Peter-Heinz Seraphim

Peter-Heinz Seraphim

Peter-Heinz Seraphim (* 15. September 1902 in Riga; † 19. Mai 1979 in Rosenheim) war Volkswirt und Sachbuchautor mit rassistischen Zügen. Er war der Bruder des Wirtschaftshistorikers Hans-Jürgen Seraphim.

Inhaltsverzeichnis

Erster Weltkrieg

Seraphim kämpfte 1919 unter Rüdiger von der Goltz in der Baltischen Landeswehr gegen die roten Lettischen Schützen. Das Gebiet Lettlands blieb entsprechend dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 von den Mittelmächten besetzt. Nach dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 wurde es aber von regulären deutschen Truppen geräumt. Offiziell beteiligte sich weder die reguläre noch die Schwarze Reichswehr an der Intervention der Entente-Mächte zum Umsturz in Sowjetrussland, da die Bolschewiki in Moskau die Partei des Friedens von Brest-Litowsk war. Das Eingreifen der Schwarzen Reichswehr in Form der Baltischen Landwehr in Lettland geschah mit Zustimmung der Entente.

Weimarer Republik

Seraphim nutzte die Laufbahn, welche die Schwarze Reichswehr einem jungen Mann bot, dessen Vater eine neunköpfige Familie mit deutsch-baltisch-nationalgefärbten Geschichten ernährte.

Er war schriftstellerisch talentiert und arbeitete in einer schwer überschaubaren Anzahl von Instituten, welche aus verdeckten Wehretats finanziert wurden.

Seraphim studierte an der Universität Tartu, der Albertina (Königsberg), der Karl-Franzens-Universität Graz sowie der Universität Breslau Volkswirtschaft und promovierte 1924.

Nationalsozialismus

1933 trat Seraphim der NSDAP und der SA bei. Er propagierte auf Schulungen und in seiner journalistischen Tätigkeit eine vom deutschen Sendungsbewusstsein geprägte Ostpolitik. Der Judenfeindlichkeit, die bei Deutschen und Polen Zuspruch fand, gab Seraphim einen wissenschaftlichen Anstrich. Seraphim hatte einen wesentlichen Teil der Daten für seine Untersuchungen den von ihm diffamierten jüdischen Wissenschaftlern abspenstig gemacht. Seine Ausarbeitungen stellten die jüdischen Einwohner der Gebiete als einheitliche, räumlich verschiebbare Masse dar und leisteten zu den nationalsozialistischen Ausrottungsplänen einen methodischen und propagandistischen Beitrag.

Seraphim nutzte rassistische und ideologische Gemeinplätze und hetzte in der Frankfurter Zeitung vom 30. April 1939, indem er eine handlungsorientierte Verschränkung der „Überbevölkerungsfrage“ mit der „Judenfrage“ so darstellte, dass die „Lösung“ der einen „Frage“ die andere erheblich lindern würde.[1]

Institut für Osteuropäische Wirtschaft

Theodor Oberländer war seit 1933 Direktor des Instituts für Osteuropäische Wirtschaft an der Albertina in Königsberg. Seraphim wurde 1937 in diesem Institut Dozent und stellvertretender Dekan. Ab 1937 war Oberländer Rektor an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, an welcher sein Mitarbeiter Seraphim 1940 habilitierte. Die Seilschaft Oberländer-Seraphim verlegte noch 1955 mit Oberländer als Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen ein Buch von Seraphim.

Institut für Deutsche Ostarbeit in Krakau

Nach dem Überfall auf Polen wurde Seraphim „Sachverständiger für Juden“ im Institut für Deutsche Ostarbeit im Generalgouvernement in Krakau.

Entsprechend dem Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt vom 24. August 1939 über die Einflusssphären wurde Lettland 1940 ohne Gegenwehr von der Roten Armee besetzt und als Lettische SSR eingegliedert. Die Baltendeutschen wurden mit der Parole „Heim ins Reich“ in Wohnungen und Arbeitsstätten im Warthegau gebracht, aus denen die polnischen und jüdischen Einwohner entsprechend der von Seraphim propagierten rassistischen Klassifizierung ins Generalgouvernement abgeschoben worden waren.

