Utz Claassen

Utz Claassen
Utz Claassen bei Markus Lanz (2011)

Utz Claassen (* 7. Mai 1963 in Hannover) ist ein deutscher Manager. Er ist Honorarprofessor am Institut für Controlling der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover sowie Professor für Innovative Unternehmensführung, Risikomanagement und Wissensmanagement an der GISMA Business School.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Mit 17 Jahren legte Claassen an der Helene-Lange-Schule in Hannover das Abitur mit einem herausragenden Ergebnis ab. Die Punktezahl des Abiturs wurde von populären Medien in die Note 0,7 (offiziell 1,0) umgerechnet, und er wurde in die ARD-Ratesendung Auf Los geht’s los eingeladen. Nach dem Studium an der Universität Hannover (Diplom-Ökonom, 1985) und an der University of Oxford (1985–1987) und Promotion (1989) in Hannover war Claassen bei verschiedenen Unternehmen tätig.

Utz Claassen ist verheiratet und hat eine Tochter. Deren Geburt 2006 hat nach seinen eigenen Worten dazu beigetragen, dass er den Vertrag als Vorstandsvorsitzender bei EnBW nicht verlängern wollte.[1]

Beruf

Claassen war bei McKinsey, Ford Europa (1989–1992), Volkswagen AG (1992–1997), der Sartorius AG (1997–2003), EnBW (2003–2007) und Solar_Millennium (2010) tätig. Er hat mehrere Ämter in Verbänden inne, unter anderem bei Spectaris, an dessen Neuausrichtung er mitwirkte, und als Vorsitzender der BDI-Initiative „Innovationsstrategien und Wissensmanagement“. Zusätzlich engagiert sich Claassen ehrenamtlich, unter anderem als mehrjähriger Vorsitzender des Stiftungsvorstandes der Stiftung Urgeschichtliches Museum Galerie 40tausend Jahre Kunst Blaubeuren in Blaubeuren und als Mitglied des Vorstandes der Stiftung Niedersächsische Wirtschaftsforschung sowie Mitglied des Stiftungsrates der Georg-August-Universität Göttingen.[2]

Kritik

Claassen hat - zumindest nach seinen Angaben - die Firmen Seat, Sartorius AG und EnBW „saniert“. Da diese Umstrukturierungen teilweise mit erheblichen Entlassungen erreicht worden sind, werden seine Tätigkeiten kritisiert. Auch der behauptete Sanierungsbedarf ist in diesem Zusammenhang umstritten. In Kritiken wird er als einer der „neoliberalen Apologeten“ bezeichnet.[3]

Unternehmen

McKinsey

Im Zeitraum 1987 bis 1989 war Claassen als Associate, später als Senior Associate in Projektleiterfunktion, bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company tätig.

Ford Europa

Claassen betätigte sich bei Ford of Europe u. a. als verantwortlicher Controller und Mitglied des ersten Simultaneous-Engineering-Teams mit bereichsübergreifenden Maßnahmen.

Volkswagen AG

Claassen war ab 1993 Mitglied des Management des Volkswagen-Konzerns. Als offizieller Vertreter für den Markenvorstand Controlling und Rechnungswesen war Claassen Mitglied des Arbeitskreises zur Vorbereitung der Markenvorstandssitzungen und nahm verschiedentlich an den Sitzungen des Markenvorstandes teil.

Am 16.Juni 1992 trat Claassen als Hauptabteilungsleiter Funktionales Controlling in die Volkswagen AG ein, ab dem 1. Dezember 1992 war er Hauptabteilungsleiter im Bereich Controller Forschung und Entwicklung, ab dem 1. Juni 1993 leitete er den neu geschaffenen Bereich „Controlling Produktlinien“; ab dem 10. Juni 1993 war er Vertreter des Markenvorstandes Controlling und Rechnungswesen. Mit Wirkung zum 1. Juli 1993 wurde Claassen zum Bereichsleiter im Geschäftsbereich Controlling und Rechnungswesen ernannt und am 1. September 1993 in den oberen Führungskreis berufen.

Seat

Als Finanzvorstand und Vertreter des Präsidenten der Seat S.A. sanierte er ab 1994 das Tochterunternehmen.

Sartorius AG

Als Vorstandsvorsitzender der Sartorius AG hatte Claassen von 1997 bis 2002 auch diverse Board- und Aufsichtsratsmandate im In- und Ausland inne.

