Sergei Adamowitsch Kowaljow

Sergei Adamowitsch Kowaljow
Sergei Adamowitsch Kowaljow

Sergei Adamowitsch Kowaljow (russisch Сергей Адамович Ковалёв; * 2. März 1930 in Seredina-Buda, Oblast Sumy, Ukraine) war ein sowjetischer Dissident und ist heute ein russischer Politiker. Der Biologe gab ein Samisdat heraus, war von 1990 bis 2003 Parlamentsabgeordneter und von 1993 bis 1995 Vorsitzender der Menschenrechtskommission im Kabinett des russischen Präsidenten.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Beruf

1932 zog die Familie nach Moskau. 1954 schloss er ein Studium an der Biologischen Fakultät der Staatlichen Universität Moskau ab, promovierte 1964. Bis 1970 forschte er an der Moskauer Universität auf den Gebieten Biologie und Biophysik. Insgesamt veröffentlichte er über 60 wissenschaftliche Arbeiten.

Dissident

1956 protestierte er mit Freunden auf dem Moskauer Puschkin-Platz gegen die sowjetische Intervention in Ungarn. 1962 beteiligte er sich an der Wissenschaftsopposition gegen den stalinistischen Chefbiologen Trofim Lyssenko. 1966 stellte er sich als Zeuge für die Verteidigung im politischen Prozess der russischen Schriftsteller Andrei Sinjawski und Juli Daniel zur Verfügung. 1968 sammelte er an seinem Institut Unterschriften gegen die Inhaftierung von Dissidenten, die gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei demonstriert hatten, trat als Zeuge bei deren Prozessen auf.

1969 schloss er sich der Initiative Gruppe für den Schutz der Menschenrechte in der UdSSR an. 1971 wurde er Mitherausgeber der im Samisdat verfassten Chronik der laufenden Ereignisse (russisch Chronika tekuschtschich sobyti), die Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion aufzeigte. Er schloss Freundschaft mit Andrei Sacharow, verfasste Petitionen an die UNO, wurde 1974 Mitglied der sowjetischen Sektion von Amnesty International. Sein Sohn und seine Schwiegertochter unterstützten seine Aktivitäten.

Im Dezember 1974 wurde er verhaftet. 1975 wurde er in Vilnius, Litauen wegen antisowjetischer Aktivitäten und Propaganda zu sieben Jahren Arbeitslager und drei Jahren Verbannung verurteilt. Die Haft verbüßte er im Lager in Perm und dem Gefängnis Tschistopol; die Verbannung im Dorf Matrossowo an der Kolyma. Danach zog er in die Stadt Kalinin (heute Twer). Sohn und die Schwiegertochter erfuhren ein ähnliches Schicksal. 1987 durften die Kinder in die USA ausreisen, Kowaljow nach Moskau zurückkehren. Dort bekam er eine Arbeitsstelle am Institut für Probleme des Informationstransfers der Akademie der Wissenschaften der UdSSR.

Politiker

Er gründete 1987 gemeinsam mit anderen Menschenrechtlern den Presseclub Glasnost. 1988 wurde er Leiter der Projektgruppe für Menschenrechte der internationalen Stiftung Für das Überleben und die Entwicklung der Menschheit. 1989 kandidierte er auf Anregung Sacharows für die russische Menschenrechtsorganisation Memorial erfolgreich für den Obersten Sowjet der Russischen Föderation, war von 1990 bis 1993 Vorsitzender des parlamentarischen Komitees für Menschenrechte, zugleich wurde er Leiter der russischen Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission in Genf.

1993 wurde er für das radikaldemokratische Bündnis Wahl Russlands erneut in das russische Parlament gewählt, nahm maßgeblich Einfluss auf den Bürgerrechtskatalog in der russischen Verfassung, die Rechte und Freiheiten der Menschen und der Bürger, wurde erneut Vorsitzender des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses. Boris Jelzin ernannte ihn im gleichen Jahr zum Vorsitzenden der Menschenrechtskommission im Kabinett des Präsidenten. Er ging auf Inspektionsreisen in die sibirischen Straflager, ins tschetschenische Grosny, verfasste Vorlagen zur Humanisierung des russischen Strafvollzugs.

