Martin Margiela

Martin Margiela
Maison Martin Margiela Etikett

Martin Margiela (* 9. April 1957 in Löwen) ist ein belgischer Modedesigner, der durch seine intellektuell-avantgardistische Mode internationale Bekanntheit erzielte.

Das von ihm 1988 in Paris gegründete Unternehmen für Damen- und Herren-Mode, Maison Martin Margiela, welches seit 2002 im Besitz der italienischen DIESEL-Gruppe ist, wird seit Ende 2009 ohne Margiela geführt.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Martin Margiela studierte an der Antwerpener Königlichen Akademie der Schönen Künste, wo er 1981 seinen Abschluss machte. Er wird oft mit den Antwerp Six assoziiert, einer Generation von sechs Modemachern (Dries van Noten, Dirk Bikkembergs, Ann Demeulemeester, Walter van Beirendonck, Dirk Van Saene und Marina Yee), die den Ruf der Belgier als Konzeptionalisten begründeten.[1] In den ersten Jahren arbeitete Margiela zunächst als Stylist. Von 1984 bis 1987 war er Assistent von Jean-Paul Gaultier. 1988 gründete er zusammen mit Jenny Meirens (* 1945), einer Brüsseler Einzelhändlerin, das Maison Martin Margiela als Neuf S.A.S. 1997 ernannte der damalige CEO von Hermès, Jean-Louis Dumas-Hermès, Margiela überraschend zum Chefdesigner der Damenmode des Hauses, wo ihn 2004 Jean-Paul Gaultier ablöste.[2][3]

Margiela gilt als Modernist und Dekonstruktivist: Bereits existente, recyclete Kleidungsstücke werden auseinander genommen und neu zusammengesetzt, die Nähte nach außen gewendet. Als er in den späten achtziger Jahren damit begann, galt seine Vorgehensweise als spektakulär: Er machte sichtbar, was in der Mode bisher verborgen geblieben war – ihren Konstruktionscharakter.[4] Übergroße Ärmel setzte er an zu schmalen Schulterpartien an, aus alten Damenhandschuhen fertigte er Blusen, aus VHS-Magnetbändern elegante Stolen, Westen aus einzelnen Stoffteilen hielt er mit braunem Klebeband zusammen. Eines seiner Markenzeichen sind Huf-ähnliche Schuhe in Tabi-Form. Margiela wurde mit den japanischen Avantgarde-Designern Rei Kawakubo und Yohji Yamamoto verglichen.[5][6][7] Die Gesichter der Models, die seine Mode auf den Laufstegen präsentierten, ließ er meist verhüllt, bspw. durch Schleier, Strumpfmasken, die eigenen Haare oder Sonnenbrillen.[8][9] In den Katalogen verdeckten Zensur-Balken die Gesichter der Models, um die Mode herauszustellen und nicht etwa die Mannequins.[10] 1998 wurde erstmals Herren-Mode von Margiela präsentiert. Für die Modenschau-Gala anlässlich des 40-jährigen Jubiläums von Designer-Kollegin Sonia Rykiel 2008, zu welchem zahlreiche renommierte Modeschöpfer eigene Entwürfe beisteuerten, kreierte Margiela einen Mantel im Perücken-Stil, der nicht nur auf die rotblonde Haarpracht von Sonia Rykiel, sondern auch auf Margielas Aufwachsen "in einem Limburger Elternhaus mit dem Handel von Perücken und Parfums" anspielte.[11][12] Perücken tauchten als Motiv immer wieder in Margielas Entwürfen auf.

Margielas Lieblings-Farbe weiß findet sich auch in seinem Pariser Atelier und den eigenen Boutiquen wieder, bspw. durch weiß übermalte antike Möbel bis hin zum weiß lackierten Kaffee-Automaten, weiß getünchte Wände oder schlicht-weiße Verpackungsmaterialien (Einkaustaschen).[13]

Margiela war dafür bekannt, sich nicht fotografieren zu lassen und auch keine persönlichen Interviews zu geben.[14] In sonstigen Interviews, die per Fax geführt wurden, sprach Margiela selbst über sich bescheiden in der dritten Person Singular ("er") und sonst vom Maison Martin Margiela in der ersten Person Plural ("wir").[15] Bei seinen Modenschauen erschien er nicht auf dem Laufsteg. Dies sollte den Fokus weg von der Person des Designers, hin auf die Kreationen selbst lenken. Die Unternehmens-Kommunikation wurde ebenso größtenteils per Fax betrieben. Dabei wird bis heute, auch auf der eigenen Webseite, ausschließlich die Schreibmaschinenschrift Courier verwendet. Es existiert in den Medien offenbar nur ein einziges, 2008 von der New York Times veröffentlichtes, neueres Foto von ihm.[16]

Durch zahlreiche Ausstellungen, bspw. in Museen, war Margiela in der Kunstwelt fest etabliert. Eine Übersichtsschau seines 20-jährigen Schaffens war vom 20. März – 1. Juni 2009 im Haus der Kunst in München, zu sehen.[17][18][19][20]