EnBW

Bei EnBW folgte er am 1. Mai 2003 Gerhard Goll als Vorstandsvorsitzenden. Er führte das Unternehmen bis September 2007. Entgegen den Prognosen des Geschäftsberichtes 2002 fand er nach seinen – sehr umstrittenen – Aussagen ein höchst defizitäres Unternehmen vor.

Claassen wurde in der Folge vorgeworfen, nach seinem Amtsantritt die Lage des Konzerns schlechtgerechnet haben zu lassen, um sich dann als großer, erfolgreicher Sanierer darstellen zu können. Er geriet ins Visier der Staatsanwaltschaft, nachdem er nach seiner Amtsübernahme im Mai 2003 im Zwischenbericht Abschreibungen von einer Milliarde Euro auf Beteiligungen gebildet hatte, um nach eigenen Angaben die „Altlasten“ seines Vorgängers Gerhard Goll zu bereinigen. Als Claassen seine erste Halbjahresbilanz im August 2003 vorlegte, klaffte darin plötzlich ein Milliardenloch. Geschuldet sei es den neuen internationalen Bilanzregeln und diversen Altlasten, erläuterte der neue Vorstandschef. Bei den Vorwürfen ging es unter anderem um eine 29,9-Prozent-Beteiligung an den Stadtwerken Düsseldorf, die 2001 für knapp 450 Millionen Euro erworben wurde. Nach seinem Amtsantritt musste Claassen diese Beteiligung bilanziell um 208 Millionen Euro, nahezu die Hälfte, abwerten, um der noch von Goll entschiedenen Umstellung der Bilanzierung von HGB auf IFRS zu entsprechen. Die Staatsanwaltschaft Mannheim leitete daraufhin im Jahr 2005 ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen Claassen wegen des Verdachts der Bilanzfälschung ein. Gegen Goll und drei weitere Vorstandsmitglieder des früheren Vorstandes war schon im Jahr 2004 aufgrund des Verdachts der Bilanzfälschung ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, weil sie die Zahlen für das Jahr 2002 geschönt haben könnten. Die Ermittlungen gegen Goll wurden im Februar 2006 eingestellt, die gegen Claassen am 17. Mai 2006.

Im April 2005 wurde bekannt, dass der Manager 2004 ca. 4,17 Millionen Euro Gehalt erhielt. Das Unternehmen hatte auf Initiative von Claassen hin im Sinne höchstmöglicher Transparenz für das Geschäftsjahr 2004 erstmals individualisierte Vorstandsvergütungen veröffentlicht, obwohl hierfür ein gesetzlicher Zwang noch nicht vorlag.

Weil Claassen sechs Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung sowie einen Staatssekretär des Bundes, die sämtlich im Amt mit der EnBW in Kontakt standen, persönlich zu Spielen der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 einlud, ermittelte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen ihn wegen Vorteilsgewährung. Das Verfahren ging durch mehrere Instanzen bis vor das Landgericht Karlsruhe. Claassen wurde am 28. November 2007 vom Vorwurf der Vorteilsgewährung in allen sieben Fällen vollumfänglich freigesprochen. Am Ende des Verfahrens bezeichnete Claassen das Urteil als einen Sieg für den Sport, für das Sportsponsoring und dafür, dass auch künftig noch ein angemessener Kontakt und Diskurs zwischen Politik und Wirtschaft im gesellschaftlichen Rahmen möglich sei. Die Verfahren gegen die beiden Politiker, die das Angebot annahmen, wurden gegen Zahlung von jeweils 2500 Euro eingestellt.

Utz Claassen verließ das Unternehmen am 30. September 2007 auf eigenen Wunsch vor dem Ende der offiziellen Vertragslaufzeit. Sein außergewöhnlich hohes Übergangsgeld wurde in der Öffentlichkeit heftig kritisiert und führte schließlich zu einer Kürzung künftiger EnBW-Übergangsgelder und Pensionszahlungen auf ein Drittel des an Claassen zu zahlenden Betrages.[4] Kritik an Claassens Führungsstil drang von Seiten seiner Mitarbeiter und Geschäftspartner wiederholt an die Öffentlichkeit. So wird behauptet, er habe bis zu 20 PR-Berater beschäftigt, die ihm unter anderem öffentlichkeitswirksame Auftritte bei Sabine Christiansen (Fernsehsendung) und anderen Talkshows beschafften.[5]

Cerberus

Nach seinem Austritt bei der EnBW wurde bekannt, dass Utz Claassen für den amerikanischen Finanzinvestor Cerberus arbeiten würde.[1] Er arbeitete dort von 2008 bis 2009 als Berater.

