Archivwesen

Archivwesen

Das Archivwesen ist das organisatorische Geflecht der Archive. Prägend sind im deutschsprachigen Bereich die öffentlichen Staats- und Kommunalarchive, in denen hauptamtliche Archivare mit fachlicher Ausbildung beschäftigt sind. Das Berufsbild wird in Deutschland traditionell stark bestimmt von Beamten des höheren und gehobenen Dienstes, Archivaren, die ihre Ausbildung an den Archivschulen in Marburg, München und Potsdam erhalten haben.

Die Archivschulen bieten auch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen an, ebenso wie die Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare e. V..

Neben den öffentlichen Archiven bestehen auch zahlreiche Privatarchive, z. B. Adels-, Familien-, Wirtschafts- und Firmenarchive (siehe auch: Archivsparten).

Als wichtigste Aufgabenfelder in den „klassischen“ Archiven, den Staatsarchiven und Kommunalarchiven, gelten:

Inhaltsverzeichnis

Beratung bei der Schriftgutverwaltung und Archivische Bewertung

Eine wichtige Aufgabe der Archive ist die Beratung der Verwaltung bzw. der ihnen zugeordneten Provenienzstellen hinsichtlich der Organisation der Schriftgutverwaltung. Wichtige Normen und Normen und Standards in diesem Bereich sind das DOMEA-Konzept, die DIN ISO 15489 und die Model Requirements for the Management of Electronic Records (MoReq). Die Bewertung entscheidet über die Archivwürdigkeit der in den Registraturen oder im Zwischenarchiv vorhandenen Unterlagen, die den Archiven angeboten werden. Unterlagen, denen durch die Archivare kein dauerhafter Wert zugemessen wird, müssen vernichtet werden - man spricht im Archivwesen von Kassation, in Österreich von Skartierung.

Die Bewertungsvorgänge werden in einem Bewertungsprotokoll dokumentiert. Im Ablieferungsverzeichnis werden die an ein Archiv übergebenen Vorgänge aufgeführt.

Bestandserhaltung

Zur Bestandserhaltung zählen in Archiven die vorbeugende (passive) Konservierung und die Restaurierung. Konservierungsmaßnahme kann zum Beispiel die Wahl eines Magazin-Zweckgebäudes sein, das den konservatorischen Anforderungen an Luftfeuchtigkeit und Temperatur (Klima) genügt. Hierzu gehört auch die Wahl von geeigneten, säurefreien Verpackungsmaterialien in Form von Mappen oder Boxen. Auch die Benutzungsordnungen, die den Umgang mit den Archivalien regeln, sollen längstmöglichste Verwendbarkeit von Archivgut sicherstellen. Die Restaurierung dient der Behebung von bereits eingetretenen Schäden wie z.B. durch Schimmelpilze, Säurefrass, Wasser etc.. Restauratorische Maßnahmen können Massenentsäuerungen, Papierstabilisation u.Ä. sein.

Eine professionelle Restauration ist immer teuer, weshalb stets auf optimale konservatorische Bedingungen geachtet werden sollte.

Zudem gehört der Schutz gegen Diebstahl von Archivgut zur Bestandserhaltung.

Archivische Erschließung

Übernommene Unterlagen werden nach dem Provenienzprinzip im Archiv erschlossen. Die Gesamtgliederung der Archivbestände eines Archivs wird als Tektonik bezeichnet. Die Gesamtübersicht (auch Beständeübersicht), die mitunter bereits im Internet einsehbar ist, dokumentiert die Tektonik und charakterisiert kurz die einzelnen Bestände.

Auf der Ebene der Bestände werden die Archivalien durch Erstellung von Findmitteln erschlossen, in denen der Inhalt der einzelnen Archivalieneinheiten durch eine Inhaltsangabe beschrieben wird. Traditionell dienten Repertorien oder Findbücher der Erschließung von Akten- oder Urkundenbeständen, während andere Unterlagen in Karteiform verzeichnet wurden.

Wichtige Elemente der archivischen Erschließung sind die Signatur, die Aufnahme des Titels und die Laufzeit, ebenso die Verzeichnungsebene und der Archivalientyp. Zudem sollen bei der Erschließung die geltenden Schutzfristen aufgenommen werden. Weitere Metadaten können aufgenommen werden zum Erhaltungszustand des Archivgutes sowie zur Bestands- und Behördengeschichte. Mit der Signatur (auch Bestandssignatur) wird die Bestandseinheit eindeutig in der Tektonik des Archivs lokalisiert.

Internationale Normen und Standards wie ISAD(G) und ISAAR(CPF) erleichtern und vereinheitlichen die Erschließung.

Heute werden in den meisten Archiven die Bestände mit EDV erschlossen, wobei oft auch Ausdrucke der mit Archivsoftware bzw. Archivprogrammen erstellten Datenbanken dem Benutzer vorlegt werden. Professionelle Software enthält einen OPAC zur browsergestützten Präsentation im Intranet oder Internet.

Archivische Sammlungen

In der Regel gibt es in allen Archiven Sammlungen von Materialien, die das „klassische“ Archivgut, das von den abgebenden Stellen übernommen wird, ergänzen, beispielsweise zeitgeschichtliche Sammlungen. Hierzu wird auch die Übernahme von Nachlässen gezählt. Fast alle Archive haben mehr oder minder große Dienstbibliotheken, die vor allem im Bereich landes- und regionalgeschichtlicher Literatur nicht selten hervorragende Bestände aufweisen. In den staatlichen Archiven dürfen diese das staatliche Archivgut jedoch nicht ersetzen.

