Wilhelm von Hirsau

Wilhelm von Hirsau
Wilhelm von Hirsau im Schenkungsbuch von Kloster Reichenbach (Baden-Württemberg)

Wilhelm von Hirsau (* um 1030; † 5. Juli 1091) war ein Abt des Klosters Hirsau und Klosterreformer. Er war der Vater der Hirsauer Reform und stand im Investiturstreit auf der Seite des Papstes. Daneben verfasste er gelehrte Schriften über Musik und Astronomie. Für die Hirsauer Klöster schuf er in Anlehnung an die Gewohnheiten Clunys die Consuetudines Hirsauginenses.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Wilhelm von Hirsau stammte aus Bayern, wo er wahrscheinlich um das Jahr 1030 geboren wurde. Über seine Herkunft ist weiter nichts bekannt. Wilhelm erhielt, als puer oblatus den Benediktinern übergeben, seine geistliche Ausbildung zum Mönch im Emmeram-Kloster, einer Eigenkirche des Regensburger Bischofs. Otloh von St. Emmeram (* ca. 1010; † nach 1070) war der berühmte Lehrer Wilhelms.

Hier verfasste Wilhelm etwa ab der Mitte des 11. Jahrhunderts gelehrte Traktate über Astronomie und Musik, Teildisziplinen des Quadriviums, des Vierwegs innerhalb der sieben freien Künste, der septem artes liberales. Noch heute kann man in Regensburg Wilhelms berühmtes Regensburger Lehrgerät, ein steinernes Astrolabium, bewundern. Es ist ein über zweieinhalb Meter hohes Denkmal, auf dessen Vorderseite eine Astrolab-Sphaera eingraviert ist, während die Rückseite einen in den Himmel blickenden Mann zeigt, vermutlich den griechischen Astronomen und Dichter Aratos von Soloi (3. Jahrhundert v. Chr., 1. Hälfte). Besonders erwähnenswert ist, dass Wilhelm auch astronomische Beobachtungen unternahm. Für die Berechnung des Osterdatums (Computus Ecclesiasticus) musste das Frühlingsäquinoktium bekannt sein, das sich durch die Präzession verschiebt. Da er in der Literatur widersprüchliche Angaben fand, bestimmte er die Solstitien über Sonnenhöhen. Wie damals üblich, setzte er die Äquinoktien im Jahreslauf halb zwischen die Solstitien. Die aus der Zeit um 1100 überlieferten Kalender der Benediktiner, wie diejenigen des Stiftes Lambach, stimmen gut mit den nach heutigen Kenntnissen berechneten astronomischen Daten überein.

Berufung zum Abt

Im Jahr 1069 kam es zu Wilhelms Berufung zum Hirsauer Abt. In den ersten Jahren als Abt verfolgte Wilhelm das Ziel, sein Kloster von den weltlichen Gewalten weitgehend unabhängig zu machen. Dies geschah auf der Grundlage der schon seit längerer Zeit wirksamen gorzisch-lothringischen und cluniazensischen Reformbestrebungen, ganz im kirchlich-revolutionären Sinn der Zeit. Wilhelms Politik richtete sich also zunächst gegen den Calwer Grafen.

Eine Königsurkunde Heinrichs IV. (1056–1106), wohl bald nach 1070 formuliert, schuf immerhin die wichtige Beziehung zum Königtum, schrieb aber im Wesentlichen den Stand Hirsaus als gräfliches Eigenkloster fest. Ein 1073/1075 von Papst Gregor VII. ausgestelltes Privileg stellte Hirsau unter päpstlichen Schutz. Die integra libertas coenobii (ganze Freiheit des Klosters) des sog. Hirsauer Formulars, eine Urkunde König Heinrichs vom 9. Oktober 1075, deklarierte die freie Abtswahl und die freie Wahl oder Absetzung des Vogtes (freilich aus der Stifterfamilie des Klosters).

Gegen die Widerstände des Grafen Adalbert II. von Calw hatte sich Wilhelm letztlich durchgesetzt. Der Graf hatte zuvor auf seine laikale Herrschaft über das Kloster verzichtet, der König trat gleichsam an die Stelle des Grafen und unterstellte die Mönchsgemeinschaft seinem Schutz, ohne dass Hirsau ein freies, königsunmittelbares Kloster wurde. Der Graf erhielt in königlicher Bannleihe die erbliche Vogtei über Hirsau, der Abt wurde in Selbstinvestitur eingesetzt.

Die Verschärfung der Fronten im Investiturstreit mag auch Auswirkungen auf die inneren Verhältnisse im Hirsauer Kloster gehabt haben. Jedenfalls ist von Wilhelm überliefert, dass er in Hirsau die von seinem Jugendfreund Ulrich von Zell aufgezeichneten Gepflogenheiten des burgundischen Klosters Cluny einführte. Auf ihnen fußen die Consuetudines Hirsaugienses (Hirsauer Gewohnheiten), die im Rahmen der Hirsauer Reform weite Verbreitung fanden. Disziplin und Gehorsam, harte Strafen bei Übertretungen der Vorschriften und dauernde Kontrolle der Mönche zeichneten spätestens in den Jahren nach 1079 das Leben in Hirsau aus.

