Hyperthyreose

Hyperthyreose

Die Hyperthyreose ist eine krankhafte Überfunktion der Schilddrüse, die sich in einer übermäßigen Produktion von Schilddrüsenhormonen äußert, so dass im Organismus ein entsprechendes Überangebot entsteht. Infolgedessen kann es zu einer Vielzahl von Krankheitserscheinungen wie starker Schweißproduktion, beschleunigtem Herzschlag, Gewichtsverlust, Nervosität und Zittern kommen. Die häufigsten Ursachen der Hyperthyreose sind der Morbus Basedow, die Schilddrüsenautonomie und eine erhöhte Zufuhr von Schilddrüsenhormonen in Form von Medikamenten. Im Extremfall einer krisenhaften lebensbedrohlichen Überfunktion spricht man von einer „thyreotoxischen Krise“ (Synonym Thyreotoxikose, „Schilddrüsenhormonvergiftung“). Das Gegenteil der Hyperthyreose, ein Mangel an Schilddrüsenhormonen, wird als Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Caleb Hillier Parry

Die Hyperthyreose wurde erstmals 1786 von Caleb Hillier Parry beschrieben.[1][2][3] Wie auch andere Ärzte seiner Zeit, beispielsweise Carl von Basedow[4][5] und Robert James Graves[6], stellte er jedoch keinen Zusammenhang der Symptome mit einer Erkrankung der Schilddrüse her. Erst 1886 wies Paul Julius Möbius diesen Bezug nach.[7]

Zur Behandlung der Schilddrüse wurden Anfang des 20. Jahrhunderts Röntgenstrahlen verwendet oder die Schilddrüse mit Radium gespickt, das heißt, kleine Stäbchen aus Radium wurden direkt in die Schilddrüse eingebracht.[8] 1942 wendeten S. Hertz und A. Roberts erstmals die Radioiodtherapie beim Morbus Basedow an[9][10] und 1943 beschrieb Edwin Bennett Astwood den Einsatz der Substanz Thiouracil zur Behandlung der Hyperthyreose[7]: das erste Thyreostatikum.

Grundlagen

Beim gesunden Menschen gibt die Schilddrüse bedarfsgerecht die SchilddrüsenhormoneThyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) – ins Blut ab. Die Produktion dieser Hormone wird durch den thyreotropen Regelkreis gesteuert. In der Schilddrüse bewirkt das in der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) gebildete Hormon Thyreotropin (TSH) eine gesteigerte Produktion der Schilddrüsenhormone und übt zusätzlich einen Wachstumsreiz auf das Schilddrüsengewebe aus.

Zum Aufbau von Thyroxin und Triiodthyronin benötigt die Schilddrüse Iod. Der Iodbedarf des Erwachsenen liegt bei etwa 200 μg pro Tag. Eine ausreichende Iodzufuhr ist durch iodiertes Speisesalz in Deutschland im Allgemeinen gewährleistet. Die Iodversorgung der Bevölkerung Deutschlands wurde 2004 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgrund der durchschnittlichen Iodausscheidung im Urin als „optimal“ bezeichnet.[11] Die Menge der produzierten Hormone schwankt innerhalb der Gruppe schilddrüsengesunder Personen (Normalpopulation) erheblich, das heißt, dass der Referenzbereich der laborchemischen Ergebnisse relativ groß ist. Die Schwankungen bei Messungen bei derselben Person sind wesentlich geringer.[12] Die aus der Schilddrüse ins Blut abgegebenen Schilddrüsenhormone (T3 und T4) werden dort größtenteils an unterschiedliche Proteine (hauptsächlich TBG, TBPA und Albumin) gebunden und dabei biologisch inaktiv. Nur etwa 1 ‰ der im Blut befindlichen Schilddrüsenhormone zirkuliert frei (fT3 und fT4). Die Schilddrüsenhormone steigern den Grundumsatz, die Empfindlichkeit des Herzens für Katecholamine, den Calcium- und den Phosphatumsatz sowie die Erregbarkeit von Muskel- und Nervenzellen und hemmen die Protein- und die Glycogenneubildung.

