Friedrich Sunder

Friedrich Sunder

Friedrich Sunder (* 1254; † 14. April 1328 in Engelthal) war ein Klosterkaplan im Dominikanerinnenkloster Engelthal bei Nürnberg, der im Ruf besonderer Gnadenerfahrungen stand. Er verfasste darüber Aufzeichnungen, die in Form einer Gnadenvita überliefert sind; sie sind ein wichtiges Dokument mystischer Literatur.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Über das Leben Friedrich Sunders ist nur wenig bekannt.[1] Er dürfte einer Sippe entstammen, die in den Dörfern um Engelthal ansässig war. Nach einer weltlich verbrachten Jugendzeit war er seit 1287 Geistlicher, anscheinend sofort im Dominikanerinnenkloster Engelthal, das damals institutionell, personell, ökonomisch und geistig seine Blütezeit erlebte. Hier wirkte er innerhalb und außerhalb des Klosters über 40 Jahre bis zu seinem Tod. In zahlreichen Klosterurkunden testiert er auch bei der Regelung weltlicher Geschäfte. Sein Mitwirken am inneren und äußeren Ausbau des Klosters ist noch heute manifest in einer St. Willibald (ehemals auch St. Andreas) geweihten Kapelle, deren Bau er veranlasst hatte.[2]

Persönlichkeit

Friedrich Sunder war, soweit erkennbar, eher von zurückhaltender Art. Er beeindruckte nicht durch auffallende Handlungen, sondern durch seine unauffällige, aber überzeugende Lebensführung. Ausgeprägt waren sein Gerechtigkeitssinn und seine tiefe Frömmigkeit. So war er bald ein beliebter und erfolgreicher Seelsorger; als Beichtvater wurde er von weither aufgesucht. Er galt als eine begnadete Persönlichkeit. Christine Ebner sah in ihm vor allem den großen Minner Gottes, schätzte aber auch seinen Rat in Fragen der Theologie und der Glaubenspraxis. Eine enge Seelenfreundschaft verband Sunder mit einer Begine Gerdrut, die später als Nonne ins Kloster Engelthal eintrat; bei ihr fand er die Möglichkeit zu geistigem Austausch.

Werk

Über mehr als zwanzig Jahre wurden Sunder nach seinen eigenen Angaben besondere Gnadenerfahrungen zuteil, vor allem während der Feier der Messe. Auf Drängen seines Beichtvaters, des Dominikaners Konrad von Füssen, schrieb er diese seit 1317 nieder. Dabei kommen eine Vielzahl von Aspekten des persönlichen Frömmigkeitslebens, der kirchlichen Glaubenslehre und der Gotteserfahrung zur Sprache, von Fragen der Askese und der Heiligenverehrung über das Verständnis von Eucharistie und Messfeier sowie die Betrachtung des Passionsgeschehens bis hin zu Aussagen über mystische Geschehnisse wie Unio, Gottesgeburt und Vergottung des Menschen (im Sinne des lat. Terminus „deificatio“). Kurz nach Sunders Tod wurden seine Niederschriften redaktionell überarbeitet und zu einer Gnadenvita ausgestaltet. Dabei wird in einer oftmals hochstilisierten Darstellung versucht, das eigentlich unsagbare Gnadengeschehen zwischen Gott und dem Menschen mit Hilfe legendarischer Erzählformen und mystischer Begrifflichkeit sprachlich zu vermitteln. Insgesamt erweist sich das Werk geradezu als Modell eines „Gnaden-Lebens“, in dem mystische Lehre als ein „Leben“ zur Darstellung gebracht wird.[3]

Von Sunder stammen auch einige Aufzeichnungen über Gespräche mit seiner Seelenfreundin Gerdrut. Diese wurden dann Teil ihrer Vita, die von den Engelthaler Kaplänen Heinrich[4] und Konrad Friedrich[5] verfasst wurde, aber nur in einem kurzen Fragment erhalten ist.

Bedeutung

Friedrich Sunder ist weder als Wundertäter noch als Asket oder Visionär hervorgetreten; sein seelsorgerisches Wirken war eher unauffällig. Er wäre auch vergessen, wäre nicht zufällig in einer einzigen Handschrift seine Gnadenvita erhalten geblieben. Sunder ist für die heutige Forschung dann auch vor allem als Typus, und nicht so sehr als Einzelperson, von Interesse. Er steht für eine Vielzahl heute unbekannter Menschen, die fern von Lehrstühlen oder hohen kirchlichen Positionen von der religiösen Bewegung des 13. Jahrhunderts zutiefst erfasst waren und zu einer persönlich ergriffenen Glaubenspraxis fanden. Es geht hier, wie bei vielen seiner Zeit, um eine entschiedene Gestaltung des Lebens in Hinblick auf die Wirklichkeit Gottes.

