Muselmann (KZ)

Muselmann (KZ)
Skulptur des sterbenden Häftlings an der Gedenkstätte des KZ Neuengamme

Muselmann (auch: Muselman, Plural Muselmänner, polnisch Muzułman) wurden in der Lagerszpracha der nationalsozialistischen Konzentrationslager jene Häftlinge genannt, die durch völlige Unterernährung bis auf die Knochen abgemagert waren und hungerbedingt bereits charakteristische Verhaltensänderungen bis Agonie zeigten.

Inhaltsverzeichnis

Erscheinungsbild

Verstorbene, unterernährte Häftlinge, KZ Buchenwald
Überlebende im KZ Gusen, 1945

Menschen, die sich im letzten Stadium des Hungertodes befanden, hießen in den KZ Muselmann. Sie waren gekennzeichnet durch Folgen des Hungers: Haut und Gerippe, angeschwollene Beine und aufgeblähte Bäuche. Ihr einziger Instinkt war der Selbsterhaltungstrieb und die Suche nach Nahrung, beispielsweise Kartoffelschalen aus Abfallbehältern. Der SS galten sie durch dieses Verhalten als Beispiel für „Untermenschen“, sie nahmen sie nicht ins Krankenrevier auf. Kapos gingen brutal mit ihnen um. Auch Häftlinge stießen sie teilweise aus den Wohnbaracken hinaus, da sie in Apathie und Agonie des Hungertodes gefallen waren, und Angst bei anderen Haftinsassen auslösten „ebenso zu enden“.[1]

Abgesehen vom Kriegsende, als die Alliierten die Lager befreiten, hatte ein Mensch, der das Stadium eines Muselmanns erreicht hatte, praktisch keine Chance zu überleben. Wenn er nicht an Entkräftung, Hunger oder Krankheit starb, „selektierte“ ihn die SS zur Tötung.

Deutungen

Es ist historisch nicht eindeutig geklärt, woher der Ausdruck entstammt.

Der ehemalige Häftling Viktor Frankl berichtet in seinen Erinnerungen, dass Lagerinsassen diesen Ausdruck selbst füreinander verwendeten[2]. Er stellt dies in den Zusammenhang mit dem System der Funktionshäftlinge und leitet diese Phänomene von der allgemeinen Barbarisierung des Menschen unter den Bedingungen wie Lagerhaft, Zwangsarbeit und Unterernährung her.

Eine andere Deutung bezieht sich auf den Fatalismus gefolterter Menschen. Eugen Kogon weist darauf hin, dass Fatalismus entstand „weil sie gebrochen waren“.

Ein weiterer Erklärungsversuch vermutet, dass der Erschöpfte jede Möglichkeit in Anspruch nahm, Kräfte zu sammeln, indem er so viel wie möglich sitzen blieb und die dünne Decke über seinen gebeugten Kopf zerrte. „In dieser Aufmachung glich er einem Muselman im Gebet. Der Faustschlag eines SS-Mannes, ein Hieb mit dem Knüppel des Aufsehers genügten, um ihn so zu erledigen, dass er bei der nächsten ‚Selektion‘ unweigerlich geschnappt wurde.[3]

Eine ausführliche Diskussion zum Begriff des Muselmanns und seinen Implikationen findet sich bei Giorgio Agamben, der weitere Quellen anführt.

Literatur

Fußnoten

  1. Stanislav Zámečník: (Hrsg. Comité International de Dachau): Das war Dachau. Luxemburg, 2002, S.149-150. ISBN 2-87996-948-4.
  2. V. E. Frankl: …trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. dtv. München 1982, 22. Auflage. S. 39f: Er zitiert einen Auschwitz-Mithäftling und Kollegen mit den Worten: „Wißt Ihr schon, was man bei uns einen Muselman nennt? Eine Jammergestalt, einen Herabgekommenen, der kränklich aussieht, abgemagert ist und körperlich nicht mehr schwer arbeiten kann. Über kurz oder lang, meist über kurz, wandert jeder Muselman ins Gas!“ S. 76 (Dachau): „…dort gab es kein Krematorium, also auch keine Gaskammern. Und dies bedeutete, daß einer, der zum 'Muselmann' geworden war, nicht schnurstracks ins Gas gebracht werden konnte, sondern erst, wenn ein sogenannter Krankentransport nach Auschwitz zusammengestellt wurde.
  3. Wolfgang Scheffler: Judenverfolgung im Dritten Reich, S. 78

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Muselmann – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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