Selbstanzeige

Selbstanzeige

Selbstanzeige ist ein Begriff aus dem deutschen Steuerstrafrecht, § 371 Abgabenordnung (AO).

Wer wirksam eine Selbstanzeige erstattet, kann nicht bestraft werden, obwohl er eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) vollendet hat. Mit dem Institut der Selbstanzeige wird „tätige Reue“ auch nach einem bereits beendeten Delikt mit Straffreiheit honoriert, ein Phänomen, das dem Strafrecht sonst fremd ist. Die strafbefreiende Selbstanzeige ist ein sog. persönlicher Strafaufhebungsgrund und soll folglich nur Jenen zugute komme, die von ihr Gebrauch machen.

Die Selbstanzeige wird nach herrschender Meinung als sog. Rechtswohltat angesehen und erlaubt somit die Strafbefreiung. Wichtigster Grund der strafbefreienden Selbstanzeige ist die Erschließung von Steuerquellen, die dem Staat bisher nicht bekannt waren. Durch eine Selbstanzeige wird rückwirkend die Strafbarkeit beseitigt.

Inhaltsverzeichnis

Voraussetzungen

Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige ist, dass der Täter der Steuerhinterziehung seine Tathandlung korrigiert (unrichtige oder unvollständige Angaben berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt) und die hinterzogene Steuer entrichtet. Der Bundesgerichtshof entschied am 20. Mai 2010, dass ein Steuerhinterzieher keine Straffreiheit erlangt, wenn er von mehreren bisher den Finanzbehörden verheimlichten Auslandskonten nur diejenigen offenbart, deren Aufdeckung er fürchtet. Vielmehr muss, um Straffreiheit zu erlangen, hinsichtlich aller Konten „reinen Tisch“ gemacht werden.[1] Diese Auslegung des § 371 AO widerspricht jedoch dem Wortlaut der Norm, nach der bei teilweiser Berichtigung insoweit Straffreiheit eintritt.

Nicht mehr möglich ist die Selbstanzeige in drei Fällen:

  • Erscheinen eines Prüfers der Finanzverwaltung zur Prüfung
  • Einleitung und Bekanntgabe eines Steuerstrafverfahren
  • Entdeckung der Tat.

Wenn ein Prüfer der Finanzbehörde beim Steuerpflichtigen zu einer Prüfung erschienen ist, ist die Selbstanzeige ausgeschlossen, da mit Beginn der Prüfung die sog. Sperrwirkung eintritt. Die Sperrwirkung erstreckt sich auf die Steuerarten und –jahre, wegen derer der Prüfer erschienen ist.

Zweitens kann eine Selbstanzeige nicht mehr erstattet werden, wenn ein Strafverfahren bereits eingeleitet und dies dem Steuerpflichtigen bereits mitgeteilt wurde. Hier bleibt die Sperrwirkung auf die Steuerarten und –jahre beschränkt, die zur Einleitung des Verfahrens geführt haben.

Als dritter Ausschlussgrund kommt in Frage, wenn die Tat von der Finanzbehörde ganz oder teilweise entdeckt ist (sog. objektive Voraussetzung) und der Täter dies weiß bzw. bei Würdigung der Sachlage damit rechnen musste (sog. subjektive Voraussetzung). Entdeckt ist die Tat, wenn das Finanzamt im konkreten Fall erkennt, dass der Täter eine unrichtige Erklärung abgegeben und dadurch Steuern hinterzogen hat. Der bloße Umstand, dass die Finanzbehörde von Einnahmen erfahren hat, führt nicht zur Tatentdeckung. Erst der Abgleich mit der jeweiligen Steuerakte kann zur Tatentdeckung führen.

Die Selbstanzeige kann gegenüber der zuständigen Finanzbehörde vom Steuerpflichtigen selber erstellt werden. Selbstanzeigen werden häufig wegen ihrer scheinbar einfachen Handhabung unterschätzt. Tatsächlich ist die Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige durchaus anspruchsvoll. Daher bedienen sich Steuerpflichtige in der Regel eines mit der Materie vertrauten Steuerberaters. In einer Vielzahl von Fällen geht mit der Hinterziehung von Steuern auch die Verwirklichung anderer Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten einher. Für diese greift jedoch die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nicht. Daher kann die Einschaltung eines Rechtsanwalts sinnvoll sein.

Aktuelles

Die Bundesregierung legte jüngst den Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, BT-Drs. 17/4182 [2] und BR-Drs. 851/10) vor, der vorsieht, die Vorschrift des § 371 AO über die Selbstanzeige zu ändern. Dies ist Ausfluss einer Entwicklung, die ihren Anfang im Ankauf von Daten Schweizer Banken über deutsche Kunden nahm. Anlässlich dessen wurde der Ruf laut, dass die Straffreiheit durch eine Selbstanzeige ungerecht und daher abzuschaffen sei.[3] Die SPD-Bundestagfraktion hatte am 20. April 2010 den Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung [4] vorgelegt, der jedoch nicht weiter beraten wurde. Joecks kommt in Die Steuerberatung, Heft 5/2010, zum Ergebnis, dass eine Streichung der Selbstanzeige Unsinn sei, stellt aber zur Diskussion, über eine Erweiterung der Sperrgründe in § 371 Abs. 2 AO nachzudenken. In diese Richtung gingen Anträge der Regierungsparteien [5] sowie der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen [6], über die der Bundestag am 21. Mai 2010 beraten hat. Einen Tag vor dieser Beratung hat der BGH einen Beschluss vom 20. Mai 2010, Az.: 1 StR 577/09 [7] verkündet, in dem er seine Rechtsprechung zur Selbstanzeige änderte und deren Vollumfänglichkeit zum Postulat erhob. Auf diese Grundsatzentscheidung stützte sich ein Vorschlag zur Änderung des § 371 AO, der ursprünglich Einzug in den Entwurf des JStG 2010 [8] fand und der nun in das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz ausgegliedert wurde. [9]