Einteilung

Klassifikation nach ICD-10
E05.0 Hyperthyreose mit diffuser Struma
- Morbus Basedow
E05.1 Hyperthyreose mit toxischem solitärem Schilddrüsenknoten
E05.2 Hyperthyreose mit toxischer mehrknotiger Struma
E05.3 Hyperthyreose durch ektopisches Schilddrüsengewebe
E05.4 Hyperthyreosis factitia
E05.5 Thyreotoxische Krise
E05.8 Sonstige Hyperthyreose
E05.9 Hyperthyreose, nicht näher bezeichnet
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Die Schilddrüsenüberfunktion kann nach Ursache und Schweregrad eingeteilt werden.

  • Ursache sind häufig Verselbstständigungs- (Autonomie-) und Autoimmunprozesse und selten auch entzündliche Erkrankungen, Überdosierung von Schilddrüsenhormonen (iatrogen) oder bösartige Tumoren der Schilddrüse. Sehr selten tritt sie als Begleiterscheinung anderer bösartiger Tumoren (Paraneoplasie) oder bei einer Hypophysenüberfunktion (TSH-Mehrproduktion) auf.
  • Folgende Schweregrade werden unterschieden: die sogenannte latente beziehungsweise kompensierte Hyperthyreose (Schilddrüsenhormonspiegel normal, aber TSH-Wert erniedrigt), die subklinische Hyperthyreose (Schilddrüsenhormonspiegel erhöht, Patient aber symptomlos), die manifeste Hyperthyreose und die thyreotoxische Krise (syn. Thyreotoxikose – krisenhafte Verschlimmerung einer Schilddrüsenüberfunktion, die aufgrund ihrer Symptome akut lebensbedrohlich ist).

Entstehung

Szintigraphische Darstellung einer unifokalen Autonomie (autonomes Adenom)

Die Schilddrüsenautonomie, bei welcher der Einfluss des normalerweise regulierenden TSH auf die Hormonausschüttung in Teilen der Schilddrüse fehlt, ist besonders im höheren Lebensalter eine häufige Ursache der Hyperthyreose. Auch in einer „gesunden“ Schilddrüse sind bestimmte Bereiche autonom, arbeiten also unabhängig von den physiologischen Regulationsmechanismen. Bei einer Schilddrüsenvergrößerung durch Iodmangel (Iodmangelstruma) kann aber der autonome Schilddrüsenanteil relativ groß werden. Grundsätzlich liegen einer Hyperthyreose durch Schilddrüsenautonomie zwei Faktoren zu Grunde: die Entwicklung eines großen autonomen Gewebeanteils und eine hohe Iodzufuhr. Bei der Schilddrüsenautonomie unterscheidet man nach der Darstellung im Schilddrüsenszintigramm die unifokale (ein Fokus), die mulitifokale und die disseminierte Autonomie.

Eine Hyperthyreose kann auch Folge einer Autoimmunerkrankung sein. Die immunogene Hyperthyreose (zum Beispiel Morbus Basedow) tritt meist erst nach dem 35. Lebensjahr bevorzugt bei Frauen auf.[13] Die Schilddrüsenüberfunktion kann dabei sowohl ohne Struma (Kropf), als auch mit diffuser Struma oder Knotenstruma vorkommen. Familiär gehäuft (HLA-B8 und HLA-DR3) verursachen dabei TSH-Rezeptorautoantikörper eine Stimulation der Hormonproduktion. Zu den immunogenen Hyperthyreosen wird auch die Hashimoto-Thyreoiditis gerechnet, bei der es vorübergehend zu einer vermehrten Hormonausschüttung kommen kann.

Eine Hyperthyreose durch die Kombination aus autoimmunogener Schilddrüsenerkrankung und Autonomie der Schilddrüse wird als Marine-Lenhart-Syndrom bezeichnet.

Des Weiteren können eine Überdosierung von Schilddrüsenhormonen (Hyperthyreosis factitia) oder Iod (zum Beispiel iodhaltige Kontrastmittel), hormonproduzierende Tumoren von Schilddrüse (Schilddrüsenhormone) und Hypophyse (TSH), aber auch Entzündungen der Schilddrüse unterschiedlicher Ursache, Auslöser sein.[14] Der Schweregrad einer Hyperthyreose ist unabhängig von der Ursache.

