Mutarotation

Mutarotation

Als Mutarotation (von lateinisch mutare, dt. ‚ändern‘) bezeichnet man die spontane Änderung des Drehwinkels einer Lösung eines optisch aktiven Stoffes vom Zeitpunkt des Ansetzens der Lösung bis zum Erreichen eines festen Wertes.[1] An diesem Punkt ist das thermodynamische Gleichgewicht erreicht. Ursache für die Mutarotation kann Epimerisierung oder eine sonstige asymmetrische Umwandlung sein.

Mutarotation bei Kohlenhydraten

Viele Kohlenhydrate sind optisch aktiv, d. h., sie drehen linear polarisiertes Licht um einen für jede Struktur spezifischen Drehwinkel. Löst man z. B. kristalline D-Glucose in Wasser, so beobachtet man im Polarimeter bei der frisch zubereiteten Lösung eine kontinuierliche Änderung des Drehwinkels, bis schließlich ein konstanter Wert erreicht ist. Die Geschwindigkeit der Gleichgewichtseinstellung ist temperatur- und pH-abhängig.

Ursache ist, dass Aldopentosen, Aldohexosen und längerkettige Kohlenhydrate (Zuckermoleküle mit einer Aldehydgruppe und fünf, sechs bzw. mehr Kohlenstoffatomen) in wässriger Lösung im Wesentlichen nicht offenkettig, sondern ringförmig als Halbacetal vorliegen, d. h., die Aldehydgruppe geht eine Bindung mit der vorletzten Hydroxygruppe ein. Hier entsteht ein neues Chiralitätszentrum und zwei mögliche Isomere (genauer: Diastereomere), das α- oder β-Anomer, die sich entsprechend auch in ihrem optischen Drehwinkel unterscheiden. Nun liegt die offenkettige Form mit der Ringform in einem dynamischen Gleichgewicht, das allerdings sehr auf Seiten der Ringform liegt. Weil bei jeder Ringbildung die α- oder β-Form entstehen kann, liegen also auch diese beiden in einem Gleichgewicht mit einer ganz bestimmten Konstante. Eine solche chemische Umwandlung, bei der die Konfiguration nur eines stereogenen Zentrums eines Diastereomers geändert wird, bezeichnet man als Epimerisierung.

Zum Beispiel liegt die Glucose im Gleichgewicht ihrer offenkettigen Form (0,02 % in neutraler Lösung), der α-D-Glucopyranose und der β-D-Glucopyranose vor.[2] Eine Lösung von α-D-Glucopyranose (Drehwinkel +109°) wird also durch kontinuierliche Ringspaltung zu einem Gemisch mit der β-D-Glucopyranose (Drehwinkel +20°), und der Drehwinkel der Lösung erreicht nach einiger Zeit, wenn das Gleichgewicht herrscht, den Wert von +52°.[3] Es liegt offensichtlich kein 1:1-Gemisch vor, das Epimerenverhältnis α:β ist vielmehr 36:64.

Mutarotation: D-Glucose-Moleküle liegen als cyclische Halbacetale vor, die zueinander epimer (= diastereomer) sind. Das Epimerenverhältnis α:β beträgt 36:64. In der α-D-Glucopyranose (links) steht die blau markierte Hydroxygruppe am anomeren Zentrum in axialer Position, in der β-D-Glucopyranose (rechts) hingegen steht die blau markierte Hydroxygruppe am anomeren Zentrum in equatorialer Position. Die offenkettige Form der Aldose mit der freien Aldehydgruppe steht in der Mitte. Nur 0,02% der D-Glucose-Moleküle liegen so vor.

Andere Beispiele

D-Gluconsäure ([α]20D = −6,72°) liegt im Gleichgewicht mit γ-Glucono-1,5-lacton ([α]20D = +67,8°) und δ-Glucono-1,6-lacton vor ([α]20D = +63,5°).[4] Im Gleichgewicht liegt die optische Drehung bei +12°.[5] Die Gleichgewichtseinstellung erfolgt in diesem Fall über die Lakton-Bildung.

