Nachhilfe

Nachhilfe

Unter Nachhilfeunterricht oder kurz Nachhilfe versteht man die Unterstützung von Lernenden (z. B. Schülern oder Studenten), die Lernprobleme haben und/oder ihre Lernleistungen steigern wollen/sollen. Diese Unterstützung kann gelegentlich oder regelmäßig bzw. systematisch erfolgen; sie kann im Einzelunterricht oder im Kleingruppenunterricht erfolgen. Auch eine schulinterne Hausaufgabenhilfe bzw. -betreuung am Nachmittag kann als Nachhilfe bezeichnet werden.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland

Formen der Nachhilfe

Formen professioneller, semiprofessioneller oder unprofessioneller Nachhilfe bilden sich meist heraus, wenn der Schüler oder bei jüngeren Schülern häufiger das familiäre Umfeld (Eltern, Geschwister und Verwandte des betreffenden Kindes) eine außerschulisch wirkende und außerfamiliäre Person engagiert, die ihm beim Lernen hilft und in der Regel dafür Geld bekommt. Nachhilfelehrer sind häufig Studenten, pensionierte Lehrer, arbeitslose Akademiker oder Schüler höherer Klassen.

Der Grad der individuellen Förderung und damit die Lernerfolge hängen beim organisierten Gruppenunterricht von der sinnvollen Zusammensetzung der Nachhilfegruppe, der Größe der Gruppe und dem persönlichen Bezug der Lehrkräfte zum Schüler und zu ihrem Arbeitgeber ab.

Probanden und Fächer

Die große Mehrheit der Nachhilfefälle liegt in Deutschland bei Schülern allgemeinbildender Schulen in den Klassenstufen fünf bis zehn, darunter die meisten in den Jahrgangsstufen sieben bis zehn. Im Jahr 2010 wurde die Zahl der aktuell Nachhilfe erhaltenden Schüler allgemeinbildender Schulen in Deutschland auf etwa eins bis anderthalb Millionen geschätzt, also ca. 11 bis 16 Prozent von ca. 9,5 Millionen solcher Schüler. Im Verlaufe ihrer gesamten Schulzeit nehmen nach verschiedenen Schätzungen zwischen 30 und 50% aller Schüler Nachhilfe. Die Tendenz ist seit Jahren steigend, unter anderem wegen der Verkürzung der Gymnasialzeit von neun Jahren ("G9") auf acht Jahre ("G8" - siehe Abitur nach zwölf Jahren).

Jungen erhalten etwas häufiger Nachhilfe als Mädchen, dieser Trend kehrt sich allerdings in höheren Klassenstufen um. Schüler von Gymnasien erhalten häufiger Nachhilfe als Realschüler. Hauptschüler treten auf dem Nachhilfemarkt selten in Erscheinung. In Westdeutschland wird Nachhilfe etwa doppelt so oft in Anspruch genommen wie in Ostdeutschland. Am weitaus häufigsten wird mit über 50% der Fälle das Fach Mathematik nachgefragt, gefolgt von Englisch mit etwa 25% und Deutsch mit ca. 15%. Auf den weiteren Plätzen folgen Latein und Französisch sowie Physik und Chemie. Viele Schüler erhalten in mehreren Fächern Nachhilfe.[1]

Für Legasthenie oder Dyskalkulie gibt es Lerntherapien speziell ausgebildete Fachkräfte. Bei Entwicklungsdyslexie wegen Wahrnehmungsstörung können auch niedergelassene Logopäden helfen.[2]

Mögliche Bildungsbenachteiligung durch Nachhilfe

Einer Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) in Berlin zufolge geben 30% der Nachhilfe-Schüler pro Jahr 1300 Euro für professionelle Nachhilfe aus. Nachhilfe durch Studenten und Schüler verbessere die Bewertung des Schülers im Schnitt um eine Note, Nachhilfe durch Fachkräfte um 1,3 bis 1,4. Zudem scheinen Kinder, die Nachhilfe erhalten, vor allem Eltern aus höheren Bildungs- und Einkommensschichten zu haben. Dazu Dieter Dohmen, der Leiter des FiBS: zunähme: „Trifft das zu, heißt das: Nachhilfe verschärft die soziale Selektion.“[3] (siehe Bildungsbenachteiligung in der Bundesrepublik Deutschland)

Organisierte Nachhilfeanbieter

Die kontinuierliche steigende Nachfrage nach Nachhilfeleistungen in Deutschland hat auch zu einer starken Expansion organisierter Anbieter geführt.[4] Unter diesen Anbietern dominieren bundesweit tätige Unternehmen. Sie bieten in der Hauptsache Nachhilfeunterricht in Gruppen von drei bis sechs Schülern an, den stundenweise beschäftigte Honorarkräfte erteilen. Einzelunterricht wird generell auch angeboten, bleibt aufgrund von Preisen um 40 bis 60 Euro für 90 Minuten allerdings eher die Ausnahme.

