Kammscher Kreis

Kammscher Kreis

Der kammsche Kreis oder kammsche Reibkreis (benannt nach Wunibald Kamm) ist eine grafische Darstellung zur Aufteilung der möglichen Gesamtkraft am Rad in die Seitenführungskraft in Querrichtung und die Bremskraft bzw. Antriebskraft in Längsrichtung des Rades bis zum Erreichen der maximalen Reibungskraft.

Erläuterung

Maximal mögliche Bremskraft bzw. Antriebskraft bei gegebener Seitenführungskraft („Fliehkraft“)

Der kammsche Kreis stellt den idealisierten Zusammenhang zwischen Längs- und Seitenführungskraft am Rad eines Fahrzeuges dar. Der Radius entspricht der jeweils zur Verfügung stehenden maximalen Gesamtkraft, die das Rad auf die Fahrbahn übertragen kann. Die max. Reibungskraft ist abhängig vom maximalen Kraftschlussbeiwert (beeinflusst durch den Fahrbahnzustand und die Rollgeschwindigkeit) und der Normalkraft auf das Rad. Nimmt beispielsweise durch Nässe der Reibwert zwischen Rad und Fahrbahn ab, verringert sich die zur Verfügung stehende Gesamtkraft.

Nähert sich im kammschen Kreis die ausgenutzte (=tatsächliche) Radgesamtkraft an den dargestellten Grenzwert an, wächst zunächst der Schlupf, bis schließlich alle Profilteilchen im Latsch gleiten. Der Schlupf/die Gleitbewegung entsteht dabei grundsätzlich in Richtung der Gesamtkraft, d. h. anteilig u. U. auch quer zur Rollrichtung; dieser Effekt führt bei fehlender Spurführung zu einem Ausbrechen des Fahrzeugs durch Unter- bzw. Übersteuern.

Die wichtigste Aussage des kammschen Kreises ist daher, dass Längs- und Seitenführungskräfte voneinander abhängen und dass die resultierende Gesamtkraft beider die zur Verfügung stehende max. Reibungskraft nicht überschreiten kann. Im allgemeinen gilt, dass bei Erhöhung der Längskraft weniger Seitenführungskraft zur Verfügung steht, also der Bedarf an Seitenführungskraft eventuell nicht gedeckt werden kann. Umgekehrt gilt, dass maximale Beschleunigung bzw. Verzögerung bei nicht spurgeführten Fahrzeugen somit nur bei Geradeausfahrt möglich ist.

Der kammsche Kreis stellt eine idealisierte Vereinfachung dar, eignet sich jedoch gut, um die Grundlage der fahrdynamischen Zusammenhänge zu erläutern. Ein erweitertes Modell, bei dem unter anderem die Abhängigkeit von der Kraftrichtung einfließt, liefert die krempelsche Reibungsellipse. Hier wird u. a. versucht, Umstände zu berücksichtigen, bei denen die maximale Umfangskraft größer als die maximale Seitenkraft ist, wie z. B. bei Pkw.

Fahrzeugtechnische Maßnahmen

Durch mechatronische Systeme ist es möglich, das Überschreiten der Kraftschlussgrenze weitgehend zu vermeiden. Mittels Antriebsschlupfregelung (ASR) bzw. Antiblockiersystemen (ABS) wird der Schlupf am Reifen so begrenzt, dass ein Blockieren bzw. Durchdrehen der Räder verhindert wird. Idealerweise erhält dies die Lenkbarkeit des Fahrzeuges in dem Maße, dass bei einer Schlupfregelung auf ein ausreichend hohes Seitenführungspotenzial geachtet wird.

Dieser Zustand wird u. a. beim Bremsen bzw. Beschleunigen in Kurven nicht immer erreicht. Zur Optimierung der Längs- und Seitenführungskräfte am Rad werden seit den 1990er-Jahren Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP/ESC) entwickelt. Als Erweiterung von ABS, meist mit ASR durch ESP/ESC, wird versucht, durch gezieltes (automatisches) Abbremsen einzelner oder mehrerer Räder sowohl das Übersteuern als auch das Untersteuern eines Fahrzeugs zu beeinflussen bzw. zu verhindern. ESP/ESC beeinflusst hierbei außer der Kraftaufteilung zwischen Längs- und Seitenführungskraft an einzelnen Rädern auch gezielt das gesamte aus diesen Radkräften resultierende Giermoment auf das Fahrzeug.

Durch Nutzung von Allradantrieb kann bei Beschleunigungen eine Verbesserung der Gesamtkraftverteilung des Fahrzeuges in Längsrichtung erreicht werden, indem diese auf vier oder mehr Räder verteilt wird. Beim Bremsen ist dieser Vorteil nicht vorhanden, da durch das verteilte Schleppmoment des Motors das ABS beeinträchtigt werden kann.

Literatur

  • Horst Bauer (Hrsg.): Kraftfahrtechnisches Taschenbuch. Robert Bosch GmbH. Vieweg-Verlag, Wiesbaden 2003. ISBN 3-528-23876-3
  • Hans-Hermann Braess, Ulrich Seiffert: Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik. Vieweg, Wiesbaden 2005. ISBN 3528331143
  • Bert Breuer, Karlheinz H. Bill (Hrsg.): Bremsenhandbuch. Grundlagen, Komponenten, Systeme, Fahrdynamik. Vieweg, Wiesbaden 2003. ISBN 3-528-03952-3

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