Wolfgang Vogel (Rechtsanwalt)

Wolfgang Vogel (Rechtsanwalt)

Wolfgang Heinrich Vogel (* 30. Oktober 1925 in Wilhelmsthal, Landkreis Habelschwerdt, Niederschlesien; † 21. August 2008 in Schliersee) war Rechtsanwalt in der DDR, Organisator des ersten Agentenaustausches im Kalten Krieg und Unterhändler der DDR beim so genannten Häftlingsfreikauf.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Wolfgang Vogel wuchs in einem katholischen Elternhaus auf; der Vater war Lehrer. Von 1932 bis 1944 besuchte er die Schule und leistete anschließend seinen Reichsarbeitsdienst in Zobten ab. Dann begann er eine Ausbildung zum Flugschüler und war vom 1. März 1944 bis zum 30. Januar 1945 bei der Luftwaffe. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung aus der schlesischen Heimat siedelte die Familie nach Jena um. An der Jenaer Universität begann er mit dem Studium der Rechtswissenschaften und wechselte Ende 1946 an die Universität Leipzig, wo er im Juli 1948 das Erste Staatsexamen ablegte.

Anschließend absolvierte Vogel ein Referendariat am Amtsgericht Waldheim, wo er seinen Chef Rudolf Reinartz kennenlernte, der in das DDR-Justizministerium wechselte und Vogel als Referent dorthin mitnahm. Am 18. September 1952 bestand Vogel vor einer Staatlichen Prüfungskommission (Justizprüfungsamt) in Ost-Berlin das zweite Staatsexamen. Ab 1954 war er als Rechtsanwalt in Ost-Berlin tätig, drei Jahre später wurde er an West-Berliner Gerichten zugelassen. Im Jahr 1961 gelang es Vogel, den ersten Agentenhandel des Kalten Krieges zu organisieren. Bei diesem Agentenaustausch wurde am Morgen des 10. Februar 1962 auf der Glienicker Brücke in Potsdam der über der Sowjetunion abgeschossene US-Spionagepilot Francis Gary Powers gegen den enttarnten KGB-Oberst Rudolf Abel getauscht.

Aufgrund des Erfolgs dieses ersten Austauschs begann für Wolfgang Vogel eine beispiellose Karriere. Bis zum Fall der Berliner Mauer war er an der Freilassung von 150 Agenten aus 23 Ländern beteiligt. Zu den Freigelassenen zählten unter anderem der Kanzlerspion bei Willy Brandt, Günter Guillaume. Daneben spielte Vogel auch eine zentrale Rolle beim so genannten Häftlingsfreikauf, bei dem im Laufe der Jahre 33.755 politische Häftlinge durch die Bundesrepublik freigekauft wurden. Vogel, offiziell Beauftragter des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker für humanitäre Fragen, arbeitete eng mit den Bundesregierungen unter Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl zusammen, ebenso mit den beiden großen christlichen Kirchen in der Bundesrepublik sowie vor allem mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner; er ermöglichte dadurch die Ausreise von 215.019 DDR-Bürgern im Wege der Familienzusammenführung.

Im Sommer und Herbst 1989 spielte Vogel eine wichtige Rolle bei den Vorgängen in der Prager Botschaft. Unterstützt wurde er dabei von Gregor Gysi. Die Angebote, die er den Botschaftsflüchtlingen unterbreiten konnte, wurden teils begeistert angenommen, teils wütend zurückgewiesen.[1]

