Lagerbordell

Lagerbordell
Lagerbordell im KZ Mauthausen, Aufnahme aus dem Bundesarchiv
Lagerbordell im KZ Gusen, Aufnahme aus dem Bundesarchiv

Lagerbordelle wurden zwischen 1942 und 1945 in den meisten großen NS-Konzentrationslagern eingerichtet und sollten männlichen Häftlingen als Anreiz zur Mehrarbeit dienen. Sie wurden zunächst im KZ Mauthausen (Sommer 1942) und Gusen (Herbst 1942) und später in den KZ Flossenbürg (Sommer 1943), KZ Buchenwald (Sommer 1943), KZ Auschwitz-Stammlager (Herbst 1943 ), Auschwitz-Monowitz (Herbst 1943), KZ Neuengamme (Frühjahr 1944), KZ Dachau (Frühjahr 1944), KZ Sachsenhausen (Sommer 1944) und KZ Mittelbau-Dora (Anfang 1945) errichtet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Idee der Einrichtung von Lagerbordellen geht zurück auf einen Besuch des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, im KZ Mauthausen und der umliegenden Steinbrüche. Nach seinen Vorstellungen sollte die totale Ausbeutung der Arbeitskraft von männlichen KZ-Häftlingen durch die Einführung von Gratifikationen forciert werden. Privilegierten männlichen Häftlingen sollte der Besuch des „Sonderbaus“ – so der Euphemismus der SS für diese Bordellbaracken – erlaubt werden.

„Für notwendig halte ich allerdings, daß in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden.“ (Heinrich Himmler, 1942) [1]

Im Mai 1943 wurde eine „Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge“ im gesamten KZ-System eingeführt.[2] Darin wurde männlichen Häftlingen bei höherer Arbeitsleistung das Tragen eines militärischen Haarschnitts, die Zuteilung von Zigaretten, eine höhere Brieffrequenz, Einkäufe in der Kantine und der Bordellbesuch gestattet.

Auf Befehl von Heinrich Himmler entstand in Mauthausen im Juni 1942 das erste von zehn Häftlingsbordellen. Hierfür wurden Frauen „abgestellt“, die zur Häftlingskategorie „asozial“ gehörten. Viele dieser zur Prostitution gezwungenen Frauen kamen aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Zogen sich Frauen eine Geschlechtskrankheit zu, wurden sie für medizinische Versuche zur Verfügung gestellt. Schwangere wurden einer Zwangsabtreibung unterzogen.

Das Lagerbordell im KZ Auschwitz I (Stammlager) wurde ab Juni 1943 auf Geheiß Himmlers im Block 24a (gegenwärtig Sitz des Museum-Archivs) eingerichtet. Zuvor hatte die SS den Plan verworfen, eine Bordellbaracke (Bauvorhaben 93) hinter dem Block 11 zu errichten. Es eröffnete im Oktober 1943 und sollte privilegierten Funktionshäftlingen zur Belohnung dienen. Den SS-Wachen war der Besuch verboten, sie besuchten ein Bordell in der Stadt Auschwitz. Über 60 deutsche, polnische und ukrainische Frauen selektierte die SS im Frauenlager im KZ Auschwitz II–Birkenau für die beiden Bordellkommandos in Auschwitz I und KZ Auschwitz III–Monowitz. Das Lagerbordell bestand bis wenige Tage vor der Evakuierung von Auschwitz.[3]

Ab 1943 gab es innerhalb des Schutzhaftlagers in Buchenwald ein Lagerbordell für Häftlinge als „Antriebsmittel für höhere Leistungen“. Zu diesem Zweck wurden im Juli 1943 16 weibliche Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück nach Buchenwald verbracht und zur Prostitution gezwungen.

