Krefelder Appell

Krefelder Appell
Petra Kelly, Vertreterin der Krefelder Initiative, bei Künstler für den Frieden, Bochum

Der Krefelder Appell war ein Aufruf der westdeutschen Friedensbewegung an die damalige Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa (NATO-Doppelbeschluss) zurückzuziehen und innerhalb der NATO auf eine Beendigung des atomaren Wettrüstens zu drängen. Er wurde am 16. November 1980 öffentlich vorgestellt und bis 1983 von über vier Millionen Bundesbürgern unterzeichnet. Er repräsentierte den „Minimalkonsens" verschiedener Gruppen innerhalb der Friedensbewegung, als Nahziel die „Nachrüstung" zu verhindern.

Inhaltsverzeichnis

Initiatoren

Der Appell war das Ergebnis des zweitägigen „Krefelder Forums" vom 15. und 16. November 1980. Eingeladen dazu hatten einige Vertreter der Kampf dem Atomtod-Bewegung von 1957/58 - Martin Niemöller, Helmut Ridder, Karl Bechert und Gösta von Uexküll - zusammen mit Vertretern der „neuen" Friedensbewegung - u.a. Petra Kelly, Gert Bastian, Christoph Strässer. An dem Treffen nahmen zur Überraschung der Initiatoren etwa 1500 Personen verschiedener außerparlamentarischer Initiativen, aber auch Jungsozialisten und Jungdemokraten teil, die dann den Text des Appells gemeinsam beschlossen. Der Entwurf stammte von Josef Weber, einem Direktoriumsmitglied der Deutschen Friedensunion, und dem ehemaligen Bundeswehrgeneral Gert Bastian. Unter den Erstunterzeichnern des Appells war neben den Initiatoren auch die Schriftstellerin Luise Rinser.[1]

Inhalte

Der öffentlich vorgestellte und dann bundesweit verbreitete Text stand unter der Überschrift: Der Atomtod bedroht uns alle - keine neuen Atomraketen in Europa! In vielen Druckversionen war nicht nur von neuen, sondern allgemein von „Atomraketen“ die Rede. Der anzunehmende Konsens der Unterzeichner bezog sich daher nicht nur auf die Ablehnung neuer westlicher, sondern aller europäischen Atomraketen. Er griff die Parole der 1950er Jahre „Kampf dem Atomtod!“ bewusst auf, die sich ebenfalls gegen die Atombewaffnung beider Blöcke gewandt hatte und dazu zunächst die Atombewaffnung der Bundeswehr und der NATO aufhalten wollte.

Der Appell richtete sich primär an die Bundesregierung und forderte sie auf,

  • die Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen;
  • im Bündnis künftig eine Haltung einzunehmen, die unser Land nicht länger dem Verdacht aussetzt, Wegbereiter eines neuen, vor allem die Europäer gefährdenden nuklearen Wettrüstens sein zu wollen.

Zudem wurde die westdeutsche Bevölkerung aufgefordert,

...diesen Appell zu unterstützen, um durch unablässigen und wachsenden Druck der öffentlichen Meinung eine Sicherheitspolitik zu erzwingen, die
  • eine Aufrüstung Mitteleuropas zur nuklearen Waffenplattform der USA nicht zulässt
  • Abrüstung für wichtiger hält als Abschreckung
  • die Entwicklung der Bundeswehr an dieser Zielsetzung orientiert.

Begründet wurde dies damit, dass keine rechtzeitige Abrüstungsvereinbarung zwischen Sowjetunion und USA mehr zu erwarten sei, da der neue US-Präsident Ronald Reagan die vorgesehenen Genfer Abrüstungsverhandlungen auf unbestimmte Zeit verschoben und die Ratifizierung der SALT-II-Verträge ausgesetzt hatte:

Immer offensichtlicher erweist sich der Nachrüstungsbeschluss der NATO vom 12. Dezember 1979 als verhängnisvolle Fehlentscheidung. Die Erwartung, wonach Vereinbarungen zwischen den USA und der Sowjetunion zur Begrenzung der eurostrategischen Waffensysteme noch vor der Stationierung einer neuen Generation amerikanischer nuklearer Mittelstreckenraketen in Westeuropa erreicht werden könnten, scheint sich nicht zu erfüllen.

Stattdessen sei ein neuer „selbstmörderischer Rüstungswettlauf“ wahrscheinlich, der dann nicht mehr gestoppt werden könne:

...seine zunehmende Beschleunigung und offenbar konkreter werdende Vorstellungen von der scheinbaren Begrenzbarkeit eines Nuklearkrieges müssten in erster Linie die europäischen Völker einem untragbaren Risiko aussetzen.

Die Ablehnung der Raketenstationierung durch Bundesregierung und Bevölkerung sollte die laufende Diskussion um „Möglichkeiten einer alternativen Sicherheitspolitik“ berücksichtigen:

Solche Überlegungen sind von großer Bedeutung für den demokratischen Prozess der Willensbildung und können dazu beitragen, dass unser Volk sich nicht plötzlich vollzogenen Tatsachen gegenübergestellt sieht.