Thyreotoxische Krise

Eine krisenhafte, lebensbedrohliche Verschlimmerung einer Schilddrüsenüberfunktion (thyreotoxische Krise) ist unabhängig von der Ursache bei jeder Form einer Hyperthyreose möglich; sie kann sich unerwartet und rasch innerhalb weniger Stunden oder Tage entwickeln. Als Auslöser werden größere Mengen von Iod, die vom Körper des Betroffenen ein bis vier Wochen zuvor – selten auch weiter zurückliegend – aufgenommen wurden (oft iatrogen durch Verabreichung iodhaltiger Medikamente, beispielsweise Amiodaron, oder Röntgenkontrastmittel), das Absetzen von Thyreostatika, Operationen (insbesondere die nicht in Euthyreose durchgeführte Strumaresektion) aber auch andere Begleiterkrankungen angesehen.[14]

Klinisches Bild

Beidseitiger Exophthalmus

Die Gesamtheit der typischen Symptome einer Hyperthyreose wird auch als Hyperthyreoidismus bezeichnet. Etwa vier von fünf betroffenen Patienten weisen eine Struma auf. Ist die Struma stark durchblutet, kann mit dem Stethoskop ein schwirrendes Geräusch abgehört werden. Typisch sind auch Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Nervosität und Zittern (feinschlägiger Tremor) als Zeichen einer allgemeinen psychomotorischen Unruhe. Das Herz-Kreislaufsystem weist neben einer gesteigerten Blutdruckamplitude (Differenz zwischen systolischem und diastolischem Messwert) eine veränderte Herztätigkeit (Sinustachykardie, Extrasystolen, Vorhofflimmern) auf. Trotz Heißhungers kann es durch die Steigerung des Grundumsatzes zu Gewichtsverlust kommen. Begleitend ist eine pathologische Glukosetoleranz, evtl. sogar eine Hyperglykämie infolge der Mobilisierung von Fett- und Glycogenreserven möglich. Des Weiteren sind Hitzesymptome (Wärmeintoleranz, Schweißausbrüche, warme feuchte Haut, eventuell leichtes Fieber), eine gesteigerte Stuhlfrequenz, Schwäche der Muskulatur, Osteoporose (negative Calciumbilanz), Fettleber, Haarausfall und Zyklusstörungen bis hin zu vorübergehender Unfruchtbarkeit typisch.[14]

Das Röntgenbild einer ausgeprägten Struma, die die Luftröhre einengt und dadurch zu Atemnot und Stridor führt.

Bei immunogener Hyperthyreose vom Typ Basedow ist das auffällige Hervortreten der Augäpfel aus der Augenhöhle (Exophthalmus) das wohl bekannteste Symptom (endokrine Orbitopathie). Die Kombination aus Exophthalmus, Struma und Tachykardie wird als Merseburger Trias bezeichnet. Ursächlich für die Orbitopathie ist eine Einlagerung von Glukosaminoglykanen in das Bindegewebe der Augenhöhle. Durch den gleichen Mechanismus können sich an den Extremitäten Myxödeme entwickeln. Selten kann auch eine Akropachie (Hautveränderungen der Finger und Zehen)[15] auftreten.

Die dargestellten Symptome sind zwar typisch, bei der Mehrzahl der Patienten, insbesondere bei älteren Betroffenen, tritt aber nur jeweils ein Teil der Krankheitserscheinungen auf.

Die krisenhafte, lebensbedrohliche Verschlimmerung einer Schilddrüsenüberfunktion (thyreotoxische Krise) wird klinisch in drei Stadien (nach Herrmann) eingeteilt:[14][16]

Stadium Klinik Letalität
Stadium I Tachykardie > 150/min, Herzrhythmusstörungen, Hyperthermie (>41 °C), Adynamie, schwere Durchfälle, Dehydratation, verstärkter Tremor, Unruhe, Agitiertheit, Hyperkinese, eventuell stark erhöhte Schilddrüsenhormone
in etwa 60 % der Fälle zusätzlich Zeichen einer Myopathie (Schwäche der proximalen Muskulatur und des Schultergürtels oder Bulbärparalyse)
unter 10 %
Stadium II zusätzlich Bewusstseinsstörungen, Stupor, Somnolenz, psychotische Zeichen, örtliche und zeitliche Desorientierung  
Stadium III
IIIa: Patient < 50 Jahre
IIIb: Patient > 50 Jahre
zusätzlich Koma über 30 %
(Tab.1) Die Stadieneinteilung der thyreotoxischen Krise nach Herrmann

Diagnose

Hauptartikel: Untersuchung der Schilddrüse

Bei Hyperthyreose das histopathologische Bild einer diffusen Hyperplasie der Schilddrüse

