NIST-F1

NIST-F1
Atomuhr

Eine Atomuhr ist eine Uhr, deren Zeittakt aus der charakteristischen Frequenz von Strahlungsübergängen der Elektronen freier Atome abgeleitet wird. Die Zeitanzeige einer Referenzuhr wird fortwährend mit dem Taktgeber verglichen und angepasst. Atomuhren sind derzeit die genauesten Uhren und werden auch primäre Uhren[1] genannt.

Aus den Messwerten von über 260 Atomuhren an über 60 weltweit verteilten Instituten legt das Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) in Paris die Internationale Atomzeit (TAI)[2] als Referenzzeit fest.

Entwickelt wurden die Grundlagen der Atomuhr vom US-amerikanischen Physiker Isidor Isaac Rabi an der Columbia University, der dafür 1944 den Nobelpreis für Physik erhielt.[3] Ein weiterer Nobelpreis im Zusammenhang mit Atomuhren wurde 1989 an den US-amerikanischen Physiker Norman Ramsey für die Verbesserung der Messtechnik bei atomaren Energie-Übergängen verliehen.

Inhaltsverzeichnis

Funktionsweise einer Atomuhr

Uhren können die Zeit umso genauer angeben, je konstanter die Schwingung ihres Taktgebers ist. Bei Räderuhren sind dies das Pendel oder die Unruhe, bei der Quarzuhr ist es ein Oszillator, dessen Frequenz mit Hilfe des Schwingquarzes konstant gehalten wird. In Atomuhren macht man sich die Eigenschaft von Atomen zu Nutze, dass beim Übergang zwischen zwei Energiezuständen elektromagnetische Wellen einer bestimmten Schwingungsfrequenz abgestrahlt oder absorbiert werden.

Ein Quarzoszillator erzeugt ein elektromagnetisches Wechselfeld, dem die Atome ausgesetzt werden. Bei einer ganz bestimmten Frequenz absorbieren die Atome besonders viel Energie und strahlen diese in andere Richtungen ab. Diese Resonanz wird verwendet, um die Frequenz des Quarzoszillators mittels einer Regelschleife extrem stabil zu halten. Die Stabilität der Resonanz selbst bestimmt jetzt die Qualität des Ausgangssignals.[4]

Als Referenzuhr dient meist eine temperaturkompensierte Quarzuhr. Weicht die durch die Referenzuhr erzeugte Frequenz von der des Taktgebers ab, wird die Referenzuhr nachgeregelt. Von ihr kann ein hochgenaues Zeitsignal abgegriffen und weiter verarbeitet werden.

Geschichte und Entwicklungen

Louis Essen und J. V. L. Parry zeigen die Caesiumuhr

Aufbauend auf seine in den 1930er Jahren durchgeführten Untersuchungen zu Magnetresonanzverfahren, regte 1945 der US-amerikanische Physiker Isidor Rabi den Bau einer Atomuhr an. Die erste Atomuhr wurde 1946 von Willard Frank Libby vorgestellt, eine weitere wurde 1949 im National Bureau of Standards (NBS) in den Vereinigten Staaten unter Verwendung von Ammoniak-Molekülen als Schwingungsquelle von Harold Lyons konstruiert. Da sie aber noch nicht den erhofften Genauigkeitsgewinn erbrachte, wurde die Uhr drei Jahre später überarbeitet und auf die Verwendung von Caesiumatomen umgerüstet.[5] Sie erhielt den Namen NBS-1.

1955 folgte dann eine noch genauere Caesiumuhr vom Physiker Louis Essen und J. V. L. Parry am National Physical Laboratory in Großbritannien.

Aufgrund der hervorragenden Gangergebnisse dieser Uhren wurde die Atomzeit als internationaler Standard für die Sekunde definiert. Seit Oktober 1967 beträgt die Zeitdauer einer Sekunde im internationalen Einheitensystem per Definition […] das 9.192.631.770fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung.[6]

Im Laufe der Jahre wurde die Genauigkeit der Atomuhren immer wieder verbessert und bis Ende der 1990er Jahre wurde eine relative Standardabweichung zur idealen SI-Sekunde von etwa 5·10-15 erreicht.[5]

Hochpräzise Atomuhren

Caesium, Rubidium und Wasserstoff sind die gängigsten Atome, mit denen Atomuhren betrieben werden. Die Tabelle stellt ihre Eigenschaften gegenüber. Zum Vergleich sind die Werte für eine temperaturkompensierte Quarzuhr mit aufgenommen.

Typ Frequenz
in GHz
relative Standardabweichung Langzeit-Stabilität
Schwingquarz <10 10−9 ca. 100 s
133Cs 9,192631770 10−13 ca. 105 s
87Rb 6,835 10−12 ca. 103 s
1H 1,420 10−15 ca. 105 s
Al, Hg 429,228 (*) 10−17

(*) Optische Uhr, Wellenlänge ca. 900 nm

Caesium-Fontäne

Die NIST-F1 Cesium fountain atomic clock gibt den Zeitstandard in den Vereinigten Staaten an.