Dabei kann die Vita Sunders zu einem differenzierten Verständnis des – erst später hierfür verwendeten – Begriffes „Mystik“ beitragen. Im Gnaden-Leben geht es grundlegend nicht um die Herausstellung besonderer Erlebnisse, sondern um die Erfahrung einer alles umfassenden Heilsgemeinschaft, die vom göttlichen Gnadenfluss durchströmt ist. Sunder und andere, die ähnliche Glaubenserfahrungen hatten, sahen sich nicht als „Mystiker“; ebenso wenig sahen sie sich im Gegensatz zu den kirchlichen Lehren und Gebräuchen. Das, was heute als „Mystik“ verstanden wird – die unmittelbare Erfahrung der personalen Gegenwart Gottes im eigenen Inneren - ereignet sich hier gerade in den von der Kirche vorgegebenen Riten und Sakramenten, insofern diese nunmehr existentiell vertieft vollzogen oder angenommen werden. Außerordentliche Zustände, wie Visionen und Ekstasen, sind dafür keine Voraussetzung. Dadurch konnte diese Art mystischer Literatur auch in den kirchlichen Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts rezipiert werden, als man allen außerordentlichen religiösen Erlebnissen skeptisch bis ablehnend gegenüberstand.[6]

Literarisch bedeutsam ist die Vita Sunders u. a. dadurch, dass die Form der bildlichen Sprechweise ausdrücklich thematisiert und reflektiert wird.[7] Hiermit wird beweisbar, dass die Bildlichkeit der Viten nicht psychologisch zu deuten ist, sondern theologische Aussagen verdeutlicht. Zugleich werden herkömmliche Vorurteile gegenüber der so genannten „Frauenmystik“ hinfällig: Wenn in der Vita einer männlichen Person Jesus als Kind oder die Seele im Bild der Maria lactans erscheint[8], dann können solche Bilder nicht mehr psychologisierend auf verdrängte Muttergefühle unbefriedigter Frauen zurückgeführt werden. Allerdings sind Sunders häufige Darstellungen seiner Phantasien zum Jesus-Kind auch aus psychohistorischer Sicht interessant und entsprechend interpretiert worden.[9]

Religionsgeschichtlich bemerkenswert ist das Gottesbild des Gnaden-Lebens, indem Gott nie als ein ferner strenger Richter erscheint, sondern stets dem Menschen zugewandt ist; Barmherzigkeit ist seine bestimmende Wesenseigenschaft. Dieses Gottesbild, das auch in den sonstigen Werken der Engelthaler Literatur und anderen mystischen Schriften dieser Zeit kundgetan wird[10], ist in Sunders Gnadenvita so ausschließlich herausgestellt, dass Teufel und Hölle schlichtweg nicht vorkommen. Der Weg zur Begegnung mit Gott bedarf keiner Angstvorstellungen.

Geistesgeschichtlich dokumentiert die Sunder-Vita in Übereinstimmung mit anderen Texten dieser Zeit, wie der religiöse Umbruch des 13. Jahrhunderts, der den Blick auf das innere, seelische Leben des Menschen richtete, einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung des europäischen Individualbewusstseins darstellt, ebenso wie in der Humanisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Sinne einer vertieften Ethisierung der eigenen Lebensführung und einer intensiven (Seel-)Sorge für das Heil der Mitmenschen.

Einzelnachweise

  1. Im Folgenden nach Ringler 1980 (s. u.: Literatur), S. 364-368
  2. Siehe Engelthal und Kloster Engelthal: Abbildung der ehemaligen St.-Willibald-Kapelle
  3. Siehe Ringler 1980 (s. u.: Literatur), S. 353; 355f.
  4. Siehe Siegfried Ringler: Heinrich von Engelthal. In: VL², Bd. 3 (1981), Sp. 720-722
  5. Siehe Siegfried Ringler: Friedrich, Konrad. In: VL², Bd. 2 (1980), Sp. 952
  6. Siehe bes. Thali 1997 (s. u.: Literatur), S. 313-315
  7. Siehe Gnaden-Leben (s. u.: Quellen), Z. 866-870, mit Kommentar S. 257-259
  8. Ebd. Z. 775 u. ö., mit S. 187-189; Z. 854-870, mit S. 255-259
  9. Siehe das Kapitel "Friedrich Sunder" in Frenken 2002, S. 107-126..
  10. Siehe bes. Gertrud von Helfta

Literatur

Quellen

  • Siegfried Ringler: Viten-und Offenbarungsliteratur in Frauenklöstern des Mittelalters. Quellen und Studien. Artemis, München 1980:
    • Das Gnaden-Leben des Friedrich Sunder, Klosterkaplan zu Engelthal: Text S. 391-444, Kommentar S. 144-331
    • Berichte und Zeugnisse über Friedrich Sunder: S. 448-450
    • Die Vita der Schwester Gerdrut von Engelthal: Text S. 445-447, Kommentar S. 331-334