Am 11. Mai 1944 wurde im KZ Dachau ein Lagerbordell in Betrieb genommen, sechs Frauen aus Ravensbrück trafen ein. Es stand in Zusammenhang mit der Dienstvorschrift Oswald Pohls, außergewöhnliche Arbeitsleistungen bei Häftlingen zu honorieren und damit zu steigern. Gegen Ende des Jahres löste man es wieder auf.[4]

Die Frauen

Die Frauen in diesen Bordellen waren Häftlinge des zentralen Frauen-KZ Ravensbrück oder des Frauenlagers im KZ Auschwitz-Birkenau. Die SS lockte sie in die Bordelle mit dem falschen Versprechen, sie würden nach sechs Monaten freigelassen, oder selektierte sie auf dem Appellplatz. Nachweislich waren 180, wahrscheinlich aber zwischen 200 und 220 Frauen in den zehn Lagerbordellen eingesperrt. Die meisten der Frauen waren Deutsche, die als „Asoziale“ in ein Konzentrationslager verschleppt wurden. Andere waren Polinnen, Ukrainerinnen, Weißrussinnen, aber auch „Zigeunerinnen“.[5]

Die Bordellbesucher

Die Kunden waren ausschließlich Mithäftlinge, Funktionshäftlinge, die den Bordellbesuch als Sonderprämie erhielten. SS-Männern war der Besuch des Lagerbordells nicht gestattet.[6] Die Zahl der Besucher war sehr klein. Viele politische Häftlinge lehnten den Besuch eines solchen Bordells aus moralischen Gründen ab. Für die meisten Häftlinge war das Lagerbordell im täglichen Überlebenskampf bedeutungslos und wurde als groteske Einrichtung wahrgenommen.[7]

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die staatlich errichteten Lagerbordelle tabuisiert und totgeschwiegen. Fast alle Frauen verschwiegen nach dem Krieg, zur Arbeit in einem Lagerbordell gezwungen worden zu sein. Die Frauen wurden von der SS meist als „Asoziale“ bezeichnet. Möglicherweise auf Grund dieses Rufes verweigerten ihnen nach dem Krieg beide deutschen Staaten die Anerkennung ihres Opferstatusses.[8] Sie waren der Öffentlichkeit zumeist unbekannt und wurden erst seit den 1990er Jahren von Wissenschaftlern thematisiert.[9]

Bis in die 1990er Jahre galten die Betroffenen nicht als Opfer der Naziherrschaft und erhielten keine Entschädigung.[10][11][12]

Siehe auch

Literatur

Prostitution im Nationalsozialismus
  • Christa Paul: Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus. Edition Hentrich, Berlin 1994. ISBN 3-89468-141-1
  • Gabriele Czarnorwski: Frauen – Staat – Medizin. Aspekte der Körperpolitik im Nationalsozialismus. In: Frauen zwischen Auslese und Ausmerze. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. Köln 1985, Nr. 14. ISSN 0722-0189
Bordelle in Konzentrationslagern - Monografien
  • Baris Alakus, Katharina Kniefacz, Robert Vorberg: Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Mandelbaum, Wien 2006. ISBN 3-85476-205-4
  • Robert Sommer: "Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern" Schöningh, Paderborn 2009. ISBN 978-3-506-76524-6
Bordelle in Konzentrationslagern - Aufsätze
  • Kerstin Engelhardt: Frauen im Konzentrationslager Dachau. in: Dachauer Hefte. Dachau 1998, 14. ISSN 0257-9472
  • Brigitte Halbmayr: Arbeitskommando „Sonderbau“. Zur Bedeutung und Funktion von Bordellen im KZ. in: Dachauer Hefte. Dachau 2005, 21. ISSN 0257-9472
  • Peter Heigl: Zwangsprostitution im KZ-Lagerbordell Flossenbürg. in: Geschichte Quer. Aschaffenburg 1998, 6.
  • Reinhild Kassing, Christa Paul: Bordelle in deutschen Konzentrationslagern. In: K(r)ampfader. Kasseler FrauenLesbenzeitschrift. Kassel 1991, Nr. 1.
  • Hans-Peter Klausch: Das Lagerbordell von Flossenbürg. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Berlin 1992, Nr. 4. ISSN 0942-3060
  • Christa Schikorra: Prostitution weiblicher Häftlinge als Zwangsarbeit. Zur Situation „asozialer“ Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück. in: Dachauer Hefte. Dachau 2000,16. ISSN 0257-9472
  • Christa Schulz: Weibliche Häftlinge aus Ravensbrück in den Bordellen der Männerkonzentrationslager. in: Claus Füllberg-Stolberg u. a. (Hrsg.): Frauen in Konzentrationslagern. Bergen-Belsen Ravensbrück. Edition Temmen, Bremen 1994. ISBN 3-86108-237-3
  • Robert Sommer: Der Sonderbau. Die Errichtung von Bordellen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Morrisville 2006. ISBN 1-84728-844-8
  • Robert Sommer: Die Häftlingsbordelle im KZ-Komplex Auschwitz-Birkenau. Sexzwangsarbeit im Spannungsfeld von NS-‘Rassenpolitik‘ und der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. in: Akim Jah, Christoph Kopke, Alexander Korb, Alexa Stiller (Hrsg.): Nationalsozialistische Lager. Neue Beiträge zur Geschichte der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und zur Theorie und Praxis von Gedenkstättenarbeit. Münster 2006. ISBN 3-932577-55-8
  • Robert Sommer: „Sonderbau“ und Lagergesellschaft. Die Bedeutung von Bordellen in den KZ. in: Theresienstädter Studien und Dokumente. 2006. Prag 2007.
  • Christl Wickert: Tabu Lagerbordell. Vom Umgang mit der Zwangsprostitution nach 1945. in: Insa Eschenbach, Sigrid Jacobeit, Silke Wenk (Hrsg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. Campus, Frankfurt am Main und New York 2002. ISBN 3-593-37053-0

