Akusmatik

Akusmatik

Der Begriff Akusmatik ist umstritten. Er leitet sich vom gr. akusmatikoi ab (wörtlich "Jene, die hörend teilnehmen" - zusammengesetzt aus altgr. ἅκουσμα "das Gehörte, der Unterricht" und κοινόν "der Teilnehmer"). Dieser Ausdruck bezeichnete Schüler des Pythagoras, die sich hinter einem Vorhang verbargen, um ungestört von optischen Reizen den Vorlesungen folgen zu können.

Dieser Vorhang wird heute vom Lautsprecher ersetzt, der dessen Funktion, nämlich das Verbergen der Klangquelle, übernommen hat. Der Begriff Akusmatik bezeichnet also allgemein ein musikalisch-akustisches Ereignis, dessen Erklingen nicht in direktem Zusammenhang zu seinem Ursprung steht. Alle Musik, die einzig für die Vermittlung über Tonträger (LP, CD, MP3, etc.) geschaffen wird, ist somit akusmatische Musik, ganz im Gegensatz zur Live-Musik (die ebenfalls aufgezeichnet werden kann, aber eben nicht oder nicht ausschließlich für den Tonträger bestimmt ist).

Die akusmatische Musik als Kunstform stellt eine Weiterentwicklung der Musique concrète dar. Akusmatische Arbeitsweise ermöglicht es dem Komponisten synthetische Klänge mit Klängen natürlichen Ursprungs nach seinen Vorstellungen zu kombinieren (wie bspw. in "Telemusik" (1966) von Karlheinz Stockhausen oder "Saba" (1979) von Dieter Mack). Während die Vertreter der Musique concrète sich aus konzeptionellen Gründen darauf konzentrierten, Geräusche natürlichen Ursprungs neu zusammenzusetzen, begannen die Akusmatiker synthetische und natürliche Geräusche/Klänge gleichberechtigt zu behandeln. Dadurch können sie - viel mehr auf musikalischer als konzeptioneller Ebene - ihre Möglichkeiten als Komponisten um das erweitern, was live nicht realisierbar ist. Einfacher: Akusmatik ist Musik, die aus intentionalen Gründen ausschließlich über den Umweg elektronischer Aufzeichnung zum Erklingen gebracht werden kann.

Im 20. Jahrhundert verwendete der Schriftsteller Jérome Peignot[1] erstmals den Begriff "bruit acousmatique" (frz. "akusmatisches Geräusch"): In einem Radiointerview aus dem Jahre 1955 bezeichnet er ein akustisches Ereignis, das von Tonband wiedergegeben wird, als "acousmatique". Pierre Schaeffer verglich in seinem 1966 verfassten "Traité des objects musicaux" die Rolle seines Tonbandgerätes mit der des pythagoräischen Vorhangs.

1974 schlug François Bayle vor, den Begriff Akusmatik zur Bezeichnung der speziellen Hörbedingungen von Musik zu verwenden, die für die ausschließliche Vermittlung mittels Tonträger bestimmt ist. In diesem Sinn ist der Begriff Akusmatik seitdem im Bereich der zeitgenössischen Musik etabliert.

Als Väter der akusmatischen Musik gelten Pierre Schaeffer, Karlheinz Stockhausen und Herbert Eimert.

Quellen

  1. http://jeromepeignot.free.fr/

Literatur

  • Theodor W. Adorno: Über die musikalische Verwendung des Radios, in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 15. Frankfurt am Main 1976, S. 369 - 401.
  • Roland Barthes: Musica Practica, in: L’Arc No. 40. Paris 1976, S. 15-17.
  • Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 1963.
  • Sven Hahne, Niels Hofheinz, Wolfgang Kirchheim: Tradition und Disziplin. Unbearbeitete Manuskripte zur Neuen Akusmatik. Freie Internetpublikation 2006 (PDF)
  • Christoph von Blumröder: Musique concrète – Elektronische Musik – Akusmatik. Konzeptionen der elektroakustischen Musik. Internetpublikation des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe 2011

Weblinks


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