Schriftleiter der Zeitschrift „Der Weltkampf“

Am 26. März 1941 wurde in Frankfurt das Institut zur Erforschung der Judenfrage eröffnet. Seraphim hielt einen Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Bevölkerungs- und wirtschaftspolitische Probleme einer europäischen Gesamtlösung der Judenfrage“.

Hierin propagierte er den „jüdischen Volkstod“ und produzierte menschenverachtende Terminologie:

  1. Die Dissimilierung ohne räumliche Ausgliederung aus dem Gastvolk
  2. Die Ghettoisierung in einem Teil Europas
  3. Ihre Entfernung aus Europa durch eine planmäßige Umsiedlungsaktion

Er bot an, dass „in Osteuropa … der Jude durch Rechtsprechung und Verwaltungsmaßnahmen in dem Tempo in den Städten durch Nichtjuden zu ersetzen sei, als qualifizierte Nichtjuden für diesen Einsatz zur Verfügung stehen“.[2]

Des Weiteren übernahm er die Schriftleitung der Institutszeitung Der Weltkampf, welche wie das Institut zum Amt Rosenberg gehörte.

Amt für Wehrwirtschaft und Rüstung

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 war Seraphim im Auftrag des Amtes für Wehrwirtschaft und Rüstung des OKW unter Georg Thomas in der zuerst überfallenen Ukraine auf Inspektionsreise.

Die Aufgabe des Amtes für Wehrwirtschaft und Rüstung war die kriegswirtschaftliche Zurichtung der besetzten Gebiete. Laut Petersen beteiligt sich Seraphim am Raub von jüdischen Kulturgütern,[3] der Aufgabe des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR). Seraphim wurde Zeuge von Massenerschießungen von Juden durch Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. In einem schriftlichen Bericht an seinen Vorgesetzten beim OKW verwahrte er sich gegen diese Massenerschießungen, die er für wirtschaftlich bedenklich hielt.

Direktor des Oder-Donau-Instituts

1943 wurde er geschäftsführender Direktor eines Oder-Donau-Instituts. Auch dieses Institut diente der Kriegswirtschaft, indem es Unterlagen über die Wirtschaft Südeuropas in Form »vertraulicher Berichte« auswertete.

Nachkriegszeit

Als Stabsmitglied des OKW genoss Seraphim nach dem 8. Mai 1945 die Patronage von Reinhard Gehlen.Deshalb wurde er in die USA gebracht, wo seine Kenntnisse ausgewertet wurden. Im Sommer 1946 kam er nach Westdeutschland zurück und im Deutschen Büro für Friedensfragen.[4] unter. Er gilt heute noch als einer der Experten der Ostforschung. In seiner Konstruktion des Feindbildes wurde das Judentum durch den Kommunismus ersetzt.

In der Sowjetischen Besatzungszone wurden Seraphims Schriften Das Judentum im osteuropäischen Raum (1938), Das Judentum in Osteuropa (1938), Die Wirtschaftsstruktur des Generalgouvernements (1941), Die Bedeutung des Judentums in Südosteuropa (1941), Bevölkerungs- und wirtschaftspolitische Probleme einer europäischen Gesamtlösung der Judenfrage (1943) und Das Judentum (1944) auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[5][6][7]

1954 wurde er Leiter der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Bochum.

Familie und Persönliches

1956 veröffentlichte sein Bruder,[8] Hans-Günther Seraphim, ein Buch über die Tagebuchaufzeichnungen des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg.[9] In diesem Buch fehlen zahlreiche Einträge. Manche davon finden sich in den veröffentlichten Schriften von Robert M.W. Kempner wieder.[10] Rosenberg galt nicht zuletzt im Rahmen seiner Leitung des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete, das maßgeblich am Genozid der jüdischen Bevölkerung beteiligt war, - ebenso wie Peter-Heinz Seraphim - in seiner Zeit als Ostexperte.