Benutzung

Das Archivgut steht zumindest in öffentlich-rechtlichen Archiven für die allgemeine Benutzung zur Verfügung. Die Benutzung erfolgt im Regelfall vor Ort in den Lesesälen der Archive. Die Recherche nach Materialien in einem Archiv sollten Benutzer nach Beratung zu einschlägigen Beständen selbst vornehmen. Eine tiefe schriftliche Auskunftserteilung für den Benutzer findet in vielen (staatlichen) Archiven nicht mehr statt. Eine Benutzung kann über Repertorien oder Findbücher vor Ort im Archiv selbst geschehen, über publizierte Repertorien oder inzwischen in immer größerem Maßstab über archivische Online-Findmittel. Archivportale helfen den Benutzern dabei, das oder die Archive zu finden, die Quellen zur eigenen Fragestellung enthalten. Manche Archivportale ermöglichen auch die übergreifende Recherche nach Archivalien in verschiedenen Archiven.

Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit

Als Oberbegriff der Bildungsarbeit hat sich Archivpädagogik etabliert. Öffentlichkeitsarbeit erfolgt meist durch Führungen, Ausstellungen, eigene Publikationen und zunehmend auch im Internet. Schwerpunkt der Publikationstätigkeit von Archivaren sind Quelleneditionen, Arbeiten zu den Historischen Hilfswissenschaften oder zur Archivgeschichte. Wie intensiv Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit in den Archiven durchgeführt wird, ist unterschiedlich. Oft genießen die anderen der oben beschrieben Aufgaben Vorrang, da sie – im Gegensatz zur Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit- das primäre Ziel der Archive- die Überlieferungsbildung- verfolgen.

Aus- und Fortbildung

Die Archivausbildung des öffentlichen Dienstes für den höheren und gehobenen Dienst erfolgt für die meisten Bundesländer überwiegend an der Archivschule Marburg. Daneben bietet der Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam seit 1993 eine verwaltungsexterne Ausbildung zum/zur Diplom-Archivar/-in. Grundlage der Ausbildung bildet die Integration der drei informationswissenschaftlichen Disziplinen Archiv-, Bibliotheks- und Dokumentationswissenschaft. Der Fachbereich bildet Archivare für alle Archivsparten aus. Zum WS 2004/2005 erfolgte die Umstellung auf einen Bachelor-Abschluss. Die Ausbildung für den mittleren, gehobenen und höheren Archivdienst in Bayern erfolgt an der Bayerischen Archivschule in München. Die bundesweit staatlich anerkannte Ausbildung für den mittleren Dienst ist die duale Ausbildung zum "Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste mit Fachbereich Archiv" kurz FaMI FR Archiv.

Integrierte Ausbildungsgänge existieren auch in der Schweiz; Berufsausbildungen zu Fachfrau/Fachmann Information und Dokumentation[1], Hochschulstudien zu Informations- und Dokumentations-Spezialistinnen und -Spezialisten in Genf und Chur. Beide Fachhochschulen und die Universität Bern bieten Nachdiplomausbildungen auf Masterstufe an.

Archivrecht

Die Aufgabenerfüllung der Archive wirft in sämtlichen Aufgabenbereichen eines Archivs eine Fülle von Rechtsfragen auf. Archivare kennen sich daher auf dem Gebiet des archivischen Rechts aus. Neben den grundlegenden Archivgesetzen gehören zum Bereich des archivischen Rechts u.A. das Urheberrecht, das Datenzugangsrecht, der Bereich des Registerrechts und weitere einschlägige Rechtsbereiche. Die meist von den Staatsarchiven betriebene Archivische Denkmalpflege kümmert sich um wertvolle Privatarchive, etwa um Adelsarchive.

Archivpersonal

Der Anteil der „Quereinsteiger“ ohne Fachausbildung liegt in den Archiven (bezogen auf alle Archivsparten) bei knapp 30 Prozent. Weiterhin gibt es 32,7 Prozent wissenschaftliche Archivare (höherer Dienst), 25,2 Prozent mit Fachhochschulausbildung für den gehobenen Dienst. Nicht ins Gewicht fällt mit 2,7 Prozent der (Münchner) mittlere Dienst. (Keine Angaben: 8,7 Prozent; Stand der Umfrage: 2000). In den staatlichen Archiven ist eine Einstellung ohne Laufbahnqualifikation allerdings eher selten.

Siehe auch

Literatur

  • Sabine Brenner-Wilczek, Gertrude Cepl-Kaufmann, Max Plassmann: Einführung in die moderne Archivarbeit. Darmstadt 2006.
  • Eckhart G. Franz: Einführung in die Archivkunde. Darmstadt 2007.
  • Evelyn Kroker, Renate Köhne-Lindenlaub, Wilfried Reininghaus (Hrsg.): Handbuch für Wirtschaftsarchive. Theorie und Praxis. R. Oldenbourg Verlag München 1998. ISBN 3-486-56365-3
  • Norbert Reimann (Hrsg.): Praktische Archivkunde : ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste - Fachrichtung Archiv. Ardey-Verlag, Münster 2008. ISBN 978-3-87023-255-9.

Einzelnachweise

  1. Ausbildungsdelegation Information & Dokumentation

Weblinks


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