Parallel dazu hat man, um den Ansturm von Laien auf Hirsau in den Griff zu bekommen, das Institut der Konversen, der Laienbrüder geschaffen. Offensichtlich war Hirsau trotz oder gerade wegen der mönchischen Strenge und der asketischen Frömmigkeit für viele Menschen attraktiv. Dem Aufschwung des Klosters unter Wilhelm von Hirsau entsprach es dann auch, dass die Enge des Aureliusklosters verlassen wurde und man sich auf der gegenüberliegenden Seite der Nagold ansiedelte. Dort entstand nach 1083 die damals größte Klosteranlage in Deutschland mit der mächtigen romanischen Kirche, die den Heiligen Petrus und Paulus geweiht war.

Hirsauer Reform

Das Wirken Wilhelms war aber nicht nur auf Hirsau beschränkt. Viele Klöster, neu gegründete und alteingesessene, sollten sich der Hirsauer Reform anschließen. Neue Abteien, die von Hirsauer Mönchen besiedelt wurden, waren Zwiefalten, Blaubeuren, St. Peter, St. Georgen in Schwaben, Reinhardsbrunn in Thüringen und das Stift St. Paul im Lavanttal in Kärnten; schon bestehende Klöster, die die Hirsauer Lebensform annahmen Petershausen bei Konstanz, Schaffhausen, St. Peter in Erfurt und Comburg; Hirsauer Priorate waren Reichenbach im Murgtal, Schönrain in Franken, Fischbachau in Bayern, Kloster Paulinzella in Thüringen.

Die Hirsauer fanden also besonders in Schwaben und Franken, dann in Mittel- und Ostdeutschland ihre Anhänger. Der weiten Verbreitung der Hirsauer Reform entsprach dabei der Ruf Wilhelms in der kirchlich-politischen Propaganda des Investiturstreits. Der Hirsauer Abt war die Stütze der Gregorianer in Deutschland, in Schwaben. Er stand auf der Seite der Gegenkönige Rudolf von Schwaben (1077–1080) und Hermann von Salm (1081–1088), unter anderem war ihm die Geschlossenheit der gregorianischen Partei im deutschen Südwesten zu verdanken, vom Ruf, den das Hirsauer Kloster in den Kreisen der Kirchenreformer besaß, ganz abgesehen. Als Wilhelm am 5. Juli 1091 starb, hatte die Reformpartei in Schwaben und Deutschland mit ihm einen wichtigen Repräsentanten verloren.

Die Vita Willihelmi abbatis Hirsaugiensis bewahrt sein Andenken.

Wilhelm der Selige

Wilhelm wird häufig als „der Selige“, manchmal auch als „der Heilige“ bezeichnet. Eine Seligsprechung ist nicht datierbar. Den Überlieferungen zufolge soll er ein heiligmäßiges Leben geführt und auch Wunder gewirkt haben, doch wurde kein Heiligsprechungsprozess beantragt. In den Acta Sanctorum erscheint er unter dem 4. Juli, in anderen Seligen- und Heiligenverzeichnissen auch am 5. Juli, je nach Festlegung seines Todestages.

Quellen und Literatur

Quellen

Sekundärliteratur

  • Michael Buhlmann: Benediktinisches Mönchtum im mittelalterlichen Schwarzwald. Ein Lexikon. Vortrag beim Schwarzwaldverein St. Georgen e. V. St. Georgen im Schwarzwald, 10. November 2004 (= Vertex Alemanniae, H. 10), St. Georgen 2004, Seite 107ff.
  • Max Fischer: Studien zur Entstehung der Hirsauer Konstitutionen, Stuttgart 1910
  • Karl Greiner: Hirsau. Seine Geschichte und seine Ruinen, überarbeitet von S. Greiner, Pforzheim 14. Auflage 1993
  • Hirsau, bearbeitet von Klaus Schreiner, in: Die Benediktinerklöster in Baden-Württemberg, bearbeitet von Franz Quarthal (= Germania Benedictina, Bd. 5), Ottobeuren 1976, Seite 281–303 ISBN 3-88096-605-2
  • Wolfgang Irtenkauf: Hirsau. Geschichte und Kultur, 2. Auflage Konstanz 1966
  • Hermann Jakobs: Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im Zeitalter des Investiturstreits (= Bonner Historische Abhandlungen, Bd. 4) , Köln-Graz 1961
  • J. Köhler, Abt Wilhelm von Hirsau 1069–1091. Heiliger, Reformer, Politiker, in: Der Landkreis Calw 1982/83, Seite 3–22
  • Klaus Schreiner (Bearb.): Hirsau. St. Peter und Paul, 2 Teile (= Forschungen und Berichte der Archäologie in Baden-Württemberg, Bd. 10), Stuttgart 1991 ISBN 3-8062-0902-2
  • Wilhelm v. Hirsau, bearbeitet von Christian Berktold, in: Lexikon des Mittelalters, Band 9, Spalte 155f.
  • G. Zimmermann: Wilhelm von Hirsau, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Band 9, herausgegeben von Max Miller und Robert Uhland, Stuttgart 1963, Seite 1–17
  • Ernst Zinner: Entstehung und Ausbreitung der coppernicanischen Lehre, 2. Aufl. München 1988, ISBN 340632049X

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