Mathematische Strenge

Mathematische Strenge
Aristoteles, Begründer der Logik

Unter mathematischer Strenge (in etwas anderem Zusammenhang oft auch mathematischer Präzision) wird eine klare logische Vorgehensweise innerhalb der Mathematik verstanden. Sie umfasst zum einen die axiomatische Vorgehensweise anhand scharfer Definitionen und zum anderen zwingende Beweise. Weiter wird die Methode der systematischen Deduktion angestrebt. Als Konsequenz sind mathematische Sätze prinzipiell endgültige und allgemeingültige Wahrheiten, so dass die Mathematik als die exakte Wissenschaft betrachtet werden kann. Mathematische Strenge ist kein Selbstzweck, sondern notwendiges Mittel um bleibende Fortschritte in der Mathematik zu ermöglichen. Auch ist sie im griechischen Sinne eine gute Schule des Denkens. In der Nachwirkung ergibt sich durch die mathematische Strenge auch eine Vereinfachung mathematischer Betrachtungen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Darstellung des Euklid, Oxford University Museum
Carl Friedrich Gauß
Augustin Louis Cauchy
Karl Weierstraß

Bereits in der griechischen Mathematik finden sich insbesondere bei Euklid in seinen Elementen (Ende 4. Jhd v. Chr.) erste Versuche mathematischer Strenge durch Axiomatisierung und systematische mathematische Deduktion. Es wurde in der Antike jedoch oft eine weniger strenge Behandlung der Mathematik als die euklidische vorgezogen. Auch war klar, dass sich das Prinzip der mathematischen Strenge nicht auf alle Wissenschaften übertragen lässt. So schreibt Aristoteles „Mathematische Strenge ist nicht in allen Dingen zu fordern, wohl aber in den unmateriellen.“[1] Nach einer längeren Periode der Stagnation begann erst im 17. Jahrhundert ein Aufschwung der mathematischen Wissenschaften mit der analytischen Geometrie und Infinitesimalrechnung. Das griechische Ideal der Axiomatik und systematischen Deduktion war jedoch den produktiven Mathematikern dieser Zeit hinderlich. Die Ergebnisse spielten eine größere Rolle als der Weg dorthin. Ein starkes intuitives Gefühl und eine fast blinde Überzeugung von der Kraft der neu erfundenen Methoden rechtfertigte zunächst dieses Vorgehen. Das Zeitalter der beginnenden Industrialisierung unterstützte diese Form noch weiter. Mit dieser Selbstsicherheit sagte noch 1810 Sylvestre Lacroix: „Solche Spitzfindigkeiten, mit denen sich die Griechen abquälten, brauchen wir heute nicht mehr.“[2]

Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die stark zunehmende Fortschrittsgläubigkeit durch eine neu erwachende Selbstkritik abgelöst. Es kam das Bedürfnis nach Sicherung der Ergebnisse und Klarheit. Unterstützt wurde dieser Prozess nach der französischen Revolution durch eine starke Popularisierung der Wissenschaften.

Die Disquisitiones Arithmeticae von Carl Friedrich Gauß gilt als eines der ersten mustergültigen Werke mathematischer Strenge. Es ist ganz im Stil von SatzBeweisKorollar geschrieben und enthält keine Motivation der eingeschlagenen Beweisrichtungen und verbirgt sorgfältig die Art und Weise, wie Gauß zu seinen Entdeckungen kam. Der letzte Aspekt ist jedoch kein Aspekt von mathematischer Strenge, sondern eine besondere Eigenart von Gauß.

Durch die Arbeiten von Augustin Louis Cauchy und Karl Weierstraß wurde insbesondere die Infinitesimalrechnung auf eine sichere und strenge Grundlage gestellt. Das 19. Jahrhundert war somit gekennzeichnet durch eine erfolgreiche Besinnung auf das klassische Ideal der Präzision und der Strenge der Beweisführung, wobei das Vorbild der griechischen Wissenschaft noch übertroffen wurde. Bereits vor Cauchy hat Bernhard Bolzano 1817 mit der Arbeit Rein analytischer Beweis des Lehrsatzes, daß zwischen zwey Werthen, die ein entgegengesetztes Resultat gewähren, wenigstens eine reelle Wurzel der Gleichung liege einen wichtigen Beitrag zur strengen Behandlung der Analysis geliefert.

Zitate

So sagte David Hilbert auf dem Internationalen Mathematiker-Kongress 1900 in Paris:[3]

„Wir erörtern noch kurz, welche berechtigten allgemeinen Forderungen an die Lösung eines mathematischen Problems zu stellen sind: ich meine vor allem die, daß es gelingt, die Richtigkeit der Antwort durch eine endliche Anzahl von Schlüssen darzutun, und zwar auf Grund einer endlichen Anzahl von Voraussetzungen, welche in der Problemstellung liegen und die jedesmal genau zu formulieren sind. Diese Forderung der logischen Deduktion mittels einer endlichen Anzahl von Schlüssen ist nichts anderes als die Forderung der Strenge in der Beweisführung. In der Tat, die Forderung der Strenge, die in der Mathematik bekanntlich von sprichwörtlicher Bedeutung geworden ist, entspricht einem allgemeinen philosophischen Bedürfnis unseres Verstandes, und andererseits kommt durch ihre Erfüllung allein erst der gedankliche Inhalt und die Fruchtbarkeit des Problems zur vollen Geltung. Ein neues Problem, zumal, wenn es aus der äußeren Erscheinungswelt stammt, ist wie ein junges Reis, welches nur gedeiht und Früchte trägt, wenn es auf den alten Stamm, den sicheren Besitzstand unseres mathematischen Wissens, sorgfältig und nach den strengen Kunstregeln des Gärtners aufgepfropft wird.
Zudem ist es ein Irrtum zu glauben, daß die Strenge in der Beweisführung die Feindin der Einfachheit wäre. An zahlreichen Beispielen finden wir im Gegenteil bestätigt, daß die strenge Methode auch zugleich die einfachere und leichter faßliche ist. Das Streben nach Strenge zwingt uns eben zur Auffindung einfacherer Schlußweisen; auch bahnt es uns häufig den Weg zu Methoden, die entwicklungsfähiger sind als die alten Methoden von geringerer Strenge.“

Alexander Danilowitsch Alexandrow sagte:[4]

„Moralisch lehrt uns die Mathematik, sich streng gegenüber dem zu verhalten, was als Wahrheit behauptet wird, was als Argument hervorgebracht wird oder was als Beweis angeführt wird. Die Mathematik fordert Klarheit der Begriffe und Behauptungen und duldet keinen Nebel und keine unbeweisbaren Erklärungen.“

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Aristoteles. Bibl. Didotiana, vol.10, Aristotelis Opera II, Berlin: de Gruyter, 1970, S.488
  2. Heuser, S.689
  3. David Hilbert. Mathematische Probleme. Vortrag, publiziert als: Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalen Mathematiker-Kongreß zu Paris 1900, Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Nr.3, S.253−297
  4. Heiner Stauff. Mathematische Strenge

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