Kölner Klüngel

Kölner Klüngel

Als Kölner Klüngel, Kölscher Klüngel oder einfach Klüngel wird in Köln, und mittlerweile auch im allgemeinen Sprachgebrauch, ein System auf Gegenseitigkeit beruhender Hilfeleistungen und Gefälligkeiten bezeichnet. Es kann zur Vermischung von gesellschaftlichen, politischen und industriellen Interessen führen, somit zur Korruption mutieren. Im Alltagsgebrauch ist Klüngel im Kölner Raum allerdings auch positiv besetzt, im Sinne von „eine Hand wäscht die andere“, „Man kennt sich, man hilft sich“, „über Beziehungen verfügen“ oder netzwerken bzw. „vernetzt sein“.

Inhaltsverzeichnis

Wortherkunft

Es gibt zwei Deutungsversuche für die Herkunft des Wortes Klüngel. Die geläufigste führt ihn auf das altdeutsche Wort „Klung/Klunge“ für ein Faden- oder Zwirnknäuel zurück, also einem Gebilde, in dem hunderte Fäden „in- und durcheinander laufen, sodass man von außen nicht zu durchschauen vermag, wie alles zusammenhängt“.[1] Aus dem selben Wortstamm erwuchs auch das englische to cling (festhalten, klammern).[2]

Die zweite Version deutet auf eine Herkunft vom lateinischen Begriff clancularia capitula („heimliche Kapitel“). Hierbei handelte es sich um heimliche Zusammenkünfte von Kölner Stiftsherren, die bereits der Kölner Erzbischof Ferdinand im Jahre 1620 als „absolut ungültig“ erklärte.[3] Bei diesen Treffs wurden weit reichende Entscheidungen getroffen. „Clancularius“ sei demnach die etymologische Herkunft für den Begriff Klüngel.

Bedeutung

Im Kölschen ist die Bedeutung von „Klüngel“ vielschichtiger als das, was davon in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde. In seinem Wörterbuch Neuer kölnischer Sprachschatz schreibt der Sprachforscher Adam Wrede fast eine ganze Seite über die Bedeutungen der Wörter aus diesem Wortfeld.[4] Interessant ist insbesondere, dass eine ungenaue, nachlässig ausgeführte Arbeit als „klüngelich“ gilt, wie auch einige andere Wörter nicht nur einen liderlichen oder schlampigen Umgang mit den Regeln des Anstands, sondern auch der Sorgfalt beinhalten. Ein Klüngel ist auch einfach eine Gruppe miteinander verbundener Menschen, die nicht unbedingt Böses im Schilde führen müssen.

Im deutschen Sprachgebrauch wird dagegen lediglich das Unter-der-Hand-Handeln, die geheimen Absprachen, und ggf. die illegitime Vorteilsnahme und -Gewährung mit dem Klüngel assoziiert. Außerhalb Kölns wird hierfür der Begriff Nepotismus nahezu synonym verwendet.

Der Autor Frank Überall sieht dagegen drei Stufen des Begriffs: situative Kooperation, Netzwerke und Korruption. Er vertritt die These, dass Klüngel nicht auf korruptive Handlungen zu reduzieren sei, sondern – speziell im Bereich der Politik – auch demokratieförderliche Elemente aufweise. Vergleiche dazu auch das Wort von Prof. Heinrich Lützeler: Jeder redet hier mit jedem, das ist die rheinische Form der Demokratie.

Historische Entwicklung

Frühe Beispiele des Klüngels kann man im Zusammenhang mit der enormen Heiligenverehrung in Köln, im Mittelalter einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte Deutschlands, erkennen (siehe hierzu auch das Kölner Wappen und die Legende der Heiligen Ursula mit den 11.000 Jungfrauen und ihre spätere Ausformung).

Nach der Schlacht von Worringen 1288 übernahmen 15 Patrizierfamilien vom Erzbischof das Stadtregiment und lenkten die Politik ihrer Stadt nach eigenem Gusto. 1396 erzwangen die erstarkten Kaufleute und Handwerker im „Verbundbrief“ mit ihren politischen Gaffeln eine (in ersten Ansätzen demokratische) Teilhabe an der Politik. Bürgermeister und Ratsmitglieder aus immer denselben Familien sind jedoch ein Indiz dafür, dass sich nur teilweise etwas geändert hatte. Dieses System galt bis in die Zeit der Französischen Revolution und endete mit der Besetzung Kölns durch französische Revolutionstruppen 1794.

Nach 1815 gehörte Köln zu Preußen, womit die Kölnische Stadtverwaltung unter preußische Aufsicht kam, was manchen Auswüchsen des Klüngels Einhalt gebot. So galt beispielsweise die Regel, dass niemals Vater und Sohn gleichzeitig ein Amt im Rat bekleiden durften. Politische Würdenträger sollten wohlhabend und damit unempfindlich für illegitime Geldeinnahmen im Amt sein.

