Moritz Schlick

Moritz Schlick
Moritz Schlick

Friedrich Albert Moritz Schlick (* 14. April 1882 in Berlin; † 22. Juni 1936 in Wien) war ein deutscher Physiker und Philosoph. Schlick war der Begründer und einer der führenden Köpfe des Wiener Kreises im Logischen Empirismus. Seine Beiträge im Rahmen einer wissenschaftlichen Philosophie reichen von der Naturphilosophie und Erkenntnislehre bis hin zur Ethik und Ästhetik.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schlick studierte nach seinem Abitur am Luisenstädtischen Realgymnasium in Berlin Naturwissenschaften und Mathematik an den Universitäten Heidelberg, Lausanne und Berlin. 1904 wurde er bei Max Planck mit einer physikalischen Arbeit Über die Reflexion des Lichts in einer inhomogenen Schicht promoviert. 1907 heiratete er die Amerikanerin Blanche Guy Hardy und studierte ab dem Herbst 1907 in Zürich zwei Semester Psychologie.

1911 habilitierte sich Schlick mit der Schrift Das Wesen der Wahrheit nach der modernen Logik an der Universität Rostock, wo er bis 1921 forschte und lehrte. Aus dieser Zeit stammt auch seine freundschaftliche Beziehung zu Albert Einstein, mit dessen Relativitätstheorie er sich als einer der ersten auf ihre philosophischen Konsequenzen hin auseinandersetzte. 1918 erschien Schlicks Hauptwerk, die Allgemeine Erkenntnislehre, in der er gegen positivistische und neukantische Positionen einen erkenntnistheoretischen Realismus verteidigte.

1921 folgte Schlick einem Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Kiel und 1922 übernahm er als Nachfolger Ernst Machs den Lehrstuhl für Naturphilosophie an der Universität Wien. Der dort 1924 von ihm gegründete interdisziplinäre Diskussionszirkel ist als der Wiener Kreis in die Philosophiegeschichte eingegangen. Von 1929 bis 1932 diskutierte Schlick regelmäßig mit Ludwig Wittgenstein.

1936 wurde Schlick im Gebäude der Wiener Universität von seinem ehemaligen Studenten Hans Nelböck erschossen. Das Motiv ist unklar geblieben, fest steht jedoch, dass Nelböck zuvor wegen paranoider Persönlichkeitsstörung in Behandlung gewesen war. [1]

Heute erinnert eine Plakette auf der Philosophenstiege der Uni Wien an Moritz Schlick. [2]

Philosophie

Ethik

Fragen der Ethik erschien 1930 als Band IV der von Schlick mitherausgegebenen Schriften zur Wissenschaftlichen Weltauffassung, eines Publikationsorgans des Wiener Kreises. In ihr versucht Schlick eine rein empiristische Ethik zu verwirklichen, die sich von einer Ethik mit moralischer bis metaphysischer Absicht (etwa einer Pflichtethik, aber auch dem Kognitivismus) abgrenzt. Interessant ist Schlicks Versuch auch deshalb, weil die Möglichkeit einer Ethik von den meisten Vertretern des logischen Empirismus grundsätzlich bestritten wurde.

Laut Schlick ist die Ethik als empirische Wissenschaft möglich, dann ist sie ein Teil der Psychologie. Ihre Aufgabe ist zu verstehen, in welcher Situation etwas als gut bezeichnet wird, nicht, wie und wann etwas gut ist, geschweige denn sein sollte. So wird die Ethik eine Tatsachenwissenschaft, indem sie festhält, was der Fall ist, nämlich die Regel, nach der etwas als gut bezeichnet wird: die Norm des Ethischen. Die Ethik soll aber nicht als reine „Normwissenschaft“ des Was beschränkt bleiben, sondern auch kausal erklären suchen, wie es dazu kommt. Zur Frage nach dem Was gesellt sich die der erkennenden Ethik: „Warum gilt es als Richtschnur des Handelns?“ [3] Die große Gefahr ist dabei, dass die Ethik, anstatt beobachtend zu beschreiben, selbst das Gute bestimmen will und moralisch wird.

Als Tatsachenwissenschaft muss sich die Ethik an das halten, was beobacht- und begründbar ist. Ethische Urteile über Wert oder Unwert werden in Hinblick auf menschliche Handlungen geäußert, eigentlich Hinblick auf das Motiv, das der Handlung zugrunde liegt. Ein Motiv, das zur Handlung führt, ist zwar das, was der Handelnde will, aber nicht unbedingt das und bestimmt nicht das einzige, was er wünschen kann. Wünschen lässt sich vieles, aber „Wollen ist etwas ganz anders, ist ,mehr‘ […] Wollen ist ,identisch‘ mit dem ersten, rein innerlichen Stadium der Handlung, der Anstrengung.“ [4] Ist das Gewollte zwingend, so kann das Gewünschte ohne Folge bleiben und verschiedene, widerstreitende Formen annehmen. Darin liegt der Wettstreit der Motive begründet, durch den allein die Wertfrage einen Sinn hat, sofern der Mensch auch anders hätte handeln können.