In neueren Atomuhren arbeitet man mit thermisch abgebremsten Atomen, um die Genauigkeit zu erhöhen. In der „Caesium-Fontäne“ (engl.: Cesium fountain) werden Caesiumatome dazu stark abgekühlt, so dass sie nur noch etwa einen Zentimeter pro Sekunde schnell sind. Die langsamen Atome werden dann mit einem Laser nach oben beschleunigt und durchlaufen eine ballistische Flugbahn (deswegen der Ausdruck Caesium-Fontäne), hierdurch kann die effektive Wechselwirkungsdauer der Atome mit den eingestrahlten Mikrowellen verlängert werden, was eine exaktere Frequenzbestimmung erlaubt. Die relative Standardabweichung der Caesium-Fontäne NIST-F1 lag im Jahr 1999 bei nur etwa 10−15, was einer Abweichung von einer Sekunde in 20 Millionen Jahren entspricht.[5]

Neben Caesium werden auch Rubidium, Wasserstoff und andere Atome oder Moleküle für Atomuhren verwendet. Um größere Genauigkeiten zu erreichen werden zurzeit Experimente mit Elementen gemacht, die geeignete Übergänge bei optischen Wellenlängen haben. Hierdurch erreicht man Frequenzen von hunderten Terahertz an Stelle der herkömmlichen 9 GHz. In diesen Experimenten werden einzelne Ionen in einer Paul-Falle gespeichert, und ein Laser wird auf einen schmalbandigen Übergang (meist ein Quadrupol- oder Oktupol-Übergang) stabilisiert. Die technische Herausforderung dabei ist es, die hochstabile Laserfrequenz auf elektronisch messbare (zählbare) Frequenzen herunter zu dividieren. Hierzu wurde am Max-Planck-Institut für Quantenoptik der Frequenzkamm entwickelt.

Optische Uhr

In einer Atomuhr wird die Frequenz einer atomaren Resonanz vermessen. Dies gelingt um so genauer, je höher die Frequenz der Resonanz ist. Sichtbares Licht hat eine etwa 50.000-fach höhere Frequenz als die beim Caesium genutzte Mikrowellenstrahlung. Eine Atomuhr, die mit einer optischen Resonanz arbeitet kann aus diesem Grund deutlich genauer sein. Seit einigen Jahren wird daher an der Realisierung eine optischen Atomuhren gearbeitet, die eine höhere Genauigkeit aufweist, als die aktuell genutzten Caesium-Uhren.

Physiker vom JILA Institute an der University of Colorado in Boulder (Colorado) haben im Februar 2008 eine optische Atomuhr präsentiert, die auf spinpolarisierten 87Strontium-Atomen basiert, welche in einem Laser-Gitter gefangen sind. Es gelang der PTB mit Hilfe ihres transportablen Frequenzkamms eine Frequenz von 429.228.004.229.874 ±1 Hz zu verifizieren.[7] Der Rekord lag Anfang 2008 bei 10−17, gemessen an einem ultragekühlten Aluminiumatom.[8]

Auf dem erreichten Präzisionsniveau wird eine Vielzahl von Effekten sichtbar, die die beobachtete Frequenz beeinflussen. Dazu gehören z. B. der Zeeman-Effekt, Stoß-Wechselwirkung zwischen den Atomen, der AC-Stark-Effekt oder die Gravitationsrotverschiebung.

Kleinformatige Atomuhren für die praktische Anwendung

Eine andere Entwicklungslinie neben den hochpräzisen Uhren verfolgt den Bau preiswerter, kleiner, leichter und energiesparender Uhren, z. B. für den Einsatz in Satelliten und Satellitennavigationssystemen wie GPS, GLONASS oder Galileo. Sie benutzen Atomuhren in ihren Satelliten, um mit Hilfe der präzisen Zeitangaben die Positionierungsgenauigkeit zu erhöhen. Im Jahr 2003 gelang es, eine Rubidiumatomuhr zu bauen, die nur ein Volumen von 40 cm3 einnimmt und eine Leistung von einem Watt verbraucht. Dabei erreicht sie eine relative Standardabweichung von ca. 3·10−12. Das entspricht einer Abweichung von einer Sekunde in 10.000 Jahren. Damit ist die Uhr zwar deutlich ungenauer als die großen stationären Atomuhren, aber erheblich genauer als eine Quarzuhr. (Genaue Quarzuhren haben eine Abweichung von einer Sekunde in einem Monat. Verglichen mit diesen ist diese kleine Atomuhr 120.000-mal genauer.)

