszke beziffert die Opfer auf 2.500 ermordete Kriegsgefangene (Soldaten und Polizisten) und mehrere Hundert Zivilisten. Gleichzeitig rief die sowjetische Militärführung die ukrainische und weißrussische Zivilbevölkerung zu Mord und Gewalt an Polen auf.[10] Die am meisten bekannt gewordenen Verbrechen fanden in Katyn, Rohatyn, Grodno,[11] Nowogródek, Sarny, Tarnopol, Wołkowysk, Oszmiana, Świsłocz, Mołodeczno und Kosów Poleski statt.[12][13][14]

Zusammenarbeit mit den Deutschen

Am 28. September 1939, als die polnische Regierung nach Rumänien evakuiert und das Ende der Kampfhandlungen absehbar war, schlossen das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Grenz- und Freundschaftsvertrag und weitere geheime Zusatzvereinbarungen. In den an die Sowjetunion gefallenen polnischen Gebieten lebten 1939 ca. 13 Millionen Menschen. Davon waren knapp 40 Prozent Polen und 8,3 Prozent Juden. Die übrigen 7 Millionen Menschen (52 Prozent) waren mehrheitlich Ukrainer und Weißrussen, aber auch Lemken, Bojken, Huzulen, Poleschuken, Russen, Litauer, Tschechen, Deutsche und weitere ethnische Minderheiten.[15] Mehrheitlich polnisch – mit einem hohen Anteil an jüdischer Bevölkerung – waren die meisten Städte, wie Białystok, Wilna, Lemberg.

Nach dem Ende der Kampfhandlungen folgte eine weitere deutsch-sowjetische Zusammenarbeit. Außenpolitisch unterstützte die Sowjetunion die Friedensbemühungen Hitlers, die dieser nach Ende des Polenfeldzuges anstrengte. Stalin betonte, dass Frankreich und England die eigentlichen Aggressoren seien, weil sie eine Fortsetzung des Krieges wollten.[16] Molotow wies darauf hin, dass die Deutschen sich um Friedensverhandlungen bemüht hätten, was aber von den „englisch-französischen Imperialisten“ zurückgewiesen worden sei.[17]

Massenverhaftungen

Massenverhaftungen gehörten zu den ersten Repressionen, die nach dem sowjetischen Einmarsch gegen die „Klassen- und Volksfeinde“ eingesetzt wurden. Im Zeitraum von 1939 bis 1941 wurden in Ostpolen insgesamt etwa 110.000 Personen verhaftet. Das Schicksal der Häftlinge verlief unterschiedlich und ist teils nicht vollständig bekannt. Die bekannten Opfer sind z. B. ca. 40.000 Personen, die in die Arbeitslagern in Workuta verschleppt wurden, eine andere Gruppe, ca. 7.300 Zivilisten, wurde nach ein paar Monaten in Gefängnissen in Weißrussland und der Ukraine, im Frühling 1940 in Bykiwnja (bei Kiew) und in Kurapaty (bei Minsk) ermordet. Weitere ca. 10.000 wurden im Sommer 1941 bei der Evakuierung der Gefängnisse ermordet.

Deportationen

Dem Historiker Aleksandr Gurjanow zufolge wurden etwa 108.000 Menschen aus Ostpolen in die Lager des Gulags sowie 32.000 Menschen nach Russland (Fernosten) oder Kasachstan verschleppt.[18][19] Nach Schätzung der polnischen Exilregierung gab es während der sowjetischen Besetzung polnischer Gebiete 1940–1941 vier große Deportationswellen, denen über 600.000 Menschen zum Opfer fielen. Am härtesten traf die sowjetische Terrorpolitik die Polen.[20]

Nach Ansicht des deutschen Historiker Arno Lustiger waren von 1939–1941 im Osten Polens, das unter sowjetischer Besatzung stand, ungefähr 500.000 Menschen Repressalien unterworfen, was mehr gewesen wären als zur selben Zeit im von deutschen Truppen besetzten Westpolen.[21] Ungefähr 50 % der Verfolgten waren Polen, 30 % Juden, 20 % Ukrainer und Weißrussen.[22] Nach Michail Semiraga betrug die Sterblichkeit der Verschleppten 16 %. Während dieser Kampagne ignorierte der NKWD jegliche rechtliche Normen. Die ersten Deportierten aus der westlichen Ukraine und aus dem westlichen Weißrussland wurden gemäß dem Erlass vom 17. Juli 1937 als «unzuverlässiges Element, das in den verbotenen (grenznahen) Zonen lebt» ‚umgesiedelt‘. Ebenso wurde die Verordnung des NKWD vom 30. Juli 1937 verwendet, die die Zwangsumsiedlung der «Familienmitgliedern der Trotzkisten und Diversanten, die aktiv an der antisowjetischen Aktivität teilnahmen» vorsah.[23]

