Strategie 18

Strategie 18
Wahlplakat der FDP zur Bundestagswahl 2002

Mit Strategie 18, auch Projekt 18 genannt, wurde die Wahlkampfstrategie der FDP zur Bundestagswahl 2002 bezeichnet. Im Mai 2001 beschloss der Düsseldorfer Bundesparteitag der FDP die Strategie, die „mit neuen Formen der Kommunikation und Darstellung … neue Wählerschichten“[1] für die Partei erschließen und die FDP als eigenständige und unabhängige politische Kraft außerhalb eines vorgegebenen Lagers darstellen sollte. Der Name bezog sich auf das Wahlziel, mit 18 % den Anteil an den Wählerstimmen zu verdreifachen.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung

Nachdem die FDP bei der Bundestagswahl 1998 die Regierungsbeteiligung verlor und sie 1999 bei den meisten Landtagswahlen und der Europawahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, befand sie sich „in einer tiefen Existenzkrise, die ihren Bestand im deutschen Parteiensystem gefährdete“.[1] Dagegen gelang Jürgen Möllemann mit dem von Fritz Goergen entwickelten Wahlkampfkonzept „Werkstatt 8“ zur Landtagswahl 2000 in NRW eine Umkehrung des Trends. Unter dem Motto „NRW braucht Tempo. Möllemann.“ wurden die Themen Bildung, Verkehrsstau, Bürokratie und Sicherheit in den Vordergrund gestellt.[2] Guido Westerwelle als damaliger Generalsekretär war von der Gesamtkonzeption „sehr angetan“.[2] Bei der Kampagne war ein Plakat besonders umstritten: es zeigte Adolf Hitler zwischen Osho und Freddy Krueger mit dem Untertitel „Wenn wir nicht schnell für Lehrer sorgen, suchen sich unsere Kinder selber welche.“[3] Der Stimmenanteil konnte von 4 % auf 9,8 % mehr als verdoppelt werden. Im Wahlkampf wurde durch die „mediale Vermittlung von Emotionen und diffuser Ressentiments … die FDP zu einer Protestpartei ähnlich der FPÖ … und Möllemann zu einem Volkstribun nach Art von Haider“[4] stilisiert. Der Wahlerfolg veranlasste Möllemann, ehrgeizigere Ziele für die Bundes-FDP zu propagieren. Die Verwendung der Zahl 18 wurde dabei verschiedentlich auch als rechtsextremes Symbol aufgefasst.[5]

Auf dem folgenden Bundesparteitag 2001 wurde mit der Wahl Guido Westerwelles eine Abkehr vom bisherigen Image der F.D.P.[6] als „Partei der Besserverdiener“ beschlossen. Das Konzept blieb in der Parteiführung umstritten. Nachdem die FDP im konventionell geführten Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl in Hamburg im September 2001 nur 5,1 %, die rechtspopulistische Schill-Partei dagegen auf Anhieb 19,4 % Stimmenanteil erzielte, konnten sich die Vorstellungen von Westerwelle und Möllemann durchsetzen. Goergen gehörte ab Januar 2002 zu den Wahlkampfberatern Westerwelles und arbeitete am Projekt 18 mit.

Die weiteren Ideen der Strategie 18 waren nicht neu, die Idee zur Kanzlerkandidatur stammte von Ralf Dahrendorf, das Ausbrechen aus dem bürgerlichen Lager wurden bereits durch Wolfgang Döring und Karl-Hermann Flach postuliert.

Wahlkampf

Westerwelles Schuhe, mit denen er auch im Fernsehen für das Projekt 18 warb

Die zur Bundestagswahl angestrebte Verdopplung des Ergebnisses von NRW auf 18 % sollte auch mit ähnlichen Methoden wie bei „Werkstatt 8“ erreicht werden. So bewarb Guido Westerwelle das Projekt 18 in einem gelb-blauen Wohnmobil, das mit „www.guidomobil.de“ beschriftet war und auf Volksfesten, bei Schwimmbädern und Stränden und einer McDonalds-Filiale eingesetzt wurde. Westerwelle trug teils eine darauf abgestimmte Kleidung und versuchte vor Ort, interessierte Bürger für seine Partei zu gewinnen. Unter anderem stattete er auch dem Big-Brother-Container einen Besuch ab. Diese Form des Wahlkampfes brachte der FDP den Vorwurf ein, einen reinen „Spaßwahlkampf“[7][8] zu betreiben.