Da die Hyperthyreose durch ein Übermaß an Schilddrüsenhormonen definiert ist, spielt neben Anamnese, klinischen Symptomen und bildgebenden Verfahren (insbesondere Sonographie und Szintigraphie) die Labordiagnostik die entscheidende Rolle. Da die klinischen Symptome jedoch andererseits nicht immer mit nachweislichen Laborveränderungen korrelieren, können zum einen auch beschwerdefreie Patienten pathologisch veränderte Messwerte aufweisen und zum anderen bereits bei moderaten Veränderungen lebensbedrohliche Zustände auftreten; deshalb wurde, um die Wahrscheinlichkeit, dass eine thyreotoxische Krise vorliegt, laborwertunabhängig einschätzen zu können, der Burch-Wartofsky-Score[17] entwickelt.

In der Regel produziert die Schilddrüse bei der Hyperthyreose zu viele Schilddrüsenhormone. Der Organismus versucht über den thyreotropen Regelkreis die Produktion durch eine Minimierung der TSH-Ausschüttung zu reduzieren. Als Screening-Parameter eignet sich daher die alleinige Bestimmung des basalen TSH-Spiegels im Blut. Ist dieser normal, kann bei klinisch unauffälligen Patienten auf eine weitere Bestimmung der Schilddrüsenhormone verzichtet werden.[18]

Letztendlich beweisend für eine manifeste Hyperthyreose ist eine Erhöhung des freien TriIodthyronin (fT3) oder des Thyroxin (fT4) zusammen mit einer Erniedrigung des TSH-Spiegels und den entsprechenden klinischen Symptomen. Bei der Interpretation der Laborergebnisse ist zu beachten, dass es isolierte T3-Hyperthyreosen ohne erhöhtes fT4 gibt, bei extremem Iodmangel der TSH-Spiegel normal, aber das fT3 erhöht und fT4 erniedrigt, sowie bei einer latenten oder kompensierten Hyperthyreose trotz normalen fT3 und fT4 Spiegel, der basale TSH-Spiegel erniedrigt sein kann.

Zur Differenzierung des Krankheitsbildes stehen weitere Laborparameter zur Verfügung. Thyreotropin Rezeptor Autoantikörper (TRAK) und Anti-Thyreoperoxidase-Antikörper (anti-TPO-AK) zeigen mit hoher Spezifität, ob es sich um eine immunogene Hyperthyreose (Morbus Basedow oder Hashimoto-Thyreoiditis) handelt. Wird als Ursache eine vermehrte Iodbelastung vermutet, so kann der Iodgehalt des Urins bestimmt werden. Eine Erhöhung von fT3 und fT4 ohne Erniedrigung des basalen TSH-Spiegels findet sich typischerweise bei einer sogenannten „zentralen Hyperthyreose“ (zum Beispiel durch ein TSH-produzierendes Hypophysenadenom bedingt).[14][16][18][19][20] Diese Untersuchungsmöglichkeiten werden auch bei der „thyreotoxischen Krise“ eingesetzt, andere spielen nur in speziellen Fällen eine Rolle und werden im jeweiligen Hauptartikel dargestellt.

Therapie

Die Behandlung hängt von der Ursache der Hyperthyreose ab. Eine kausale Behandlung ist nicht bekannt.[14] Grundsätzlich unterscheidet man die medikamentöse, die operative und die Radiojodtherapie.

Medikamente

Bei der medikamentösen Therapie werden den Betroffenen Thyreostatika, die die Bildung der Schilddrüsenhormone hemmen, solange und so hoch dosiert verschrieben, bis eine Normalisierung der Laborwerte (Euthyreose) erreicht wird. Häufig werden schwefelhaltige Thyreostatika (Propylthiouracil, Carbimazol, Thiamazol und andere) eingesetzt, die jedoch eine etwa einwöchige Wirklatenz aufweisen; ist ein schneller Wirkeintritt nötig, so kann Natriumperchlorat, das die Aufnahme von Iod in die Schilddrüse hemmt, eingesetzt werden. Thyreostatika sind bei einer Hyperthyreose, die durch eine Schilddrüsenentzündung (Thyreoiditis) ausgelöst wird, unwirksam, da sie die Freisetzung der in der Schilddrüse gespeicherten Hormone („präformierte Hormone“) durch den Entzündungsprozess nicht beeinflussen können. Propranolol (ein nicht-kardioselektiver β-Rezeptorenblocker) wird bei Tachykardie ergänzend eingesetzt, mildert aber auch die nicht-kardialen Symptome der Hyperthyreose und hemmt die Umwandlung (Konversion) von T4 zu T3.

