Mulai Ismail

Mulai Ismail
Mulai Ismail, Illustration aus John Windus' Reise nach Mequinetz, der Residentz des heutigen Käysers von Fetz und Marocco, Hannover 1726

Mulai Ismail (* ca. 1647; † 1727) war der zweite alawitische Sultan in Marokko.

Er herrschte von 1672 bis 1727, nachdem sein Bruder und Vorgänger Mulai ar-Raschid bereits Marokko vereinigt und die Dila-Bruderschaft besiegt hatte. Zunächst musste er einige Revolten seiner Verwandtschaft und oppositioneller Stämme niederschlagen, bevor er sich dem Ausbau des Reiches widmen konnte.

Er strukturierte das Militärwesen neu und schuf ein Heer aus etwa 40.000 sudanesischen Sklaven. Mit dieser Armee gelang es ihm, die verschiedenen Berber- und Beduinenstämme, die dem von ihm forcierten Einheitsstaat entgegen standen, in Schach zu halten. Außerdem eroberte er den englischen Stützpunkt Tanger (1684) und die spanischen bei Larache (1689) sowie Asilah und die dortige Küstenregion (1691). Um seine religiöse Autorität zu festigen, ließ er 1691 den Wallfahrtskult der Sieben Heiligen von Marrakesch ins Leben rufen.

Durch die Befriedung des Reiches kam es zum Wirtschaftsaufschwung. Besonders gefördert wurde der Handel mit Europa, wobei zunächst Frankreich, später aber Britannien der bevorzugte Handelspartner war.

Der wirtschaftliche Wohlstand des Alawidenreichs ermöglichte eine umfangreiche Bautätigkeit. Neben der Befestigung von Städten und der Verlagerung der Hauptstadt von Fès nach Meknès, ließ er dort eine Palastanlage von gigantischem Ausmaß errichten. Windus und Stuart (siehe unten) beschreiben die Anlage als größer als die von Versailles. Die Arbeitskräfte dafür stellten tausende von weißen Sklaven aus allen Teilen Europas und Nordamerikas, die unter entsetzlichen Bedingungen schuften mussten. Die hohen Ausfälle wurden immer wieder durch neue Raubzüge der Korsaren aus Salé ergänzt. Die beiden Briten Windus und Stuart konnten 293 britische Sklaven loskaufen und nach Hause bringen.[1]

Die Palastanlage Mulai Ismails wurde 1755 durch ein Erdbeben zerstört. Sein Mausoleum sowie ein Großteil der Architektur, zum Beispiel die Stadtmauer mit dem Tor Bab el-Mansour, sind bis heute erhalten geblieben.

Wie aber schon bei Ahmad al-Mansur (1578–1603) hatte auch dieser bedeutende Herrscher keine Bestimmungen für die Thronfolge getroffen. So brachen nach seinem Tod heftige Machtkämpfe zwischen seinen sieben Söhnen aus, die zum Zusammenbruch des von Ismail geschaffenen Einheitsstaates und zur Anarchie führten. Hauptstadt des Reiches wurde wieder Fes. Erst unter Mulai Muhammad (1757–1790) gelang erneut die Befriedung des Landes.

Sarg mit Schutzgitter (maqṣūra) von Mulai Ismail in Mèknes. Der Grabbau (qubba) wurde wohl zu Lebzeiten begonnen und in den 1950er Jahren renoviert

Mulai Ismail hat sich den Spitznamen „Mulai Ismail der Blutige“ erworben. Von allen Europäern, die ihn kennengelernt hatten, wurde er als ein grausamer, sadistischer, unberechenbarer und ungezügelter Regent beschrieben, dessen Herrschaft darauf angelegt war, Angst und Schrecken zu verbreiten. Er sprach willkürlich Todesurteile aus und wenn ihm danach war, vollzog er sie auch selbst. Die Farbe seiner Kleidung spiegelte seine jeweilige Stimmung wider, in der er sich befand: Gelb war seine „Tötungsfarbe“, in der er Hinrichtungen anordnete. Zeitgenossen behaupten, dass er in seinem Harem mit 500 Frauen nicht weniger als 888 Kinder gezeugt haben soll.[2]

Heute liegen die sterblichen Überreste von Mulai Ismail im Mausolée de Mouley Ismail in Meknès, das auch von Nicht-Muslimen besichtigt werden darf.

Einzelnachweise

  1. Giles Milton: Weißes Gold. Die außergewöhnliche Geschichte von Thomas Pellow und das Schicksal weißer Sklaven in Afrika. Theiss, Stuttgart 2010, ISBN 978-3806222470
  2. Giles Milton. Dort auch weitere Literatur

Literatur

  • Dominique Busnot: The History of the Reign of Muley Ismael, the present king of Morocco, Fez, Tafilet, Sous &c. A. Bell u. a., London 1715.
  • Stephan Ronart, Nandy Ronart: Lexikon der Arabischen Welt. Ein historisch-politisches Nachschlagewerk. Artemis Verlag, Zürich u. a. 1972, ISBN 3-7608-0138-2.
  • John Windus: Reise nach Mequinetz Der Residentz des heutigen Käysers von Fetz und Marocco. Welche der Herr Commandeur, Carl Stuart, als Groß-Britannischer Gesandter, Anno 1721. Zu Erledigung der dortigen Gefangenen abgelegt hat. Nicolaus Förster und Sohn, Hannover 1726 (deutsche Erstausgabe von Windus' A Journey to Mequinez. The Residence of the Present Emperor Of Fez and Morocco. On The Occasion of Commodore Stewart's Embassy thither for the Redemption of the British Captives in the Year 1721. Jacob Tonson, London 1725).

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