Nachhaltigkeitswissenschaft

Nachhaltigkeitswissenschaft

Nachhaltigkeitswissenschaft (englisch Sustainability Science) ist eine neue angewandte Wissenschaft, die sich mit der Forschung und Umsetzung von Nachhaltigkeit, nachhaltiger Entwicklung und Nachhaltigkeitsstrategien auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene und in Praxisfeldern (betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement, Bildung, etc.) beschäftigt.

Inhaltsverzeichnis

Internationale Anerkennung

Die Sustainability Science wurde im Jahr 2001 offiziell auf dem Kongress „Challenges of a Changing Earth“ in Amsterdam durch den International Council for Science (ICSU), das International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP), das International Human Dimensions Programme on Global Environmental Change (IHDP) und das World Climate Research Programme (WCRP) eingeführt. Der deutsche Ausdruck der Nachhaltigkeitswissenschaft ist eine Übersetzung des englischen Begriffs.

Wissenschaft im Dienst nachhaltiger Entwicklung

Ins allgemeinere wissenschaftliche Denken gelangte die Nachhaltigkeitsidee erst, als auf dem Erdgipfel (Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (englisch:United Nations Conference on Environment and Development, UNCED) vom 3. - 14. Juni 1992 in Rio de Janeiro) in der Agenda 21 (Kapitel 35) die Rolle der Wissenschaft im Dienst einer nachhaltigen Entwicklung skizziert wurde (vgl. Stappen: 2000, S. 259).

Fast jedes der 40 Kapitel der Agenda 21 betont die Notwendigkeit der Mitwirkung der Wissenschaft für die Umsetzung der global-nachhaltigen Entwicklung. Nachhaltige Entwicklung wird, so kann hieraus gefolgert werden, ohne Unterstützung durch die Wissenschaft nicht oder nur bedingt möglich.

Der Wissenschaft kommt für die Praxis der Nachhaltigkeit im Sinne der Praxis des „Prinzips Verantwortung“ von Hans Jonas eine ganz entscheidende Rolle zu. Wissenschaft im Dienst nachhaltiger Entwicklung wird und kann dabei nicht durch kontinuierliche Veränderungen den neuen Anforderungen gerecht werden. Hiermit verbunden ist die Notwendigkeit für einen Paradigmenwechsel, auch im Sinne der Entwicklung neuer Wissenschaftsdiziplinen.

Nachhaltigkeitswissenschaft ist somit die Wissenschaft im Dienst nachhaltiger Entwicklung - wobei alle Wissenschaften Mitverantwortung für die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung tragen.

Eckpunkte der Nachhaltigkeitswissenschaft

Aufgrund der bisherigen Diskussionen lässt sich folgender Grundkonsens über Wissenschaft und Nachhaltigkeit und über die Nachhaltigkeitswissenschaft festmachen (Lit.: Stappen, 2000 und 2006):

  • l. Bei der Nachhaltigkeitswissenschaft handelt es sich um eine teilweise normative Wissenschaft. Eine Absicht ist die wissenschaftliche Fundierung nachhaltiger Praxis und Handelns (Agenda 21 : Kap.35.3a). Sofern es dabei um Ziele, Werte, Normen und ihre Abwägung untereinander geht (etwa: Generationengerechtigkeit versus wirtschaftliche Freiheit der heute Lebenden), so ist dies eine normative Frage. Wird dagegen beispielsweise nach Instrumenten zur Umsetzung dieser "abgewogenen" Ziele oder nach Ursachen fehlender Nachhaltigkeit gefragt, so ist dies deskriptive Wissenschaft (vgl. Ekardt 2009).
  • 2. Nachhaltigkeitwissenschaft ist multi- und transdisziplinär ausgerichtet. Nachhaltige Entwicklung übersteigt bei weitem das Potential einer einzelnen wissenschaftlichen Disziplin.
  • 3. Nachhaltigkeitswissenschaft ist primär praktisch ausgerichtet. Ziel ist die Lösung existenzieller Probleme der Weltgesellschaft und des Lebenssystems Erde. In der Praxis geht um das Management von Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung.
  • 4. Nachhaltigkeitswissenschaft gründet auf der Verantwortung der Wissenschaft und des einzelnen Wissenschaftlers gegenüber zukünftiger Generationen und dem Lebenssystem Erde.

Frühe Beispiele (1995 ff.) für die Nachhaltigkeitswissenschaft ist die Studie Zukunftsfähiges Deutschland und für die Angewandte Nachhaltigkeitswissenschaft, das Altmühltal Agenda 21 Projekt der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (1994-1999), die erste Versuche darstellten, nachhaltige Entwicklung wissenschaftlich-normativ zu fundieren und in die Praxis umzusetzen. Aufgrund des Fehlens eines geeigneten wissenschaftlichen Rahmens wie der Nachhaltigkeitswissenschaft, hat es hier nach der Veröffentlichung der Studie und in der Praxis erhebliche Legitimationsprobleme gegeben.

Die zentrale internationale Plattform über die Entwicklung der Nachhaltigkeitswissenschaft ist das International Network on Science and Technology for Sustainability an der Harvard University, wo sich Nachhaltigkeitswissenschaftler aus aller Welt zusammengeschlossen haben und die Netzwerkprojekte die Vielfalt der wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung aufzeigen.