Marktführer

In Deutschland marktführend – bei der Gruppennachhilfe – sind die Unternehmen Studienkreis und Schülerhilfe mit jeweils etwa 1000 zum Teil im Franchisebetrieb geführten Filialen. Beide Unternehmen setzen in der Regel Honorarkräfte ein, die häufig Studenten sind.

Preise

Nach Stiftung Warentest bezahlen Eltern insgesamt für private Nachhilfe ihres Kindes durchschnittlich 750 Euro, für Nachhilfe bei einem Nachhilfeunternehmen hingegen 1.550 Euro. Gründe für diese Differenz sind demnach unter anderem die unterschiedliche Dauer der Nachhilfe und die regionalen Preisunterschiede. Während es bei Privatlehrern für den Schüler meist keine Vertragsbindung gibt, haben Institute in der Regel eine Mindestvertragslaufzeit von sechs Monaten. Die Lehrkräfte erhalten bei den Marktführern nur eine Bruchteil der Erträge, sie werden meist auf Honorarbasis zu Honoraren von ca. 7 bis 10 Euro pro Unterrichtsstunde bezahlt. Sozialversicherungsbeiträge, Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall werden in der Regel von den großen Unternehmen nicht geleistet.

Zertifikate und Gütesicherung

Neben diesen großen Nachhilfeketten gibt es regional begrenzt auch kleinere Nachhilfeinstitute. Eine kleine Gruppe hat sich zur Gütegemeinschaft INA-Nachhilfeschulen zusammengeschlossen. Gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung überprüfen externe Auditoren jährlich und zertifizieren Nachhilfeschulen nach eigenen Qualitätskriterien mit einem Gütezeichen.[5] In der Ausgabe 4/2006 hat die Stiftung Warentest private Nachhilfeinstitute geprüft.[6]

Auch die beiden großen Anbieter der Branche, die Schülerhilfe und der Studienkreis, lassen ihre Qualität von unabhängigen Institutionen überprüfen. Der Studienkreis lässt sich durch den TÜV Rheinland die Einhaltung seiner selbst gesetzten Qualitätsstandards bescheinigen.[7] Der TÜV Nord hat mit der Schülerhilfe das erste Nachhilfeinstitut nach der Qualitätsmanagementnorm zertifiziert.[8]

Die Zertifizierung nach den Standards des Studienkreises betrifft formale Kriterien wie Vertragsgestaltung, Lage und Gestaltung der Geschäftsräume und umreißt eine sinnvolle Planung des Nachhilfeunterrichts. Die Qualität und die Erfolgsquote des Unterrichts bleiben ungeprüft. Daher ist die Aussagekraft dieser Zertifizierungen umstritten und eher ein Werbeargument. Die Zertifizierung nach der ISO 9001 betrifft das Qualitätsmanagementssystem des Anbieters.

Verbände und Organisationen

Der Bundesverband Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN) ist der größte Nachhilfeverband in Deutschland. Er vertritt die Interessen von Nachhilfe- und Nachmittagsschulen.[9]

Zwischen dem klassischen Nachhilfelehrer, der Nachhilfe in privater Absprache mit den Eltern organisiert, und dem Nachhilfe-Großkonzern existieren diverse Zwischenformen, zum Beispiel gibt es Agenturen, die gezielt private Nachhilfekräfte gegen Gebühr vermitteln, außerdem bieten viele Allgemeine Studierendenausschüsse von Hochschulen Nachhilfevermittlungen an.

Andere Unternehmen beschäftigen Lehrkräfte auf Honorarbasis, die wie der klassische Nachhilfelehrer zu den Schülern ins Haus kommen.

Kritisch werden Nachhilfeinstitute im Rahmen von Scientology betrachtet, die häufig getarnt auftreten.[10] Als problematisch wird auch eine analoge Strategie der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften NPD angesehen.[11] Beide Organisationen versuchen durch Nachhilfeangebote Kinder und Jugendliche für ihre extremistischen und totalitäten Ideologien zu gewinnen. Ähnliche Versuche gibt es auch von verschiedenen islamistischen Organisationen.

Internetportale

  • Weiterhin gibt es auch viele gemeinnützige Anbieter, die Nachhilfe anbieten, oft auch im Übergangsbereich zu hortähnlicher Nachmittagsbetreuung. In vielen Horten gehört Hausaufgabenhilfe und Nachhilfeunterricht mittlerweile zur pädagogischen Hauptaufgabe.
  • Außerdem gibt es auch einige kostenlose Internetportale, bei denen Schüler bzw. Eltern private Nachhilfe- und Sprachlehrer finden können.

