Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs

Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs

Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs K.d.ö.R. (IRGW) ist ein jüdischer Landesverband mit Sitz in Stuttgart für den württembergischen Landesteil Baden-Württembergs. Die IRG Stuttgart ist weiterhin als einzige, große Gemeinde für den gesamten Regierungsbezirk Stuttgart und Tübingen zuständig[1] und knüpft damit an die Situation von 1939 an, als im Rahmen der Umwandlung der Reichsvertretung der Deutschen Juden in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland alle jüdischen Gemeinden in Württemberg zur Stuttgarter Großgemeinde zusammengefasst wurden. Bereits 1832 gehörten der IRG Stuttgart neben der israelitischen Gemeinde Stuttgart auch die jüdischen Gemeinden Esslingen, Aldingen und Hochberg am Neckar an.[2][3]

Inhaltsverzeichnis

Jüdische Gemeinde Württembergs

Die Hauptsynagoge der IRGW befindet sich in Stuttgart in der Hospitalstraße 36 - im Vordergrund: Bronzeskulptur "Brennender Dornbusch" des in Stuttgart geborenen Künstlers Roda Reilinger

Während es bundesweit 84 (eigenständige) jüdische Gemeinden und im badischen Landesteil neun Gemeinden gibt (Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Pforzheim, Baden-Baden, Emmendingen, Freiburg i. Br., Lörrach und Konstanz), ist die IRG Stuttgart als einzige, große Gemeinde für das gesamte Gebiet der ehemaligen Regierungsbezirke Nord-Württemberg und Süd-Württemberg/Hohenzollern (maßgebend ist lt. Satzung der Gebietsstand zum 23. November 1966) zuständig. Ab Anfang der 1990er-Jahre vervierfachte sich mit Einsetzen der Zuwanderung sog. jüdischer Kontingentflüchtlinge die Zahl der IRGW-Mitglieder auf über 3.000 Mitglieder. Aktuell hat die IRGW etwa 3.300 Mitglieder (Stand: Januar 2008) mit Sitz der Gemeinde in Stuttgart. Zur flächendeckenden Betreuung ihrer Mitglieder unterhält die IRGW in einer Reihe von Städten Filialgemeinden bzw. Zweigstellen, so beispielsweise in Ulm, Heilbronn, Reutlingen, Tuttlingen, Heidenheim, Hechingen, Schwäbisch Hall, Bad Mergentheim und Weingarten. So wurde 2002 der Betsaal in der IRGW-Filialgemeinde Ulm eingeweiht, 2003 folgten Betsäle in zwei Filialgemeinden. Die Hauptsynagoge der IRGW befindet sich in Stuttgart in der Hospitalstraße 36. Dort ist auch der Sitz des Landesrabbinats zu finden, wobei die IRGW seit Oktober 2002 über den Landesrabbiner Netanel Wurmser und einen für Ulm zuständigen Ortsrabbiner verfügt. Weiterhin befindet sich dort auch das Gemeinde- und Verwaltungszentrum der IRGW. Die Gemeinde wird von jeweils für drei Jahre gewählten Vertretern, den sog. Repräsentanten geleitet. Drei dieser Repräsentanten werden von der Repräsentanz als geschäftsführender Vorstand gewählt. Im Dezember 2009 wurde der Vorstand von Barbara Traub M.A., Susanne Jakubowski und Michael Kashi gebildet.

Jüdische Grundschule Stuttgart

Die jüdische Grundschule wurde im September 2008 als private Ganztagesschule eingeweiht.[4] Sie steht 60 Kindern aller Konfessionen offen. Dadurch unterhält die jüdische Gemeinde in Württemberg, neben einem betreuten Seniorenwohnen im Gemeindezentrum (1999), Kindergarten und Hort jetzt auch eine eigene Grundschule. Sie schließt sich an die Tradition der von 1945 bis 1949 in Stuttgart existierenden Chaim Nachman Bialik-Volksschule sowie die vor der Shoah in 16 Orten Württembergs bestehenden Volksschulen (u. a. in Esslingen, Jebenhausen, Buttenhausen, Lauchheim) an. Diese Schule knüpft auch an die jüdische Schule an, die es bis 1949 in einem Auffanglager im Stuttgarter Westen gegeben hatte. Vermittelt werden hier die jüdische Kultur, Religion und die hebräische Sprache, wobei der Landesrabbiner Netanel Wurmser auch der Schulleiter ist.[5]

Seit der Eröffnung der Schule im September wächst die Schülerzahl kontinuierlich an, so dass Schüler aus dem ersten bis vierten Schuljahr in jeder der beiden Schulklassen miteinander lernen und die Lehrer die Kinder mit unterschiedlichem Alter parallel unterrichten und alle Altersgruppen gemeinsam in einer Klasse betreuen. Bereits im ersten Schuljahr gibt es Unterricht im Umgang mit dem Computer.

