Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ)

Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ)
Eingang zur VBKÖ

Die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ) wurde 1910 in Wien als Reaktion auf die allerorts vorherrschenden geschlechtsspezifischen Diskriminierungen in der Kunstwelt gegründet. Sie ist die erste Künstlerinnenvereinigung Österreichs und befindet sich seit 1912 in den historischen Vereinsräumlichkeiten in der Wiener Innenstadt. Seither sind kontinuierlich (internationale) Ausstellungs- und Veranstaltungstätigkeiten mit einer feministischen Ausrichtung im Gange.

Inhaltsverzeichnis

Zur historischen und kulturpolitischen Bedeutung

Die VBKÖ gilt resultierend aus der historischen Frauenrechtsbewegung als der wichtigste Motor der ersten künstlerischen Frauenbewegung Österreichs. Die Pionierinnen dieser wegbereitenden Künstlerinnengeneration gedachten der geschlechtsspezifischen Benachteiligung innerhalb der Kunstwelt Abhilfe zu verschaffen, indem sie den Grundstein für eine organisierte Auseinandersetzung von bildenden Künstlerinnen mit der zeitgenössischen Politik legten. Sie formulierten erstmals kollektiv eigene politische Strategien und Ziele entlang derer und mit ihnen vor Augen gesellschaftliche Ungleichheitskonzeptionen in den bestehenden Herrschaftsverhältnissen innerhalb der Kunstwelt verändert werden sollten.

Diese frühe Autonomie anstrebende Organisations- und Ausstellungspraxis wurde wegen der diskriminierenden Bedingungen für Künstlerinnen am Kunstmarkt und an den Kunstschulen immer unerlässlicher. Künstlerinnen blieben mit Ausnahme des Privatunterrichts künstlerische Bildungseinrichtungen wie auch der Kunstmarkt seit je verschlossen bzw. waren sie ihnen nur sehr eingeschränkt zugänglich. An der 1868 gegründeten Kunstgewerbeschule in Wien standen ihnen nur wenige Studienrichtungen offen. Ab 1897 hatten sie zwar die Möglichkeit, die Kunstschule für Frauen und Mädchen zu besuchen, vom akademischen Kunststudium an der Akademie der bildenden Künste Wien sollten sie jedoch noch bis 1920 ausgeschlossen bleiben. In der Vereinigung bildender Künstler Secession wurden Künstlerinnen erst ab 1945 als Mitglieder anerkannt. Dementsprechend fehlten Werke von Künstlerinnen nicht nur bei den großen Ausstellungen etwa der Wiener Gesellschaft bildender Künstler Künstlerhaus, sondern am Kunstmarkt insgesamt.

Die VBKÖ reiht sich in die lange Tradition der historischen Künstlerinnenvereinigungen ein: beispielsweise in die der 1855 gegründeten Society of Female Artists London, der 1867 gegründeten Vereinigung der Berliner Künstlerinnen und Kunstfreunde oder der seit 1889 in den USA bestehenden National Association of Women Artists.

Zielsetzung und Entwicklung

Ziel war es, in künstlerischer, ökonomischer und ausbildungsbezogener Hinsicht die Interessen von Künstlerinnen zu verbessern und deren Repräsentation zu erhöhen. Dies gelang ihr etwa durch die Organisation eigens konzipierter Jahresausstellungen für die Mitglieder. Unter der Leitung der ersten Präsidentin Olga Brand-Krieghammer organisierte die VBKÖ noch im Gründungsjahr 1910 eine retrospektive Ausstellung zur Sichtbarmachung der Kunst der Frau (Sofonisba Anguissola, Rosa Bonheur, Angelika Kauffmann, Berthe Morisot, Elisabeth Vigée-Lebrun...). Diese Unternehmung wird vom feministischen Ausstellungsdiskurs als historische Pionierinnenleistung angesehen.

„ Eine ähnliche Ausstellung ist bisher am Kontinent sowohl der Art nach, als was die Vollständigkeit angelangt, nicht veranstaltet worden. Der Grundgedanke dieser Ausstellung ist: dem Publikum einen Überblick darüber zu geben, was die Frau auf dem Gebiete der bildenden Kunst geschaffen hat und schafft, und den Künstlern neue Anregungen zu bringen. “

Vorwort zum 1. Katalog der 1. Ausstellung der VBKÖ „Die Kunst der Frau“ in der Secession, Wien, von November-Dezember 1910, Druck 1, Archiv der VBKÖ.

Mit der VBKÖ werden Namen wie beispielsweise Tina Blau, Marie Egner, Helene Funke, Olga Wisinger-Florian verbunden. Teils engagierten sich diese aktiv als Mitglieder, wurden zu Ausstellungen eingeladen oder waren wie etwa Käthe Kollwitz korrespondierende Mitglieder.

1912 mietete sie eigene Ausstellungs- und Arbeitsräumlichkeiten an, womit sie sich eine wichtige Voraussetzung schuf, um fortan losgelöst von der Abhängigkeit zu anderen Künstlervereinen im Ausstellungsgeschehen vollends frei und selbstbestimmt agieren zu können. Mit diesem Schritt verliehen die Mitglieder ihrer Autonomie erstmals auch eine örtliche Repräsentanz.

Bald erneuerte die VBKÖ ihre anfängliche programmatische Ausrichtung, lediglich die bildenden Künste zu integrieren, und begann sukzessive sich gegenüber anderen Kunstsparten wie Architektur, Kunstgewerbe, Tanz oder Literatur zu öffnen.

