Kawasaki-Syndrom

Kawasaki-Syndrom
Klassifikation nach ICD-10
M30.3 mukokutanes Lymphknotensyndrom (MCLS)
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Das Kawasaki-Syndrom oder mukokutanes Lymphknotensyndrom (MCLS) ist eine akute, fieberhafte, systemische Erkrankung, die durch eine Gefäßentzündung (nekrotisierende Vaskulitis) der kleinen und mittleren Arterien gekennzeichnet ist. Zusätzlich ist eine systemische Entzündung in vielen Organen vorhanden. Die Ursache ist unbekannt, man vermutet eine infektiöse Entstehung, die durch eine erbliche Grundlage begünstigt wird. Das Kawasaki-Syndrom betrifft vor allem Kleinkinder und imitiert im anfänglichen Erscheinungsbild Infektionskrankheiten wie Masern oder Scharlach.

Inhaltsverzeichnis

Epidemiologie

In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 9 von 100.000 Kindern unter 5 Jahren [1]. Asiaten sind einem besonders hohen Erkrankungsrisiko ausgesetzt, zum Beispiel liegt die Inzidenz für ein Kawasaki-Syndrom in Japan bei etwa 185 von 100.000 Kindern unter 5 Jahren [2]. 75 % aller betroffenen Kinder sind jünger als fünf Jahre, sehr häufig erkranken Patienten zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr. Jungen sind von der Krankheit etwa eineinhalb mal so oft betroffen wie Mädchen. Es gibt einen saisonalen Gipfel im Winter und Frühjahr.[3]

Klinische Erscheinungen

Es folgen aufeinander drei Phasen:

  1. Die akute fieberhafte Periode: Sie dauert bis zu zehn Tage. Das Fieber beginnt meist abrupt, und es entwickeln sich im Verlauf von drei bis vier Tagen die typischen Symptome, die dann zu der Diagnose des Kawasaki-Syndroms führen können (siehe unten bei diagnostische Kriterien).
  2. Die subakute Phase: Sie hat eine Dauer von zwei bis vier Wochen. Typisch ist eine Schuppung von Händen und Füßen.
  3. Die Phase der Rekonvaleszenz: Sie kann Monate dauern mit gelegentlich bestehender Müdigkeit und Leistungsschwäche.

Hauptsymptome

Zu 100 % Fieber
Über mehr als fünf Tage, antibiotikaresistent, lässt sich senken durch Antipyretika, mit wiederkehrenden Spitzen über 40 °C, ohne Therapie etwa zehn Tage anhaltend.
Zu 90 % Symptome der Mundhöhle, Lippen
Trockene, geschwollene, hochrote, rissige Lippen oft mit Schwellung, Erdbeerzunge (Lackzunge), intensive Rötung der Mundschleim- und Rachenhaut, so lange anhaltend wie das Fieber.
Zu 85 % Konjunktivitis
Meist beidseitige Bindehautrötung, nicht eitrig, schmerzlos, beginnt kurz nach dem Fieber, dauert ungefähr eine Woche.
Zu 80 % Exanthem
Vielgestaltiger, meistens nicht juckender, rumpfbetonter Hautausschlag ohne Bläschen, tritt innerhalb von 5 Tagen nach Fieberbeginn auf („buntes Bild“, oft ähnlich wie bei Masern oder Scharlach, aber mitunter auch ähnlich wie bei Purpura Schönlein-Henoch).
Zu 70 % Hände und Füße
Akut eine Rötung und schmerzhafte Schwellungen im Bereich der Fuß- und Handrücken. Ab der zweiten bis dritten Krankheitswoche eine Hautschuppung, die an Fingerspitzen beginnt und sich über die ganzen Hand- und Fußinnenflächen ausbreiten kann.
Zu 70 % Vergrößerung der Halslymphknoten
Akute, nicht eitrige, wenig schmerzhafte Schwellung der Halslymphknoten, oft einseitig im vorderen Halsdreieck mit einem Durchmesser von > 1,5 cm.