Der Anspruch der Jüdischen Grundschule Stuttgart ist es, eine jüdische Erziehung und individuelle Förderung zu bieten und die Eltern dabei aktiv einzubinden.

Jüdische Kulturwochen

Jedes Jahr bietet die jüdische Gemeinde Württemberg (IRGW) in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Stuttgart, der Volkshochschule Stuttgart und mit weiteren Kulturinstitutionen, jüdische Kulturwochen an, wobei Konzerte, Tanz und Film, Ausstellungen und Diskussionsrunden angeboten werden.

Geschichte

Die alte Synagoge Stuttgart
Die jüdischen Friedhöfe in Württemberg sind of die letzten Zeugnisse der dort einst bestehenden jüdischen Gemeinden
Die alte Synagoge Stuttgart

1343 wird in Stuttgart der erste Jude erwähnt. Es gab zu diesem Zeitpunkt eine Judengasse und eine Judenschule (Synagoge). Diese erste jüdische Gemeinde findet ihr Ende im Jahr 1348 im Zuge der allgemeinen Judenverfolgung.

Die Stuttgarter Chronik erwähnt 1434 wieder eine Synagoge und ein Ritualbad (Mikwe) in der Judengasse 12. 1498 erfolgte, entsprechend dem Testament des Grafen Eberhard im Bart, die Ausschließung aller Juden aus Württemberg.

In den folgenden Jahrhunderten folgten Wiederansiedlungen und Vertreibungen. In einzelnen Dörfern und Städten gab es bedingt durch Ausnahmeregelungen auch in dieser Zeit dauerhaft bestehende Gemeinden, so beispielsweise in Freudental im jetzigen Landkreis Ludwigsburg.

So bestehen noch heute mehrere Dutzend jüdische Friedhöfe in Württemberg, häufig die letzten Zeugnisse der dort einst bestehenden jüdischen Gemeinden.

Im Zeitraum 1804 bis 1837 fanden in Stuttgart wieder regelmäßig jüdische Gottesdienste in jüdischen Privatwohnungen statt. 1808 erfolgte die formelle Gründung einer jüdischen Gemeinde in Stuttgart. 1828 sicherte das Gesetz in Betreff der öffentlichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen Religionsfreiheit und das Recht auf Bildung von Gemeinden und den Bau von Synagogen zu.

Die Israelitische Religionsgemeinschaft Stuttgart wurde am 3. August 1832 gegründet.[6] Damals war Stuttgart bereits Sitz der Israelitischen Oberkirchenbehörde und Zentrum der Israelitischen Religionsgemeinschaft des Königreichs. Dadurch wurde ihr der Status einer Israelitischen Kirchengemeinde verliehen. Weiterhin erhielt sie auch ein Rabbinat. Der IRG Stuttgart gehörten neben der israelitischen Gemeinde Stuttgart auch die jüdischen Gemeinden Esslingen, Aldingen und Hochberg am Neckar an.[7]

Im Oktober 1837 wurde der Betsaal in der Langgasse 16 in Stuttgart eingeweiht. In den Folgejahren entstanden zahlreiche Vereine und Vereinigungen, die zeigen, welch Leben in der Gemeinde herrschte. 1856 erwarb die Gemeinde das Anwesen in der Hospitalstraße in Stuttgart und am 3. Mai 1861 konnte die im maurischen Stil erbaute Synagoge eingeweiht werden. Auch heute befindet sich die 1952 wieder errichtete Synagoge auf diesem Gelände in der Hospitalstraße.

Rechtlich gleichberechtigt waren Juden erst ab dem Jahr 1864 und mit dem Inkrafttreten der Reichsverfassung im Jahre 1871 fiel auch das Verbot von Mischehen.[8]

Um die Wende zum 20. Jahrhundertwende lebten allein in Stuttgart rund 2.700 Juden. Bis 1925 stieg ihre Zahl auf 4.500. Württembergweit existierten 51 israelitische Gemeinden, von denen Stuttgart die weitaus größte war. Nach Stuttgart folgten Heilbronn mit ca. 900 Mitgliedern und Ulm mit ca. 566 Mitgliedern.

