Ostermarsch

Ostermarsch

Der Ostermarsch ist eine politische Protestaktion der Friedensbewegung, deren Ursprünge auf britische Atomwaffengegner in den 1950er Jahren zurückgehen. Zu Beginn der 1960er Jahre wurde die Ostermarschbewegung von Konrad Tempel auch in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt, neben anderen unterstützt von Helga Stolle und Andreas Buro. Nach Tempel wurde Buro 1964 zum Sprecher der Kampagne ernannt, Klaus Vack wurde Organisationssekretär (beide bis 1969). Ihren zweiten Aufschwung und Höhepunkt erlebten die Ostermärsche von 1979 bis 1983 in der Bewegung gegen die Neutronenbombe und die neuen Mittelstreckenraketen (NATO-Doppelbeschluss). Bis in die Gegenwart haben sich die Ostermärsche als regelmäßige, alljährlich um die Osterfeiertage herum stattfindende Demonstrationsform der Friedensbewegung etabliert, sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Mitgliedsstaaten der NATO.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Anstöße für Marsch-Aktionen sind sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland von Friedensaktivisten der War Resisters’ International ausgegangen. Deren Selbstverpflichtung lautete: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin deshalb entschlossen, keine Art von Krieg weder direkt noch indirekt zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“

Das Direct Action Committee Against Nuclear War engagierte sich in gewaltfreien Aktionen, „um den totalen Verzicht auf den Atomkrieg und seine Waffen als einen ersten Schritt zur Abrüstung durch Großbritannien und alle anderen Länder zu erreichen“ („to assist the conducting of non-violent direct action to obtain the total renunciation of nuclear war and its weapons by Britain and all other countries as a first step in disarmament“), und war Gründungsmitglied der britischen Campaign for Nuclear Disarmament (CND). Diese organisierte Ostern 1958 einen Marsch von London zum Atomforschungszentrum Aldermaston (Aldermaston March) und mobilisierte dabei rund 10.000 Menschen gegen die nukleare Aufrüstung. Hieraus entwickelte sich eine Tradition solcher Demonstrationsmärsche zu Ostern in verschiedenen westeuropäischen Ländern.

Ostermärsche in der Bundesrepublik Deutschland

Vorgeschichte

Der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer erklärte am 5. April 1957 auf einer Pressekonferenz, die neue Generation von taktischen Nuklearwaffen sei „nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie. Selbstverständlich können wir nicht darauf verzichten, dass unsere Truppen auch in der normalen Bewaffnung die neueste Entwicklung mitmachen.“ [1] Er bezog sich dabei auf eine neue militärische Doktrin des US-amerikanischen Verteidigungsministers Charles Erwin Wilson, der neben dem Einsatz strategischer Nuklearraketen („massive Vergeltung“) auch einen Einsatz taktischer Atombomben unterhalb der „Armageddon-Schwelle“ als eine strategische Option formuliert hatte („abgestufte Abschreckung“). Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte von den USA den alleinigen Zugriff von Atomsprengköpfen verlangt, die geeignet waren zum Abschuss durch Artillerie mit einer Reichweite von 15 bis 20 Kilometern. Diese Option versuchte die Adenauerregierung im Rahmen der Wiederbewaffnung der BRD durchzusetzen. Jedoch scheiterte dieses Ansinnen. Die Alliierten, und vor allem die USA, verweigerten dies. Bis heute liegt ein Teil der atomaren Sprengköpfe, gemeinsam bewacht von Deutschen und Amerikanern, in Deutschland, und der Abzug dieser Atomsprengköpfe ist noch immer eine Forderung der Friedensbewegung.

Gegen diese geplante Aufrüstung formierte sich, mit Unterstützung der SPD und der Gewerkschaften, die Kampagne Kampf dem Atomtod. Doch weder die breite Ablehnung innerhalb der Bevölkerung, noch die von den Kirchen, den Gewerkschaften und der SPD mitgetragenen großen Massenaktionen im Jahr 1958 vermochten einen Aufrüstungsbeschluss des Bundestages am 25. März 1958 zu verhindern oder rückgängig zu machen. Am 17. April 1958 fanden Demonstrationen in Bremen, Kiel, München, Mannheim, Dortmund Essen und Hamburg statt. In der Hansestadt standen die meisten städtischen Verkehrsmittel fast eine Stunde still, um ihren Mitarbeitern die Teilnahme zu ermöglichen. Im Anschluss an diese größte politische Demonstration der Nachkriegszeit mit weit über 120.000 Teilnehmenden fand die erste deutsche „Mahnwache“ statt, mit der der Hamburger Aktionskreis für Gewaltlosigkeit (Mitglieder der WRI) 14 Tage und Nächte gegen die geplante Atombewaffnung protestierten (hier entstand der Begriff „Mahnwache“).[2]

Die SPD zog sich jedoch aus der Kampagne zurück, nachdem die CDU die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 6. Juni 1958 haushoch gewonnen und die Bundesregierung es geschafft hatte, die Kampagne als kommunistisch gesteuertes Sicherheitsrisiko für Westdeutschland zu diffamieren.