Die nationale Plattform in Deutschland ist das Netzwerk Forschung für Nachhaltigkeit des BMBF, die sozial-ökologische Forschung eine spezifische Ausprägung.

Warum gibt es eine Nachhaltigkeitswissenschaft?

Die Entstehung der Nachhaltigkeitswissenschaft ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass Wissenschaftler verschiedener Disziplinen (z. B. Klimaforscher, Ökologen, Geoökologen, Biologen, Geographen, Sozial- und Politikwissenschaftler, Physiker, Humanökologen, etc.), die sich mit der Global Change und Nachhaltigkeitsforschung wissenschaftlich beschäftigen, heute quasi „immer“ gezwungen sind, Aussagen außerhalb ihrer angestammenten Fachgrenzen zu treffen. So übertritt z. B. ein Klimaforscher bereits mit einer Aussage über Reduktionsziele oder Klimaschutzpolitik seinen wissenschaftsmethodisch abgesicherten Bereich. Dies liegt daran, dass sich Reduktionsziele nicht allein aus naturwissenschaftlich-beschreibenden Modellen gewinnen lassen. Stets muss an irgendeiner Stelle der Analyse eine zu erreichende Zielgroße oder eine nicht zu verletzende Randbedingung bestimmt werden. Diese Festlegung selbst ist jedoch nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln möglich, sondern ist eine normative Festlegung außerhalb des Kompetenzbereichs jeder emipirischen Wissenschaft. Es ist jedoch aus wissenschaftstheoretischer Sicht problemlos möglich, entsprechende Zielgrößen und Randbedingungen hypothetisch der Aussage über Reduktionsziele zu Grunde zu legen. Die Entstehung einer dezidierten Nachhaltigkeitswissenschaft kann als Ausdruck der Einsicht gesehen werden, dass solche "Grenzüberschreitungen" methodisch abgesichert werden müssen und können.

Entstehungsgeschichte der Sustainability Science

Der folgende Text vom Forum on Science and Technology for Sustainability (Harvard University) gibt einen Einblick über die Entstehungsgeschichte der "Sustainability Science".

"The world’s present development path is not sustainable. Efforts to meet the needs of a growing population in an interconnected but unequal and human-dominated world are undermining the Earth’s essential life-support systems. ... Meeting fundamental human needs while preserving the life-support systems of planet Earth will require a world-wide acceleration of today’s halting progress in a transition toward sustainability....

Above all, a response has begun to emerge from science itself and the growing recognition across many disciplines of the need for synthesis and integration – needs that are being reflected in many new multidisciplinary research efforts and institutions. These various scientific efforts to promote the goals of a sustainability transition – meeting human needs while preserving the life support systems of the earth – are leading to the emergence of a new field of sustainability science." (Quelle:Sustainability Science. Kates, Robert W. ,William C. Clark and al. 2001. Science 292: 641-2.längere Fassung (pdf)

Studienmöglichkeiten

in Deutschland:

  • Universität Bayreuth
    • Global Change Ecology im Rahmen des Elitenetzwerks Bayern (Master of Science, M.Sc.)

in Österreich:

in der Schweiz:

Literatur

  • Karl-Werner Brand: Nachhaltigkeitsforschung- Besonderheiten, Probleme und Erfordernisse eines neuen Forschungstypus. In: Brand, Karl-Werner (Hrsg.): Nachhaltige Entwicklung und Transdisziplinarität. Besonderheiten, Probleme und Erfordernisse der Nachhaltigkeitsforschung. 1. Aufl. Berlin: Analytica-Verl. (Angewandte Umweltforschung), 2000, S.9–29.
  • Salvino Busuttil, Emmanuel Agius, Peter Serracino Inglott, Tony Macelli (Hrsg.): Our Responsibilites towards Future Generations. A Programme of Unesco and the International Environment Institute. Foundation for International Studies in cooperation with UNESCO, Malta 1990
  • Bundesministerium für Bildung und Forschung. Rahmenprogramm des BMBF für eine zukunftsfähige innovative Gesellschaft. Berlin 2004. http://www.bmbf.de/pub/forschung_nachhaltigkeit.pdf
  • Felix Ekardt: Das Prinzip Nachhaltigkeit. C.H.Beck, München 2005.
  • Felix Ekardt: Nachhaltigkeit und Recht. In: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht 2009, S. 223-238.
  • Sylvio Funtowicz, Martin O'Connor (Hrsg.): Science for Sustainable Development. International Journal of Sustainable Development (Special Issue) 2(3), 1999 http://193.51.42.100/interjournals/ijsdcatal+contents/ijsdvol2/vol2(3)abs.htm
  • Hans Jonas: Prinzip Verantwortung. Suhrkamp, Frankfurt 1989, ISBN 3-518-22005-5
  • Robert W. Kates, William C. Clark et al. (2001): Sustainability Science. Science 292: 641-2. online (PDF, 207 kB)
  • Uwe Schneidewind: Nachhaltige Wissenschaft. Metropolis, Marburg 2009.

Weblinks


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