Egmont Zechlin

Egmont Zechlin

Egmont Zechlin (* 27. Juni 1896 in Danzig; † 23. Juni 1992 in Selent) war ein deutscher Historiker und Universitätsprofessor.

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Leben und Wirken

Egmont Zechlin stammte ähnlich wie sein älterer Kollege Friedrich Meinecke aus einem bürgerlichen preußisch-protestantischen Elternhaus. Egmonts Vater Lothar war wie Meinecke in Salzwedel aufgewachsen und mit diesem seit Kindertagen befreundet. Egmont Zechlins Großvater Theodor Zechlin hatte sich als Kommunalpolitiker und Heimathistoriker der alten Hansestadt und ihrer altmärkischen Umgebung einen Namen gemacht. In seinem autobiografischen Werk „Erlebtes und Erforschtes 1896–1919“ (erschienen postum 1993) beschreibt Zechlin ausführlich seine weitläufige Familie und seine bewegte Kindheit als Sohn eines Militärpfarrers, der häufig dienstbedingt seinen Wohnort wechseln musste.

1914 meldete sich Zechlin als Achtzehnjähriger freiwillig zum Kriegsdienst, 1916 wurde er schwer verwundet und verlor seine linke Hand. Nach dem Abitur und erneutem Fronteinsatz in Mazedonien wurde er schließlich Kriegsberichterstatter für die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, zunächst im Großen Hauptquartier in Spa. 1918/19 erlebte er die Revolutionstage und den Spartakusaufstand in Berlin.

1919 begann er ein Studium der Geschichtswissenschaft, zunächst bei Friedrich Meinecke in Berlin und dann bei Hermann Oncken in Heidelberg, wo er 1922 promovierte, gefolgt von einer Assistententätigkeit bei Oncken. Erste Publikationen folgten, 1929 dann die Habilitation in Marburg mit dem Titel Bismarck und die Grundlegung der deutschen Grossmacht. 1931/32 war Zechlin Rockefeller-Stipendiat in den USA und in Ostasien, wo er Augenzeuge des japanischen Einmarsches in der Mandschurei wurde.

Im November 1933 gehörte Zechlin zu den Unterzeichnern des Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat. 1934 erhielt er seinen ersten Ruf an die Universität Marburg, gefolgt von Rufen nach Hamburg (1936), Lissabon (1937), 1939 wurde er Ordinarius an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität. Während dieser Zeit spezialisierte er sich immer mehr auf Überseegeschichte. Zechlin fungierte bis 1945 als Direktor des Reichsinstituts für Seegeltungsforschung im Deutschen Seegeltungswerk; eine Institution, die sich den germanischen Wurzeln und den militärischen sowie kolonialen Voraussetzungen "deutscher Seemacht" widmete. Zechlin war privat mit Gegnern des Naziregimes wie Arvid Harnack und seiner Frau Mildred Harnack befreundet.

Seit 1945 lebte Zechlin in Selent (Holstein). 1947 erhielt er einen erneuten Ruf an die Universität Hamburg, wo er Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte wurde und Direktor des Historischen Seminars. Daneben baute er das Hans-Bredow-Institut für Rundfunk und Fernsehen an der Universität Hamburg mit auf, das er von 1950 bis 1967 leitete.

Sein Hauptforschungsgebiet war weiterhin die Überseegeschichte, allerdings wurde er Anfang der sechziger Jahre in die berühmte Fischer-Kontroverse verwickelt, wo er einer der Hauptkontrahenten seines Hamburger Kollegen Fritz Fischer wurde. In Folge dieser Auseinandersetzung entstanden in den sechziger und siebziger Jahren zahlreiche Arbeiten über den Ersten Weltkrieg. Daneben galt sein Interesse wieder wie in den dreißiger Jahren dem Themenkomplex „Bismarck und die deutsche Reichsgründung 1871“.

1967 wurde Zechlin mit 70 Jahren emeritiert, blieb aber bis zu seinem Tode 1992 wissenschaftlich tätig.