Nach dem Mauerfall und der Anklage gegen Erich Honecker wurde er dessen Verteidiger, legte dieses Mandat jedoch im Oktober 1990 nieder. Nach der Wiedervereinigung verzichtete er auf eine Zulassung als Anwalt. Es häuften sich in der folgenden Zeit die Vorwürfe, Wolfgang Vogel sei Stasi-Informant gewesen. 1992 wurde bekannt, dass Vogel in den 1950er Jahren als Geheimer Informator (GI) unter den Decknamen „Eva“ und „Georg“ vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) geführt worden war; die Akte war jedoch 1957 geschlossen und als „gesperrte Ablage“ archiviert worden. Vom Vorwurf der Erpressung ausreisewilliger DDR-Bürger wurde Vogel 1998 vom Bundesgerichtshof freigesprochen. Während des Prozesses erhielt Vogel Unterstützung von Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher. Er selbst gab zu den Vorwürfen einmal folgenden Kommentar ab: „Meine Wege waren nicht weiß und nicht schwarz. Sie mussten grau sein.“

Familie

Im April 1946 heiratete Wolfgang Vogel in erster Ehe Eva Anlauf, mit der er die Kinder Manfred und Lilo hatte. 1966 erfolgte die Scheidung. Seit 1974 war Vogel in zweiter Ehe mit Helga Fritsch verheiratet. Sie stammt aus Essen und siedelte, nachdem sie Vogel 1968 kennengelernt hatte, 1969 in die DDR über. Sie arbeitete als Sekretärin in Vogels bekannter Kanzlei in der Reiler Straße 4, in Berlin-Friedrichsfelde. Das Ehepaar Vogel lebte bis zum Tod Wolfgang Vogels[2] in Schliersee in Bayern.

Auszeichnungen

Literatur

  • Jens Schmidthammer: Rechtsanwalt Wolfgang Vogel. Mittler zwischen Ost und West. Hoffmann u Campe Vlg GmbH (April 1991). ISBN 3-455-08665-9
  • Wolfgang Brinkschulte, Hans Jörgen Gerlach, Thomas Heise: Freikaufgewinnler. Die Mitverdiener im Westen. Ullstein, Frankfurt/M. Berlin 1993. ISBN 3-548-36611-2
  • Ludwig Geißel: Unterhändler der Menschlichkeit. Erinnerungen. Quell Verlag, Stuttgart 1991. ISBN 3-7918-1984-4
  • Marlies Menge: Wolfgang Vogel. Ein glücklicher Arbeitsloser. Der „Austauschanwalt“ versucht, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. In: Marlies Menge: Spaziergänge. Serie der Wochenzeitung Die Zeit. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2000, S. 147–154. ISBN 3-89602-350-0
  • Norbert F. Pötzl: Basar der Spione. Die geheimen Missionen des DDR-Unterhändlers Wolfgang Vogel. Hoffmann und Campe, Hamburg 1997. ISBN 3-455-15019-5
  • Norbert F. Pötzl: Ein abstruser Stasi-Vermerk und eine spekulative These. Anmerkungen zu Jan Philipp Wölbern: Die Entstehung des „Häftlingsfreikaufs“ aus der DDR, 1962 - 1964. In: Deutschland Archiv 41 (2008) 6; S. 1032-1035.
  • Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. C. Bertelsmann, München 1991. ISBN 3-570-02347-8
  • Ludwig A. Rehlinger: Freikauf. Die Geschäfte der DDR mit politisch Verfolgten 1961–1989. Ullstein, Berlin Frankfurt am Main 1991. ISBN 3-550-07503-0
  • Helmut Müller-Enbergs: Vogel, Wolfgang. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 2.
  • Jan Philipp Wölbern: Die Entstehung des „Häftlingsfreikaufs“ aus der DDR, 1962-1964, in: Deutschland Archiv, 41 (2008) 5; S. 856-867.
  • Jan Philipp Wölbern: Problematische Argumentation. Antwort auf die Anmerkungen zu Jan Philipp Wölbern, Die Entstehung des „Häftlingsfreikaufs“ aus der DDR, 1962-1964, DA 41 (2008), S. 856-867, von Norbert F. Pötzl und Reymar von Wedel, DA 41 (2008), S. 1032-1035 und 1035f.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hermann Huber über die DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft 1989
  2. „Welt Online“ über den Tod Wolfgang Vogels Welt Online, gesichtet am 22. August 2008; 13:40 Uhr CEST

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