Der Bundestag hat am 17. März 2011 das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz) und damit die Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige § 371 Abgabenordnung – AO bei Steuerhinterziehung beschlossen.

Grundlage waren gleichlautende Gesetzentwürfe von CDU/CSU und FDP (BT-Drs. 17/4182) sowie der Bundesregierung (BT-Drs. 17/4802) zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Auf Empfehlung des Finanzausschusses (BT-Drs. 17/5067) verabschiedete der Bundestag das Gesetz in der Fassung eines Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen.

Wesentliche Punkte der Gesetzesnovelle sind:

  • Die Selbstanzeige muss zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart (also z.B. Einkommensteuer, Umsatzsteuer) in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigen, die unvollständigen Angaben ergänzen oder die unterlassenen Angaben nachholen.
  • Die Selbstanzeige ist begrenzt auf Hinterziehungsbeträge von höchstens EUR 50.000 je Tat. Darüber hinaus kann unter den Voraussetzungen des neu eingefügten § 398a Abgabenordnung (AO) von Strafverfolgung abgesehen werden, wobei dann eine Zusatzleistung von 5 % auf den Hinterziehungsbetrag zusätzlich zu leisten ist.
  • Der Zeitpunkt, von dem an die Selbstanzeige im Regelfall gesperrt ist, wird vorverlagert. War bislang das Erscheinen des Steuerprüfers der praktisch bedeutsamste Sperrgrund, so wird dies künftig nach dem Willen des Gesetzgebers dem neuen Sperrgrund der Bekanntgabe der Prüfungsanordung zukommen.
  • Bis zur Verkündung des Gesetzes greift eine Übergangsregelung (Art. 97 § 24 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung – EGAO), die die bisherige Rechtnorm in ihrem herkömmlichen Verständnis (also unter Außerachtlassen der Entscheidung des Bundesgerichtshofes -BGH- vom 20. Mai 2010, Az.: 1 StR 577/09 [10]) für anwendbar erklärt. Die Übergangsregelung ist Gegenstand der Kritik des deutschen Steuerberaterverbandes DStV: Problematische Übergangsregelung!

Einzelnachweise

  1. BGH: Strafbefreiende Selbstanzeige nur bei Rückkehr zur Steuerehrlichkeit – BGH, Entscheidung v. 20. Mai 2010, Az. 1 StR 577/09 - kostenlose-urteile.de
  2. BT-Drs. 17/4182
  3. Tagesschau:Bundesregierung verschärft Kampf gegen Steuerbetrüger
  4. Entwurf der SPD-Fraktion eines Gesetzes zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, BT-Drs. 17/1411
  5. Gesetzesinitiative (Antrag) von Union / FDP, BT-Drs. 17/1755
  6. Gesetzesinitiative (Antrag) von Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 17/1765
  7. BGH, Änderung der Rechtsprechung zur strafbefreienden Selbstanzeige, Beschluss v. 20. Mai 2010 – 1 StR 577/09
  8. Empfehlungen zum Entwurf des JStG 2010, BR-Drs. 318/1/10
  9. Gesetzesinitiative zur Verschärfung der Selbstanzeige
  10. BGH, Änderung der Rechtsprechung zur strafbefreienden Selbstanzeige, Beschluss v. 20. Mai 2010 – 1 StR 577/09

Literatur (nur beispielhaft)

  • Andrascek-Peter, Ramona / Braun, Wernher / Friemel, Rainer, Abgabenordnung. Lehrbuch, 17. Auflage, Herne/Berlin 2010, Verlag: NWB, EAN 9783482536274
  • Gehm, Matthias, Die Selbstanzeige nach § 371 AO im Zusammenhang mit den Kapitalanlegerfällen Schweiz, NJW 30/2010, 2161
  • Hunsmann, Daniel: Die Novellierung der Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, NJW 21/2011, 1482
  • Lübke, Wolfgang / Müller, Ulrike / Bonenberger, Saskia, Steuerfahndung. Situationen erkennen, vermeiden, richtig beraten, 1. Auflage Wiesbaden 2008, Verlag: Gabler, EAN 9783834906380
  • Obenhaus, Die Verschärfung der Selbstanzeige, in: Die Steuerberatung - Stbg - 2011, S.166
  • Schwarz, Bernhard, Kommentar zur Abgabenordnung (AO), Loseblattkommentar, Verlag: Haufe, Freiburg, EAN 9783448011845
  • Wenzler, Thomas, Die Selbstanzeige, Verlag: Gabler, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8349-2263-2

Weblinks

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