Spanisches Verfassungsgericht

Spanisches Verfassungsgericht

Das spanische Verfassungsgericht (span. Tribunal Constitucional) steht außerhalb der Hierarchie der spanischen Fachgerichte und entscheidet spezifisch über die Frage der Vereinbarkeit von Akten der öffentlichen Gewalt mit den Vorgaben der spanischen Verfassung. Mit diesem Auftrag geht die ausschließlich dem Verfassungsgericht zustehende Kompetenz einher, Gesetze im formellen Sinn als verfassungswidrig zu verwerfen und für nichtig zu erklären. Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts haben Gesetzeskraft und werden im spanischen Gesetzesblatt, dem Boletín Oficial del Estado (BOE), veröffentlicht.

Die einer Entscheidung durch das Verfassungsgericht zugänglichen Rechtsfragen sind in dem Zuständigkeitskatalog des Organgesetzes (Ley Orgánica 2/1979, de 3 de octubre, del Tribunal Constitucional; abgekürzt: LOTC), das zugleich den rechtlichen Rahmen für die Organisation und Tätigkeit des Verfassungsgerichts setzt, aufgeführt (siehe hierzu IV.). Zuletzt wurde das spanische Verfassungsgerichtsgesetz mit Organgesetz vom 24. Mai 2007 geändert (Ley Orgánica 6/2007). Seinen Sitz hat das spanische Verfassungsgericht in Madrid.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Der spanische Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo) steht an der Spitze der spanischen Fachgerichtsbarkeit und entscheidet letztinstanzlich in allen Verfahren. Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes können nur durch das spanische Verfassungsgericht im Rahmen einer der gesetzlich bestimmten Verfahrensarten aufgrund der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts für unwirksam erklärt werden. Die Unterschiede zwischen Verfassungsgericht und Oberstem Gerichtshof sind damit nicht hierarchischer, sondern kompetenzrechtlicher Natur.

Mit der Änderung des Verfassungsgerichtsgesetzes vom 24. Mai 2007 ist das Verfassungsgericht angesichts der mitunter umstrittenen Kompetenzverteilung insbesondere im Verhältnis zum Obersten Gerichtshof insoweit gestärkt worden, als ausschließlich das Verfassungsgericht über seine Gerichtsbarkeit im Rahmen des Zuständigkeitskataloges befindet und die vom Verfassungsgericht einmal angenommene Zuständigkeit durch kein anderes Gericht beansprucht werden kann.

Zur Vermeidung von Konflikten infolge der Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes für zivilrechtliche Haftungsfragen im Zusammenhang mit Amtshandlungen der Richter des Verfassungsgerichts sollte letzteren durch eine Gesetzesinitiative aus dem Jahr 2005 Immunität gewährt werden. Hintergrund war die Verurteilung von Richtern des Verfassungsgerichts zu Schadensersatzzahlungen durch den Obersten Gerichtshof. Die Initiative wurde jedoch nicht umgesetzt; lediglich einzelne, schon 2005 vorgeschlagene Neuregelungen sind nunmehr mit dem oben genannten Änderungsgesetz vom 24. Mai 2007 in Kraft getreten.

Zusammensetzung

Wahlverfahren und Amtszeit

Das spanische Verfassungsgericht besteht aus zwölf Mitgliedern, den Magistrados. Diese werden per Dekret (Real Decreto) vom spanischen König ernannt. Die Ernennung von jeweils vier Richtern erfolgt auf Vorschlag der beiden Kammern der Cortes Generales (Kongress und Senat). Jeweils zwei weitere Richter werden durch die Regierung und dem "Generalrat der rechtsprechenden Gewalt" (Consejo General del Poder Judicial) vorgeschlagen. Bei der Abstimmung in den Cortes Generales muss sich eine qualifizierte Mehrheit von 3/5 der Mitglieder der jeweiligen Kammer für einen Kandidaten aussprechen.

Die Ernennung der Richter erfolgt für einen Zeitraum von neun Jahren. Alle drei Jahre wird ein Drittel der Richter nach Ablauf ihrer Amtszeit durch neue Richter ersetzt. Persönliche Voraussetzung für die Berufung zum Verfassungsgericht ist neben der spanischen Staatsangehörigkeit die durch mehr als 15 Jahre Berufserfahrung belegte und allgemein anerkannte Kompetenz des zur Wahl stehenden Juristen. Dieser kann beispielsweise als Staatsanwalt, Richter, Universitätsprofessor, Beamter im öffentlichen Dienst oder als Rechtsanwalt tätig sein.

Die dem Verfassungsgericht angehörenden Richter sind unabhängig und unabsetzbar. Während ihrer Amtszeit ist es ihnen untersagt, politische Ämter, Mandate oder leitende Funktionen in einer Partei oder Gewerkschaft zu übernehmen sowie eine andere berufliche Tätigkeit auszuüben.

