Nacherzählung

Nacherzählung

Eine Nacherzählung ist eine in eigenen Worten schriftlich niedergelegte Wiedergabe einer von anderen zuvor verfassten bzw. in Form gebrachten Geschichte. Vorlagen für eine Nacherzählung waren und sind zumeist mündliche Überlieferungen oder bereits in Buchform verbreitete Werke wie Novelle, Roman und Epos.

Die Nacherzählung als Literaturgattung ist ähnlichen Fragestellungen nach der Texttreue unterworfen wie die Übersetzung eines literarischen Textes aus einer anderen Sprache – wenn auch sehr oft unter Inanspruchnahme weit größerer Freiheiten, die wiederum als Leistung eigener Kreativität gewürdigt werden. Vermutlich deshalb werden auch Autoren von Nacherzählungen im Gegensatz zu literarischen Übersetzern nicht selten wie Verfasser von eigenständigen Werken honoriert und auf dem Buchcover genannt.

Im Rahmen des Deutschunterrichts gehören Nacherzählungen kleinerer, mündlich vorgetragener Texte bzw. Auszüge zu den eingeübten und geprüften Schulaufsatz-Formen.

Inhaltsverzeichnis

Wortherkunft und -verwendung

Im Grimmschem- bzw. Deutschem Wörterbuch wird zu „Nacherzählung“ lediglich ausgeführt: „f. das nacherzählen und das nacherzählte“.[1] und unter dem Stichwort zum Verb „nacherzählen“ heißt es mehrdeutig: „verb.: einem etwas nacherzählen, nach seinem berichte es erzählen.“, dem unkommentiert das Zitat von Friedrich Schiller angefügt ist: „ihm etwas (gewöhnlich schlimmes) nachsagen.“[2]

Der aktuelle Duden (2007) hingegen definiert „Nacherzählung“ eindeutig wie folgt: „Nach|er|zäh|lung, die; -, -en: in eigenen Worten verfasste Niederschrift von einer Geschichte o. Ä., die man gelesen, gehört hat“[3] Dem entspricht dann auch folgerichtig der Eintrag zum Verb „nacherzählen“: „nach|er|zäh|len <sw. V.; hat>: (etw. Gelesenes, Gehörtes) in eigenen Worten wiedergeben.“[4] Es ist jedoch fraglich, inwieweit die allgemein gehaltenere Definition des Verbs „nacherzählen“ sich neben der schriftlichen Nacherzählung auch (noch) auf ein mündliches Nacherzählen bezieht, das nicht literarisch oder schulisch ambitioniert ist. Für das private Weitererzählen einer Geschichte vom Hörensagen wird heutzutage der Begriff „nacherzählen“ umgangen und stattdessen eher u.a. „berichten“, „erzählen“ oder wertend „behaupten“ gebraucht.

Literaturgattung

Wesentliche Merkmale

  • Wie schon der mündlichen Überlieferung geht es auch der schrifttlichen Nacherzählung zuallererst um die Bewahrung und Verbreitung von als bedeutsam anerkannten Geschichten. Diesem Ansinnen ist es u.a. zu verdanken, das noch heute jahrtausend alte Sagen und daraus gebildete Epen vielfach übersetzt ins Kulturelle Gedächtnis der Menschheit eingegangen und nicht vergessen sind. Darüber hinaus bilden Nacherzählungen jeweils auch die Sprache und Schreibweise einer Kultur ab und werden, je älter sie sind, zu wichtigen „Zeitzeugen“ für viele Disziplinen der Geschichtswissenschaften.
  • Im Gegensatz zur mündlichen und damit auch per se dynamischen Überlieferung fixiert die Nacherzählung eine Geschichte zwar als Niederschrift, ist jedoch, auf längere Sicht, insbesondere seit Erfindung des Buchdrucks, ebenfalls Veränderungen ausgesetzt. Diese Veränderungen heben in der Regel auf die Verständlichkeit einer Nacherzählung bzw. die weitere Rezeption von einer neuen Lesegeneration ab. Die Spannbreite neu erarbeiteter Nacherzählungen reicht dabei von texttreu, d.h. sie suchen in zwar zeitgemäßer Sprache dennoch möglichst dicht an den Intentionen der vollständigen Ursprungsvorlage zu bleiben, bis zur freien Nacherzählung, die auch starke Verkürzungen hinnimmt, ohne dabei jedoch etwas gänzlich Neues hinzuzufügen.
  • Je älter und damit in der Regel bekannter, wurden meist die Nacherzählungen und nicht ihre Ursprungsvorlagen auch zum „Steinbruch“ von Autoren, die z.B. lediglich einzelne Stränge einer Nacherzählung bearbeiten, um diese dann in eine gänzlich andere Form zu bringen oder sie satirisch zuzuspitzen oder ihren Inhalt zuweilen sogar ins Gegenteil zu verkehren. (Siehe hierzu auch den Abschnitt Abgrenzungen)

Abgrenzungen

  • Je weiter sich die Nacherzählung von der ursprünglichen Form einer Vorlage entfernt, wird sie heutzutage meist nur ganz allgemein als Bearbeitung bezeichnet –- z.B. wenn sich allein der Umfang eines Werkes für eine Bühnenfassung oder Verfilmung auch inhaltlich stark reduziert oder umgekehrt eine wenige Seiten umfassende Sage oder biblische Erzählung zum Roman und damit auch um eine im Original fehlende Innenperspektive sowie psychologische Ebene erweitert hat, die ihre Protagonisten nicht nur handeln sondern auch denken und fühlen lässt. Nicht mehr von einer Nacherzählung redet man insbesondere auch dann, wenn die Originalvorlage um weitere Handlungsträger und Erzählstränge ergänzt wurde oder sogar bewusst einzelne Passagen durch eine Interpretation verändert oder auf eine Deutung verengt wurden, die nicht in der Absicht des ursprünglichen Autors lagen.
  • Nicht eindeutig geklärt ist, inwieweit mündliche Überlieferungen von Geschichten innerhalb einer Familie an die nächste Generation oder auch das freie Erzählen z.B. von auch in Büchern festgehaltenen Märchen im engeren Sinne Nacherzählungen sind – die Märchen der Brüder Grimm z.B. waren ja selbst wiederum Nacherzählungen auf der Grundlage mündlicher Überlieferungen, bei denen z.B. je nach Region und Erzählsituation mehr oder weniger große Änderungen in den Details oder sogar im Handlungsverlauf vorausgesetzt werden.
  • Rezensionen oder reine Inhaltsangaben bzw. Abstracts zielen zwar auf die Darstellung eines Originaltextes, zählen aber zur Sekundärliteratur, die ein Werk untersucht, bewertet und kommentiert, ohne damit jedoch in einem enggefassten künstlerischen Sinn eine eigene Schöpfung zu leisten.

Einzelnachweise

  1. dwb.uni-trier.de Grimmsches bzw. Deutsches Wörterbuch zum Substantiv NACHERZÄHLUNG
  2. dwb.uni-trier.de Grimmsches bzw. Deutsches Wörterbuch zum Verb NACHERZÄHLEN
  3. duden-suche.de „Nacherzählung“ -Quelle: Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6., überarbeitete Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 2007.
  4. duden-suche.de „nacherzählen“ -Quelle: Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6., überarbeitete Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 2007.

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