Myocastor coypus

Myocastor coypus
Biberratte
Junge Biberratte

Junge Biberratte

Systematik
Ordnung: Nagetiere (Rodentia)
Unterordnung: Stachelschweinverwandte (Hystricomorpha)
Teilordnung: Meerschweinchenverwandte (Caviomorpha)
Familie: Biberratten (Myocastoridae)
Gattung: Myocastor
Art: Biberratte
Wissenschaftlicher Name
Myocastor coypus
(Molina 1782)

Die Biberratte (Myocastor coypus), auch Nutria oder seltener Sumpfbiber, Schweifbiber, Schweifratte, Coypu, Wasserratte genannt, ist eine aus Südamerika stammende und in Mitteleuropa eingebürgerte Nagetierart. Sie wird entweder in einer eigenen Familie, Myocastoridae, oder als Unterfamilie Myocastorinae innerhalb der Stachelratten (Echimyidae) eingeordnet.

Die Biberratte wird gelegentlich mit der aus Nordamerika stammenden Bisamratte verwechselt, die sich gleichfalls in Europa als Neozoon etabliert hat, allerdings kleiner ist und einen seitlich abgeplatteten Schwanz hat.

Inhaltsverzeichnis

Erscheinungsbild

Erwachsene Biberratte mit den typischen orangefarbenen Nagezähnen

Die Biberratte erreicht eine Körperlänge von bis zu 65 cm und wiegt erwachsen zwischen acht und zehn Kilogramm. Ihr runder, schuppenbedeckter, kaum behaarter Schwanz hat zudem eine Länge von etwa 30 bis 45 Zentimetern. Die Tiere erreichen damit fast dieselbe Körpergröße wie ein Biber. Männliche Biberratten werden generell etwas größer als die Weibchen. An den Hinterfüßen haben Biberratten jeweils zwischen den ersten vier Zehen Schwimmhäute. Auffällig sind bei erwachsenen Tieren auch die orangefarbenen Nagezähne.

Schädel einer Biberratte aus vier Perspektiven; deutlich sichtbar ist die Anlage der Nagezähne

Die Fellfarbe der Biberratte ist rötlichbraun, an der Bauchseite leicht gräulich. Aus Pelztierzuchten entflohene Tiere zeigen daneben eine Reihe farblicher Varianten. Bei ihnen kommen hellgraue, dunkelgraue, schwarze, braune, rötliche, gelbliche oder fast weiße Fellfarben vor.

Die Zahnformel der Biberratte weicht zu der der meisten Nagetiere dadurch ab, dass die Biberratte neben den Molaren noch über jeweils einen Prämolar verfügt. Dies ist ein charakteristisches Merkmal der Meerschweinchenartigen (Cavioidea), für die folgende Formel gilt:

Zahnformel

Vorkommen

Biberratte bei der Nahrungsaufnahme

Die ursprüngliche Heimat der an Flüssen, Seen, Teichen und in Sümpfen lebenden Biberratte ist das subtropische und gemäßigte Südamerika. Dort kommt sie vom südlichen Brasilien bis nach Feuerland vor und stand im 19. Jahrhundert kurz vor der Ausrottung. Grundsätzlich leben die Tiere sehr standorttreu und verteidigen engagiert ihr Revier.

Die Biberratte gilt heute als in weiten Teilen Nordamerikas und Eurasiens eingebürgert.

Der Bestand in Eurasien ist auf ab dem 18. Jahrhundert aus Pelztierfarmen entflohene Tiere wie auch auf bewusste Auswilderungen zurückzuführen. Insbesondere nach dem Zusammenbruch des Pelzmarktes im 20. Jahrhundert entkamen zahlreiche Tiere und konnten sich aufgrund einer nicht mehr stattfindenden Bejagung stark vermehren.

In den USA wurden in den 1930er-Jahren die ersten Tiere nach Louisiana exportiert. Dort wurden sie wegen der Felle in Pelztierfarmen gehalten. Von dort aus haben wieder so genannte Gefangenschaftsflüchtlinge aufgrund des für Nutrias günstigen lokalen Klimas und ihrer hohen Vermehrungsrate sehr schnell eine nach Millionen zählende Population begründet. Auch gezielte Auswilderungen kamen vor.

Vereinzelte Vorkommen gibt es zudem in Kenia (am Naivashasee), Japan (südlich der Stadt Okayama) und West-Australien.

Biberratte bei der Fütterung mit einer Mohrrübe

In Deutschland ist die Biberratte an etlichen Gewässern in allen Bundesländern zu finden. Größere und weitgehend beständige Populationen gibt es unter anderem an den Flüssen Niers, Schwalm und Cloer am Niederrhein und an der Spree im Osten Deutschlands, insbesondere im Spreewald. Meistens sind die Tiere, insbesondere in Parkanlagen, an den Besuch von Spaziergängern gewöhnt und lassen sich ohne viel Scheu mit Gemüse füttern (beispielsweise mit Äpfeln oder Möhren; Brot ist ungeeignet). Eine wirklich starke Verbreitung findet in Deutschland allerdings nicht statt, weil Mitteleuropa den verwilderten Farmtieren kein günstiges Klima bietet. Manche Populationen brechen daher nach wenigen Jahren wieder zusammen.

Lebensweise

Junge Biberratten
Biberratte im Schilfbereich

Biberratten sind sowohl tag- als auch nachtaktiv, insbesondere dämmerungsaktiv. Sie sind fast reine Vegetarier und ernähren sich vorwiegend von Blättern, Stängeln, Wurzeln von Wasserpflanzen und Hackfrüchten. Seltener werden auch Schnecken, Würmer und Süßwassermuscheln gefressen.[1]


Die Tiere leben entweder paarweise oder in Gemeinschaften von etwa 12 bis 15 Tieren. Diese umfassen dann in der Regel die Eltern und eigene Nachkommen. In ihrer Heimat sind sie zumeist sogar koloniebildend (= größere Gruppen). Sie leben monogam. Nach einer Tragzeit von 19 Wochen bringt das Weibchen 6 bis 8 recht weit entwickelte, sehende und voll behaarte Junge zur Welt, die nach 5 Monaten geschlechtsreif sind. Zwei bis drei Würfe pro Jahr sind möglich.

