Naika Foroutan

Naika Foroutan
Naika Foroutan (2011)

Naika Foroutan (* 24. Dezember 1971[1] in Boppard[2]) ist eine deutsche Sozialwissenschaftlerin. Sie leitet das an der Humboldt-Universität zu Berlin ansässige und von der Volkswagenstiftung finanzierte Forschungsprojekt „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle (HEYMAT)“.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Naika Foroutan ist Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters und Schwester der Schauspielerin Melika Foroutan.[3] Sie lebte 11 Jahre in Teheran und verließ den Iran 1983 zusammen mit ihrer Familie.[4] An der Universität zu Köln studierte Foroutan Politikwissenschaften, Romanistik und Islamwissenschaft. In den Jahren 2000 bis 2004 promovierte sie an der Georg-August-Universität Göttingen bei Prof. Bassam Tibi im Themenbereich „Inter-zivilisatorische Kulturdialoge zwischen dem Westen und der islamischen Welt“ infolge dessen sie dort als Lehrbeauftragte im Fachbereich Internationale Beziehungen tätig war. Zwischen 2006 und 2009 lehrte Foroutan an der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin bis sie dann 2009 an das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin wechselte.[5] Seit 2008 leitet sie zusammen mit ihrer Kollegin Isabel Schäfer[6] das Forschungsprojekt „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle (HEYMAT)“.[7] Weiterhin organisiert Foroutan für die Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit der Stiftung Mercator die "Junge Islam Konferenz - Berlin 2011".[8]

Schwerpunkte und Positionen

In der Zeit zwischen 2000 und 2007 arbeitete Naika Foroutan hauptsächlich zur Thematik des interzivilisatorischen Kulturdialogs. Seit 2008 liegt ihr Schwerpunkt im Themengebiet der Migrationsforschung und sie befasst sich mit Identitätsbildungsprozessen von Muslimen und Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund in Deutschland. Hybridität steht dabei im Zentrum ihrer Arbeit.

Kontroverse zur Sarrazin-Debatte

In der Debatte um das Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin erhielt Naika Foroutan durch ihre Kritik an dessen Inhalt mediale Aufmerksamkeit. Im September und Oktober 2010 meldete sie sich sowohl im Fernsehen[9] und Radio[10] als auch in Zeitungen[11] zu Wort.

Nach einem Talkshow-Auftritt zum Thema erhielt Foroutan verschiedene „Hass-Mails“, auf der Webseite von „Politically Incorrect“ wurde sie als „iranisches Barbie-Püppchen“ verhöhnt.[3] In zusammengeschnittenen Videoclips[12] wurde ihr vorgeworfen, zueinander inkonsistente relative und absolute Prozentangaben sowie unterschiedliche Zahlenangaben zu den Abiturquoten von Deutsch-Türken gemacht zu haben. Die unterschiedlichen Abiturquoten ergaben sich daraus, dass Naika Foroutan einmal ohne nähere Erläuterung auch Fachabitur-Abschlüsse hinzugezählt hatte.

Bezugnehmend auf die Talkshowauftritte in der Sarrazin-Debatte warf ihr Gunnar Heinsohn am 8. September 2010 vor, einzelne statistische Angaben hervorgehoben und andere nicht erwähnt zu haben, wobei er ihre Zahlen zum Bildungsaufstieg türkischer Migranten teilweise bestätigt.[13] Konkret kritisierte Heinsohn eine „Unterschlagung“ der gestiegenen Sozialhilfequote unter Türkischstämmigen in Deutschland:

Der Anteil unter den einreisenden Türken auf Sozialhilfe lag zu Beginn der Einwanderung bei weniger als einem Prozent. Das kann auch gar nicht anders sein, weil sie ja für offene Stellen angeworben wurden. 2008 allerdings liegt in Berlin der Anteil an Sozialgeldempfängern unter Türkischstämmigen laut Auskunft des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ bei knapp fünfzig Prozent. Diese Verfünfzigfachung ist eine Steigerung um fünftausend Prozent. Nur weil sie dieses ungeheure Wachstum unterschlägt, kann Foroutan dann triumphierend nachsetzen: „Sarrazins Deutschland gibt es nicht.“

Im FAZ-Artikel vom 16. September 2010 antwortete Foroutan auf die Vorwürfe Heinsohns:[14]

Von einer Unterschlagung gar und einer Steigerung um 5000 Prozent der Sozialhilfequote bei Türken zu sprechen ist allerdings demagogisch. Vor allem, wenn Gunnar Heinsohn eine Bundesstatistik aus den sechziger Jahren der Vollbeschäftigung einer Länderstatistik nach Strukturwandel, Wiedervereinigung und Wirtschaftskrise gegenüberstellt. All dies hat den türkischstämmigen Menschen die Zugänge zum Arbeitsmarkt erschwert. Der mitschwingende Verweis auf die „Unproduktivität“ dieser Gruppe, ihre „Kosten“ für den deutschen Staat und ihre Inanspruchnahme der kostenlosen Bildung, welche trotzdem nicht zu gleich hoher Intelligenz führe, zeugt nicht nur von einem entwürdigenden Utilitarismus. Er täuscht auch darüber hinweg, dass der größte messbare volkswirtschaftliche Schaden, der Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg getroffen hat, nicht von der Gruppe „der Muslime“ ausgeht – sondern vom Finanzsektor, dem seltsamerweise bislang niemand die Intelligenz abspricht.