Laut Westerwelle sollte eine „Äquidistanz“ – ein ideologisch gleicher Abstand im Hinblick auf die Interessensgewichtung – zu den Volksparteien CDU, CSU und SPD geschaffen werden, die es der FDP ermöglichte, jederzeit eine neue Koalition eingehen zu können. Dem Liberalismus sollte insgesamt ein stärkeres Gewicht verliehen werden. Ziel war die Durchsetzung eigener liberaler Positionen, die nach Ansicht vieler in der Partei in Koalitionen teilweise zu stark der Koalitionsdisziplin untergeordnet werden.

Durch Möllemann, der Fraktionsvorsitzender der FDP im nordrhein-westfälischen Landtag war, bekam der Bundeswahlkampf eine antisemitische Konnotation. Im April 2002 unterstützte Möllemann die Angriffe Jamal Karslis auf die israelische Regierung wegen deren Vorgehensweise gegenüber den Palästinensern. Allerdings stieß der Fraktionswechsel Karslis von den Grünen zur FDP auf strikte Ablehnung bei mehreren führenden und prominenten FDP-Politikern. Schließlich trat Karsli im Juni wieder aus der FDP aus. Im Laufe der Auseinandersetzung kritisierte Möllemann auch Michel Friedman, den damaligen Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Kurz vor der Bundestagswahl ließ Möllemann das Faltblatt[9] „Klartext. Mut. Möllemann“ als Postwurfsendung an die Haushalte in Nordrhein-Westfalen verteilen. In diesem griff er Israels Ministerpräsidenten Ariel Scharon und Friedman scharf an. Die daraus entstandene Antisemitismus-Debatte stellten den „Spaßwahlkampf“ Westerwelles in den Hintergrund und verstärkten die Spannungen zwischen Westerwelle und Möllemann.[10]

Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im April 2002 konnte die FDP ihren Stimmenanteil von 4,2 % auf 13,3 % steigern. Damit gelang der FDP die Erschließung völlig neuer Wählerkreise. „Eine Partei, die traditionell auf Wähler mit Besitz und Bildung setzte, fand plötzlich Zuspruch von Arbeitern und einfach strukturierten Geistern.“[4] Dagegen distanzierten sich die Landesverbände Baden-Württemberg unter Walter Döring und Hessen unter Ruth Wagner von dem Projekt.[11] Der frühere bayerische Landesvorsitzende Herman Stützer trat mit der Begründung aus der FDP aus: „Die Bundesführung präsentiere die FDP mutwillig als ‚Spaßpartei‘.“[12] Insgesamt erreichte die FDP bei der Wahl nur einen für sie enttäuschenden Stimmenanteil von 7,4 %.

Am Wahlabend 2002 fragte der ARD-Moderator Hartmann von der Tann Guido Westerwelle: „Herr Westerwelle, sind 18 minus Möllemann sieben?“ Westerwelle antwortete ihm daraufhin, es habe nicht an Möllemann allein gelegen, vielmehr sei die FDP „unter ihren Möglichkeiten geblieben“. Fritz Goergen verließ die Partei.[13]

Kritik

Mit der Wahl verschärften sich die Konflikte in der Partei um den Führungsstil Westerwelles und das Verhalten Möllemanns. So trat Hildegard Hamm-Brücher nach über fünfzigjähriger Mitgliedschaft aus der FDP aus. Sie forderte eine Aufarbeitung der „von A bis Z verfehlten Wahlkampfstrategie 18“. Dazu gehöre, dass dafür nicht alleine Möllemann, sondern auch der Parteivorsitzende als Kanzlerkandidat Verantwortung trage.[14] Zum anderen empfand sie die Abgrenzung vor allem Westerwelles von der „Annäherung der FDP an die antiisraelischen und einseitig propalästinensischen Positionen des Herrn Möllemann“[15] als unzureichend. Die hessische Landesvorsitzende Ruth Wagner forderte Möllemann aufgrund der Affäre um sein „antisemitisch gemeintes“ Flugblatt auf, die FDP zu verlassen.[16] Möllemann legte den Vorsitz der Landtagsfraktion nieder und trat schließlich im März 2003 aus der FDP-Fraktion aus.