Solar Millennium AG

Zum 1. Januar 2010 wurde Utz Claassen Vorstandsvorsitzender der Solar Millennium AG in Erlangen.[6] Er erhielt einen 5-Jahres-Vertrag mit einem monatlichen Fixgehalt von 100.000 Euro und weiteren großzügigen Vergünstigungen. Seine Berufung sorgte in der Branche für Erstaunen, zumal er als Befürworter der Kernenergie gilt. Bereits am 15. März 2010 legte Claassen sein Amt überraschend nieder.[7] Sein Verhalten geriet wegen der Antrittsprämie von 10 Millionen Euro Ende Mai 2010 massiv in die öffentliche Kritik, weil er seinen Anspruch mit einer Feststellungsklage durchzusetzen versuchte und nur 2,5 Millionen Euro zurückzahlen wollte. [8]. Das Unternehmen bestritt die Rechtmäßigkeit der Antrittsprämie nach so kurzer Amtszeit und forderte Schadensersatz in Höhe von 9 Millionen Euro. Nach einer kurzen Verhandlung vor dem Landgericht am 9. September 2011 wurde zunächst ein Vergleich angestrebt. [9]


Im August 2011 wurde ferner bekannt, dass die BaFin im Rahmen einer formellen Untersuchung den Vorwurf des Insiderhandels im Zusammenhang mit dem Amtsantritt von Claassen prüft.[10]

TOP100

Claasen ist ehrenamtliches Jurymitglied bei „Top 100“, einer Auszeichnung für die innovativsten Unternehmen im deutschen Mittelstandes. Gekürt wird u.a. ein „Innovator des Jahres". [11]

Sportfunktionär

Claassen war im Jahr 1997 für einige Monate Präsident von Hannover 96. Bei Trainer, Spielern und Fans stieß Claassens Sanierungsplan für den Fußballverein auf starken Widerstand. Nachdem Claassen den Manager des Vereins, Franz Gerber, gegen den er auch erfolgreich verschiedene einstweilige Verfügungen erwirkte, fristlos entlassen hatte, wurde er aus dem Vereinsumfeld heraus massiv bedroht; es kam sogar zu Morddrohungen. Claassen selbst kam auf Empfehlung der Sicherheitsbehörden fortan mit Personenschützern ins Stadion. Zudem gab es dabei massiven Polizeischutz. Im Herbst 1997 trat Claassen nach einer mit großer Spannung erwarteten Rede auf der Mitgliederversammlung zurück. Sein Nachfolger Martin Kind führte den in der Regionalliga verharrenden zweimaligen deutschen Meister auf Anhieb in die 2. Bundesliga und später im Jahr 2002 in die Bundesliga.

Unter Claassen veranlasste die EnBW im Januar 2005 den Karlsruher SC, seinen neuen Cheftrainer Reinhold Fanz zu entlassen. Der Cheftrainer war erst eine Woche zuvor berufen worden. Die EnBW hatte damit gedroht, den laufenden Sponsorenvertrag nicht mehr zu erneuern, falls Fanz weiter für den KSC tätig bleibe. Den Hintergrund bildet eine sieben Jahre zurückliegende Auseinandersetzung zwischen Fanz und Claassen bei Hannover 96: Fanz war damals Trainer und Claassen der Präsident des Fußballklubs. In einem Interview der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung hatte Fanz dem Klubpräsidenten sämtlichen Fußball-Sachverstand abgesprochen und der Lüge bezichtigt.

Im November 2010 stieg Claassen als privater Investor bei RCD Mallorca ein und übernahm zehn Prozent der Clubanteile.[12] Als Verwaltungsrat will er sich um Sponsoring kümmern und Mallorca „zu einer europaweiten Marke entwickeln“.[13]

Zitate

»Wir müssen uns keine Sorgen machen! Dieser Konflikt um Weltmarktpreise zwischen Russland und Weißrussland hat keine spürbaren Auswirkungen auf Deutschland. Anders als beim Gas haben wir beim Öl viele alternative Bezugsquellen und vielfältige Lager- und Transportmöglichkeiten.«

– Über die Sperrung der Erdölleitung Freundschaft im Januar 2007 in Bild online.[14]

»Wir leben als Gesellschaft schon seit langem über unsere Verhältnisse.«

– Bild-Zeitung im März 2007[15]

»Mein Ruhegehalt bewegt sich, gemessen an der absoluten Höhe, im Rahmen des Üblichen, in Relation zum Gehalt ist es sogar unterdurchschnittlich.«

