Schriftspracherwerb

Schriftspracherwerb

Schriftspracherwerb nennt man das Lesen- und Schreiben-Lernen bzw. das Erlernen der Schriftsprache.

Lesen (Lesekompetenz) und Schreiben (Schreibkompetenz) gehören zu den grundlegenden Kulturtechniken, die gewöhnlich im Grundschulalter erlernt werden. Lesen und Schreiben unterscheiden sich psychologisch in wichtigen Punkten: Während Lesen rezeptiv, nicht willentlich und rein geistig geschieht (Jürgen Reichen sagt: die „Wörter springen an“), ist das Schreiben ein aktiver, willentlicher und bewusster Akt, der mit der Motorik verknüpft ist. Lesen ist nicht demonstrierbar – Schreiben hingegen kann man vormachen. Lesen ist didaktisierbar, Schreiben nicht.

Manche Schulanfänger (z. B. mit verzögerter Entwicklung, Lernstörung, Aufmerksamkeitsstörung, kognitiven Defiziten, geringen Deutschkenntnissen, ...) scheitern beim Lesenlernen, unabhängig davon, ob der Schriftspracherwerb im jahrgangsgleichen Klassenunterricht oder in einer flexiblen Schuleingangsstufe mit jahrgangsübergreifendem Unterricht stattfindet. So gibt es auch erwachsene Analphabeten, die sich um den Schriftspracherwerb mühen.

Beim Lesen- und Schreiben-Lernen gibt es viele anerkannte Methoden. Vom „Methodenstreit“ gelangte man immer mehr zur „Methodenintegration“, bei der mehrere Methoden durchgängig miteinander verknüpft oder zeitlich nacheinander eingesetzt werden.

Inhaltsverzeichnis

Lese-Lehrmethoden (Auswahl)

  • Synthetische Methoden (Laute, Buchstaben erfassen und zu Silben, Wörtern zusammensetzen)
    • Buchstabier-Methode (älteste, am wenigsten geeignete Methode)
      Hier blieben die beim Lesen typischen Lautungen unberücksichtigt. Die Konsonanten wurden als be, ce, de usw. benannt. Unberücksichtigt blieb auch, dass die Konsonanten im Wortverbund nie so lauten.
    • Lautier-Methoden (Ickelsamer, Stephani)
      • Sinnlaut-Methode
      • Anlaut-Methode (vgl. Anlauttabelle)
      • Silben-Methode
      • Artikulations- und Phonomimische Methode
      • Schreib-Lese-Methode
  • Analytische Methoden (Ganzheits-Methoden)
    • Ganzwort-Methode: Dem Lesenlernenden werden ausgewählte, geeignete ganze Wörter präsentiert (zum Beispiel OMA), so dass sich das Wort als Wortbild einprägen kann. In einem weiteren Schritt werden Worte verglichen (zum Beispiel oMa und oPa), wodurch Buchstaben – sozusagen Teile von Wörtern – gelernt werden.
    • Ganzsatz-Methode
    • Normalsatz-Methode
  • Analytisch-synthetische Methoden (Methoden-Integration, Methoden-Mix, methodenübergreifendes Verfahren)
Das Wortganze (ganzes Wort) wird auf Laute und Buchstaben hin analysiert und schließlich in der Synthese wieder vereinigt.
  • Offene Lernangebote (Offenes Lernen, Selbstgesteuertes Lernen, Selbsttätigkeit, keine Lehrgänge)
    • Kinder gestalten eigene, individuelle Fibeln
    • Offene Unterrichtsorganisation (Freiarbeit, Entdeckendes Lernen, kaum Klassenunterricht, individuelle Lernmaterialien)
    • Reformpädagogische Methoden
    • Spracherfahrungsansatz. Der Spracherfahrungsansatz kann verschiedene offene Lernangebote beinhalten, im Vordergrund steht jedoch das gemeinsam kommunikative Handeln oder Informieren. Dementsprechend werden Schreibanlässe in sinnvolle Situationen eingefügt, so dass an die Interessen und sprachlichen Erfahrungen der Kinder angeknüpft werden kann (im Gegensatz zum traditionellen Fibellehrgang, in dem alle Kinder zur gleichen Zeit dasselbe, beispielsweise Fu mag Uta, buchstabieren). Hierzu könnten Kinder eigene Texte (wie eine Einladung) verfassen und dabei eigene Interessen zur Geltung kommen lassen; es können schon beherrschte Wörter genutzt werden und neue Wörter mit Hilfe der Buchstabentabelle aufgeschrieben werden.
    • Beim Lesen durch Schreiben schreiben die Schreibanfänger Wörter mit Hilfe einer Anlauttabelle; durch die wiederholte sinnvolle Benutzung wird incidentell die graphem-phonem-Korrespondenz gelernt, so dass nach einiger Zeit (im Schnitt ein paar Wochen) auf die Buchstabentabelle verzichtet werden kann. Ohne dass das Lesen ausdrücklich Gegenstand des Unterrichts war, können die ABC-Schützen nach ein paar Monaten plötzlich lesen.

Siehe auch

Literatur

  • Helbig, Kirschhock, Martschinke, Kummer: Schriftspracherwerb im entwicklungsorientierten Unterricht. (2005)
  • Heiko Balhorn, Horst Bartnitzky u. a. (Hrsg.): Schatzkiste Sprache 1 – Von den Wegen der Kinder in die Schrift. (1998)
  • Horst Bartnitzky u. a. (Red.): Lesekompetenz. Ein Lese- und Arbeitsbuch des Grundschulverbandes. (2006)
  • Marion Bergk: Rechtschreibenlernen von Anfang an. (1987; 3. Aufl. 1993)
  • Erika Brinkmann, Hans Brügelmann: Die Schrift erfinden. (1998; 2. Aufl. 2005)
  • Hans Brügelmann: Kinder auf dem Weg zur Schrift. (1983; 7. Aufl. 2007)
  • Mechthild Dehn: Zeit für die Schrift. (1988; Neubearb. 2006)
  • Peter Kühn, Pierre Reding: Schriftspracherwerb und Rechtschreibung. Luxembourg 2006. ISBN 2-87995-708-7
  • Jürgen Reichen: Hannah hat Kino im Kopf. (2001; 4. Aufl. 2006)
  • Gudrun Spitta (Hrsg.): Freies Schreiben – eigene Wege gehen. (1988)

Weblinks

(Heilpädagogik-Online 4/2004)


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