Einzelnachweise

  1. S. Ebel, H. J. Roth (Herausgeber): Lexikon der Pharmazie, Georg Thieme Verlag, 1987, ISBN 3-13-672201-9, S. 450.
  2. Albert Gossauer: Struktur und Reaktivität der Biomoleküle, Verlag Helvetica Chimica Acta, Zürich, 2006, ISBN 978-3-906390-29-1, S. 322–324.
  3. Reinhard Mattisek, Gabriele Steiner, Markus Fischer: Lebensmittelanalytik. 4. Auflage. Springer, Berlin 2010, ISBN 978-3-540-92205-6, doi:10.1007/978-3-540-92205-6. 
  4. K. Rehorst: Zur Kenntnis einiger Oxy‐säuren der Zuckergruppe, I.: d‐Zuckersäure und d‐Glykonsäure. In: Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft (A and B Series). 61, Nr. 1, 1928, S. 163–171, doi:10.1002/cber.19280610126.
  5. W. Bähr, H. Theobald: Organische Stereochemie. Springer-Verlag, 1973.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Mutarotation — is the change in the optical rotation that occurs by epimerization (that is the change in the equilibrium between two epimers, when the corresponding stereocenters interconvert). Cyclic sugars show mutarotation as α and β anomeric forms… …   Wikipedia

  • mutarotation — ● mutarotation nom féminin Changement du pouvoir rotatoire d une solution d un composé actif sur la lumière polarisée. (La mutarotation d une solution de glucose traduit l équilibre chimique entre les deux anomères de ce corps.) …   Encyclopédie Universelle

  • Mutarotation — La mutarotation est l évolution du pouvoir rotatoire d’une solution d’une forme pure vers le pouvoir rotatoire de la solution du mélange α+ β à l’équilibre thermodynamique. Il est décrit par le chimiste français Augustin Pierre Dubrunfaut en 1846 …   Wikipédia en Français

  • Mutarotation — Mu|ta|ro|ta|ti|on [lat. mutare = vertauschen, wechseln, verändern, versetzen; ↑ Rotation] in Lsg. mancher optisch aktiver Zucker auftretende langsame, durch Säuren, Basen oder ↑ Mutarotase beschleunigbare Änderung des optischen Drehwertes [αD],… …   Universal-Lexikon

  • mutarotation — mutarotacija statusas T sritis chemija apibrėžtis Optiškai aktyvių junginių tirpalų šviesos poliarizacijos plokštumos sukimo kampo savaiminis kitimas. atitikmenys: angl. mutarotation rus. мутаротация …   Chemijos terminų aiškinamasis žodynas

  • mutarotation — Change in optical rotation with time as an optical isomer in solution converts into other optical isomers …   Dictionary of molecular biology

  • mutarotation — /myooh teuh roh tay sheuhn/, n. Chem. a gradual change in the optical rotation of freshly prepared solutions of reducing sugars. [1895 1900; < L muta(re) to change + ROTATION] * * * …   Universalium

  • mutarotation — noun A dynamic change in the rotation of polarized light as it passes through a fresh solution of some sugars as an equilibrium mixture of anomers is formed …   Wiktionary

  • mutarotation — The process of changing specific rotation at a given wavelength; e.g., a solution of α d glucose recrystallized from its solution in acetic acid and freshly dissolved in water gives a rotation of [α] = +112.2°, but when recrystallized from a… …   Medical dictionary

  • Mutarotation — Mu|ta|ro|ta|ti|on die; , en <zu lat. mutare »(ver)ändern«> allmähliche Veränderung der Schwingungsebene von polarisiertem Licht (bei wässrigen Lösungen von einfachen Zuckern; Chem.) …   Das große Fremdwörterbuch

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”