Als Bauten dienen selbstgegrabene Erdbaue im Uferbereich oder „Nester“ aus langblättrigen Pflanzen (Schilf) und dünneren Stöcken, deren Eingänge im Gegensatz zum Bisam und zum Biber oberhalb der Wasserlinie liegen (Unterscheidungsmerkmal). Biberratten können über 10 Jahre alt werden.

Nutzung

Die Biberratte ist ein Pelzlieferant. Nutriafelle sind vor allem wegen ihrer dichten und äußerst feinen Unterwolle begehrt. Wegen des nicht sehr attraktiven Oberhaars werden die Felle meist gerupft oder geschoren und dann gebügelt (siehe Artikel Nutriafell).

Biberratte, helle Farbvariante

Die Biberratten wurden vermutlich bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts bewusst in Deutschland eingeführt und zwecks Nutzung ausgewildert. Anfang des 19. Jahrhunderts waren die freilebenden Bestände wegen der damals sehr hohen erzielten Preise für Nutriapelze durch intensive Bejagung weitgehend ausgerottet.[1] Anschließend trat eine gewisse Bestandserholung ein. Diese Bestände stammten noch von gefangenen Wildtieren aus Südamerika ab und hatten gegenüber den heutigen Beständen, die aus Nachkommen von langjährigen Zuchtlinien bestehen, deutlich besser ausgeprägte Überlebensfähigkeiten.[1] Erst in den 1920er Jahren gelang es dann mit aus Argentinien importierten Nutrias, diese in Gefangenschaft zu halten und zu züchten. Zwischen 1930 und 1940 gab es in Deutschland insgesamt über 1000 Nutria-Farmen, die jährlich fast 100.000 Felle lieferten.[1] Wegen des Zweiten Weltkrieges ging dieser noch junge Erwerbszweig stark zurück, erstarkte in der 1950er Jahren jedoch wieder, um dann bis heute - vor allem modebedingt - wieder sehr zu schrumpfen. Mittlerweile gibt es in Deutschland auch reine Albino-Zuchtfarmen.[1]

Ferner gilt Nutriafleisch als sehr schmackhaft, gelegentlich auch als „Biber“ (von Sumpfbiber abgeleitet) auf den Speisekarten. 1958 heißt es, „Das Fleisch der Nutria ist als Genußmittel geschätzt, insbesondere in Südamerika bei der einheimischen Bevölkerung und den Jägern. Es ist sehr zart und wohlschmeckend. Im Geschmack kommt es etwa dem Spanferkel gleich. Überdies bemüht sich die argentinische Regierung, den Konsum von Nutriafleisch zu heben, um die Rentabilität der Farmzucht zu erhöhen.“[2] Auch in Teilen Nordamerikas sind ausgewilderte Nutrias so sehr zur Plage geworden, dass in Lousianna für 2,1 Millionen $ für den Verzehr von Nutriafleisch geworben wurde, „um die Plage aufzuessen“.[3] - Vor dem Verzehr ist in Deutschland eine Trichinenschau wegen möglicher Trichinen-Infektionen Pflicht.

Schäden

Schwimmende Biberratte

Es wird gelegentlich von Schäden an Feldfrüchten in der Landwirtschaft und in Kleingärten berichtet. In der Regel sind in Deutschland die verursachten Schäden in Bezug auf den Wasserbau durch Grabungen in Uferbereichen gering. An einigen Gewässern ist dies im Zuge der Renaturierung auch unproblematisch.

Man hält den Tieren zugute, dass Biberratten dort, wo sie auftreten, die ebenfalls eingebürgerten Bisamratten zurückdrängen. Außerdem sind ihre Bestände gut kontrollierbar. Es gibt keinen Grund, Biberratten grundsätzlich zu bekämpfen.

In Gewässern, in denen auch Biber oder Fischotter vorkommen, ist darauf zu achten, dass es hier nicht zu Konkurrenzsituationen kommt.

Literatur

  • Mario Ludwig, Harald Gebhard, Herbert W. Ludwig, Susanne Schmidt-Fischer: Neue Tiere & Pflanzen in der heimischen Natur - Einwandernde Arten erkennen und bestimmen. BLV Verlagsgesellschaft. München 2000. ISBN 3-405-15776-5.
  • Johannes Klapperstück: Der Sumpfbiber (Nutria). (Die Neue Brehm-Bücherei) Westarp Wissenschaften. 2004. 3. Aufl. ISBN 978-3-89432-162-8
  • Lauren E. Nolfo-Clements: Seasonal variations in habitat availability, habitat selection, and movement patterns of Myocastor coypus on a subtropical freshwater floating marsh. (Dissertation) Tulane University. New Orleans. 2006. ISBN 0-542-60916-9

Einzelnachweise

  1. a b c d e Josef H. Reichholf: Säugetiere. Mosaik, München, 1983, neubearb. Ausg. 1996. ISBN 3-576-10565-4; S. 120/121: Artmonographie Nutria.
  2. Das Pelzgewerbe, 1964, Hermelin Verlag Dr. Paul Schöps, Frankfurt/Main, Leipzig, 1958, S. 204.
  3. Arbeitsgruppe Neozoen = Allgemeine & spezielle Zoologie, Universität Rostock: Neue Tiere in Deutschland - Steckbrief, [1]

Weblinks


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