Tupolew Tu-95

Tupolew Tu-95
Tupolew Tu-95
Tu-142MR „Bear-J“
Tu-142MR „Bear-J“
Typ:
Entwurfsland: SowjetunionUdSSR UdSSR
Hersteller: Tupolew
Erstflug: 12. November 1952
Indienststellung: 1956
Produktionszeit: 1956 bis 1993
Stückzahl: über 500

Die Tupolew Tu-95 (NATO-Codename: „Bear“), ursprüngliche Bezeichnung Tupolew Tu-20, ist ein in der Sowjetunion entwickelter Langstreckenbomber. Die Seeaufklärer-Version zur U-Boot-Bekämpfung der Tu-95 hat die Kennung Tupolew Tu-142. Die zivile Version ist die TU-114

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Die Tu-95 war das Nachfolgemodell der Tu-4 und der Tu-85, die wegen ihrer nicht mehr zeitgemäßen Kolbenmotortriebwerke nur kurz oder gar nicht im Einsatz waren. Lange Zeit wurde die Tu-95, auch in der Fachpresse der Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes, als Tu-20 bezeichnet. Erst im Zuge von Abrüstungsverhandlungen wurde die korrekte Typenbezeichnung bekannt.

Der erste Prototyp der Tu-95 flog am 12. November 1952 und wurde von vier Doppeltriebwerken 2TW-2F angetrieben. Diese Maschine stürzte bei ihrem 17. Flug am 11. Mai 1953 wegen eines Getriebeschadens ab. Der zweite Prototyp flog erstmals am 16. Februar 1955 und wurde im Westen noch im gleichen Jahr bekannt. Er war mit den ebenfalls von der deutschen Entwicklergruppe unter Ferdinand Brandner konstruierten Einwellentriebwerken TW-12 (NK-12) ausgerüstet. Die hohe Triebwerksleistung ermöglichte die Verwendung von Propellern mit großer Steigung, die mit ihren relativ niedrigen Drehzahlen die bisher bekannten Effekte vermieden, bei denen bisherige Propellerflugzeuge an ihre Leistungsgrenzen gestoßen waren. Der Einsatz von gepfeilten Tragflächen war die Voraussetzung für den erzielbaren Geschwindigkeitsbereich des neuen Flugzeugs. Die Tragflächen mit einer Pfeilung von 35° und der Antrieb durch die bislang leistungsstärksten Turboprop-Triebwerke, die auf je zwei gegenläufig rotierende 4-Blatt-Propeller wirken, ermöglichen Flugleistungen, die an die von strahlgetriebenen Flugzeugen heranreichen.

Als der Westen die Leistungsdaten des Flugzeugs erkannte, wurde es als ernste Bedrohung eingestuft.

1961 wurde mit einer Tu-95W (modifizierte Bear-A) die Zar-Bombe abgeworfen. Die Maschine, die diesen Einsatz ausführte, befindet sich heute im Zentralen Museum der Luftstreitkräfte der Russischen Föderation in Monino nahe Moskau.

Neben der Bomberversion wurde die Tu-95 auch als strategischer Raketenträger gebaut. Eine Weiterentwicklung ist die Patrouillenversion Tu-142, aus der die Tu-95MS-6 und die Tu-95MS-16 als Träger für Flügelraketen entwickelt wurde. Diese – abgesehen vom Antrieb – mit der B-52H vergleichbaren Maschinen wurden ab 1988 gebaut. Unter Präsident Boris Jelzin wurde 1993 die Produktion eingestellt.

Einsatz

Tupolew Tu-95MS auf der MAKS 2011
Tupolew Tu-95 demonstriert eine Luftbetankung während einer Militärparade in Moskau

Mit Tu-95MS-6 sind aktuell das 185. TBAP in Engels und das 182. und 79. TBAP – beide in Ukrainka bei Blagoweschtschensk – ausgerüstet. Die Tu-95MS-6 kann sechs nukleare Ch-55SM im internen Drehgestell tragen. Die Tu-95MS-16 konnte zusätzlich zehn Ch-55SM unter den Tragflächen mitführen, diese Ausführungen wurden später zu Tu-95MS-6 zurückgerüstet, um die Abrüstungsverpflichtungen einzuhalten.