Operation

Die operative Therapie hat das Ziel, das Wiederauftreten einer Hyperthyreose dauerhaft zu verhindern. Voraussetzung ist eine vorangehende, erfolgreiche medikamentöse Normalisierung der Laborwerte. Die Thyreoidektomie (vollständige Entfernung der Schilddrüse) ist bei einem Karzinom die Therapie der Wahl. Findet sich eine gutartige Vergrößerung der Schilddrüse, so kommt die subtotale Strumaresektion zum Einsatz; das postoperativ verbleibende Restvolumen richtet sich nach der Ursache, die der Hyperthyreose zugrunde liegt. Nach der Operation ist in der Regel zur Prophylaxe eines Rezidivs eine Hormontherapie mit oraler Jodzufuhr (Suppressionstherapie) oder (nach Thyreoidektomie) eine Hormonersatztherapie (Substitutionstherapie) zur Vermeidung einer Hypothyreose erforderlich.

Radioiodtherapie

Die Radioiodtherapie bietet sich in vielen Fällen als Alternative zur Operation nach einer erfolgreichen medikamentösen Normalisierung der Laborwerte an. Aufgrund der dabei auftretenden Strahlenbelastung ist sie für schwangere und stillende Patientinnen kontraindiziert.

Sonderfall der thyreotoxischen Krise

Bei der thyreotoxischen Krise handelt es sich um ein akut lebensbedrohliches, notfallmedizinisches Krankheitsbild. Ihre Inzidenz beträgt in Deutschland etwa 100 Fälle pro Jahr[21], die Letalität liegt unerkannt bei 90 %[22] und trotz intensivmedizinischer Behandlung noch über 20 %. Daher beginnt die Therapie unverzüglich mit einer symptombezogenen Stabilisierung der Lebensfunktionen, ohne das Ergebnis laborchemischer Hormonanalysen abzuwarten.[14]

Patienten mit den klinischen Zeichen einer thyreotoxischen Krise sollen sofort auf einer Intensivstation aufgenommen und behandelt werden. Die Therapie umfasst allgemein Bilanzierung und Ersatz von Flüssigkeit, Elektrolyten und Nährstoffen (erhöhter Grundumsatz), wenn nötig Senkung der Körpertemperatur, Gabe von Sauerstoff (O2), eventuell Antibiotika und Thromboembolieprophylaxe. Bei kardialer Symptomatik wird ergänzend mit β-Blockern behandelt – bevorzugt Propranolol, da es zusätzlich die Konversion von T4 zum zehnfach stärker wirksamen T3 hemmt – und Digitalisierung (bei Herzinsuffizienz). Die Thyreostatika werden in diesem Fall intravenös gegeben, eventuell in Ergänzung mit Natriumperchlorat und Lithium-Ionen (Hemmung der Freisetzung von Thyroxin).[23] Ergänzend erfolgt die ebenfalls intravenöse Gabe von Glukokortikoiden, die unter anderem ebenfalls die Konversion von T4 zu T3 hemmen. Die Plasmapherese als Notfallmaßnahme hat durch die Möglichkeit der notfallmäßigen Strumaresektion an Bedeutung verloren. Diese kann nach Stabilisierung der Vitalparameter, möglichst innerhalb der ersten 48 Stunden, durchgeführt werden.[24]

Plummern

Die Iodaufnahme der Schilddrüse ist nicht nur vom TSH-Spiegel abhängig, sondern unterliegt auch einer Iod-abhängigen Autoregulation. Gaben großer Mengen von Iodid (mehrere Hundert Milligramm – der Tagesbedarf des Gesunden wird von der WHO mit 200 Mikrogramm angegeben) hemmen Iodidaufnahme, Hormonsynthese und Hormonausschüttung (Wolff-Chaikoff-Effekt, nach L. Wolff, 1898–1972, US-amerikanischer Kardiologe und I. L. Chaikoff, US-amerikanischer Physiologe[25]). Diesen Effekt, der nur wenige Tage anhält, machte man sich früher zur Behandlung einer Hyperthyreose vor Schilddrüsenoperation zunutze („Plummern“, nach Henry Stanley Plummer).[26][27]

