Schatten (Archetyp)

Schatten (Archetyp)

Der Schatten ist einer der wichtigsten Archetypen, also eine unbewusste Grundassoziation in Carl Gustav Jungs Analytischer Psychologie.

Inhaltsverzeichnis

Charakteristik

Er stellt das Gegenstück zum Archetyp der Persona dar und steht daher für die negativen, sozial unerwünschten und daher unterdrückten Züge der Persönlichkeit, für jenen Teil des „Ich“, der wegen gesellschaftsfeindlicher Tendenzen in das Unbewusste abgeschoben wird. Seine Entwicklung beginnt bereits in den ersten Lebensjahren des Menschen infolge der von der Umwelt an das Individuum herangetragenen Anforderungen, Erwartungen, Ge- und Verbote, die nur einen Teil der Persönlichkeit zur Entfaltung kommen lassen. Der Schatten wächst parallel zur Persona, gleichsam als deren „Negativ“. Eine gewisse Parallele besteht zum Freudschen Begriff des Es, das im Gegensatz zu Ich und Überich ebenfalls die unbewussten Teile der Persönlichkeit repräsentiert.

Zunächst wird der eigene Schatten gewöhnlich negiert oder aber auf Personen und Objekte außerhalb des eigenen Ichs projiziert. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten, seine Integration in die Gesamtpersönlichkeit, zählt nach Jung indes zu den zentralen Aufgaben des menschlichen Reifeprozesses und stellt einen unabdingbaren Schritt auf dem Weg zur Ganzwerdung (Individuation) dar. Als vorwiegend moralisches Problem fordert sie vom Individuum beträchtliche seelische Anpassungsleistungen. Häufig ist sie auch Gegenstand der Psychoanalyse. Auf einer alltäglicheren Ebene entspricht diesem auch die bekannte Wendung „über seinen Schatten springen“ oder „einen Schatten haben“.

Erscheinungsformen / Wirkungen

In Träumen, Mythen und Erzählungen tritt der Archetyp des Schattens häufig als Fremder, als Feind, als Rivale oder allgemein als eine dem Träumer bzw. Protagonisten negativ gesinnte Person auf. In aller Regel gehört sie dem gleichen Geschlecht an wie er selbst, unterscheidet sich von ihm aber häufig etwa durch Hautfarbe oder Nationalität. Meist geht von der Figur etwas Bedrohliches, ein Misstrauen oder etwas Furchterregendes aus. Nicht selten kommt es auch zu einem Kampf des Träumers mit der Figur, was der genannten Auseinandersetzung des Menschen mit seinem Schatten entspricht.

Auch in der Mythologie sowie in Werken der Kunst und Literatur wurde der Archetyp des Schattens vielfach verarbeitet. Bekanntes Beispiel ist Mr. Hyde, die negative, verbrecherische Seite des tugendhaften Arztes Dr. Jekyll in Robert Louis Stevensons gleichnamiger Erzählung. In Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray bannt ein Maler den Schatten des Protagonisten Dorian Gray in ein Gemälde, das künftig die Spuren seines wilden Lebenswandels widerspiegeln wird, während er selbst unverändert jung und schön bleibt.

Weltweit ist in Märchen und Sagen das Motiv des Ritters anzutreffen, der einen Drachen besiegen muss, um die Hand einer Jungfrau, Prinzessin oder dergleichen zu gewinnen. Soweit der Drache hier nicht als Mutterarchetyp gedeutet wird, wird er meist als Ausprägung des Archetyps des Schattens aufgefasst, der insbesondere der Erweckung der Anima und damit der Aufnahme von Liebesbeziehungen im Wege steht. Die Tötung des Drachen steht insofern allegorisch für die erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem Schatten. Auch der älteste niedergeschriebene Mythos, der Gilgamesch-Epos, enthält in der Auseinandersetzung des Helden mit seinem tierhaften Blutsbruder einen Abriss der Schattenproblematik.