Die Ostermärsche und ihre Ziele

Erster gesamtdeutscher Ostermarsch am ehemaligen Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße in Berlin, 1990
Klaus der Geiger auf dem Ostermarsch 2006 in Düsseldorf
Ostermarsch München 2006
Ostermarsch München 2006

In der Bundesrepublik Deutschland wurden die ersten Ostermärsche aus dem pazifistischen Aktionskreis für Gewaltlosigkeit (im Verband der Kriegsdienstverweigerer Hamburg / WRI, siehe oben) heraus angeregt, nachdem Pressemeldungen den Beginn der Erprobung von Honest-John-Atomraketen in der Nähe des ehemaligen KZ Bergen-Belsen gemeldet hatten. Konrad Tempel, wie seine spätere Frau Helga Stolle Korrespondent von PEACE NEWS, befreundet mit Mitgliedern des Direct Action Committees und Quäker, konnte pazifistische Gruppen in Hamburg, Bremen, Hannover und Braunschweig für einen norddeutschen mehrtägigen Sternmarsch gewinnen. Die Demonstration endete am Ostermontag 1960 mit rund 1.200 Teilnehmern beim Truppenübungsplatz Bergen-Hohne.

Der Protest richtete sich anfänglich ausschließlich „gegen atomare Kampfmittel jeder Art und jeder Nation“ in Ost und West. Aufgrund der Erfahrungen mit der Kampf-dem-Atomtod-Bewegung, und um eine Vereinnahmung durch Aktivisten von linken Organisationen zu verhindern, wurde in einem gemeinsamen Flugblatt das nötige „Vertrauen in die Macht des Einzelnen“ betont, damit „aus einer entschiedenen Minderheit eine kraftvolle Mehrheit“ werden könne.

In den folgenden Jahren gingen an den Osterfeiertagen immer mehr Menschen an immer mehr Orten auf die Straße, um für ein Ende der atomaren Bewaffnung und des nuklearen Wettrüstens in beiden Lagern des Kalten Krieges zu demonstrieren. Bedeutende Persönlichkeiten wie Erich Kuby, Robert Jungk, der Bundestagsabgeordnete Arno Behrisch und Martin Niemöller erklärten ihre Zustimmung, später kamen u.a. Ernst Rowohlt, Stefan Andres, Erich Kästner, Heinz Hilpert, Robert Scholl, Helmut Gollwitzer und Bertrand Russell dazu. Sprecher der Ostermarsch-Bewegung waren Konrad Tempel (bis 1964) und dann Andreas Buro, Organisationsleiter war Klaus Vack. Buro und Vack schieden 1969 aus der Ostermarschkampagne aus, um das Sozialistische Büro zu gründen.

Bereits von den ersten Osteraktionen an beteiligten sich an den Märschen neben Pazifisten Rüstungsgegner aus der Arbeiterbewegung und religiös motivierte Einzelne. Auch durch die folgende Kooperation verschiedener Strömungen und die lebhaften internen Diskussionen wurden die politischen Forderungen immer konkreter (Beispiel: Forderung nach atomwaffenfreien Zonen, entsprechend dem Rapacki-Plan). Dadurch wurde sie zu einer außerparlamentarischen Sammlungsbewegung, deren jährliche Teilnehmerzahl bis 1968 auf 300.000 stieg. Dies ist auch ablesbar an der Namensänderung: „Kampagne für Abrüstung“ (1963) → „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“ (1968). Typisch waren die Friedenslieder von Gerd Semmer und Fasia Jansen. Buro schätzte das später wie folgt ein:

„Die Grundstruktur der Ostermarsch-Bewegung vermied … eine entscheidende Blockade für Massenlernprozesse: Es gab keine avantgardistischen Kader, die wie Lehrer in der Schule das richtige Lernergebnis schon kannten und die Massenbewegungen im Sinne eines Vorfelds dieser 'Avantgarde' nur mehr oder weniger offen zu diesem Ergebnis steuerten. Beim Ostermarsch waren die Organisatoren selbst in den gemeinsamen Lernprozess eingebunden. Das Lernen aus eigenen Erfahrungen erzeugte überhaupt erst die Bereitschaft zu selbsttätigem Lernen auf breiter Basis.“[3]

Die Ostermarschbewegung, als Kampagne für Demokratie und Abrüstung, gilt bei einigen Historikern als erste unabhängige neue soziale Bewegung und breite außerparlamentarische Opposition in der Bundesrepublik. Unter dem Eindruck der Notstandsgesetzgebung (1968), der Militärintervention des Warschauer Pakts in der CSSR (1968), der Bildung einer sozialliberalen Bundesregierung (1969) spaltete sie sich 1969 auf und beendete 1970 ihre Aktionen.