Unternehmen und Marke

Maison Martin Margiela Etikett in einer Herrenhose der Kollektion 10
Maison Martin Margiela Etikett in einem Herrenpullover der Kollektion 10

Maison Martin Margiela kennzeichnet die eigenen Produkte mit einem schlichten Etikett aus "Baumwollwäschebändern", das mit weißen Heftfaden-Stiche an seinen vier Ecken im Kleidungsstück befestigt ist, welche bei ungefütterten Artikeln von außen sichtbar sind.[21] Margielas ursprüngliche Idee war es, dass Kunden dieses Etikett nach dem Kauf herausschneiden würden. Tatsächlich fungieren die vier weißen Heftstiche eher als Erkennungszeichen oder gar Statussymbol.

Die Mitarbeiter in den Margiela-Boutiquen, im Design-Studio und im Backstage-Bereich bei Modenschauen tragen weiße Laborkittel, wie es in den Ateliers der großen Couturiers, bspw. Christian Dior, früher gängig war und auch heute teils noch üblich ist. Die Modenschauen für die hochpreisige Mode finden an unkonventionellen Orten, bis hin zu schäbigen Umgebungen statt. Die Boutiquen sind in schlichtem weiß und grau gehalten. Ursprünglich hatte Margiela dafür unspektakuläre Locations, wie bspw. ein Wohngebiet in Tokio, ausgewählt und die Adressen der Boutiquen nicht veröffentlicht, um den Kunden etwas Anstrengung abzuverlangen, das Geschäft überhaupt zu finden. Diese Praktik wurde schließlich von DIESEL aus kommerziellen Gründen zurückgefahren. Das erste Margiela-Geschäft eröffnete 2000 in Tokio, die erste europäische Boutique wurde 2002 in Brüssel eingeweiht. 2008 eröffnete eine Boutique in einem Kellergeschoss am Rand der Münchener Maximilianstraße. 2010 bestanden weltweit 36 eigene Geschäfte.[22]

Seit 2002 (seit 2005 zu 100%) ist das vormals finanziell unabhängige Maison Martin Margiela Teil der 'Only The Brave' Holding des italienischen Unternehmers Renzo Rosso, zu der u.a. auch die Marken DIESEL, 55DSL, Dsquared² und Viktor & Rolf gehören. Margiela hatte sein Unternehmen an Renzo verkauft. Bis auf die Artisanal-Kollektion werden seit der Übernahme alle Artikel von Maison Martin Margiela von der italienischen Produktionsfirma Staff International in Italien ("Made in Italy") gefertigt, welche auch für Dsquared² und Viktor & Rolf sowie in Lizenz für Marc Jacobs (Herrenkollektion) und Vivienne Westwood (Herrenkollektion und Red Label) Mode und Accessoires produziert und seit 2000 ebenso zum DIESEL-Konzern gehört.[23]

Seit 2006 ist das Maison Martin Margiela, wie auch Valentino und Giorgio Armani, korrespondierendes Mitglied ("membre correspondant") der Fédération Française de la Haute Couture und zeigt während der Pariser Haute Couture Modenschauen eine nicht-öffentliche Präsentation der eigenen Artisanal-Kollektion.[24] 2002, vor der Übernahme durch DIESEL, betrug der Umsatz von Maison Martin Margiela € 18 Mio.; 2009 waren es € 70 Mio. Hauptabsatzmarkt sind die USA, gefolgt von Frankreich und Italien. 60% des Umsatzes entfällt auf Damenmode. Margiela-Mode ist im oberen Preissegment angesiedelt.

Im Dezember 2009 wurde bekannt gegeben, dass Margiela sein eigenes Label verlässt.[25][26] Margielas Sinn für avantgardistische Kreativität und DIESELs Drängen nach kommerzieller Expansion standen zueinander im Konflikt. Zuvor soll Margiela seinem Kollegen Raf Simons vergebens die Stelle des Chefdesigners angeboten haben. Seither übernimmt ein internes Design-Team, dessen Mitglieder größtenteils noch mit Margiela selbst zusammengearbeitet hatten, die Kreation der Kollektionen.

Das erste Parfüm des Hauses, ein Unisex-Duft namens 'untitled' (dt. 'Ohne Titel'), wurde noch von Margiela selbt konzipiert und 2010 in Zusammenarbeit mit L'Oréal lanciert.[27]

Kollektionen

Die einzelnen Kollektionen unterscheidet das Maison Martin Margiela durch eine jeweils in einem schwarzen Kreis dargestellte schwarze Ziffer der Reihe 0 bis 23, wobei bislang nicht jede Ziffer besetzt ist. Diese Kennzeichnung findet sich seit 1997 auch in den im Kleidungsstück eingenähten weißen Etiketten wieder. Zuvor waren die Etiketten komplett weiß, wie es bis heute in der Laufsteg-Kollektion ("Defilé") erhalten blieb.