Am 9. November 1938 wurde während der Novemberpogrome auch die Stuttgarter Synagoge in Brand gesetzt und zerstört. 1939 erfolgte im Rahmen der Umwandlung der Reichsvertretung der Deutschen Juden in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland die Zusammenfassung aller jüdischen Gemeinden in Württemberg zur Stuttgarter Großgemeinde. Bis 1942 verblieben in Stuttgart noch 774 Juden. Mit den letzten Deportationen war Stuttgart ab 1943 "judenrein".

Nach dem Ende der Shoah wuchs die Stuttgarter Gemeinde durch den Zuzug von Displaced Persons (DP) schnell auf über 1.000 Mitglieder an. Für die Mehrheit dieser DPs war Stuttgart jedoch nur eine Zwischenstation vor der Ausreise nach Palästina oder in die USA. Die Zahl der Mitglieder sank auf ca. 700 Mitglieder in ganz Württemberg.

1948 erfolgte die Wiederanerkennung der Israelitischen Kultusgemeinde Württembergs (heute: Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs) als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Am 13. Mai 1952 wurde die neue Synagoge an der Stelle der alten Synagoge feierlich eingeweiht.

Im Jahr 2010 wurde zwischen dem Land Baden-Württemberg und den beiden israelitischen Religionsgemeinschaften, der IRGW und der IRG Baden, ein Staatsvertrag unterzeichnet, mit dem die israelitischen Religionsgemeinschaften rechtlich den großen christlichen Kirchen im Lande gleichgestellt wurden.[9]

Aktuelles

Am 17. März 2011, dem 11 Adar II 5771 nach jüdischer Zeitrechnung, fand auf dem Weinhof in Ulm der Spatenstich für den Neubau eines Gemeindezentrums (Bauherr ist die IRGW) statt, in dem sich auch eine Synagoge befinden wird. Der Weinhof, an dem sich auch die 1938 während der Reichspogromnacht zerstörte Ulmer Synagoge befand, wurde der IRGW bereits im Jahre 2009 durch den Gemeinderat der Stadt Ulm für den Neubau zur Verfügung gestellt. Den anschließenden Architektenwettbewerb entschied Professor Susanne Gross vom Kölner Büro Kister, Scheithauer, Gross für sich. Ulm ist bereits seit 2000 wieder Rabbinatssitz. Das künftige Gemeindezentrum, dessen Einweihung für das Jahr 2012 geplant ist, wird neben der Synagoge auch Mikwe, Kindergarten, Jugendzentrum, Bibliothek und einen Gemeindesaal beherbergen.

Literatur

  • IRGW, Stadt Ulm (2010) (Hrsg.): Dokumentation Gutachterverfahren Neue Synagoge Ulm.
  • Paul Sauer, Sonja Hosseinzadeh: Jüdisches Leben im Wandel der Zeit. 170 Jahre Israelitische Religionsgemeinschaft - 50 Jahre neue Synagoge in Stuttgart. Bleicher Verlag, Gerlingen 2002.
  • Israelitisches Kirchenvorsteheramt Stuttgart (Hrsg.): Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Synagoge zu Stuttgart. Stuttgart 1911.
  • Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (Hrsg.): Gemeindezeitung. Ausgabe August/September 2008, Tamus/Aw/Elul/Tischri, Nr. 08/09
  • Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (Hrsg.): Gemeindezeitung. Ausgabe Dezember 2008/Januar 2009, Kislew/Tewet/Schwat, Nr. 12/01
  • Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (Hrsg.): Gemeindezeitung. Ausgabe Februar/März 2009, Schwat/Adar/Nissan, Nr. 02/03
  • Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (Hrsg.): Gemeindezeitung. Ausgabe April/Mai 2009, Nissan/Ijar/Siwan, Nr. 04/05

Einzelnachweise

  1. [1]
  2. Stuttgarter Amtsblatt Nr. 31 vom 2. August 2007
  3. [2]
  4. Heilbronner Stimme vom 8. September 2008: Zeichen der Wiederbelebung (Artikel von Rudi Wais)
  5. [3] Zukunft, 8.Jg.(2008)Nr. 9: Jüdische Grundschule eröffnet
  6. [4]
  7. Stuttgarter Amtsblatt Nr.31 vom 2. August 2007
  8. [5]
  9. [6] Staatsministerium Baden-Württember, 19. Oktober 2009: Paraphierung des Staatsvertragstextes mit den israelitischen Religionsgemeinschaften

Weblinks


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