Nebensymptome

Herz- und Gefäßsymptome
Diese treten hauptsächlich in der Frühphase auf und sind maßgeblich für die Langzeitmorbidität und -letalität verantwortlich: Myokarditis (50 %), Perikarditis, Herzklappenprobleme, Aneurysmabildung der Herzkranzgefäße und anderer Arterien, Raynaud-Symptomatik.
Neurologische Symptome: Oft ausgeprägte Irritabilität, nicht-infektiöse Hirnhautentzündung, zentraler Hörverlust.
Atemwege
Husten, Schnupfen, Heiserkeit.
Bauchsymptome (bei 30 % aller Patienten): Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen, paralytischer Ileus, Gallenblasenhydrops (15 % sonographisch nachweisbar), Vergrößerung von Leber und Milz.
Harnwege
Harnröhrenentzündung mit Schmerzen beim Wasserlassen und Leukozyten im Urin.
Gelenke
Schmerzen und seltener Entzündungen in der 1. Krankheitswoche an multiplen Gelenken, bei Beginn dieser Beschwerden nach dem 10. Tag eher an großen gewichtstragenden Gelenken.
Augen
Uveitis anterior, die sich rasch wieder bessert und ohne Folgen abheilt.

Untersuchungsmethoden

Die Diagnose eines kompletten Kawasaki-Syndroms wird klinisch gestellt und erfordert das Fieber und 4 von 5 der anderen genannten Kriterien sowie den Ausschluss anderer Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen. Dann kann die Diagnose auch schon nach fünf Tagen Fieber gestellt werden. Kinder, die diese Kriterien nicht erfüllen, werden als so genanntes inkomplettes Kawasaki-Syndrom diagnostiziert, wenn unten genannte Nebensymptome und/oder Laborbefunde teilweise oder überwiegend zutreffen. Dies tritt häufiger bei Kindern unter einem Jahr auf und ist hier wegen des erhöhten Risikos von Koronararterienaneurysmen besonders problematisch.

Laborbefunde können die Erkrankung nicht beweisen oder widerlegen; sie können die Verdachtsdiagnose bei nicht eindeutigen klinischen Zeichen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher machen:

Serologie
AECA (anti-endothelial antibodies)[4]
Leukozyten
Leukozytose mit Linksverschiebung (50 % der Patienten haben > 15 Leukozyten/nl).
Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, CRP
Häufig erhöht, manchmal stark erhöht.
Hämoglobin
Zunehmende Anämie bei längerer Krankheitsdauer.
Thrombozyten
Stark erhöht, oft ab der zweiten bis dritten Krankheitswoche, dann auch > 1 000 Thrombozyten/nl.
Transaminasen
Häufig gering erhöht.
Albumin
Erniedrigt, ausgeprägter bei längerer und schwerer Erkrankung.
Natrium
Erniedrigt, eventuell auch als Ausdruck einer erhöhten ADH-Sekretion.
Urin
Sterile Leukozyturie.
Liquor
Bei 30 bis 50 % vermehrt Monozyten, oft ohne Eiweißerhöhung.
Gelenkflüssigkeit
Steril, > 100 000 Leukozyten/ml.

Differentialdiagnosen

Virale und bakterielle Erkrankungen, Leptospiren, systemische Form der juvenilen idiopathischen Arthritis, Polyarteriitis nodosa, Quecksilbervergiftung. Bei inkomplettem Kawasaki-Syndrom bestehen zahlreiche weitere Verwechslungsmöglichkeiten. Bei Fieber unklarer Ursache sollte besonders beim kleinen Kind frühzeitig an die Differentialdiagnose Kawasaki-Syndrom gedacht werden und neben den Laboruntersuchungen auch eine Echokardiographie durchgeführt werden mit Untersuchung der Herzkranzgefäße.

Komplikationen

  • Entzündung der Herzkranzgefäße (Koronarien)
  • Myokarditis oder Perikarditis (Herzbeutelentzündung) in der akuten Phase
  • Herzinfarkt (häufigste Todesursache: 1 bis 2 %)
  • Herzrhythmusstörungen

Herzkranzgefäße

Verkalkte, aneurysmatisch erweiterte Koronargefäße

Der Langzeitverlauf der Erkrankung ist davon abhängig, ob Veränderungen an den Koronararterien auftreten. Bei etwa 25 % der unbehandelten Kinder entwickeln sich ein oder mehrere Aneurysmen. In diesem Fall wird die tägliche Einnahme eines leichten Blutverdünners, etwa Aspirin (100 mg) bei Kindern empfohlen. Etwa die Hälfte dieser Aneurysmen bilden sich innerhalb eines Jahres wieder zurück. Bei etwa 20 % der Patienten kommt es im Laufe von Jahren zu Stenosen, die unbehandelt wiederum in fast der Hälfte der Fälle zum Herzinfarkt führen.