Wirkung

Schon nach sechs Monaten hatten rund 800.000 Menschen den Appell unterschrieben, bis 1983 sogar über vier Millionen. Auch nach dem Stationierungsbeschluss der Bundestagsmehrheit von 1982 unterschrieben nochmals zehntausende Bürger den Aufruf.

Dieser stieß jedoch schon bald nach seinem Erscheinen auf Ablehnung der im Bundestag vertretenen Parteien sowie des DGB. Sie kennzeichneten die Unterzeichner vielfach als „nützliche Idioten“ der SED und ihrer westdeutschen Ableger wie der DKP. Häufig wurde behauptet, der Appell sei von Ost-Berlin aus in die Wege geleitet und finanziert worden. Das Bundesverteidigungsministerium unter Hans Apel ließ Broschüren verteilen, wonach alle Initiatoren des Appells finanziell von der Sowjetunion (nicht der SED) abhängig seien.

Aber auch Erhard Eppler, der solche Diffamierungsversuche ablehnte und die inhaltlichen Forderungen des Appells teilte, unterzeichnete ihn nicht, weil der Mitautor Josef Weber „noch nie gegenüber der anderen Seite Nein gesagt“ habe.[2] Diese Kritik teilten viele, auch wenn sie der Friedensbewegung sonst positiv gegenüberstanden. SPD und Gewerkschaften traten darum am 9. Dezember 1980 mit dem fast wortgleichen Bielefelder Appell an die Öffentlichkeit, der jedoch kaum Unterstützung fand.

Weder wurde der Krefelder Appell nur von DKP-nahen Autoren initiiert noch ließ sich seine Breitenwirkung aus einer organisatorischen Nähe zur DKP und entsprechenden propagandistischen Absicht erklären. Anders als die Autoren erwartet hatten, fand er auch weit über die traditionellen Ostermarsch-Gruppen und außerparlamentarischen Bürgerinitiativen hinaus Zustimmung, da er zum Ausdruck brachte, was damals viele Menschen unabhängig von weltanschaulichen und politischen Differenzen befürchteten. Er erwies sich als geeignete Plattform für ein breites Bündnis innerhalb der vielfältigen Friedensbewegung. Damit diente er zur Verständigung auf ein gemeinsames Nahziel, aber auch als Diskussionsbasis für eine alternative Friedenspolitik unter der Vorgabe: „Abrüstung ist wichtiger als Abschreckung“.

Nachdem die Nachrüstung beschlossen war und durchgeführt wurde, war dem Krefelder Appell jedoch die Basis entzogen, so dass er fortan nicht mehr bündelnd wirken konnte. Dies hatten viele Gruppen der Friedensbewegung vorausgesehen und den Appell ihrerseits aus unterschiedlichen Motiven heraus kritisiert. Weitergehende Forderungen, z.B. Entmilitarisierung ganz Europas (antimilitaristisch), Austritt aus der NATO (antiimperialistisch), „Ohne Rüstung leben" (kirchlich-pazifistisch) etc., waren jedoch nicht konsensfähig.

Die Resonanz der westdeutschen Friedensbewegung wird als ein Faktor angesehen, der ostdeutsche Friedensgruppen ermutigt habe, entsprechende Abrüstungs- und Entmilitarisierungsschritte von der DDR-Regierung zu fordern und dies - etwa mit dem Aufnäher Schwerter zu Pflugscharen - auch nach außen zu tragen. Gert Bastian und Petra Kelly traten als Wortführer der Grünen für eine „blockfreie Friedensbewegung" in ganz Europa ein und unterstützten bei einem Treffen mit DDR-Staatschef Erich Honecker offen die staatsunabhängigen ostdeutschen Friedensinitiativen. Deshalb gibt es auch die Ansicht, dass eher Versuche der DKP-nahen Gruppen, die Friedensbewegung für sowjetische Interessen zu instrumentalisieren, gescheitert seien.

Einzelnachweise

  1. Christoph Strässer: Der Krefelder Appell, in: Hans A. Pestalozzi: Frieden in Deutschland. Die Friedensbewegung, wie sie wurde, was sie ist, was sie werden kann, Wilhelm Goldmann Verlag, München 1982, S. 87ff
  2. Christoph Strässer, Der Krefelder Appell, in: Hans A. Pestalozzi, Friedensbewegung in Deutschland S. 87

Literatur

  • Rudolf van Hüllen: Der Krefelder Appell in: Jürgen Maruhn und Manfred Wilke (Hrsg.): Raketenpoker um Europa. Das sowjetische SS 20-Abenteuer und die Friedensbewegung. Bayerische Landeszentrale für politische Bildung, München, S. 216-253
  • Michael Ploetz und Hans-Peter Müller: Ferngelenkte Friedensbewegung? DDR und UdSSR im Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluss. Münster 2004, S. 301-314
  • Hans A. Pestalozzi (Hrsg.): Friedensbewegung in Deutschland. Goldmann TB 11341, ISBN 3-442-11341-5 (S. 87-92: Christoph Strässer: Der Krefelder Appell)

Weblinks


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