Weitere deutschsprachige Länder

Die größten in Deutschland operierenden Nachhilfeunternehmen sind auch in Österreich und in der Schweiz tätig.

In Österreich gibt es mehrere Internet-Dienstleister, die als Bindeglieder zwischen Nachhilfe-Suchenden und -Anbietern fungieren. Neben dem eigentlichen Vermittlungsservice wird Nutzern optional auch ein Zugang zum E-Learning in Form einer E-Portfolio- bzw. Lernplattform für die Gestaltung von Online-Kurse geboten.

Vereinigte Staaten

In den Vereinigten Staaten bieten die öffentlichen Schulen für Schüler mit besonderem Förderbedarf eigene außercurriculäre Programme an, z. B. als Summer School. Auch entfallen in den USA manche Faktoren, die in Deutschland einen Bedarf nach Nachhilfeunterricht erzeugen; so gibt es dort weder ein Nicht-Versetztwerden noch einen Selektionsprozess, in dem Schüler auf Gymnasien, Real- oder Hauptschulen verteilt werden. Dennoch ist privater Nachhilfeunterricht (private tutoring) weit verbreitet. Neben unabhängigen Nachhilfelehrern (in-home-tutors), die oftmals über Online-Agenturen[12] vermittelt werden, gibt es kommerzielle Anbieter wie Sylvan Learning, Kaplan, Inc. und StudyPoint, die landesweit Niederlassungen betreiben.[13] Persönlicher Unterricht wird ebenso angeboten wie eine Online-Betreuung. Viele öffentliche Bibliotheken bieten auch kostenlose Hausaufgabenhilfe an.[14] Eine besondere Rolle spielen in den USA, wo Berufskarrieren traditionell stark davon abhängen, ob die Aufnahme in ein renommiertes College gelingt, kommerzielle Anbieter, die Bewerber mit college preparation programs auf Prüfungen vorbereiten.[15]

Italien

Eine im Oktober 2007 mittels Befragungen von Haushalten durchgeführte Forschungsarbeit des italienischen Sozialforschungsinstituts EURES[16] zeigt eine Schwarzarbeitsquote von 79,4% bei der Nachhilfe auf, also mehr als den vierfachen Wert der für die gesamte italienische Wirtschaft geschätzten Schwarzarbeitsquote von 17 bis 18,1%; damit ist Nachhilfe in Italien die Branche mit dem höchsten Schwarzarbeitsanteil überhaupt.[17]

Einzelnachweise

  1. aus Stiftung Warentest
  2. Auszug aus dem Deutschen Bildungsserver
  3. Frauke Haß: Selektion durch Nachhilfe FR-Online, 14. April 2008 [1]
  4. http://www.bildungsserver.de/db/mlesen.html?Id=39820
  5. http://www.ina-schulen.de/kriterien.html
  6. http://www.test.de/themen/bildung-soziales/test/-Nachhilfe/1359638/1359638/
  7. http://www.tuvdotcom.com/pi/web/TuvdotcomIdSearchResults.xml?TUVdotCOMID=0000007170
  8. http://nachhilfe.schuelerhilfe.de/erfolgskonzept/tuev-geprueftes-qualitaetsmanagement/iso-9001/
  9. http://www.nachhilfeschulen.org/
  10. Carola Padtberg: Schüler-Nachhilfe. Lehrerverbände und Kultusminister warnen vor Scientology, in: Spiegel-Online, 2. August 2006
  11. NPD will Kinder durch Nachhilfe werben – Artikel auf Welt Online vom 27. März 2007 (abgerufen am 6. Februar 2010)
  12. Beispiel: WyzAnt
  13. Sylvan Learning, Kaplan Inc., StudyPoint
  14. Boston Public Library
  15. College Prep Tutoring in San Diego County, Raise Your Score
  16. Internetauftritt des italienischen Sozialforschungsinstitutes EURES (abgerufen am 5. Februar 2010)
  17. Zusammenfassung der Ergebnisse der Forschungsarbeit zum Anteil der Schwarzarbeit in verschiedenen Branchen in Italien (abgerufen am 5. Februar 2010)

Literatur

  • Mario H. Kraus: Nachhilfe ist uns lieb und teuer, in: blz, Mitgliederzeitschrift der GEW Berlin, Nr. 10/2006
  • Thorsten Schneider:Nachhilfe als Strategie zur Verwirklichung von Bildungszielen.Eine empirische Untersuchung mit Daten des Soziooekonomischen Panels, DIW, Berlin, Oktober 2004
  • Birgit Ebbert: Außerschulische Lernunterstützung in der modernen Gesellschaft, in: Ralph Fischer, Volker Ladenthin (Hrsg.): Homeschooling – Tradition und Perspektive. Würzburg: Ergon Verlag 2006, S. 183-198

Weblinks


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