Filme

  • Caroline von der Tann, Maren Niemeyer: Das große Schweigen. Bordelle im KZ.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Heinrich Himmler über die Errichtung von Bordellen in Konzentrationslagern, Brief an Oswald Pohl vom 23. März 1942, Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Sig. NS 19/2065.
  2. Dienstvorschrift für die „Gewährung von Vergünstigungen an Häftling“ vom 15. Mai 1943, Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Sig. NS 3/ 426.
  3. Robert Sommer: Die Häftlingsbordelle im KZ-Komplex Auschwitz-Birkenau. Sexzwangsarbeit im Spannungsfeld von NS-'Rassenpolitik' und der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“, in: Jah, Kopke, Korb, Stiller (Hrsg.): „Nationalsozialistische Lager. Neue Beiträge zur Geschichte der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und zur Theorie und Praxis von Gedenkstättenarbeit“, Münster 2006.
  4. Stanislav Zámečník: (Hrsg. Comité International de Dachau): Das war Dachau. Luxemburg, 2002.
  5. Robert Sommer: „Sonderbau“ und Lagergesellschaft. Die Bedeutung von Bordellen in den KZ. in: Theresienstädter Studien und Dokumente. 2006, S. 300, Prag 2007
  6. Himmler als Zuhälter, »Die Zeit« am 6. Juli 2009
  7. Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. Europa, Wien/München 1997, S. 598. ISBN 3-203-51243-2.
  8. Christa Schikorra: Prostitution weiblicher Häftlinge als Zwangsarbeit. Zur Situation „asozialer“ Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück. in: Dachauer Hefte. Dachau 2000,16. ISSN 0257-9472.
  9. Christl Wickert: Tabu Lagerbordell. Vom Umgang mit der Zwangsprostitution nach 1945. in: Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit, Silke Wenk (Hrsg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. Campus, Frankfurt am Main und New York 2002. ISBN 3-593-37053-0.
  10. Helga Amesberger, Katrin Auer, Brigitte Halbmayr: Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern. Wien 2004.
  11. Die Aussteller - Verein zur Förderung von historischen und kunsthistorischen Ausstellungen: Rundgang durch die Ausstellung Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern
  12. Baris Alakus, Katharina Kniefacz, Robert Vorberg: „Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern“. Wien 2006, ISBN 3-85476-205-4.

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