Aktuelle Besetzung und Blockade der Neubesetzung

In der öffentlichen Wahrnehmung werden die Mitglieder des Verfassungsgerichts entweder dem progressiven (d.h. PSOE-nahen) oder dem konservativen (PP-nahen) Lager zugeordnet. Da für die Besetzung der vom Kongress bzw. dem Senat zu besetzenden Richterstellen eine 3/5-Mehrheit notwendig ist, ergibt sich insoweit de facto die Notwendigkeit einer Einigung zwischen den beiden großen Parteien (PSOE und PP).

Ende 2007 wären die vier vom Senat vorgeschlagenen Richter neu zu wählen gewesen. Da sich PSOE und PP jedoch nicht einigen konnten, kam es zu keiner Neubesetzung und die 1998 vom Senat gewählten Mitglieder des Verfassungsgerichts blieben - so wie es das LOTC vorsieht - weiter im Amt.

Darüber hinaus verstarb am 18. Mai 2008 der vom Kongress gewählte Richter Roberto García-Calvo y Montiel. Auch dessen Stelle konnte aufgrund derselben Umstände nicht neu besetzt werden.

Durch diese Blockade bei der eigentlich längst fälligen Neubesetzung geriet das Gericht in eine tiefe institutionelle Krise, die auch die öffentliche Akzeptanz seiner Entscheidungen berührte. So wurde etwa in der Kritik am Urteil des Gerichts vom 28. Juni 2010 zum Autonomiestatut von Katalonien häufig angeführt, dass dieses von einem Verfassungsgericht in nicht regulärer Besetzung gefällt worden sei.

Im November 2010 lief darüber hinaus auch die reguläre Amtszeit der übrigen drei im Jahre 2001 vom Kongress gewählten Richter aus und auch für diese Posten kam es wegen der Uneinigkeit der beiden großen Parteien zu keiner Neubesetzung.

Zu einer teilweisen Auflösung der Blockade kam es erst, als der Senat am 1. Dezember 2010 (also mit einer "Verspätung" von drei Jahren) die vier Richterposten, für die ihm das Vorschlagsrecht zusteht, neu besetzte (mit zwei Kandidaten aus dem progressiven und zwei aus dem konservativen Lager).

Zunächst sollte mit der förmlichen Ernennung dieser Richter durch den König abgewartet werden, bis auch der Kongress die vier von ihm vorzuschlagenden Richter gewählt hatte. Als sich aber abzeichnete, dass eine Auflösung der Blockade im Kongress in nächster Zeit nicht zu erwarten stand, erfolgte am 11. Januar 2011 zunächst nur die Ernennung der vier vom Senat vorgeschlagenen Richter.

Damit gehören dem Verfassungsgericht derzeit an:

Name Funktion "Lager" vorgeschlagen von reguläres Ende der Amtszeit
Francisco José Hernando Santiago konservativ Senat Dezember 2016[1]
Adela Asúa Batarrita progressiv Senat Dezember 2016[1]
Luis Ignacio Ortega Álvarez progressiv Senat Dezember 2016[1]
Francisco Pérez de los Cobos Orihuel konservativ Senat Dezember 2016[1]
Javier Delgado Barrio konservativ Kongress November 2010
Elisa Pérez Vera progressiv Kongress November 2010
Eugeni Gay Montalvo Vizepräsident progressiv Kongress November 2010
Roberto García-Calvo y Montiel konservativ Kongress November 2010, † 8. Mai 2008
Pascual Sala Sánchez Präsident progressiv Consejo General del Poder Judicial Juni 2013
Ramón Rodríguez Arribas konservativ Consejo General del Poder Judicial Juni 2013
Manuel Aragón Reyes progressiv Regierung Juni 2013
Pablo Pérez Tremps progressiv Regierung Juni 2013

Organisation

Der Sitz des Verfassungsgerichts ist Madrid. Die zwölf Richter des Gerichts bilden das so genannte Plenum (pleno), welches sich in zwei Kammern (salas) zu jeweils sechs Richtern teilt. In weiteren Untergliederungen, den so genannten Abteilungen (secciones), entscheiden jeweils drei Richter über die Zulässigkeit und damit die Annahme von Anträgen zur Entscheidung durch das Verfassungsgericht. Mit Ausnahme der Verfassungsbeschwerden, die ausschließlich die Kammer behandelt, entscheidet das Verfassungsgericht stets in der Besetzung des Plenums.

Das Plenum wählt in geheimer Wahl aus seinen Reihen einen Präsidenten, der daraufhin dem König zur Ernennung vorgeschlagen wird. Die Amtszeit des Präsidenten beträgt drei Jahre. Nach diesem Verfahren vollzieht sich auch die Ernennung des Vizepräsidenten. Präsident und Vizepräsident übernehmen jeweils den Vorsitz der ersten und zweiten Kammer des Verfassungsgerichts.

