Karl Ritter (Diplomat)

Karl Ritter (Diplomat)

Karl Ritter (* 5. Juni 1883 in Dörflas; † 31. Juli 1968 in Murnau am Staffelsee) war deutscher Diplomat, Botschafter in Brasilien, Mitglied der NSDAP, Sonderbeauftragter beim Münchener Abkommen, leitender Beamter im Auswärtigen Amt während des Zweiten Weltkriegs und verurteilter Kriegsverbrecher im Wilhelmstraßen-Prozess.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ritter studierte Rechtswissenschaft und promovierte 1905. Ab 1907 trat er zunächst in den bayerischen Staatsdienst ein, wechselte dann 1911 in den Reichskolonialdienst, ab 1918 in das Reichswirtschaftsamt und wurde schließlich ab 1922 im Auswärtigen Amt (AA) Leiter der Referate für Wirtschaft und Reparationen, zuletzt der Handelspolitischen Abteilung. Hier war er maßgeblich an dem Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion beteiligt, das im Herbst 1931 aber am Widerstand der Franzosen scheiterte.

Von 1937 bis 1938 war er Gesandter und dann Botschafter in Rio de Janeiro, wo er wegen seiner Forderung an die brasilianische Regierung, die anti-nationalsozialistische Propaganda im Lande zu verbieten, zur persona non grata erklärt wurde.[1] Während seines Aufenthaltes in Brasilien sei er zum Parteieintritt in die NSDAP gezwungen worden (Urteil, S. 158.).[2][3]. 1938 war Ritter Vorsitzender des Unterausschusses B der Internationalen Kommission zur Abtretung des sudetendeutschen Gebiets bei den Verhandlungen für das Münchener Abkommen.[4]

Mit Kriegsbeginn war Ritter mit der Leitung aller mit dem Wirtschaftskrieg zusammenhängenden Aufgaben im AA betraut und war bis 1945 im Range eines Botschafters z.b.V.[5] Verbindungsmann zwischen AA (Ribbentrop) und Oberkommando der Wehrmacht (OKW). Er wurde im Amt durch Karl Schnurre vertreten, der den wirtschaftspolitischen Teil der deutsch-sowjetischen Verhandlungen 1939 bearbeitete, die dann zum Nichtangriffspakt führten. Ein Mitarbeiter Ritters im AA war Fritz Kolbe, der ab 1943 Aktenstücke aus dem Schriftverkehr des AA mit dem OKW in die Schweiz zu Allen Welsh Dulles schmuggelte.

Prozess

Bei Kriegsende wurde Ritter inhaftiert und 1947 im Wilhelmstraßen-Prozess wegen folgender Verbrechen angeklagt:

  • I: Verbrechen gegen den Frieden: Vorbereitung, Einleitung und Führung von Angriffskriegen und Kriegen unter Verletzung internationaler Verträge ... (S. 6).
  • III: Kriegsverbrechen: Ermordung und Mißhandlung von Angehörigen der kriegführenden Mächte und von Kriegsgefangenen (S.61).
  • V: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Greueltaten und Vergehen gegen die Zivilbevölkerung. Verfolgung von Juden, Katholiken und anderen Minderheiten (S. 78).
  • VI: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Raub und Plünderung (S. 187).
  • VII: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Sklavenarbeit (S. 241).

Im Punkt I wurde Ritter als nicht schuldig erklärt:

„es lag kein Beweis vor, daß er den Angriffscharakter dieser Kriege gekannt hat“ (S. 43).

Zum Punkt V kam das Gericht zu folgenden Feststellungen:

„Er hat sich über die Judenpolitik ... und über das Schicksal der nach dem Osten deportierten Juden keinen Illusionen hingegeben, wenn er auch höchstwahrscheinlich keine unmittelbare Kenntnis von dem Umfang, der Methode und den Begleitumständen der Ausrottungsmaßnahmen gegen die Juden gehabt hat.“ (S. 158).
„Kenntnis davon, daß ein Verbrechen begangen worden ist oder bevorsteht, genügt zu einer Verurteilung nur in den Fällen, in denen eine Rechtspflicht besteht, eine Handlung zu verhindern oder sich ihr zu widersetzen.“ (S. 159).

Diese Feststellungen bezogen sich auf Ritters Verwicklungen in die Deportationen von Juden aus Dänemark, Frankreich und Ungarn.

Einzig im Punkt III wurde Ritter schuldig gesprochen, in allen anderen Punkten wurde er mangels stichhaltiger Beweise als Nicht Schuldig im Sinne der Anklage bezeichnet. Auch im Punkt III blieben nur zwei Fälle übrig:
Die Mitwirkung des AA an einem Befehl über die juristische Nichtahndung der Lynchjustiz gegen alliierte Flieger (S. 64).