Sekundärliteratur

  • Susanne Bürkle: Literatur im Kloster. Historische Funktion und rhetorische Legitimation frauenmystischer Texte des 14. Jahrhunderts. Francke, Tübingen / Basel 1999 (Bibliotheca Germanica 38)
  • Ralph Frenken: Kindheit und Mystik im Mittelalter. (= Beihefte zur Mediaevistik. Band 2). Lang / Frankfurt am Main 2002.
  • Leonard Patrick Hindsley: The Mystics of Engelthal: Writings from a Medieval Monastery. Palgrave MacMillan, New York 1998. ISBN 0-312-16251-0.
  • Ursula Peters: Religiöse Erfahrung als literarisches Faktum. Zur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer Texte des 13. und 14. Jahrhunderts. Niemeyer, Tübingen 1988 (Hermaea N. F. 56)
  • Siegfried Ringler: Sunder, Friedrich. In: VL², Bd. 9 (1994), Sp. 532-536
  • Johanna Thali: ‘vil herczliebe kúngin’. Die Bedeutung Marias in der Gnadenvita des Engelthaler Klosterkaplans Friedrich Sunder. In: Eckart Conrad Lutz (Hrsg.): Mittelalterliche Literatur im Lebenszusammenhang. Ergebnisse des Troisième Cycle Romand 1994. Universitätsverlag, Freiburg/Schweiz 1997 (Scrinium Friburgense 8), S. 265-315 online
  • Johanna Thali: Beten – Schreiben – Lesen. Literarisches Leben und Marienspiritualität im Kloster Engelthal. Francke, Tübingen / Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 42)

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sunder — ist der Name folgender Personen: als Familienname Friedrich Sunder (1254–1328), deutscher Kaplan Andrea Sunder Plassmann (* 1959), deutsche Künstlerin und Hochschullehrerin als Vorname Sunder Deodhar (* 1920), indische Badmintonspielerin Siehe… …   Deutsch Wikipedia

  • Friedrich Hielscher — (* 31. Mai 1902 in Plauen/Vogtland; † 6. März 1990 in Furtwangen) war ein nationalrevolutionärer Publizist in der Weimarer Republik, Religionsphilosoph und Gründer einer nichtchristlichen Freikirche. Hielscher gilt als einer der eigenwilligsten… …   Deutsch Wikipedia

  • Friedrich Mildenberger — (* 28. Februar 1929 in Münsingen) ist evangelisch lutherischer Theologe und Professor für Systematische Theologie. Friedrich Mildenberger Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Ach Herr, mich armen Sünder — Cantate BWV 135 Ach Herr, mich armen Sünder Titre français Seigneur, moi, pauvre pécheur Liturgie Trinité Création 1724 Texte original …   Wikipédia en Français

  • Der gute Sünder — Gregorius oder Der gute Sünder ist eine in Versen verfasste mittelhochdeutsche Legende von Hartmann von Aue. Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Literaturgeschichtliche Einordnung 2.1 Der Gregorius im Werk Hartmanns 2 …   Deutsch Wikipedia

  • Gregorius oder Der gute Sünder — ist eine in Versen verfasste mittelhochdeutsche Legende von Hartmann von Aue. Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Literaturgeschichtliche Einordnung 2.1 Der Gregorius im Werk Hartmanns 2 …   Deutsch Wikipedia

  • Immanuel Friedrich Gregorius — (* 7. Februar 1730 in Kamenz; † 9. September 1800 in Lauban) war ein deutscher lutherischer Theologe und Historiker. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Werkauswahl 3 Literatur …   Deutsch Wikipedia

  • Georg Friedrich Wilhelm Beneken — Georg Wilhelm Friedrich Beneken (* 1. Januar 1765 in Sehnde; † 24. Januar 1824 in Nienhagen, Amt Eicklingen, beigesetzt am 27. Januar 1824 auf dem St. Nikolai Friedhof in Hannover) war Prediger in Soltau, Natendorf (bei Uelzen) und in Nienhagen… …   Deutsch Wikipedia

  • Anton Friedrich Wilhelm Webern — Anton Webern Anton Webern (* 3. Dezember 1883 in Wien; † 15. September 1945 in Mittersill, Salzburg, Österreich; vollständiger Name: Anton Friedrich Wilhelm von Webern, (das „von“ musste er 1919 aufgrund des Adelsaufhebungsgesetzes vom 3. April… …   Deutsch Wikipedia

  • Anton Friedrich Wilhelm von Webern — Anton Webern Anton Webern (* 3. Dezember 1883 in Wien; † 15. September 1945 in Mittersill, Salzburg, Österreich; vollständiger Name: Anton Friedrich Wilhelm von Webern, (das „von“ musste er 1919 aufgrund des Adelsaufhebungsgesetzes vom 3. April… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”