Einzelnachweise

  1. Frankfurter Zeitung vom 30. April 1939; Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1993/4 http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1993_4.pdf
  2. Der Weltkampf, 1941, 1/2, S. 44 f.
  3. Hans-Christian Petersen, Bevölkerungsökonomie - Ostforschung - Politik. Eine biographische Studie zu Peter-Heinz Seraphim (1902-1979), Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 17, Osnabrück 2006, ISBN 3-938400-18-8 Rezension zu Petersens Biographie http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-111
  4. Deutsches Büro für Friedensfragen https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=4304
  5. http://www.polunbi.de/bibliothek/1946-nslit-s.html
  6. http://www.polunbi.de/bibliothek/1947-nslit-s.html
  7. http://www.polunbi.de/bibliothek/1948-nslit-s.html
  8. Zur Angabe, dass er sein Bruder gewesen ist, vgl. Kai Arne Linnemann: Das Erbe der Ostforschung. Zur Rolle Göttingens in der Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit, Marburg 2002, S. 146, ISBN 3-8288-8397-4.
  9. Hans-Günther Seraphim: Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs aus den Jahren 1834/35 und 1939/40, Göttingen / Berlin / Frankfurt 1956.
  10. So z.B. in: Robert M.W. Kempner. Der Kampf gegen die Kirche. Aus den unveröffentlichten Tagebüchern Alfred Rosenbergs, in: Der Monat 1 [1948], Nr. 10, S. 28-38; Robert M.W. Kempner: SS im Kreuzverhör. Die Elite, die Europa in Scherben brach, Nördlingen 1987.

Schriften (Auswahl)

  • Das Judentum im osteuropäischen Raum. Hrsg. unter Mitwirkung des Instituts für osteuropäische Wirtschaft an der Universität Königsberg in Preußen. Essener Verlagsanstalt, Essen 1938.
  • Das Judentum in Osteuropa. Bund Deutscher Osten, Berlin 1938.
  • Wanderungsbewegungen des jüdischen Volkes. Kurt Vowinckel Verlag, Heidelberg 1940.
  • Die Wirtschaftsstruktur des Generalgouvernements. Verlag des Instituts für deutsche Ostarbeit, Krakau 1941.
  • Die Bedeutung des Judentums in Südosteuropa. Deutsche Informationsstelle, Berlin 1941.
  • Das Judentum - Seine Rolle und Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart. Deutscher Volksverlag G.m.b.H./München 15, Druck: NS-Gauverlag und Druckerei Tirol-Vorarlberg, 1942.
  • Bevölkerungs- und wirtschaftspolitische Probleme einer europäischen Gesamtlösung der Judenfrage. Hoheneichen-Verlag, München 1943.
  • Das Judentum. Seine Rolle und Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart. Deutscher Volksverlag, München 1944.
  • mit Reinhart Maurach und Gerhart Wolfrum: Ostwärts der Oder und Neiße, Wissenschaftliche Verlagsanstalt, Hamburg 1949.
  • Das Genossenschaftswesen in Osteuropa. Raiffeisendruckerei, Neuwied 1951.
  • Ostdeutschland und das heutige Polen. Verlag WESTERMANN, Braunschweig 1953.
  • Industriekombinat Oberschlesien. Verlag Rudolf Müller, Köln 1953.
  • Peter-Heinz Seraphim und Albert Hesse: Allgemeine und angewandte Volkswirtschaftslehre. Kohlhammer, Stuttgart 1955.
  • Die Heimatvertriebenen in der sowjetischen Besatzungszone. Verlegt durch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1955.
  • mit Bergrat (Asesor górniczy) Kurt Seidl, Ingenieur Karl Tänzer: Deutschlands verlorene Montanwirtschaft. Kohlhammer, Stuttgart 1955.
  • Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Verlag Gabler, Wiesbaden 1962.
  • Berufsbegleitende Fortbildung in Verwaltung und Wirtschaft, Verwaltungs- u. Wirtschaftsakademie Industriebezirk, Bochum 1965.

Weblinks


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