Mike Polley

Mike Polley

Mike Polley (* 23. April 1972 in Berlin; † 3. November 1990 in Leipzig) war ein deutscher Fußballfan und Gewaltopfer. Er kam während der Ausschreitungen rund um das Oberliga-Spiel zwischen dem FC Sachsen Leipzig und dem FC Berlin durch Schüsse eines Polizisten ums Leben.

Inhaltsverzeichnis

Zur Person

Der aus Berlin-Malchow stammende Polley war Fan des ehemaligen DDR-Serienmeisters BFC Dynamo, der ab 1990 FC Berlin hieß. Er galt als Einsteiger in die Fußballfanszene.[1][2]

Im Vorfeld der Todesschüsse

Der Tod Polleys sowie weitere fünf erheblich Verletzte waren die Eskalation einer langen Kette von Ausschreitungen im Fußballumfeld. Bereits am 9. September 1990 bei einem Spiel des 1. FC Lokomotive Leipzig gegen den FC Bayern München sowie am 29. September 1990 beim Spiel zwischen dem FC Sachsen Leipzig und dem FC Carl Zeiss Jena hat die Polizei Schusswaffen eingesetzt. Im April 1990 hatten Berliner Hooligans in Jena die Innenstadt verwüstet, in Magdeburg wurden Sowjetsoldaten angegriffen, wobei ein Soldat ebenfalls einen Warnschuss abfeuerte.[3][4]

Besonders hatten sich die Zustände im Zusammenhang mit Spielen des ehemaligen BFC Dynamo verschärft. Der BFC war zu DDR-Zeiten von gegnerischen Fanszenen aufgrund seiner Dominanz und seiner Protegierung durch das Ministerium für Staatssicherheit (mit Erich Mielke an der Spitze) gehasst. Aufgrund dieser Tatsache kam es bei BFC-Spielen regelmäßig zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen den Fangruppen, was auf seiten des BFC-Anhangs zu einer stetigen Radikalisierung der Szene führte. Seitens der DDR-Führung wurde auf solche Vorkommnisse nicht reagiert, da es diese offiziell nicht gab. Nach dem Fall der Innerdeutschen Grenze und dem damit eintretenden Autoritätsverlust der DDR-Ordnungskräfte (z. B. der Transport- und Volkspolizei) eskalierten die gewalttätigen Zwischenfälle zunehmend, wodurch auch westdeutsche Hooligans angezogen wurden.[5][6]

Umstände von Polleys Tod

Polley war als Fan des FC Berlin mit weiteren Anhängern seines Vereins am 3. November 1990 in Leipzig beim Spiel gegen den FC Sachsen. Im Zusammenhang mit der Partie kam es zu mehrstündigen Ausschreitungen von Hooligans, bei denen überforderte Polizisten auf dem Bahnhofsgelände in Leipzig-Leutzsch von Fans umringt wurden und sich bedroht fühlend in die Personengruppe schossen. Hierbei wurde Polley von einer Polizeikugel tödlich getroffen.[7][8] Der Tathergang ist jedoch ungeklärt, einige Augenzeugen sprachen von einem hinterrücks getätigten Schuss.[9] Insgesamt wurden damals 80 Ermittlungsverfahren gegen bekannte Personen und 74 gegen unbekannt eingeleitet.[10] Die taz kommentierte die Ereignisse des Tages kritisch, die Notwehrsituation der Polizisten zweifelte sie an: „Nach zwei Tagen indes bereits keine Rede mehr vom polizeilichen Einsatzleiter, auf dessen (…) ‚Schießbefehl‘ hin elf (oder mehr?) Magazine aus Pistolen leergefeuert wurden, und der immer noch Dienst tut. Keine Frage, warum ein Toter und vier Schwerverletzte, 40 […] Meter von den Schützen entfernt, die Folge von ‚Notwehr‘ sein können.“.[11] Augenzeugen behaupteten, dass die Polizei fliehenden Fans hinterherschoss.[12]

Folgen der Todesschüsse

Am 10. November 1990 gedachten Fans beim Spiel des FC Berlin gegen den HFC Chemie dem getöteten Mike Polley.