„Wir sehen Ritter nicht einfach als Laufburschen an...er war zwar nicht Urheber dieser Mordpolitik, hat sie aber durchgeführt.“

Und im Falle der Ermordung ausgebrochener alliierter Kriegsgefangener wurde er deshalb verurteilt, weil er in seiner Funktion im AA das OKW darauf hätte hinweisen müssen, daß die Schweizer Gesandtschaft als Schutzmacht der britischen Kriegsgefangenen über den Tod der Ausbrecher wahrheitsgemäß aufgeklärt wird, gemäß: Artikel 77 der Genfer Konvention von 1929 und Artikel 14 der Haager Bestimmungen von 1907. Stattdessen habe er daran mitgewirkt, daß der Schweizer Gesandtschaft eine unwahre und irreführende Note überreicht wurde.

Die Probleme des Prozesses zeigten sich in der „Abweichenden Stellungnahme des Richters Leon W. Powers“ (S. 280ff), einem der drei Richter des amerikanischen Militärgerichtshofes, der diese beiden Punkte detailliert zerlegte und die Verurteilung zurückwies (S. 298).

Ritter wurde zu einer vierjährigen Haftstrafe (gültig ab 1945) verurteilt und einen Monat nach Urteilsverkündung, zum 15. Mai 1949, entlassen.[6] Ritters Verteidiger war der Strafverteidiger Horst Pelckmann, der von Erich Schmidt-Leichner abgelöst wurde.

Über die weiteren Jahre nach dem Krieg liegen keine Informationen vor.
Er war Vater des Kommunisten Karl-Heinz Gerstner, der als junger Diplomat in der deutschen Botschaft in Paris unter Otto Abetz im besetzten Frankreich arbeitete, in der DDR ein bedeutender Journalist wurde und bei der Stasi als IM Ritter geführt wurde.

Werke

  • Ritter, Karl, Neu - Kamerun : Das v. Frankreich an Deutschland im Abkommen vom 4. Nov. 1911 abgetretene Gebiet; Beschrieben auf Grund d. bisher vorliegenden Mitteilgn / Karl Ritter Jena : Fischer, 1912 Veröffentlichungen des Reichskolonialamts ; Nr 4 http://d-nb.info/362169454 (Online-Volltext)

Literatur

  • Hermann Graml: Europas Weg in den Krieg. Hitler und die Mächte 1939. München: Oldenbourg 1990, ISBN 3-486-55151-5.
  • Das Urteil im Wilhelmstrassen-Prozess : D. amtl. Wortlaut d. Entscheidung im Fall Nr 11 d. Nürnberger Militärtribunals gegen von Weizsäcker u. andere, mit abweichender Urteilsbegründung, Berichtigungsbeschlüssen, d. grundlegenden Gesetzesbestimmungen, e. Verz. d. Gerichtspersonen u. Zeugen u. Einführungen von Robert M. W. Kempner u. Carl Haensel. Hrsg. unter Mitw. von C. H. Tuerck. (amtl. anerkannt. Übers. aus d. Engl.), Bürger Verlag, Schwäbisch-Gmünd 1950 DNB
  • Sebastian Weitkamp: Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der "Endlösung". Dietz-Verlag, Bonn 2008, ISBN 978-3-8012-4178-0.
  • Hans-Jürgen Döscher: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der "Endlösung". Berlin:Siedler 1987, ISBN 3-88680-256-6.
  • Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 3-896-67430-7, ISBN 978-3-89667-430-2

Weblinks

Einzelnachweise

  1. "já que este último foi declarado persona non grata pelo Brasil (Ritter havia censurado o Governo brasileiro por permitir uma suposta campanha anti-nazista contra alemães residentes no país)" http://www.pitoresco.com/historia/guerra/guerra01a.htm
  2. Alle Seitenangaben im Text: Urteil.
  3. zum Parteieintritt siehe das Schreiben Ernst Wilhelm Bohles wiedergegeben bei Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 978-3-89667-430-2, S. 140f. Ebenda an anderer Stelle steht allerdings, dass Ritter nicht Mitglied der NSDAP war: ebd. S. 361
  4. Graml, S. 113.
  5. Paul Seabury, Die Wilhelmstrasse. Die Geschichte der deutschen Diplomatie 1930–1945, Nest, Frankfurt 1956 (engl.1954), S. 247 dnb
  6. Hamburger Abendblatt vom 16. April 1949.



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