Es folgten internationale Ausstellungspräsentationen und –beteiligungen, die auch während der beiden Weltkriege fortgesetzt wurden. Die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik der Vereinslandschaft Österreichs regulierte auch den Kunstbegriff und die Vereinsgebarung der VBKÖ. 1939 wurde sie als Verein „freigestellt“, was bedeutete, dass sie weiter tätig sein konnte, sollte und auch wollte. Bis 1945 organisierte sie mehrere Ausstellungen.

Historischer Überblick

1910 Gründung der VBKÖ in Wien
1910–1916 1. Präsidentin: Baronin Olga Brand-Krieghammer (Wien 1871– ?)
1910/11 1. Ausstellung „Die Kunst der Frau“ in der Secession
1912 Anmietung der VBKÖ-Vereinsräumlichkeiten in der Wiener Innenstadt für erste gänzlich eigene Ausstellungszwecke
1916–1923 2. Präsidentin: Baronin Helene Krauss (Wien 1876–1950 Millstatt, Kärnten)
1919 Gründung der ersten Abspaltung von der VBKÖ „Freie Vereinigung“
1923–1924 Jakob Levy Moreno (Bukarest 1889–1974 Beacon, NY), Arzt, Schriftsteller, Theaterrevolutionär, Begründer des Psychodramas, der Gruppenpsychotherapie und der Soziometrie, mietet einen Raum der VBKÖ für seine Theaterexperimente an
1923–1938 3. Präsidentin: Louise Fraenkel-Hahn (Wien 1878–1939 Paris)
1926 Gründung der zweiten Abspaltung der VBKÖ "Wiener Frauenkunst". Ihr traten Künstlerinnen der inzwischen aufgelösten "Freien Vereinigung" sowie der "Wiener Werkstätte" bei.
1938 Kommissarische Leiterin: Sophie Noske-Sander (Wien 1884–1958 Wien)
1938 1. Umbenennung der VBKÖ in "Künstlerverband Wiener Frauen"
1938 Die "Wiener Frauenkunst" und der "Verein Wiener Arbeitsbund" werden in den "Künstlerverband Wiener Frauen" eingegliedert
1939–1944 4. Präsidentin: Stephanie Hollenstein (Lustenau 1886–1944 Wien)
1941 2. Umbenennung in "Vereinigung bildender Künstlerinnen der Reichsgaue der Ostmark (im großdeutschen Reich)"
1942 3. Umbenennung in "Vereinigung bildender Künstlerinnen, Sitz Wien"
1944–1968 5. Präsidentin: Grete Kmentt-Montandon (Wien 1893–1986 Wien)
1946–1956 Die "Wiener Frauenkunst" formiert sich erneut
1947 Reorganisation unter der ursprünglichen Bezeichnung "Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs"
1968–1984 6. Präsidentin: Gertrude Stöhr (Wien 1915–1984 Wien)
1985–1993 7. Präsidentin: Friedl Corcoran (Olmütz, Tschechien 1922–1993 Wien)
1993–1998 8. Präsidentin: Elisabeth Demarest (geb. in Olmütz, Tschechien, 1925)
seit 1998 Relaunch der VBKÖ durch die 9. Präsidentin: Rudolfine Lackner (* 1967 in Graz)

Archiv

2004 wurde das historische Vereinsarchiv der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Anhand von Archivalien in 632 Akten-, Druck- und Werkeinheiten ermöglicht es einen Einblick in die gesamte Institutionsgeschichte der VBKÖ (sowie der zweiten Abspaltung von der VBKÖ, der „Vereinigung bildender Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen Wiener Frauenkunst“ 1926-1938/1946-1956). 2007 wurde die Restaurierung der Kunstsammlung der VBKÖ abgeschlossen und ebenfalls zugänglich gemacht.

Literatur

  • Marie-Sophie Brendinger: Die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs. Studien zu ihrer Rolle in Kunst- und Frauengeschichte Europas, Dipl. Arbeit, Wien 2011
  • Rudolfine Lackner (Hg.in/Ed.): 100 Jahre/Years VBKÖ Festschrift, VBKÖ: Wien, 2011, 978-3-200-02201-0
  • Rudolfine Lackner: Institutional Activisms. In: n.paradoxa. International Feminist Art Journal. Ed. Katy Deepwell, 48-55, Vol. 23 on Activist Art, 2009, ISSN 1461-0434
  • Rudolfine Lackner (Hrsg.in): Names Are Shaping Up Nicely! Gendered Nomenclature in Art, Language, Law, and Philosophy, VBKÖ, Wien 2008, ISBN 978-3-200-01425-1
  • Rudolfine Lackner, VBKÖ (Hg.innen): Das Findbuch zur Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs, VBKÖ, Wien 2006, ISBN 3-200-00550-5
  • Julie Marie Johnson: "The Art Of The Woman: Women's Art Exhibitions in Fin-de-siecle Vienna." Ph.D. diss., University of Chicago, 1998.
  • Julie Marie Johnson: Schminke und Frauenkunst. Konstruktionen weiblicher Ästhetik um die Ausstellung „Die Kunst der Frau“, 1910, In: Lisa Fischer, Emil Brix (Hrsg.): Die Frauen der Wiener Moderne, R. Oldenbourg Verlag, München 1997, S. 167-178, ISBN 3-486-56290-8
  • Julie Marie Johnson: From Brocades to Silks and Powders. Women’s Art Exhibitions and the Formation of a Gendered Aesthetic in Fin-de-siècle Vienna, In: Austrian history yearbook, Band 28, Minneapolis 1997, S. 269 - 292
  • Sabine Plakolm-Forsthuber: Künstlerinnen in Österreich 1897-1938. Malerei, Plastik, Architektur, Wien 1994, ISBN 3-85452-122-7

Weblinks


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