Im Januar 1995 (?) initiierte er einen kurzzeitigen Waffenstillstand in Tschetschenien. Nach scharfer Kritik an den Übergriffen der russischen Armee im Ersten Tschetschenienkrieg entzog ihm das Parlament im März 1995 mit 240 zu 75 Stimmen den Vorsitz des Menschenrechtsausschusses. Im gleichen Jahr trat er aus Protest gegen die Tschetschenienpolitik aus dem Kabinett Jelzins zurück, beschuldigte den Präsidenten, für die Eskalation des Konflikts verantwortlich zu sein.

1995 und 1999 wurde er als liberaler Abgeordneter der russischen Duma wiedergewählt. Von 1996 bis 2003 war er Mitglied der russischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Seit 1996 ist er Präsident des Menschenrechtsinstituts Russlands. 2000 nahm er am Internationalen öffentlichen Tribunal Vilnius teil, das die Verbrechen des Kommunismus bewerten sollte. 2002 initiierte er eine öffentliche Kommission, um die Hintergründe der Sprengstoffanschläge auf Moskauer Wohnhäuser 1999 zu beleuchten.[1] Nachdem die Kommission behauptet hatte, dass nicht tschetschenische Terroristen, sondern der russische Inlands-Geheimdienst FSB hinter dem Anschlag stünde, wurden führende Kommissionsmitglieder entweder ermordet (Sergej Juschenkow)[2], in politisch motivierten Verfahren verurteilt (Michail Trepaschkin)[3], kamen unter widrigen Umständen ums Leben (Juri Schtschekotschichin)[4][5] oder brutal zusammengeschlagen (Otto Lacis)[6].

Auszeichnungen

Privates

Kowaljows Gesundheit ist seit seinem langjährigen Aufenthalt im Arbeitslager angeschlagen. Im Juli 1996 erlitt er einen schweren Herzinfarkt.

Er ist mit der Rechtsanwältin Ludmila Jurjewna Boizowa verheiratet. Sie haben einen Sohn und zwei Töchter, Iwan, Marija und Warwara.

Schriften

  • S.A. Kovalev et al.: Rossiiskij bjulleten' po pravam čeloveka. Memorial, Moskva 1991, ISBN 5-87106-020-X
  • Sergej Kowaljow: Der Flug des weißen Raben: Von Sibirien nach Tschetschenien: Eine Lebensreise. Rowohlt Berlin, Berlin 1997, ISBN 3-87134-256-4
  • Sergej A. Kowaljow: Russlands schwieriger Weg und sein Platz in Europa. Collegium Europaeum Jenense, Jena 1999, ISBN 3-933159-05-9
  • Roger Hood, Sergei Kovalev: The death penalty: Abolition in Europe. Council of Europe Pub., Strasbourg 1999, ISBN 92-871-3874-5
  • Sergej Kovalev: Pragmatika političeskogo idealizma. Institut prav čeloveka, Moskva 1999
  • S.A. Kovalev: Mir, strana, ličnost' . Izograf, Moskva 2000, ISBN 5-87113-085-2

Quellen

  1. Webseite zur Kommission und ihren Ergebnissen
  2. Russischer Parteiführer erschossen Auf: faz.net vom 17. April 2003
  3. Der Fall Trepaschkin bei Amnesty International Stand: Juni 2006
  4. Tödliche Quittung für die Kritik In: Bietigheimer Zeitung vom 22. November 2006
  5. Große politische Morde (russisch) Auf: grani.ru vom 12. Oktober 2006
  6. www.newsru.com/russia/11nov2003/otto.html (auf Russisch)
  7. Sacharow-Preis 2009 geht an russische Bürgerrechtsorganisation „Memorial“

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