Pathologische Folgen

Nach ihrer Verdrängung in das Unbewusste entfalten die negativen Züge der eigenen Persönlichkeit meist erhebliche Dynamik und Wirksamkeit. Sie bricht sich nach Jung zum einen in entsprechenden (Alb-)Träumen des Betreffenden Bahn. Wenn die Integration des Schattens unterbleibt, kann es auch zu seiner Projektion auf andere Personen oder Gruppen, kommen. Auf diese Weise entstehen unter anderem Vorurteile, aber auch das bekannte „Sündenbock“-Syndrom und Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus oder auch Homophobie. Auch die Idee des Teufels wird mitunter mit der Projektion des Schattens nach außen erklärt. Die Projektion des Schattens nach außen ist auch Teil des psychiatrischen Krankheitsbildes der Paranoia.

Historisch wurde dieser Prozess mitunter zu politischen Zwecken gezielt herbeigeführt, um etwa die Kriegslust gegenüber anderen Völkern anzustacheln, wie auch zur Vorbereitung des Holocaust.

Literatur


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Schatten — von Teilen eines Kaktus auf einer Wand …   Deutsch Wikipedia

  • Schatten (Begriffsklärung) — Schatten (althochdt. scato) bezeichnet: Schatten, eine dunkle Fläche, die durch einen vor einer Lichtquelle befindlichen Gegenstand verursacht wird, ein Lichtschatten Schallschatten, eine schallgedämpfte Stelle hinter einem Schallhindernis… …   Deutsch Wikipedia

  • Archetyp (Psychologie) — Inhaltsverzeichnis 1 Der Archetypus in der Tiefenpsychologie 1.1 Die Entdeckung der Archetypen / Urfiguren des Unbewussten 1.2 Die Archetypen / Urfiguren und die archetypischen Bilder / die Urbilder 1.3 Ähnliche Archetypen …   Deutsch Wikipedia

  • C.G.Jung — Carl Gustav Jung (* 26. Juli 1875 in Kesswil; † 6. Juni 1961 in Küsnacht), meist kurz C. G. Jung, war ein Schweizer Mediziner und Psychologe und der Begründer der Analytischen Psychologie. Inhaltsverzeichnis 1 Biographie 2 Jungs Theorien …   Deutsch Wikipedia

  • C.G. Jung — Carl Gustav Jung (* 26. Juli 1875 in Kesswil; † 6. Juni 1961 in Küsnacht), meist kurz C. G. Jung, war ein Schweizer Mediziner und Psychologe und der Begründer der Analytischen Psychologie. Inhaltsverzeichnis 1 Biographie 2 Jungs Theorien …   Deutsch Wikipedia

  • C. G. Jung — Carl Gustav Jung (* 26. Juli 1875 in Kesswil; † 6. Juni 1961 in Küsnacht), meist kurz C. G. Jung, war ein Schweizer Mediziner und Psychologe und der Begründer der Analytischen Psychologie. Inhaltsverzeichnis 1 Biographie 2 Jungs Theorien …   Deutsch Wikipedia

  • Psychologische Typen — Carl Gustav Jung (* 26. Juli 1875 in Kesswil; † 6. Juni 1961 in Küsnacht), meist kurz C. G. Jung, war ein Schweizer Mediziner und Psychologe und der Begründer der Analytischen Psychologie. Inhaltsverzeichnis 1 Biographie 2 Jungs Theorien …   Deutsch Wikipedia

  • Archétypus — Inhaltsverzeichnis 1 Der Archetypus in der Tiefenpsychologie 1.1 Die Entdeckung der Archetypen / Urfiguren des Unbewussten 1.2 Die Archetypen / Urfiguren und die archetypischen Bilder / die Urbilder 1.3 Ähnliche Archetypen …   Deutsch Wikipedia

  • KHM 108 — Hans mein Igel ist ein Märchen (Typ 441 nach Aarne und Thompson). Es ist in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm an Stelle 108 enthalten (KHM 108). Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Grimm sche Anmerkungen 3 Interpretation 4 Fe …   Deutsch Wikipedia

  • KHM 88 — Das singende springende Löweneckerchen ist ein Märchen (Typ 425c nach Aarne und Thompson), das in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm an Stelle 88 enthalten ist (KHM 88). Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Interpretation 3 Tiefenpsychologische …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”