2005 wurde ein Modernisierungsprogramm initiiert, das die Bezeichnung Tu-95MSM trägt. Diese Version kann vier Marschflugkörper Ch-101, eine modernere Ausführung der Ch-55, im internen Drehgestell und vier weitere unter den Tragflächen mitführen. Zur Abwehr haben die Maschinen in der Heckkanzel zwei radargesteuerte 23-mm-Zwillingskanonen GSch-23.

Die 250 gebauten Maschinen erwiesen sich als sehr langlebig und zuverlässig. Einige Versionen erreichten Höchstgeschwindigkeiten bis 930 km/h[1], weshalb die Tu-95/142 einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde als schnellstes propellergetriebenes Flugzeug erhielt. Angeblich verursachen die PTL-Triebwerke der Tu-95 mit ihren Doppelpropellern aus Metall das deutlichste Radarecho der gesamten Luftfahrt.

Nach diplomatischen Verstimmungen im Jahre 2007 flogen Tu-95 zum ersten Mal nach Ende des Kalten Krieges auch wieder Einsätze über das russische Territorium hinaus.

  • Eine Tu-95 flog u. a. von Blagoweschtschensk bis zum US-Luftwaffenstützpunkt Guam im Pazifik.
  • Mitte Juli 2007 flogen eine Tu-95MS und zwei Tu-160-Bomber, begleitet von einem Tankflugzeug vom Typ Iljuschin Il-78, im internationalen Luftraum zwischen Norwegen und Großbritannien und wurden dabei von Tornado-Kampfflugzeugen der britischen Royal Air Force und F-16-Kampfflugzeugen der norwegischen Luftwaffe überwacht.[2] Im Verlaufe des Jahres 2007 gab es weitere ähnliche Vorfälle.
  • Im Februar 2008 unternahmen vier Tu-95 einen zehnstündigen Langstreckenflug über den Pazifik. Dabei soll nach Darstellung des japanischen Außenministeriums der japanische Luftraum verletzt worden sein, woraufhin 22 japanische Kampfflugzeuge aufstiegen. Die russische Seite dementierte eine Luftraumverletzung.
  • Am 9. Februar 2008 überflogen zwei Tu-95 im Pazifik den Flugzeugträger USS Nimitz.[3]
  • Am 9. August 2009 flogen zwei Tu-95S über isländischen Luftraum in Richtung Süden. Die NATO wird diesen Vorfall untersuchen.[4]
  • Am 30. Juli 2010 flogen zwei Tu-95S über die nördliche Grenze von Kanada, woraufhin zwei kanadische Abfangjäger vom Typ C/F-18 aufstiegen.[5]
  • Am 19. Oktober 2010 flogen zwei Tu-95S über der Nordsee, und wurden abwechselnd von britischen, dänischen und niederländischen Abfangjägern begleitet.[6]
  • In der Nacht vom 19. zum 20. Januar 2011 wurden über der Nordsee zwei Tu-95 zuerst von norwegischen, anschließend abwechselnd von dänischen, niederländischen und britischen Abfangjägern begleitet.[7]
  • Am Morgen des 7. Juni 2011 wurden abermals zwei Tu-95 von zwei niederländischen F-16-Kampfjets über nordniederländischen Luftraum begleitet. Außerdem seien die beiden russischen Bomber auch von Jagdflugzeugen aus Großbritannien und Dänemark eskortiert worden.[8]

Als westliches Gegenstück zur Tu-95 kann die Boeing B-52 gelten; trotz unterschiedlicher technischer Auslegung ist sie mit der Tu-95 in Bezug auf Abmessungen, Einsatzspektrum und Bauzeit gut vergleichbar.

Mit entsprechenden Nachrüstungen könnte die Tu-95 noch weitere 30 Jahre im Einsatz bleiben. Einziger Exportkunde der Tu-95 ist (Stand 2008) die indische Marine, die ihre Maschinen in Dabolim stationiert hat.