Einzelnachweise

  1. Deutscher Ärztinnenbund: Schilddrüse und Herzerkrankungen, 2004; hier online, zuletzt eingesehen am 5. Feb. 2008
  2. M. Dietlein, H. Schicha: Schilddruse 2003, Walter de Gruyter 2004, ISBN 3-11-018147-9. hier online
  3. Louis J. Acierno: The history of cardiology. Parthenon Pub. Group, London 1994., ISBN 1-85070-339-6, S. 144.
  4. Hädecke1 J., Schneyer1 U.: Endokrinologische Befunde bei der endokrinen Orbitopathie in Klin Monatsbl Augenheilkd 2005; 222: 15-18.
  5. Homepage der Stadt Merseburg; zuletzt eingesehen am 24. März 2008
  6. www.whonamedit.com: Robert James Graves; zuletzt eingesehen am 23. März 2008
  7. a b Gerabek W.: Enzyklopädie Medizingeschichte, S. 152, 2005.
  8. Abbe R.: Exophthalmic goiter reduced by radium. Arch. Roentg. Ray 9:214-18, 1904.
  9. Hertz, S., Roberts, A.: Application of radioactive iodine in therapy of Grave’s disease, J div 21 (624) (1942) PDF Dissertation Martin Metten
  10. Paschke, R. e.a.: Therapie der uni- oder multifokalen Schilddrüsenautonomie, Dtsch Arztebl 2000.
  11. Iodine status worldwide. WHO 2004 (PDF) ISBN 92-4-159200-1
  12. Miehle K., Paschke R.: Sind TSH-Rezeptor Polymorphismen eine mögliche Ursache für die interindividuell unterschiedlichen Normalbereiche der TSH-, fT3- und fT4-Werte in einer Normalpopulation?. In: Universität Leipzig, Forschungsbericht 2004.
  13. J. Feldkamp: Epidemiologie von Autoimmunthyreopathien. In: K. Mann, B. Weinheimer und O. E. Janßen (Hrsg.): Schilddrüse und Autoimmunität. Berlin, New York 2002, ISBN 3-11-017476-6, S. 66–73.
  14. a b c d e f g Gerd Herold: Innere Medizin, 2007
  15. Müller B, Bürgi U: Akropachie bei Hyperthyreose. In: Schweiz Med Wochenschr 129/1999, S. 1560. www.smw.ch – zuletzt eingesehen 14. Februar 2009
  16. a b Universitätsklinik Freiburg: Praktisches Vorgehen bei thyreotoxischer Krise, (Flussdiagramm); zuletzt eingesehen am 8. Feb.2008
  17. Online-Rechner zur Berechnung des Burch-Wartosky-Scores; zuletzt eingesehen am 8. Feb. 2008
  18. a b AWMF-Leitlinien-Register Nr. 031/001 Schilddrüsendiagnostik.
  19. Schott M. e.a.: Diagnostik bei autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen, http://dgkl.org/autoimmundiagnostik; zuletzt eingesehen am 5. Feb. 2008
  20. Schott M., Seißler J., Scherbaum W.: Diagnostik bei autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen. LaboratoriumsMedizin, S. 254–257, 8/2006, Print ISSN: 0342-3026.
  21. Rendl J., Saller B.: Schilddrüse und Röntgenkontrastmittel: Pathophysiologie, Häufigkeit und Prophylaxe der jodinduzierten Hyperthyreose. Dtsch Arztebl 2001; 98(7): A-402 / B-339 / C-316
  22. Reschke1 K., Lehnert H.: Die thyreotoxische Krise. In: Der Internist, Verlag Springer Berlin / Heidelberg, 44/2003, 1221–1230, ISSN 0020-9554 doi:10.1007/s00108-003-1051-0
  23. Lüllmann, Heinz et al.: Pharmakologie und Toxikologie; 16. Auflage 2006; Thieme Verlag Stuttgart, ISBN 3-13-368516-3.
  24. Hörmann, Mann: Therapie innerer Krankheiten (2006)
  25. jrank.org
  26. Roche Lexikon Medizin, 4.Auflage; © Urban & Fischer Verlag, München 1984/1987/1993/1999 online
  27. T. Kuwert. Schilddrüse. In: T. Kuwert, F. Grünwald, U. Haberkorn, T. Krause: Nuklearmedizin. Stuttgart, New York 2008, ISBN 978-3-13-118504-4.
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