Auf der Homepage ihres Forschungsprojekts HEYMAT hat Foroutan unter dem Titel „Dossier zur Sarrazin-Debatte 2010“ die von ihr verwendeten Zahlen offengelegt.[15] Unter dem Titel „Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand“ publizierte sie einen „empirischen Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Thesen zu Muslimen in Deutschland“ in Broschürenform.

Der FAZ-Journalist Jürgen Kaube kommentierte, die „Berliner Broschüre“ träfe durchaus „den amateurhaften Umgang mit Forschung bei Sarrazin“. Bezüglich der Gegenrechnung kritisierte er, die Forscher folgten einem „unverstandenen Zahlengestöber“ genau so wie Sarrazin, „mal treuherzig, mal strategisch, nur halt in der Gegenrichtung“. Die „Beziehung des Datensalats zur sozialen Wirklichkeit“ würde „nicht eine Sekunde reflektiert“. Kaube kommt zu dem Fazit, man habe „nicht den Eindruck, als verstünden die Sarrazin-Überprüfer wesentlich mehr von Soziologie als Sarrazin selbst“.[16]

Auszeichnungen

Veröffentlichungen

  • Iran nach den Wahlen - das Ende der Reformen von oben in: inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Nr. 37, April 2004. (Online)
  • „Kulturdialoge zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Eine Strategie zur Regulierung von Zivilisationskonflikten“, Deutscher-Universitäts-Verlag, Göttingen 2004. ISBN 3824446049. (Auszüge bei Google)
  • Herausgeberschaft, gemeinsam erstellt mit: Korinna Schäfer, Coskun Canan und Benjamin Schwarze: Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand - Ein empirischer Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Thesen zu Muslimen in Deutschland, Berlin 2010 Onlinepublikation
  • Mit Marwan Abou-Taam und Jost Esser: „Zwischen Konfrontation und Dialog. Der Islam als politische Größe“, VS-Verlag, Wiesbaden, 2010. (Online beim VS-Verlag)
  • „Neue Deutsche, Postmigranten und Bindungs-Identitäten. Wer gehört zum neuen Deutschland“ in: Aus Politik und Zeitgeschichte (46-47/2010). (Online bei der BPB)
  • Mit Isabel Schäfer: „Hybride Identitäten in Deutschland – muslimische Migrantinnen und Migranten in Deutschland und Europa“ in: Aus Politik und Zeitgeschichte (05/2009). (Online bei der BPB)

Einzelnachweise

  1. Kurzbiographie Dr. Naika Foroutan, Humboldt-Universität zu Berlin.
  2. 1. Bundesfachkongress Interkultur 2006: Referentinnen und Referenten
  3. a b Dorothea Jung: Gefahr für die Gesellschaft - Die Islamfeindlichkeit in Deutschland nimmt zu In: DLF Hintergrund, 7. Oktober 2010.
  4. Naika Foroutan: Kulturdialoge zwischen dem Westen und der islamischen Welt: eine Strategie zur Regulierung von Zivilisationskonflikten, Vorwort; DUV, 2004. ISBN 3824446049 Online
  5. http://www.heymat.hu-berlin.de/team/foroutan
  6. http://www.heymat.hu-berlin.de/team/schaefer
  7. http://www.heymat.hu-berlin.de
  8. http://www.heymat.hu-berlin.de/junge-islamkonferenz
  9. http://maybritillner.zdf.de/ZDFde/inhalt/8/0,1872,8107272,00.html
  10. http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/10/13/dlf_20101013_1914_87ba41b6.mp3
  11. http://www.zeit.de/2010/39/Muslime-Integration-Debatte
  12. z.B. Dr. Naika Foroutan jongliert mit Zahlen, Youtube
  13. Die unterschlagenen fünftausend Prozent, Gunnar Heinsohn, faz.net, abgerufen am 29. Dezember 2010.
  14. Die Berechnungen sind demagogisch, Naika Foroutan, faz.net, abgerufen am 4. Januar 2011.
  15. http://www.heymat.hu-berlin.de/dossier-sarrazin-2010
  16. Eine Gegenrechnung zu Sarrazin: Malen nach Zahlen, FAZ.NET vom 7. Januar 2011.

Weblinks

 Commons: Naika Foroutan – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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