Position in der Fischer-Kontroverse

In der sogenannten Fischer-Kontroverse hat Zechlin mehrfach Stellung bezogen und dabei die Thesen Fischers im Wesentlichen zurückgewiesen. Er wandte sich dabei insbesondere gegen die Auffassung einer Kontinuität deutscher Kriegsziele und kritisierte Fischers Methodik insgesamt als "verkürzende Motivanalyse", die aus späterer Sicht pauschal Anklage erhebe und dabei die mittlerweile untergegangenen, aber doch entscheidenden Wertvorstellungen und politischen Bräuche jener Zeit ausklammere.

Demgegenüber betonte Zechlin vor allem die Bedeutung der traditionellen Kabinettspolitik, die das Handeln Bethmann-Hollwegs wesentlich bestimmt habe. Entsprechend kommt Zechlin auch zu einer gänzlich anderen Einordnung des von Fischer in die Diskussion eingebrachten Septemberprogramms Bethmanns. Dieses war von Fischer als Kriegsziel-Programm gedeutet worden, das die langfristig geplante und kontinuierlich verfolgte annexionistische Außenpolitik der zivilen Reichsleitung und den Kriegswillen Bethmanns belege. Zechlin hingegen sah das Programm als "vorläufige Aufzeichnung", die dazu dienen sollte, das Szenario eines Zwischenfriedens nach der angenommenen Niederwerfung Frankreichs zu skizzieren. Fluchtpunkt all dieser Überlegungen sei jedoch stets der zu erwartende Krieg gegen den übermächtigen Hauptgegner England gewesen. In dieser Sichtweise hätten territoriale Erwerbungen demnach weniger ein Ziel als denn vielmehr taktische Mittel dargestellt, die der Bildung eines kontinentalen Wirtschaftsblocks oder als Faustpfand in einem Krieg gegen England dienen sollten. Sah Fischer das Septemberprogramm auch als Ergebnis der interessenbasierten Einheit von ziviler Reichsleitung und Großindustrie, waren für Zechlin die Akteure deutlich voneinander zu trennen. Spätestens im Oktober 1914 habe Bethmann das Kontinentalblock-Konzept wieder verworfen, da er damit langfristig den überseeischen Export Deutschlands gefährdet sah. Mit der Fokussierung Bethmanns auf einen übermächtigen Hauptgegner England versuchte Zechlin, Verständnis für die Kriegspolitik Deutschlands zu wecken, dessen äußere Situation er als "Ring der Einkreisung" beschrieb. Er kam dabei Fischer soweit entgegen, als er eingestand, die Reichsleitung habe das Risiko des Krieges bewusst in Kauf genommen. Den letztendlichen Grund der Verursachung des Krieges sah Zechlin jedoch weiterhin in den äußeren Gegebenheiten der Staatenwelt. Julikrise und Kriegsausbruch wurden von Zechlin somit auch weiterhin aus der Sicht eines sich in der Defensive befindenden Deutschlands verstanden, das im "am wenigsten ungünstigen" Augenblick versucht hatte, der äußeren Bedrohungslage durch die Triple Entente zu begegnen.

Literatur

  • Egmont Zechlin: Erlebtes und Erforschtes 1896–1919. Hrsg. von Anneliese Zechlin. Muster-Schmidt, Göttingen 1993, ISBN 3-7881-1535-1.
  • Gedenkreden auf Egmont Zechlin, Ansprachen auf der Akademischen Gedenkfeier am 16. Dezember 1992. Hrsg. von der Pressestelle der Universität Hamburg. Hamburg 1993 (Hamburger Universitätsreden, Band 52).
  • Daniela Frees: Egmont Zechlin (1896–1992). Biographische Studie eines Historikers vom Kaiserreich bis zum Ende des Nationalsozialismus, zwischen wissenschaftlicher Autonomie und politischer Anpassung. Dissertation, Universität Oldenburg 2004 (online).

Weblinks


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