Massenverhaftung von Nürnberg

Massenverhaftung von Nürnberg

Als Massenverhaftung von Nürnberg wird die Verhaftung von 141 Personen am 5. März 1981 im Nürnberger Kulturzentrum KOMM durch die bayrische Polizei bezeichnet.

Das Ereignis ist vor allem wegen der Durchführung und der anschließenden Gerichtsverhandlung in Kritik geraten und wird als „beispielloser Rechtsbruch“ bezeichnet.[1]

Inhaltsverzeichnis

Ablauf

Am Abend des 5. März findet im Nürnberger Jugendzentrum KOMM eine Filmvorführung über die holländische Hausbesetzerbewegung statt. Dabei sind 200 bis 300 Gäste anwesend. Die Polizei deklariert die Veranstaltung als „Vollversammlung der Hausbesetzer“ und geht mit einer Hundertschaft in Stellung.[1]

Nach anschließender Diskussion sammeln sich vor dem KOMM etwa 150 Personen zu einer spontanen Demonstration. Beim halbstündigen Zug durch die Altstadt werden sechs Schaufenster eingeschlagen und einige Autoantennen umgeknickt. Der Sachschaden beläuft sich auf etwa 30.000 D-Mark.[1]

Die Polizei beobachtet das Geschehen, greift aber nicht ein. Erst nachdem alle Demonstranten kurz vor Mitternacht wieder ins KOMM zurückgekehrt sind, wird das Gebäude von der Polizei umstellt und abgeriegelt. Nach vierstündiger Belagerung kommen die Teilnehmer in kleinen Gruppen heraus, in der Erwartung, lediglich erkennungsdienstlich behandelt zu werden. Alle 141 Personen werden allerdings - entgegen den Versprechungen der Polizei - inhaftiert, darunter 21 Minderjährige, 78 von ihnen werden letztlich angeklagt.[2]

Am nächsten Morgen beginnt eine Bürgerinitiative, Rechtsanwälte zu organisieren. In den folgenden Tagen gibt es bundesweit Protestkundgebungen mit „zehntausenden Menschen“ gegen das Vorgehen der Behörden.[3] Zwei Wochen nach der Verhaftung wird die letzte Person aus der Haft entlassen.[2]

Das erste Verfahren gegen 10 Angeklagte beginnt am 3. November 1981 unter massiver Polizeipräsenz und offenbart ein Komplott zwischen Staatsanwaltschaft, Richtern und Polizei. Drei Wochen später wird das Verfahren ausgesetzt, kurze Zeit später sind alle Staatsanwälte und Richter „abgezogen, zum Teil versetzt und wegbefördert.“[2]

Ein Jahr später wird das Verfahren beendet, indem der Eröffnungsbeschluss des Verfahrens zurückgenommen und somit eine juristische Aufarbeitung unmöglich gemacht wird.

Bewertung und Auswirkungen

Das gesamte Vorgehen von Polizei und Justiz wurde von renommierten Juristen kritisiert, „[bei] vielen Gerichten und Anklagebehörden außerhalb Bayerns erhob sich damals eine Welle des Protestes gegen die Rechtswillkür der fünf Nürnberger Haftrichter.“[4]

Bundesverfassungsrichter Martin Hirsch kritisierte die Verhaftung von 141 Personen mit Verweis auf den Anlass (sechs eingeworfene Scheiben in der Innenstadt) als nicht verhältnismäßig. Der den Verhaftungen zu Grunde liegende gleichlautende und kopierte Haftbefehl wurde von Erhard Denninger kritisiert.[1]

Als einzige Juristin unter 200 Unterzeichnern unterschrieb Erika Simm, Richterin am Amtsgericht Regensburg, einen Aufruf gegen die Kriminalisierung und für die Freilassung der Inhaftierten. Dafür wurde sie disziplinarisch bestraft.[4]

Die Aktion wurde bundesweit auch von Kommunalpolitikern dafür kritisiert, dass ihre Pauschalisierung den „Differenzierungsprozeß unter den Hausbesetzern“ gestört hat.[1]

Literatur

  • Hermann Glaser (Hrsg.): Die Nürnberger Massenverhaftung. Dokumente und Analysen. (Redaktion: Ingke Brodersen). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1981, 314 S., ISBN 3-499-14854-4

Quellen

  1. a b c d e Sind wir denn hier in Südamerika?. In: Der Spiegel, Ausgabe 12/1981. Abgerufen am 20. Februar 2011.
  2. a b c Michael Pickhardt: Mami, ich bin verhaftet In: Der Freitag, 20. Februar 2011. Abgerufen am 23. Februar 2011.
  3. Die Achtziger Bewegung — Chronologie der Ereignisse
  4. a b Hans Schueler: Maulkorb für eine Kritikerin. In: Die Zeit, 6. August 1982. Abgerufen am 20. Februar 2011.

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