Eine Seite des berühmten ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters und späterem ersten Kanzler der Bundesrepublik Konrad Adenauer ist geschichtlich zwar gesichert, wird jedoch in der Öffentlichkeit kaum beachtet: seine Schwäche für die persönliche Nutzung wirtschaftlicher Vorteile durch Ausnutzung seines Amtes. So erwarb er am 27. Januar 1923 neue Aktien der Rheinbraun AG, ohne den Gegenwert von 613.000 Mark bezahlen zu können. Die Stadtkasse half aus, erhielt ihr Geld von Adenauer 3 Monate später ohne Zinsen zurück.[5] Ein Insidertip – damals noch nicht strafbar – verhalf dem spekulierenden Oberbürgermeister im Februar 1928 zu Aktien der Glanzstoff AG im Gegenwert von 2,8 Millionen Reichsmark, von denen er jedoch nur 1,8 Millionen aufbringen konnte. Adenauer – im Aufsichtsrat der Deutschen Bank – erhielt von dieser die fehlende Million als Kredit. Durch den Börsencrash in New York stürzten die Glanzstoff-Kurse von 99 auf 25 US-Dollar ab, sodass ein Freund ihm „leihweise“ mit der Kreditrückzahlung aushalf.[6] Es kam aber nie zur Rückgabe, weil der Jurist Adenauer der Auffassung war, dass er bei dieser Leihe nichts „zurückzugeben brauchte“.[7]

20. Jahrhundert

Anfang des 20. Jahrhunderts prägte Konrad Adenauer, Kölner Oberbürgermeister zur Zeit der Weimarer Republik, die Parole „Mer kennt sich, mer hilft sich“. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das Prinzip weiterhin zur Anwendung. Beförderungslisten der Stadtverwaltung kursierten bei der herrschenden Partei und wurden nach Gutdünken geändert. Unqualifizierte „Schwächte“ besetzten hoch dotierte Posten bei den stadtnahen Gesellschaften. Ein Psychiater wurde Aufsichtsratsvorsitzender des Köln/Bonner Flughafens, ein ehemaliger Verwaltungsinspektor dessen Technischer Direktor.

Ein aktuelleres Beispiel für einen aufgeflogenen Klüngel war der Skandal um den Neubau der Kölner Messegesellschaft (siehe auch Josef Esch)[8], nicht allzu lange zurück liegt der Skandal um den Bau einer Müllverbrennungsanlage mitsamt der Kölner Spendenaffäre. Die politischen Mehrheitsverhältnisse wurden durch Dankeschönspenden, Beraterverträge und hochdotierte Posten manipuliert. Das Kölner Landgericht bezifferte den Schaden, der durch die Schmiergeldzahlungen um die Kölner Müllverbrennungsanlage entstanden ist, auf 20,4 Millionen Euro. Das Verfahren gegen den Müllunternehmer Hellmut Trienekens wurde 2005 gegen Zahlung von 5 Millionen Euro eingestellt.

Auf niedrigerer Ebene geschieht der Klüngel weiterhin in den bürgerlichen Vereinen Kölns, so z. B. in den großen Karnevalsgesellschaften. Dort wird nicht nur der Karneval organisiert, sie sind auch ein wichtiges Forum für Kontakte und geschäftliche Beziehungen.

Vom ehemaligen Kölner Oberstadtdirektor Kurt Rossa (im Amt zwischen 1977 und 1989) soll die Definition stammen: „Kölscher Klüngel heißt, dienstliche Probleme privat klären.“ Sicher belegt ist das Zitat aus dem Jahre 1977, als er sich dem Rat der Stadt Köln mit den Worten vorstellte: „Nehmt mich auf in Euren Klüngel!“ Nicht nur der Rat, sondern die ganze Stadt war begeistert[9]. Dem von 1980 bis 1999 amtierenden Oberbürgermeister Norbert Burger wird die Definition zugeschrieben, Kölner Klüngel sei „das Ausräumen von Schwierigkeiten im Vorfeld von Entscheidungen“.[10]

„Korruption ist Klüngeln ohne Charakter“ schrieben Bennack und Uhlenbruch in ihrem 2003 erschienenen Buch „Humor als kölsche Philosophie“.

In seiner Dissertation beschrieb Frank Überall (siehe "Literatur") unter anderem die Krux um Oberbürgermeister Fritz Schramma, der Mühe hatte, die Anforderungen des Amtes - nach Abschaffung der "Doppelspitze" aus politisch-repräsentierendem Oberbürgermeister einerseits und Oberstadtdirektor als Verwaltungsleiter andererseits - als Repräsentant und gleichzeitiger Chef der Verwaltung zu bewältigen. In Süddeutschland ist diese Form der politischen Kommunalverfassung dagegen seit Jahrzehnten etabliert. Überall zog als Fazit: „Ohne (positiven) Klüngel wäre Demokratie kaum machbar!“[11]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Heribert A. Hilgers, Juni 1993, S. 24; zitiert nach Norbert Feldhoff: Kölscher Klüngel. Gestern, heute, morgen und überall. Köln 1996, ISBN 3-761-62034-9, S. 20.
  2. Prof. Dr. Adam Wrede: Neuer kölnischer Sprachschatz. Greven Verlag, Köln 1956-1958. Zweiter Band K - R, ISBN 3-7743-0156-5. Seite 55 links unten
  3. Helene Klauser: Kölner Karneval zwischen Uniform und Lebensform. 2007, ISBN 3-830-91778-3, S. 184.
  4. Prof. Dr. Adam Wrede: Neuer kölnischer Sprachschatz. Greven Verlag, Köln 1956-1958. Zweiter Band K - R, ISBN 3-7743-0156-5. Seite 55 links unten bis Seite 56 links oben.
  5. Werner Rügemer: Colonia Corrupta. 2003, S.142
  6. Werner Rügemer, a.a.O., S. 143
  7. Werner Rügemer, a.a.O., S. 144
  8. WDR: Teurer Klüngel um neue Hallen? 12. Oktober 2006
  9. Hans Conrad Zander: Lob der Dummheit. 2005, ISBN 3825855937, Seite 161. Virtuell zu finden unter http://books.google.de/books?isbn=3825855937
  10. Ehrenburger wird 70. Von Pascal Beucker und Frank Überall. In: taz Köln vom 21. November 2002; unter http://www.beucker.de/2002/tk02-11-21.htm
  11. Neue Rheinische Zeitung

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