Versionen

TU-95RTs
  • Tu-95/1 – Prototyp.
  • Tu-95/2 – Prototyp.
  • Tu-95K – Experimental-Version für den Luftabwurf von MiG-19-SM-20-Flugzeugen.
  • Tu-95M-55 – Raketenträgerversion.
  • Tu-95N – Experimentalversion für den Luftabwurf von Flugzeugen mit Staustrahltriebwerk.
  • Tu-95LaL (Tu-119) – Experimentalflugzeug (Werksnummer 7800408) für den Test von mit Nuklearantrieb ausgerüsteten Flugzeugen. Aufgrund eines ersten entsprechenden Beschlusses des Ministerrats vom 12. August 1955 entwickelt. 1958 begannen die Bodenerprobungen der umgebauten Tu-95 auf dem Militärflugplatz Tschemoljan bei Semipalatinsk und im Juni 1959 wurde erstmals der Reaktor hochgefahren. Die Besatzung wurde durch einen 20 cm dicken schweren Bleischirm geschützt. Der Erstflug unter dem Kommando von Michail Njuchtikow erfolgte Mai 1961. Insgesamt wurden bis zum August 1961 34 Testflüge durchgeführt, wobei die Triebwerke hauptsächlich mit Kerosin betrieben wurden und der Reaktor nur als zusätzlicher Energielieferant für die Triebwerke dienen sollte. Der Prototyp ist heute an der fliegertechnischen Schule der Luftstreitkräfte in Irkutsk ausgestellt. Das Einsatzmuster sollte Tu-119 heißen und in den 1970er-Jahren zum Erstflug starten, wozu es allerdings nie kam. Ein ähnliches Konzept kam bei dem Prototyp AN-22PLO zum Einsatz.
  • Tu-96 – Prototyp eines interkontinentalen strategischen Bombers für den Flug in großer Höhe, eine hochfliegende Version der Tupolew Tu-95 mit leistungsgesteigerten TW-16-Turboprop-Motoren und neuen größeren Tragflächen. Tests der Flugzeuge wurden mit nicht leistungsgesteigerten TW-12-Motoren zwischen 1955 und 1956 ausgeführt.[9]
  • Tu-116 – modifizierte Tu-95 mit Passagierkabine als Notlösung während der Entwicklung der Tu-114. Nur zwei Stück umgebaut.
  • Tu-95/Tu-95M – Basisversion des strategischen Bombers und das einzige Modell des Flugzeugs, das mit einer Betankungssonde in der Nase ausgerüstet war. Bekannt als Bear-A.
  • Tu-95U – Trainingsversion.
  • Tu-95K/Tu-95KD – Version für den Start der Luft-Boden-Rakete Raduga Ch-20. In der die NATO als Bear-B bezeichnet.
  • Tu-95KM – Modifizierte und verbesserte Version der Tu-95K, die vor allem bessere Aufklärungssysteme erhielten. In der die NATO als Bear-B bezeichnet.
  • Tu-95RTs – Variante der Basisversion für die Marine zur elektronischen Aufklärung. In der NATO als Bear-D bezeichnet.
  • Tu-95MR – Variante für die Marine zur Foto-Aufklärung. In der die NATO als Bear-E bezeichnet.
  • Tu-95K22 – Umbau der älteren Tu-95-Bomber mit moderner Avionik und für den Einsatz der Raduga-Ch-22-Rakete. In der NATO als Bear-G bezeichnet.
  • Tu-142 – Maritime Aufklärungs-/Anti-U-Boot-Version der Tu-95
  • Tu-95MS/Tu-95MS6/Tu-95MS16 – völlig neue Trägerversion für Marschflugkörper (z. B. Raduga Ch-55) auf der Grundlage der Tu-142. In der NATO als Bear-H bezeichnet.
  • Tu-95U – Trainingsversion auf Basis von umgebauten alten Tu-95. In der NATO als Bear-T bezeichnet.
  • Tu-95W – umgebaute Tu-95 für den Abwurf der Zar-Bombe