Rezeption

So habe man die erfolgreiche Befreiungsarmee begrüßt. Stalins Zitat auf dem Bild sagt: „Unsere Armee ist die Befreiungsarmee der Werktätigen.“

Die Annexion polnischer Gebiete wurde in der Sowjetunion und wird in Weißrussland bis heute als die „Wiedervereinigung des westlichen Weißrussland mit der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ gefeiert, der Einmarsch sowjetischer Truppen heißt offiziell „Befreiungsfeldzug der Roten Armee“. Dieser Ansicht schloss sich bis 1989 auch die offizielle Lehrmeinung in der DDR an: Die sowjetischen Truppen seien nur einmarschiert, um Leben und Freiheit der 1920 unter polnische Herrschaft gefallenen Weißrussen und Ukrainer vor den deutschen Truppen zu schützen, nachdem Polens Widerstand gegen die Wehrmacht zusammengebrochen war. Der vollkommenen Leugnung des Hitler-Stalin-Paktes stand jedoch der auch in sowjetischen und DDR-Geschichtsbüchern sichtbare Umstand entgegen, dass die auf die Städte Białystok, Brest und Lwów vorgerückten deutschen Truppen diese bereits eroberten Gebiete kampf- und konfrontationslos an die Rote Armee übergeben hatten.

Bis heute wird die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges von Polen und Russland unterschiedlich interpretiert. Wegen des sowjetischen Einmarsches 17 Tage nach der Invasion der Wehrmacht im Westen und wegen des Massakers von Katyn wird in Polen die Sowjetunion als Aggressorstaat wahrgenommen. Der Ministerpräsident Russlands Putin dagegen wirft Polen vor, schon 1934 einen Nichtangriffspakt mit dem Deutschen Reich abgeschlossen zu haben und nach dem Münchner Abkommen zusammen mit Deutschland in die Tschechoslowakei eingefallen zu sein. Zudem erwartet Russland Anerkennung für 600.000 sowjetische Soldaten, die allein auf polnischem Boden im Kampf gegen Polens deutsche Besatzer gefallen seien.[24] Manchmal wird in der russischen Geschichtsschreibung noch die These vertreten, man habe 1939 überall die sowjetischen Truppen als Befreier empfangen. So z. B. stimmt Michail Meltjuchow mit Michail Semirjaga überein, der schrieb, dass „die Ergebnisse der Wahlen [im sowjetbesetzten Polen 1939] zeigten, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dieser Regionen mit der Einführung der sowjetischen Macht und der Vereinigung mit der Sowjetunion übereinstimmte“.[25]

Siehe auch

Literatur

  • Jürgen Pagel: Polen und die Sowjetunion 1938–1939. In: Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa. Bd. 34, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1992, ISSN 0170-3595.
  • Stanisław Ciesielski, Wojciech Materski, Andrzej Paczkowski: Represje sowieckie wobec Polaków i obywateli polskich. Warschau 2002, ISBN 83-88288-31-8.
  • Janusz Piekalkiewicz: Polenfeldzug – Hitler und Stalin zerschlagen die Polnische Republik. Bechtermünz Verlag, Augsburg 1997, ISBN 3-86047-907-5.
  • Horst Rohde: Hitlers erster „Blitzkrieg“ und seine Auswirkungen auf Nordosteuropa. In: Klaus A. Maier, Horst Rohde, Bernd Stegemann, Hans Umbreit: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd. 2: Die Errichtung der Hegemonie auf dem europäischen Kontinent. Militärgeschichtliches Forschungsamt, Stuttgart DVA 1979, ISBN 3-421-01935-5, S. 79–156.
  • Wanda Krystyna Roman: Die sowjetische Okkupation der polnischen Ostgebiete 1939 bis 1941. In: Bernhard Chiari (Hrsg.): Die polnische Heimatarmee. Aus: Beiträge zur Militärgeschichte. Bd. 57, Hrsg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, R. Oldenbourg Verlag, München 2003, ISBN 3-486-56715-2, S. 87–110.
  • Jan Tomasz Gross: Revolution from Abroad: The Soviet Conquest of Poland's Western Ukraine and Western Belorussia. Princeton University Press, 2002, ISBN 978-0-691-09603-2.
  • Michail Mel’tjuchov: Советско-польские войны. Военно-политическое противостояние 1918–1939 гг. Мoskau 2001.
  • George Ginsburgs: A Case Study in the Soviet Use of International Law: Eastern Poland in 1939. In: American Journal of International Law. Vol. 52, No. 1, Januar 1958, S. 69–84.
  • Keith Sword: Deportation and Exile: Poles in the Soviet Union, 1939-48. In: Jolluck Slavic Review. Vol. 55, No. 2, 1996, S. 473–474.