– Über sein in der Öffentlichkeit massiv kritisiertes Übergangsgeld im Handelsblatt.[4]

»Als ausgewiesener Freund der Kernenergie bin ich fest davon überzeugt, dass solarthermische Kraftwerke in Zukunft an die Stelle der Kernkraftwerke treten können, müssen und werden.«

– Presse-Erklärung der Solar Millennium AG im Februar 2010[16]

»Wer missbräuchlich die Potenziale von Anreizsystemen ausschöpft, wissend, dass das zum Schaden des Unternehmens ist, das er vertritt, der ist gierig.«

– Wirtschaftswoche[17]

Werke

  • Großhirnforschung, Unternehmer und Wirtschaftspolitik. Ein interdisziplinärer Ansatz am Beispiel interhemisphärischer Relationen. Lang, Frankfurt am Main [u.a.] 1987, ISBN 3-8204-9766-8.
  • Science park and technology centre performance in Great Britain and West Germany. An empirical study based on user experience. Universität Hannover 1989. (Dissertation)
  • mit Jürgen Hogrefe: Das Helle und das Dunkle. Ethik, Energie, Ästhetik. Steidl, Göttingen 2003, ISBN 3-88243-994-7.
  • mit Jürgen Hogrefe: Das neue Denken - das Neue denken. Ethik, Energie, Ästhetik. Steidl, Göttingen 2005, ISBN 3-86521-120-8.
  • Mut zur Wahrheit. Wie wir Deutschland sanieren können. Murmann Verlag, Hamburg 2007. ISBN 3-938017-83-X
  • Wir Geisterfahrer. Wir denken falsch. Wir lenken falsch. Wir riskieren die Zukunft unserer Kinder. Murmann Verlag, Hamburg 2009. ISBN 978-3-86774-066-1

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Jörg Eigendorf, Gespräch mit Utz Claasen: Mit einem Kind wird Zeit teurer, Welt am Sonntag, 23. November 2008
  2. Stiftungsrat für die gesamte Stiftungsuniversität, Universität Göttingen
  3. http://www.nachdenkseiten.de/?p=2196 Utz Claassen EnBW: Wie uns ein „Top-Manager“ für dumm verkaufen will
  4. a b Jürgen Flauger und Sönke Iwersen: EnBW kappt üppige Managerrente, handelsblatt.com, Handelsblatt vom 22. Feb.2008
  5. http://www.handelsblatt.com/News/Unternehmen/Industrie/_pv/doc_page/1/_p/200038/_t/ft/_b/1283892/default.aspx/verbrannte-erde-im-laendle.html Verbrannte Erde im Ländle (handelsblatt.com, nicht mehr erreichbar)
  6. Unternehmenbericht der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, 2006, S. 91: http://www.enbw.com/.../unternehmensbericht_2006.pdf
  7. Solar Millennium AG: „Vorstandsvorsitzender legt Amt nieder (...), Pressemitteilung von 15. März 2010, zuletzt gesichtet am 7. Juni 2011.
  8. Spiegel.de: Claassen erhielt zehn Millionen Euro Antrittsprämie, zuletzt aufgesucht am 7. Juni 2011.
  9. Zivilprozess: Claassen und Solar Millennium streben Vergleich an
  10. Verdacht auf Insiderhandel bei Solar Millennium
  11. Internetseite der compamedia GmbH - Mentor der besten Mittelständler Die TOP 100-Jury
  12. Johannes Aumüller und Dagmar Deckstein: Claassen und der große Kick sueddeutsche.de vom 3. November 2010
  13. Oliver Voss: Mallorca zu einer europaweiten Marke entwickeln, Interview mit Claassen in Wirtschaftswoche vom 3. November 2010
  14. Oliver Santen: Interview mit Claasen zum Pipelinestreit, Bild.de vom 9. Januar 2007
  15. Utz Claassen: „Was sich in Deutschland alles ändern muss“, Erster Teil einer Artikel-Serie in der Bild-Zeitung vom 14. März 2007, zuletzt gesichtet am 7. Juni 2011.
  16. Presse-Erklärung der Solar Millennium AG am 23. Februar 2010: Solarthermie wird an die Stelle der Kernenergie treten
  17. Sönke Iwersen: Utz Claassen: "Seine Leistung war kaum zu messen", WirtschaftsWoche am 26. Juli 2010, zuletzt gesichtet am 7. Juni 2011

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