Die bisherige Übung, nach der sich die Amtszeit des Präsidenten bis zum Ablauf seiner Angehörigkeit zum Verfassungsgericht als Richter verlängerte, wurde mit dem oben genannten Änderungsgesetz vom 24. Mai 2007 nunmehr gesetzlich festgeschrieben.

Zuständigkeit

Folgende Verfahrensarten bzw. Rechtsfragen sind dem Verfassungsgericht zur Entscheidung zugewiesen:

Abstrakte und konkrete Normenkontrolle

Prüfungsgegenstand können dabei sowohl Gesetze im formellen als auch im materiellen Sinn (so z. B. decretos-leyes und decretos legislativos) sein, während Rechtssetzungsakte der Exekutive (z. B. reglamentos) der Prüfungs- und Verwerfungskompetenz der Fachgerichte unterliegen. Stellt das Gericht die Verfassungswidrigkeit und damit die Nichtigkeit einer Norm fest, so erstreckt sich die Nichtigkeitsfolge lediglich auf die betreffende Vorschrift, wenn das Gesetz im Übrigen einer Anwendung zugänglich bleibt. Der Normenkontrolle unterliegen als Organgesetze auch die Statuten der autonomen Regionen Spaniens.

Verfassungsbeschwerde (Recurso de amparo)

Prüfungsgegenstand ist ein Akt der öffentlichen Gewalt, durch den ein Grundrechtsträger behauptet, in seinen verfassungsmäßig garantierten Rechten verletzt zu sein. Voraussetzung für die Anrufung des Verfassungsgerichts ist die Erschöpfung des Rechtswegs. Angesichts der hohen Zahl von (zumeist unzulässigen) Verfassungsbeschwerden sind mit der Änderung des Verfassungsgerichtsgesetzes vom 24. Mai 2007 die Anforderungen an die Darlegung und Begründung einer Verfassungsbeschwerde erhöht worden. Auch die Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sind deutlicher als in der bisher geltenden Fassung des Verfassungsgerichtsgesetzes hervorgehoben.

Kompetenzstreitigkeiten zwischen Staat und autonomen Regionen

Besteht zwischen dem spanischen Staat (Estado) und den autonomen Regionen (Comunidades Autónomas) oder aber zwischen letzteren ein Streit über die der jeweiligen Gebietskörperschaft zugewiesenen Kompetenzen und deren Ausübung, so können der Staat oder die betroffenen Regionen das Verfassungsgericht anrufen.

Organstreitverfahren

Das Verfassungsgericht entscheidet über Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen hinsichtlich der sie betreffenden Rechte. Sieht ein Verfassungsorgan sich in seinen verfassungsmäßig vorgesehenen Rechten durch einen Akt eines anderen Organs verletzt oder hierin einen unzulässigen Eingriff in die dem Organ zugewiesenen Kompetenzen, so kann es die Klärung der Frage durch das Verfassungsgericht beantragen.

Kommunalverfassungsbeschwerde

In diesem Verfahren können die Kommunen Eingriffe in die ihnen zugewiesenen Rechte, namentlich auf dem Gebiet der Selbstverwaltung, durch den Staat oder die autonomen Regionen abwehren.

Internationale Verträge

Vor dem Inkrafttreten und damit der Erlangung von Gesetzesrang können internationale Verträge bei Zweifeln hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit spanischen Verfassungsrecht dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt werden.

Ernennung der Mitglieder

Das Verfassungsgericht entscheidet über die Rechtmäßigkeit der Ernennung der dem Gericht angehörenden Richter.

Weitere Entscheidungskompetenzen sind bzw. können dem Verfassungsgericht durch Organgesetze (Leyes Orgánicas) zugewiesen werden. Der Ausspruch eines Parteiverbots ist im Gegensatz zur deutschen Zuständigkeitsregelung dem spanischen Obersten Gerichtshof vorbehalten.

Literatur

  • Francisco Rubio Llorente: Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Spanien. In: Christian Starck, Albrecht Weber (Hrsg.): Verfassungsgerichtsbarkeit in Westeuropa. Teilband I. 2. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2007, ISBN 978-3-8329-2640-3 (Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit. Band 30/I), S. 165–198.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c d Nach Art. 16.5 des Ley Orgánica del Tribunal Constitucional endet die Amtszeit der mit "Verspätung" gewählten Richter zu dem Zeitpunkt, zu dem sie bei regulärer Neuernennung geendet hätte. D.h. den im Januar 2011 mit einer Verspätung von gut drei Jahren ernannten Richtern verbleibt nur noch eine Amtszeit von knapp sechs Jahren.

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