Margiela-Kollektionen
Artisanal Damen Herren Accessoires/Schuhe Weitere
  • 0 - Haute Couture Kollektion (im Pariser Atelier aus alten Stoffen/Materialien in geringer Stückzahl handgefertigte Kleidung für Damen/Herren, seit 1989)
  • " " - Laufsteg-Kollektion (ganz weißes Etikett, seit 1988, eigene Linie seit 2008)
  • 1 - Hauptkollektion (seit 1998, vormals weißes Etikett bis 2008 Laufsteg-Kollektion ausgegliedert wurde)
  • 4 - Zweitlinie (seit 2004, nach dem Ausscheiden Margielas bei Hermès)
  • MM6 - Sportswear (Kleidung, Schuhe, Accessoires, seit 1997, bis 2004: 6)
  • 10 - Hauptkollektion (seit 1998)
  • 14 - Zweitlinie (seit 2005)
  • 11 - Accessoires (Damen/Herren, seit 2005)
  • 22 - Schuhe (Damen/Herren, seit 1998)
  • 3 - Parfüm-Kollektion (seit 2010)
  • 8 - Brillenkollektion (seit 2008)
  • 12 - Schmuck-Kollektion (seit 2009)
  • 13 - Bücher, (Kunst-)Objekte, Kataloge, Magazine (seit 1998)

Die Ziffer 20 im Kreis wurde für die Ausstellung anlässlich des 20-jährigen Firmenjubiläums 2008 verwendet.

Seit 1993 präsentierte Margiela jährlich ein mit Text versehenes, einfarbgiges "AIDS-T-Shirt", dessen Erlöse zu einem Teil der französischen Aids-Hilfe AIDES zugute kamen.

Niederlassungen

  • 23, rue de Montpensier Paris 75001 Frankreich
  • 114, rue de Flandre 1000 Brüssel, Belgien
  • 2-8-13 Ebisu Minami, Shibuya Tokyo 150-0022 Japan
  • 1-9 Bruton Place Mayfair, London W1J 6NE
  • 803 Greenwich Street, New York 10014 USA
  • 9970 South Santa Monica Blvd, Beverly Hills CA 90212
  • 3F, N°300, Sec.3, Jhongsiao E road, Taipei Taiwan
  • Via della Spiga, 46 20121 Mailand, Italien
  • Maximilianstraße 34, München, Deutschland
  • und weitere

Einzelnachweise

  1. Am Martinstag der Modewelt, FAZ, 1. Oktober 2008
  2. At the ateliers, The New Yorker (engl.), 30. März 1998
  3. Gaultier wird Designer bei Hermès, Textilwirtschaft, 19. Mai 2003
  4. Katrin Kruse, Namenlose Sichtbarkeit, ZEIT ONLINE, 8. Juni 2006
  5. Maison Martin Margiela (& Rai Kawakubo), okashii-gallery.blogspot.com, 17. August 2010
  6. Welcome to the world of Maison Martin Margiela, ablogcuratedby.com (engl.), 1. Februar 2010
  7. Maison Martin Margiela: The Book, lbamex.blogspot.com (engl.), 17. Januar 2010
  8. München feiert den Kleidermörder, freitag.de, 26. März 2009
  9. Paris: Maison Martin Margiela, Les Mads, 30. September 2008
  10. Die Codes des Unsichtbaren, stylepark.com, 27. August 2009
  11. Margiela channels Rykiel, New York Times (engl.), 4. Oktober 2008
  12. Am Martinstag der Modewelt, FAZ, 1. Oktober 2008
  13. http://www.dasmagazin.ch/index.php/das-unbekannte-gesicht/ (Archivversion vom 23. November 2010), dasmagazin.ch, 26. September 2008
  14. Namenlose Sichtbarkeit, Die Zeit, 12. Juli 2006
  15. Maison Martin Margiela, muenchen.bayern-online.de, März 2009
  16. Fashion's Invisible Man, The New York Times (engl.), 1. Oktober 2008
  17. Maison Martin Margiela - '20' - Haus der Kunst, lealoves.blogspot.com, 19. März 2009
  18. Metropolis vom 4. April 2009, arte.tv, 4. April 2009
  19. Birgit Sonna, Exaltierte Nähte und Ponys, Art-Magazin.de, 23. März 2009
  20. Martin Margiela - Der letzte Schrei, Süddeutsche Zeitung, 20. März 2009
  21. Der Konstrukteur - Maison Martin Margiela, elle.de, abgerufen: 18. September 2010
  22. Margiela ohne Martin, Textilwirtschaft, 4. März 2010
  23. Staff International: Brands, staffinternational.com, abgerufen: 30. September 2010
  24. Das Mysterium Margiela, Die Zeit, 11. Juli 2009
  25. Margiela verlässt Margiela, Textilwirtschaft, 10. Dezember 2009
  26. Martin Margiela verlässt seine Marke, FAZ, 11. Dezember 2009
  27. Martin Margielas duftendes Vermächtnis, Die Welt, 3. März 2010

Weblinks


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