Therapie

Die Krankheit wird gemeinhin stationär behandelt. Die Therapie hat eine Reduktion der Entzündung und die Vermeidung von Aneurysmen der Herzkranzgefäße zum Ziel, welche meistens in der 2.-3. Woche entstehen. Es konnte gezeigt werden, dass durch eine Therapie das Auftreten von Herzkranzgefäßveränderungen von 25 % auf 2 bis 4 % gesenkt werden konnte. Deshalb ist ein Therapiebeginn vor dem zehnten Tag entscheidend für einen günstigen Verlauf. Die initiale Therapie ist:

  • Immunglobuline: 2 g/kg Körpergewicht in 12 Stunden als Infusion, nach einer sehr frühen Gabe und unbefriedigendem Ansprechen eventuell ein weiteres Mal.
  • Acetylsalicylsäure (ASS) bis zum Abklingen der akuten Entzündung hochdosiert (30 bis 100 mg/kgKG/Tag) für 14 Tage. Die Dosis wird kontrovers diskutiert.
  • Ob kortisonähnliche Medikamente bei „Therapieversagern“ hilfreich sind, ist noch Gegenstand der Forschung, sie zeigen wohl zumindest einen additiven Effekt. Eine Kortisonpulsbehandlung war nicht besser als Placebo.

Eine längerdauernde Therapie im Anschluss wird mit Acetylsalicylsäure 3 bis 5 mg/(kg*Tag) für zirka sechs bis acht Wochen empfohlen, weitere Maßnahmen richten sich nach dem Auftreten von Koronaraneurysmen: So lange ein Aneurysma besteht, sollte ASS in der niedrigen Dosierung keinesfalls abgesetzt werden. Hat sich ein großes Aneurysma mit Verengungen gebildet, sollte gegebenenfalls die Blutgerinnung stärker medikamentös gehemmt werden (Cumarin), ferner kommen eventuell Bypässe etc. in Frage.

Langzeiterwartungen

Die akute Erkrankung heilt in aller Regel ohne Komplikationen aus. Wenn Komplikationen an den Herzkranzgefäßen auftreten, ist nach heutiger Einschätzung das Arteriosklerose-Risiko aufgrund der veränderten Gefäßwand erhöht. Aus diesem Grund sollten Kawasaki-Patienten langfristig kardiologisch nachuntersucht werden. Ein weiteres Symptom ist eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Körpers bei Belastung (Sport).

Geschichte

Das Kawasaki-Syndrom wurde in Japan seit 1961 beobachtet und als eigenständiges Krankheitsbild 1967 durch den Arzt Tomisaku Kawasaki beschrieben. Eine Studie aus dem Jahr 2011 bringt die Erkrankung in Zusammenhang mit Luftströmungen vom Meer. [5]

Literatur

  • G. Dannecker: Kawasaki-Syndrom. In: Monatsschrift Kinderheilkunde. Ausgabe 154(9/2006):872-9.
  • Robert Berkow (Herausgeber): MSD Manual. Handbuch Gesundheit. Seite 1277, München 1999.

Weblinks

 Commons: Kawasaki-Syndrom – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Ein weiterer ausführlicher Artikel über das Kawasaki-Syndrom

Einzelnachweise

  1. H. Cremer: Kawasaki-Syndrom. In: Dieter Adam, H. W. Doerr, H. Link (Herausgeber): Die Infektiologie. Springer, Berlin, 2004, 3540000755, Seite 1208
  2. Nakamura Y und andere: Epidemiologic features of Kawasaki disease in Japan: results from the nationwide survey in 2005-2006 In: J Epidemiol. 18(4):167-72, 2008
  3. G. Dannecker: Kawasaki-Syndrom. In: Monatsschrift Kinderheilkunde 2006; 154:872-879
  4. Gerd Herold: Innere Medizin, 2005, Seite 579
  5. Xavier Rodó, Joan Ballester, Dan Cayan, Marian E. Melish, Yoshikazu Nakamura, Ritei Uehara, Jane C. Burns: Association of Kawasaki disease with tropospheric wind patterns. In: Scientific Reports, 2011. DOI: 10.1038/srep00152
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