Paartherapie

Paartherapie

Paartherapie ist eine Form der Psychotherapie, die der Bearbeitung akuter oder chronischer Konflikte in einer Paar- bzw. Zweierbeziehung dient. Für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Konflikten in Paarbeziehungen gibt es verschiedene Erklärungsmodelle.

Psychoanalytisch orientierte Ansätze gehen davon aus, dass chronischen Paarkonflikten neurotische Dispositionen eines oder beider Partner zugrunde liegen.

Für Fälle, in denen diese neurotischen Dispositionen wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen, hat Jürg Willi den Begriff Kollusion geprägt.[1] In diesen Fällen haben (nach Willi) beide Partner bestimmte zentrale Konflikte aus früheren seelischen Entwicklungsphasen in ihrer Persönlichkeit nicht verarbeitet und leben nun entgegengesetzte, sich zunächst aber ergänzende „Lösungen“ dieser inneren Konflikte aus. Bei Paaren, bei denen z. B. eine narzisstische Störung im Vordergrund steht, findet sich oft eine Konstellation, in der einer der Partner bewundert werden will und der andere ihn gern bewundert und idealisiert, seinen eigenen nicht gelebten Narzissmus – im Sinne einer interpersonalen Abwehr – also an den anderen delegiert, während gleichzeitig ein Stück von dessen grandiosem Abglanz auch auf ihn als Partner fällt. Im Zusammenleben kommt es im Laufe der Zeit oft zu einer zunehmenden Polarisierung innerhalb eines kollusiven neurotischen Arrangements, mit der Folge, dass die dann gelebten Extrempositionen für einen oder beide Partner belastend werden (wenn beispielsweise der eine Partner immer unselbstständiger, der andere immer selbstständiger und dominanter wird).

In der Tradition der humanistischen Psychologie, insbesondere der Gestalttherapie, steht das von Michael Cöllen entwickelte Verfahren der Paarsynthese.[2] Als zentrale Annahme gilt, dass Liebe und Intimität als frühe Antriebskräfte des Lebens wirken. Die emotional-intime Bindung wird als entscheidender Faktor der Persönlichkeitsentwicklung gesehen, insbesondere in ihrer Auswirkung auf die Liebes- und Konfliktdynamik des Paares. Die therapeutische Arbeit konzentriert sich auf die Verdeutlichung und Bearbeitung paardynamisch wirkender narzisstischer Störungen, die Förderung des intimen Austausches auf den Dialogebenen Körper, Gefühl, Sprache, Seele und Zeit sowie auf ein Verständnis von Liebe als Sinn- und Lebensorientierung.

Ein weiterer paartherapeutischer Ansatz kommt aus der Mehrgenerationen-Familientherapie. Diesem Modell folgend wird der Ausgangspunkt der Paarkonflikte in den Herkunftsfamilien der beiden Partner vermutet. Dabei wird davon ausgegangen, dass über mehrere Generationen hinweg ein „familiärer Grundkonflikt“ besteht, den das Paar im Heute wiederbelebt.[3] Zentrale Begriffe sind hierbei beispielsweise Loyalität und die sich daraus ergebenden Bindungen[4] sowie der Begriff der Delegation und die widersprüchlichen Aufträge aus den Herkunftsfamilien.[5]

Bei der Systemischen Paartherapie steht die Frage im Mittelpunkt, durch welche „zirkulären Prozesse“ die Konflikte des Paares aufrechterhalten werden. Hierbei wird zwischen der Ebene des Verhaltens, der Interaktionsmuster und der Wirklichkeitskonstruktionen unterschieden.[6] Zentrale Begriffe der Systemischen Paartherapie sind unter anderen Zirkularität, Reframing, Neutralität, Lösungs- und Ressourcenorientierung und positive Konnotation.[7]

Kommunikationspsychologische Ansätze in der Paartherapie versuchen die Kommunikationsformen der Partner zu verbessern. So hat der Psychologe John Gottman typische Kommunikationsmuster beschrieben und als die „vier apokalyptischen Reiter einer Paarbeziehung“ bezeichnet, die geeignet sind, eine Ehe bzw. intime Beziehung dauerhaft zu ruinieren:[8]

  1. Kritik: Schuldzuweisungen und Anklagen, die ihren Höhepunkt in einer generellen Verurteilung des Partners finden
  2. Verteidigung mit Rechtfertigung und Verleugnung der eigenen Anteile, die zum Konflikt beitragen
  3. Verachtung und Geringschätzung des Partners
  4. „Mauern“, Schließen der Schotten und Rückzug

Die Demonstration der eigenen Macht wird – auch als Abwehr von Ohnmachtsgefühlen – auf allen Stufen eines Konfliktverlaufs eingesetzt und gelegentlich, so von dem Berliner Wissenschaftsautor Bas Kast, als „fünfter apokalyptischer Reiter“ bezeichnet.

Ein eklektizistischer Ansatz ist die „Imago-Therapie“ von Harville Hendrix und Helen Hunt, die Psychoanalytische Theorie, Tiefenpsychologie, Behaviorismus, Systemische Theorie, Gestalttherapie, Transaktionsanalyse und Kognitive Therapie verbindet. Die traditionelle Therapeuten-Klienten Beziehung wird in der Imago-Therapie in die Hände des Paares selbst gelegt.

Paartherapeuten bemühen sich in der Regel zunächst, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Partner ihre verschiedenen Bedürfnisse, Ängste und Befürchtungen zum Ausdruck bringen und abklären können. Dies kann der Ausgangspunkt für einen Verständigungsprozess sein, in dem ein tieferes Verständnis der Partner für die Konfliktdynamik, die eigenen Anteile daran und die Persönlichkeit des jeweils anderen entsteht, so dass im Idealfall eine vertiefte seelische Beziehung mit mehr Flexibilität, Toleranz, Offenheit und Nähe ermöglicht wird. Dieser Prozess kann eine neue Basis für ein Leben miteinander (und nicht gegeneinander) entstehen lassen.

Weblinks

Quellen

  1. J. Willi: „Die Zweierbeziehung. Spannungsursachen, Störungsmuster, Klärungsprozesse, Lösungsmodelle.“ Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999, 1975, ISBN 3-499-60509-0
  2. M. Cöllen: Liebe deinen Partner wie dich selbst - Wege für Paare aus narzisstischen Krisen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005, ISBN 978-3-579-065090
  3. A. Massin, G. Reich u. Eckhard Sperling: „Die Mehrgenerationen-Familientherapie“ Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1994, 1992, ISBN 3-525-45740-5
  4. I. Boszormenyi-Nagy, M. Spark: „Unsichtbare Bindungen. Die Dynamik familiärer Systeme“ Klett-Cotta, Stuttgart 1981, Org. 1973, ISBN 3-608-91297-5
  5. Helm Stierlin: „Delegation und Familie“ Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1982, 1978, ISBN 3-518-37331-5
  6. Arnold Retzer: Systemische Paartherapie. Klett-Cotta, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-94365-X
  7. Arist von Schlippe und J. Schweitzer: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997, 1996, ISBN 3-525-45659-X
  8. Sciencegarden, 1. September 2004: Liebe kann man lernen und Die apokalyptischen Reiter

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