Bergjuden

Bergjuden
Bergjüdin mit Kindern, ca. 1900 (Quelle: Jewish Encyclopedia von 1905-1906)

Als Bergjuden (russisch: Горские евреи, Gorskije ewrei) bezeichnet man die einheimische jüdische Bevölkerung in Dagestan und Aserbaidschan.

Die meisten Bergjuden (über 50.000) leben heute als Einwanderer in Israel. Die russische Volkszählung im Jahre 2002 ermittelte 3394 Bergjuden, die Bürger Russlands sind.

Die Bergjuden sprechen eine iranische Sprache (Juvuri oder Juhuri genannt), die der Sprache der Taten sehr nahe steht. Sie bezeichnen sich selbst als Juhuro (Juvuro im Kuba-Dialekt), was übersetzt „Juden“ bedeutet. Eine alternative Selbstbezeichnung ist Tat. Die jüdische Religion und Bräuche wurden über Jahrhunderte beibehalten und gepflegt.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Geschichte

Die Vorfahren der Bergjuden stammten aus dem alten Persien, wahrscheinlich aus Atropatene, das in vorislamischer Zeit eine große jüdische Minderheit hatte, aus Fars und wohl zuvor aus dem Irak [1]. Erste Siedlungen und die ältesten Synagogen fand man in Derbent in Dagestan, weiter siedelten sie in der Region Quba, im Tabassaranen- Gebiet und am östlichen Ende des Kaukasus. Bis ins 20. Jahrhundert lebten sie auch in der Region Schirwan nördlich der Kura.

Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wann jüdische und nichtjüdische „Taten“ nach Albania bzw. Aran einwanderten. Vermutlich war es eine vorislamische Ansiedlung um 510. Al-Balādhurī berichtete[2], Chosrau I., der die „Hunnenmauer“ rund um „das verschlossene Tor“ zu einer Befestigungsanlage von 400 km Länge gegen nördliche Steppenvölker ausbaute, hätte an den Befestigungen loyalere zoroastrische und jüdische Bevölkerung angesiedelt [3]. Die Derbenter Lokalgeschichte Darband-nama erklärt genauer, Chosrau habe in Derbent und Umgebung Menschen aus Atropatene und Fars angesiedelt, weiter südlich dagegen Menschen aus Fars und dem Irak[4]. Eine Minderheitsmeinung der historischen Forschung sieht die Zuschreibung der Ansiedlung auf Chosrau II. als Legende und stellte die Hypothese auf, die meisten Taten und Bergjuden seien erst in frühislamischer Zeit in die Region geflüchtet[5]. Diese Minderheitsmeinung wird von den meisten Forschern nicht anerkannt. Es ist aber bewiesen, dass die Bewohner einzelner tatischer und bergjüdischer Dörfer erst in islamischer Zeit zuwanderten.

Tatische Inschrift in hebräischen Buchstaben in Derbent 1904

Bergjuden wurden vom chasarischen Kagan, der zuvor zum Judentum übergetreten war, aufgenommen und unter Schutz gestellt. In den Bräuchen nichtjüdischer Taten gibt es zoroastrische Überbleibsel.

Muslimische und jüdische „Taten“ galten im zaristischen Russland als kriegerische Bergvölker.

Holocaust

Als im Zweiten Weltkrieg deutsche Truppen Ende 1942 den nördlichen Kaukasus besetzten und dort einige tausend Bergjuden vorfanden, gab es unter NS-Autoritäten Diskussionen über die Frage, ob diese ihnen bis dahin kaum bekannte Minderheit nach Bekenntnis oder auch nach Rassekriterien als jüdisch einzustufen war. Mehrere hundert Bergjuden wurden bis zum Rückzug der Deutschen 1943 ermordet, die Mehrzahl blieb jedoch von der planmäßigen Vernichtung verschont. Allerdings lebten die meisten Bergjuden in Süd-Dagestan und Nord-Aserbaidschan, das die Wehrmacht nicht erreicht hatte.

Siehe auch

Karäer

Literatur

  • Kiril Feferman: Nazi Germany and the Mountain Jews: Was There a Policy?. In: Holocaust Genocide Studies 21 (2007), S. 96-114

Weblinks

 Commons: Bergjuden – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Vgl. Artikel „Tat“ in der Enzyklopädie des Islam erste Ausgabe, Leiden 1903- 36 von Wladimir Minorski- ihre alte Tradition, die Synagogen nach Westen, statt nach Jerusalem auszurichten, spricht für eine zuvor weit südlichere Herkunft, auch ihre Aussprache des Tatischen spricht für ein ehemaliges Siedlungsgebiet im arabischsprachigen Raum und ist nicht durch aramäische oder hebräische Spracheinflüsse erklärbar
  2. Baladhuri, S.194
  3. Emanuel Sarkisyanz: Geschichte der orientalischen Völker Russlands bis 1917. München 1961, s. 144
  4. Darband-nama. Druckausgabe v. Aleksandr K. Kazembek (französisch), St. Petersburg 1851, S. 461
  5. Diese These vertrat zuerst Heinrich Julius Klaproth der argumentierte, die von Chosrau II. angesiedelten seien vielmehr Tabassaranen und christliche Armenier und Udinen gewesen.

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