Technische Daten

Kenngröße Tu-95-1 Tu-95 Tu-96 Tu-95M Tu-95K Tu-95PZ Tu-95MS
Exemplare 1 (Prototyp)
Erstflug 1952 1955 1956 1957 1958 1962 1979
Triebwerke 4 × 2TW-2F 4 × NK-12 4 × NK-12M 4 × NK-12M 4 × NK-12MB 4 × NK-12MP
Leistung je Triebwerk (PS) 12.000 15.000
Spannweite (m) 49,8 50,04 51,4 50,04
Länge (m) 44,35 46,17 46,2 46,17 46,9 46,13
Höhe (m) 12,5 12,35 12,5 13,2
Flügelfläche (m²) 284,9 283,7 345,5 283,7 295
Abflugmasse (t) 156 172 182 t 185 t
Leermasse (t) 83,1 84,3 86
Höchstgeschwindigkeit (km/h) 890 882 880 905 860 910 830
Reisegeschwindigkeit (km/h) 720–750
Gipfelhöhe (m) 13.500 11.900 12.400 11.900 11.600 10.300 10.500
Reichweite (km) 14.200 12.100 15.000 13.200 6900–7000 13.500 10.500
Besatzung 10 8–9 8 8–9 8–9 9 7
Bomben 12–15 12 12
Raketenbewaffnung 1 × X-20M 6 × X-55MS
Abwehrbewaffnung 6 × AM-23 2 × GScha-23

Technische Daten (Tu-95MS)

Eine sowjetische Tu-95, begleitet von einer US-amerikanischen F-4 (1974)
Tu-95 auf der MAKS 2007
Risszeichnung Tu-95
  • Typ: strategischer schwerer Bomber und raketenbestücktes Kampfflugzeug
  • Besatzung: Sieben Mann
  • Antrieb: Vier Propellerturbinen Kusnezow NK-12M (MV) mit je 15.000 PS
  • Abmessungen:
    • Länge: 47,09 m
    • Spannweite: 50,05 m
    • Höhe: 13,20 m
    • Flügelfläche: 295 m²
  • Gewicht:
    • Leergewicht: 94.400 kg
    • Max. Startgewicht: 187.700 kg
    • Max. Treibstoffmasse: 87.000 kg
  • Flugleistung:
    • Höchstgeschwindigkeit (große Höhe): 830 km/h
    • Geschwindigkeit in Bodennähe: 650 km/h
    • Marschgeschwindigkeit: 710 km/h
    • Reichweite: 10.500 km
    • Kampfradius: 6.500 km
    • Gipfelhöhe: 12.000 m
  • Bewaffnung:
    • Zwei 23-mm-Kanonen GSch-23 oder GSch-23L im Heck
    • 9.000 kg Freifallbomben (normal)
    • 20.000 kg (maximal)
    • bis zu 25.000 kg (Überladung)

Literatur

  1. Ferdinand C. W. Käsmann: Weltrekordflugzeuge Band 1, 2. Auflage 1999, Aviatic Verlag GmbH Oberhaching, S. 106
  2. Britische Kampfjets gehen auf Abfangkurs in der SZ vom 18. Juli 2007
  3. stern.de: Russische Bomber über US-Flugzeugträger
  4. stern.de: Two Russian bombers fly over Icelandic airspace
  5. echo-online.de: Kanadische Jagdflieger fangen russische Bomber ab
  6. F16's volgen Russische bommenwerpers. nos.nl, 19. Oktober 2010, abgerufen am 20. Oktober 2010 (niederländisch).
  7. F16's onderscheppen Russen boven Noordzee. nos.nl, 20. Januar 2011, abgerufen am 20. Januar 2011 (niederländisch).
  8. Alarm: Russische „Bären“ in Europas Himmel? RIA Novosti, 8. Juni 2011, abgerufen am 8. Juni 2011 (deutsch).
  9. Tu-96 bei globalsecurity.org
  • Awiazija i Wremija 5/96

Weblinks


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