Neuer Aufschwung 1979–1983 und später

Die Ostermärsche in den folgenden Jahren und bis zur Gegenwart waren fortan nur eine Demonstrationsform unter den vielfältigen Aktionen, die von der Friedensbewegung ausgingen. Einen neuen Höhepunkt erreichte die Friedensbewegung 1979–1983 im Kampf gegen die Neutronenbombe und den „NATO-Doppelbeschluss“ zur Stationierung von Kurz- und Mittelstrecken-Atomwaffen in der Bundesrepublik. 1983 nahmen etwa 700.000 Menschen an verschiedenen Aktionen zum Frieden teil. Auch die Ostermärsche dieser Zeit nahmen an diesem Aufschwung teil. Seit dem Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West veränderte sich die Arbeit der Friedensbewegung grundlegend. Grenzüberschreitende Friedensarbeit wurde zu einem neuen Betätigungsfeld. In dieser Zeit bis zur Gegenwart wurden auf den Ostermärschen die jeweiligen Themenschwerpunkte und Forderungen der Friedensbewegung vorgetragen und die geplanten Aktivitäten bekannt gemacht. Die Nuklearkatastrophe von Fukushima sorgte 2011 für neuen Zulauf bei den Ostermärschen. Im selben Jahr gedachte man auch des 25. Jahrestages der Katastrophe von Tschernobyl.

Der langjährige Sprecher des bundesweiten Ostermarschbüros in Frankfurt am Main ist Willi van Ooyen.

Siehe auch

Literatur

  • Holger Nehring: Die Friedensbewegung. Aschendorff, 2008, ISBN 978-3-402-00436-4
  • Andreas Buro: Die Entstehung der Ostermarschbewegung als Beispiel für die Entfaltung von Massenlernprozessen. In: Friedensanalysen für Theorie und Praxis. Band 4, Frankfurt am Main 1977
  • Claus Clausen: Ohne-mich, Atomtod, Ostermarsch. Kampf der Friedensbewegung für Frieden und Demokratie von 1945-70. Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner, Köln 1977
  • Karl A. Otto: Vom Ostermarsch zur APO. Geschichte der außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik 1960–1970. Frankfurt am Main/New York 1979
  • Christoph Butterwegge, Joachim Dressel (Hrsg.): 30 Jahre Ostermarsch: Ein Beitrag zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland und ein Stück Bremer Stadtgeschichte. Steintor, Bremen 1990
  • Markus Gunkel: Unser Nein zur Bombe ist ein Ja zur Demokratie. Ostermarsch Nord 1960–1969. Köln 1995, ISBN 3-926922-29-X
  • Reinhard Aehnelt / Winfried Schwamborn: Wege zum Frieden. Die Ostermärsche. Weltkreis-Verlag, Dortmund 1982
  • Jan Wienecke / Fritz Krause: Unser Marsch ist eine gute Sache. Ostermärsche damals - heute. Verlag Marxististische Blätter, Frankfurt / M. 1982
  • Ostermärsche 1966.Deutsches Institut für Zeitgeschichte, Berlin 1966
  • Robert Jenke: Ostermarsch. Nachbetrachtungen.Reaktion auf eine Broschüre. Brückenbauer, Köln-Riehl 1964
  • Robert Jenke: Ostermarsch. Brückenbauer, Köln-Riehl 1964
  • Internationale Ostermärsche der Atomkriegsgegner. Deutsches Institut für Zeitgeschichte, Berlin 1963

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Ostermarsch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Konrad Adenauer: Erinnerungen 1955-1959. Stuttgart 1967, S. 296
  2. Axel Schildt (16. April 2008): Bürgermacht gegen die Bombe. einestages.spiegel auf spiegel.de. Abgerufen am 7. April 2010.
  3. Andreas Buro: Die Entstehung der Ostermarschbewegung als Beispiel für die Entfaltung von Massenlernprozessen. In: Friedensanalysen für Theorie und Praxis, Bd. 4, Frankfurt am Main 1977, S. 60 f.

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