Aufgrund der Einschätzungen zur Bedrohungslage wagte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nicht, das für Mitte November 1990 geplante Vereinigungsländerspiel zwischen der Fußballnationalmannschaft der DDR und der Fußballnationalmannschaft der BRD im Leipziger Zentralstadion durchzuführen und sagte das Spiel gegen die Auswahl des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR (DFV) ab.[13] Das Spiel war ursprünglich als Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 1992 ausgelost worden und sollte stattdessen als Freundschaftsspiel ausgetragen werden. Die taz mutmaßte, dass die fehlende Untersuchung der Todesschüsse zur weiteren Eskalation beitrug, „da die Behörden vor dieser Untersuchung bisher zurückschrecken, blieb nur die Absage des Spiels.“[14] Die Sicherheitsbehörden gaben offiziell an, dass „weder die Lage bei den Sicherheitskräften noch der bauliche Zustand des Stadions ein solches Spiel“ zuließen.[15] Ferner kolportierte die Polizei, dass mehrere tausend Hooligans zum Spiel hätten anreisen wollen.[16]

Nach den Todesschüssen demonstrierten über 1000 Menschen (darunter auch der Spieler Waldemar Ksienzyk vom FC Berlin) im Rahmen des Spiels zwischen dem FC Berlin und dem HFC Chemie am 10. November 1990 gegen Polizeigewalt in Berlin-Prenzlauer Berg. Zum Spiel kamen etwa 500 Hooligans; dieser Gruppe schlossen sich nach Abpfiff noch einmal weitere 500 an, die Stadionverbot hatten. Die Hooligans stellten eine eigene Ordnergruppe und wurden von ca. 1200 Polizeibeamten begleitet. Der Demonstrationszug ging vom Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark zum Brandenburger Tor und verlief friedlich. Auf dem Fronttransparent stand damals: „Wir trauern um Mike – Hooligans“.[17][18][19]

An den Tod Polleys wird immer wieder erinnert, wenn es bei Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Hooligans zu Toten oder Schwerverletzen kommt oder diese prognostiziert werden.[9][20]

Seit mehreren Jahren veranstaltet die Fanszene des BFC Dynamo das Mike-Polley-Gedenkturnier.[21]

Literatur

  • Winfried Bonengel, Ingo Hasselbach: Die Abrechnung. Ein Neonazi steigt aus. Berlin 1993, ISBN 3-7466-7036-5, S. 86ff.

Einzelnachweise

  1. Peter Hennig: So lief alles ab: Die Krawalle von Leipzig und der Tod des Mike P. In: Fußballwoche. 5. November 1990, abgerufen am 9. Juli 2010.
  2. Stefan Schwarz: Tödliche Schüsse nach Krawallen. In: taz. 5. November 1990, abgerufen am 9. Juli 2010.
  3. Schuss aus Dienstwaffe tötete Mike Polley. In: Netzeitung. netzeitung.de, 12. Februar 2007, abgerufen am 9. Juli 2010.
  4. Ins Bein. In: Spiegel Online. 10. September 1990, abgerufen am 9. Juli 2010.
  5. Horst Wyschek: … Ein Schuss - ein Tor - DYNAMO !… In: www.elbambu.de. Archiviert vom Original am 26. Mai 2006, abgerufen am 9. Juli 2010.
  6. Völlig außer Kontrolle. In: Spiegel Online. 2. April 1990, abgerufen am 9. Juli 2010.
  7. Die Gewaltbereitschaft ostdeutscher Hooligans wird immer größer, in: taz vom 22. März 1991
  8. Gerhard Pfeil und Steffen Winter: Kampfmaschinen und Rauchbomben. In: Spiegel Online. 17. Februar 2007, abgerufen am 9. Juli 2010.
  9. a b Friedhard Teuffel: Immer auf die Fresse. In: Der Tagesspiegel. 28. Mai 2010, abgerufen am 9. Juli 2010.
  10. Ermittlungen, in: taz vom 18. Januar 1991
  11. Warum ein abgesagtes Länderspiel mehr interessiert als tödliche Polizeischüsse, in: taz vom 15. November 1990
  12. „Notwehrsituation der Polizei voelliger Unsinn“, in: taz vom 7. November 1990
  13. Radikalisierung der Fans. In: Spiegel Online. 1. August 2007, abgerufen am 9. Juli 2010.
  14. Die Ohnmacht der Mächtigen, in: taz vom 15. November 1990
  15. Leipzig: Keine Gewalt - Fussballfest fällt aus, weil es keine Trauerfeier werden soll in: taz vom 14. November 1990
  16. Fußball-Gala soll abgesagt werden - Leipzig in Sorge - Sicherheit der Besucher und Bürger gefährdet - Rowdies wollen Rache, in: Nürnberger Nachrichten vom 9. November 1990
  17. Gunnar Meinhardt: Es ist das mindeste, hier mitzugehen. In: Junge Welt. 12. November 1990, abgerufen am 9. Juli 2010.
  18. Holger Stark: Die Fans des Ost-Berliner Klubs BFC Dynamo gelten als die brutalsten der Republik. In: Der Tagesspiegel. 18. November 1999, abgerufen am 9. Juli 2010.
  19. Die intelligenten Idioten, in: taz vom 12. November 1990
  20. Mord im Zugabteil - Schalke-Fan erstochen, in: Stuttgarter Zeitung vom 24. August 1992
  21. Maja Wiens: Mike Polley Gedenkturniere. 13. August 2006, abgerufen am 9. Juli 2010.

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