Obwohl durch den „Spaßwahlkampf“ die FDP bei der Wahl überdurchschnittlich viele Jungwähler mobilisieren konnte,[7] führten die Kontroversen um Möllemann zu einer Abkehr vom Projekt. Auf dem Parteitag 2004 – ein Jahr nach Möllemans Tod – wurde die Abkehr vom Projekt 18 und der „Spaßpartei“ demonstrativ betont.[17] In den Werbespots zur Bundestagswahl 2005 präsentierte sich die FDP in der Person ihres Vorsitzenden Westerwelle nun betont ernsthaft und staatstragend.[18]

Insbesondere in der Öffentlichkeit wurde das Projekt 18 eher als medieninszenierte Show anstelle eines eigenständigen Wahlkonzepts wahrgenommen. Bereits vor der Kür von Westerwelle zum Kanzlerkandidaten bekam die Partei im Bundestagswahlkampf 2002 das Image einer „Spaßpartei“ zugeschrieben. Der Medienwissenschaftler Christian Schicha fasste dies mit den Worten zusammen: Möllemann „hatte erkannt, dass die personalisierte Form der Politikvermittlung ein wichtiger Gradmesser für den politischen Erfolg ist.“ Die Medieninszenierung eines Politikers würde aber dann fragwürdig, wenn „die Darstellung die eigentlichen Inhalte zu stark dominiert und die Problemlösungskompetenz durch populistische Auftritte ersetzt wird.“[19]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Eckhard Jesse und Roland Sturm (Hrsg.): Bilanz der Bundestagswahl 2005. Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14968-7, S. 103ff.
  2. a b FDP-Wahlkampf: Adolf Hitler auf Möllemann-Plakat. Der Spiegel, 11. Januar 2009, abgerufen am 15. September 2009.
  3. So will Möllemann die Wahl gewinnen. Der Spiegel, 11. Januar 2009, abgerufen am 16. September 2009.
  4. a b Udo Leuschner: Die Geschichte der FDP. Metamorphosen einer Partei zwischen rechts, sozialliberal und neokonservativ. Edition Octopus, Münster 2005, ISBN 3-86582-166-9, S. 301ff.
  5. Künstler im Wahlkampf: „Die 18 bedeutet Adolf Hitler“. Der Spiegel, 19. September 2002, abgerufen am 15. September 2009.
  6. Was es mit den Pünktchen auf sich hat
  7. a b Eckhard Jesse und Roland Sturm (Hrsg.): Bilanz der Bundestagswahl 2002. Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2003, ISBN 3-531-14172-4, S. 26
  8. Niebel sieht Piraten als Vorbild für die FDP. tagesschau.de, 24. September 2011, abgerufen am 25. September 2011.
  9. Das umstrittene Flugblatt
  10. Andreas Dörner und Christian Schicha: Politik im Spot-Format. Zur Semantik, Pragmatik und Ästhetik politischer Werbung in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 3-531-15408-7, S. 272
  11. FDP-Landeschefs distanzieren sich von „Projekt 18“ Handelsblatt vom 16. Oktober 2002
  12. Hamburger Abendblatt Online, 2. August 2002
  13. Fritz Goergen: Skandal FDP - Selbstdarsteller und Geschäftemacher zerstören eine politische Idee DeutschlandRadio Berlin vom 14. Januar 2005
  14. FDP zwischen Streit und Strategie Hamburger Abendblatt vom 6. Januar 2003]
  15. Interview mit Hildegard Hamm-Brücher, Süddeutsche Zeitung vom 27. Mai 2008, abgerufen am 5. Mai 2009
  16. Weg von Projekt 18 - FDP sucht neuen Kurs Berliner Morgenpost vom 27. Oktober 2002
  17. Eckhard Jesse und Roland Sturm (Hrsg.): Bilanz der Bundestagswahl 2005. Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14968-7, S. 105
  18. Andreas Dörner und Christian Schicha: Politik im Spot-Format. Zur Semantik, Pragmatik und Ästhetik politischer Werbung in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 3-531-15408-7, S. 285
  19. Christian Schicha: „Kämpfen, Jürgen, kämpfen …“ die Inszenierungsstrategien des Jürgen W. Möllemann zwischen Popularität, Provokation und Populismus. In: Zeitschrift für Kommunikationsökologie. Jahrgang 5/2003, Nr. 1, S. 57–60

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