Weblinks

 Commons: Sowjetische Besetzung Ostpolens – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. M. I. Mel'tyuhov: Stalin's lost chance. The Soviet Union and the struggle for Europe 1939–1941. S. 132. (М. И. Мельтюхов: Упущенный шанс Сталина. Советский Союз и борьба за Европу: 1939–1941 (Документы, факты, суждения). — М.: Вече, 2000.)
  2. The Sovietisation of East Poland. In: George Sanford: Katyn and the Soviet massacre of 1940: truth, justice and memory. Routledge, London 2005, ISBN 0-415-33873-5. (online)
  3. Мельтюхов Советско-польские…, Часть третья. Сентябрь 1939 года. Таблица 28. Численность советских войск на 17 сентября 1939 г. c.299
  4. Ingeborg Fleischhauer: Die sowjetische Außenpolitik und die Genese des Hitler-Stalin-Paktes. In: Bernd Wegner (Hrsg.), Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum Unternehmen Barbarossa. Piper Verlag, München/Zürich 1991, S. 19-39.
  5. Bianka Pietrow-Ennker: Stalinismus – Sicherheit – Offensive. Das Dritte Reich in der Konzeption der sowjetischen Außenpolitik 1933 bis 1941. In: Kasseler Forschungen zur Zeitgeschichte. Bd. II, Melsungen 1983, S. 127 ff.
  6. G.F. Krivosheev (Hrsg.): Soviet Casulties and Combat Losses in the Twentieth Century. London, 1997, ISBN 1-85367-280-7, S. 57.
  7. Steven J. Zaloga, Howard Gerrard: Poland 1939: The Birth of Blitzkrieg. Osprey, Oxford 2002, ISBN 1-84176-408-6, S. 80.
  8. The 17th of September.
  9. Воссоединение украинского народа в едином Украинском Советском государстве, Сборник документов и материалов. — К., 1949.
  10. „Mit Waffen, Sensen, Mistgabeln und Äxten schlägt eure Erzfeinde – polnische Herren.“ (Originaltext eines der Mordaufrufe an die ukrainische Zivilbevölkerung) In: Andrzej Friszke: Polska. Losy państwa i narodu 1939–1989. ISBN 83-207-1711-6, S. 25.
  11. „[…] Dem Terror und Morden in eroberten Grodno fielen 130 Schüler und Kadetten. Verletzte Verteidiger wurden erschlagen, der 12jährige Tadzik Jasiński wurde an einen Panzer festgebunden und über die Straßenpflaster gezogen. Es fanden auch zahlreiche Exekutionen statt […]“ In: Julian Siedlecki: Losy Polaków w ZSRR w latach 1939–1986, London 1988, S. 32–34.
  12. Wojciech Roszkowski: Najnowsza historia Polski 1914–1945, Warschau 2003, ISBN 83-7311-991-4, S. 410.
  13. Władysław Pobóg-Malinowski: Najnowsza historia polityczna Polski. 1939–1945, Band 3, Krakau 2004, ISBN 83-89711-10-9, S. 107.
  14. Witold Pronobis: Świat i Polska w XX wieku. Warschau 1996, ISBN 83-86802-11-1, S. 196.
  15. Polnisches Informationsministerium: Kurzes statistisches Jahrbuch Polens. London, Juni 1941, S. 9–10.
  16. Zu einer Lügenmeldung der Nachrichtenagentur Havas. Prawda, 30. November 1939. Deutsche Übersetzung In: Der Eisbecher. Klett-Cotta, Stuttgart 1989.
  17. „Es ist allgemein bewusst, hingegen, dass die britische und französische Regierung die deutschen Friedensbemühungen abgelehnt haben, veröffentlicht von Deutschland bereits am Ende des letzten Jahres, welche seinerseits auf den Vorbereitungen den Krieg zu eskalieren basierte.“ Molotows Bericht, 29. März 1940.
  18. Anne Applebaum: Gulag: A History. Doubleday 2003, ISBN 0-7679-0056-1, Kap. 20.
  19. Aleksandr Gurjanow: Repressii protiv Poljakov i polskih graždan. S. 4–9.
  20. Die sowjetische Herrschaft 1939–1941. In: Bogdan Musial: Sowjetische Partisanen in Weißrußland. Oldenbourg, München 2004, ISBN 3-486-64588-9. (online)
  21. Lustiger, Arno: Rotbuch: Stalin und die Juden. Berlin 1998. Zitiert nach Е. Беркович
  22. Е. Беркович: «Между молотом и наковальней. Положение восточноевропейских евреев во времена союза Гитлера и Сталина». Вестник Online, № 3 (288), 31. Januar 2002
  23. Семиряга Михаил Иванович: Тайны сталинской дипломатии 1939—1941. S. 104.
  24. Gedenken auf der Westerplatte in Danzig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 2. September 2009, S. 2.
  25. Zit. n. M.I. Mel’tjuchov: Sovetsko-pol’skie vojny: Voenno-politicheskoe protivostojanie 1918–1939 gg., Veche, Moskau 2001, S. 383.

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