Wasserstoff-Maser zur Anregung der Schwingung sind ebenfalls hochgenau, aber schwieriger zu betreiben. Der erste Wasserstoff-Maser im Erdorbit ist auf dem Galileo Navigationssatelliten Giove-B am 27. April 2008 als Zeitbasis für die Ortsbestimmung in die Umlaufbahn transportiert worden.[9] Er soll eine Stabilität von 1 ns/d erreichen.

Einsatz von Atomuhren in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Atomuhr "CS2" der PTB

In Deutschland sind mehrere Atomuhren bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig in Betrieb, darunter auch eine „Caesium-Fontäne“ im Regelbetrieb. Seit 1991 liefert die Caesium-Uhr CS2 das Zeitnormal für die Sekunden der gesetzlichen Zeit[10] Diese Zeit können Funkuhren über den Zeitzeichensender DCF77 empfangen; sie ist auch im Internet per NTP abrufbar.

In Österreich betreibt das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (Labor für Frequenz, Zeit) mehrere Atomuhren. Die Master Clock liefert UTC(BEV). Diese Zeit können Computer über das NTP von den Stratum-1-Servern empfangen.

In der Schweiz betreibt das Labor für Zeit und Frequenz des METAS mehrere Atomuhren, mit der die schweizerische Atomzeit TAI(CH) geführt und die schweizerische Weltzeit UTC(CH) errechnet wird. Diese Zeit können Funkuhren über den Zeitzeichensender HBG beziehungsweise Computer über das NTP empfangen.[11]

Anwendungsgebiete

Atomuhren dienen zum einen der exakten Zeitmessung von Abläufen, zum anderen der genauen Zeitbestimmung und der Koordinierung verschiedener Zeitsysteme und -skalen. So entsteht etwa durch Abgleich der international bestimmten Atomzeit (TAI) mit der astronomischen Zeit (UT1) die Koordinierte Weltzeit (UTC). In Mitteleuropa erhalten Funkuhren das UTC-Zeitsignal über den in Deutschland stationierten Sender DCF77 oder den in der Schweiz stationierten Sender HBG. Das britische Pendant ist der Sender MSF.

Anwendungsbeispiele

  • In vielen Standards-Instituten weltweit wird die Caesiumuhr Modell 5071, ursprünglich von Hewlett-Packard entwickelt, später von Agilent, dann Symmetricom vertrieben, eingesetzt. Siehe z. B. das Atomuhr-Labor des U.S. Naval Observatory.
  • Im Atomic Clock Ensemble in Space (ACES), einem Teil des Columbus-Raumlabor, sollen zwei Caesium-Atomuhren für die Verwendung für Galileo getestet werden.
  • Rubidiumuhren können in kompakten Abmessungen und preisgünstig hergestellt werden. Sie werden in den Bereichen Telekommunikation, Energieversorgung und für Kalibrierungen in der Industrie verwendet. Ein sehr hoch entwickeltes Modell arbeitet in der neuesten Generation der Satelliten des GPS-Navigationssystems.
  • Ein Rubidium-Oszillator, wie er auch in Atomuhren verwendet wird, dient in Donebach zur Erzeugung der Trägerfrequenz des dort befindlichen Langwellen-Rundfunksenders Donebach.
  • Verschiedentlich greifen Ampelschaltungen auf die Atomuhr-Funksignale als Zeitgeber zurück.
  • Im Internet werden die Zeitimpulse zahlreicher Atomuhren mittels Network Time Protocol (NTP) frei für jedermann zur Verfügung gestellt.

Einzelnachweise

  1. http://www.ptb.de/de/org/4/44/441/info3.htm
  2. http://www.bipm.org/en/scientific/tai/tai.html
  3. Fritz von Osterhausen: Callweys Uhrenlexikon. Callwey, München 1999, ISBN 978-3766713537. S. 24
  4. http://www.ptb.de/de/org/4/44/441/info2.htm#anchor%20funktionsprinzip
  5. a b c http://tf.nist.gov/cesium/atomichistory.htm
  6. http://www.ptb.de/de/org/4/44/441/info1.htm#Sekunde
  7. http://www.ptb.de/de/publikationen/jahresberichte/jb2007/nachrdjahres/ndj05d.html
  8. Al optical clock 2008
  9. http://www.dlr.de/desktopdefault.aspx/tabid-12/114_read-12329/
  10. http://www.ptb.de/de/wegweiser/infoszurzeit/fragen/05.html
  11. http://www.swissworld.org/de/switzerland/dossiers/schweizer_uhren/die_genauste_uhr_der_schweiz/

Literatur

  • C. Audoin und J. Vanier: Atomic frequency standards and clocks. Journal of Physics E: Scientific Instruments, 1976.
  • Rexmond D. Cochrane: Measures for Progress: A History of the National Bureau of Standards. U.S. Department of Commerce, Washington D. C. 1966.

Weblinks


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