Laut Schlick will der Mensch schließlich die am meisten lustbetonte Vorstellung, was aber nicht mit Egoismus gleichzusetzen ist. Während der Egoist sich rücksichtslos verhält, gibt es viele lustbetonte Vorstellungen, die die Rücksicht zur Voraussetzung haben, gerade die sozialen Triebe, die Schlick als „die sittlichen Triebe par excellence“[5] bezeichnet. Es kann nicht die eigene unvermittelte Lustbefriedigung sein, die menschliches Handeln bestimmt, sofern diese zu Überdruss führt. Schlick unterscheidet zwischen „Motivlust“ und „Erfolgslust“, zwischen denen zwar ein Zusammenhang steht, aber keine Identität. Die Freuden des Erfolgs können hinter die motivierenden Erwartungen zurückfallen; verausgabende Erfolgslust kann eine erneute Motivation verringern. Zugleich könne Disziplin oder Verzicht, selbst Schmerz oder Traurigkeit lustvoll erlebt werde, sofern Lust nicht einfach identisch ist mit Glück, Unlust mit Unglück. Die Bestimmung des lustvollen oder lustlosen orientiert sich nicht bloß an natürlichen oder individualistischen Bedürfnissen, sondern verweist den Menschen immer wieder auf seinen Umgang mit anderen, d. h. auf die Gesellschaft.

So wie das Wollen des Individuums im Hinblick auf die Gesellschaft begriffen werden muss, so ist auch der Begriff des Guten nur als Funktion der Gesellschaft zu verstehen. Der Inhalt der moralischen Vorschriften hängt von den Lebensbedingungen ab, die Gesellschaft erscheint als der „moralische Gesetzgeber“[6] ; moralisch ist dasjenige Verhalten, „von dem die menschliche Gesellschaft glaubt, daß es ihre eigne Wohlfahrt am meisten fördere.“ [7]

Zwar wird der Einzelne zu solchem Handeln auch durch Suggestion, Erziehung und Belohnung und Strafe geführt, im Kern folgt er aber einer eigenen Neigung, der Güte. „Güte und Glück tragen denselben Ausdruck im Antlitz, der Freundliche ist zugleich der Freudige und umgekehrt“[8] , was der augenfällige Ausdruck dafür ist, dass das Wohl des einzelnen grundsätzlich im Verbund mit anderen steht. Darin liegt der Grund, dass Menschen nicht einfach unvermittelt die eigene Befriedigung suchen, sondern oft Verzicht üben oder auch dem Leid sich aussetzen. Nicht sein Glück ist dem Menschen am höchsten, sondern seine eigene „Glücksfähigkeit“, deren Wesen darin liegt, dass Motivationslust und Erfolgslust in einem stabilen Verhältnis bleiben und der Einzelne sich in seinem Handeln nicht gegen seine Umwelt stellt.

Werke (Auswahl)

  • Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre. München: Becksche Verlagsbuchhandlung 1908
  • Das Wesen der Wahrheit nach der modernen Logik, in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie, Jg. 34, 1910, S. 386-477
  • Die philosophische Bedeutung des Relativitätsprinzips, in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik , 159, 1915, S. 129-175
  • Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik. Berlin: Verlag von Julius Springer 1917 (4. Auflage 1922)
  • Allgemeine Erkenntnislehre. Berlin: Verlag von Julius Springer 1918 (2. Auflage 1925)
  • Kritizistische oder empiristische Deutung der neuen Physik?, in: Kant-Studien, 26, 1921, S. 96-111
  • Erleben, Erkennen, Metaphysik, in: Kant-Studien, 31, 1926, S. 146-158
  • Vom Sinn des Lebens, in: Symposion. Philosophische Zeitschrift für Forschung und Aussprache, Jg. 1, 1927, S. 331-354
  • Fragen der Ethik. Wien: Verlag von Julius Springer 1930
  • Gibt es ein Materiales Apriori?, 1930
  • Die Wende der Philosophie, 1930
  • Unanswerable Questions, 1935
  • Meaning and Verification, 1936
  • Gesammelte Aufsätze 1926-1936. Wien: Gerold & Co. 1938 Online Archive
  • Die Probleme der Philosophie in ihrem Zusammenhang. Frankfurt: Suhrkamp Verlag 1986
  • Moritz Schlick Gesamtausgabe. Wien/New York: Springer Verlag 2006 ff.
  • Hermann von Helmholtz. Schriften zur Erkenntnistheorie (Hrsg.: Moritz Schlick & Paul Hertz). Berlin: Springer 1921

Literatur

  • Fynn Ole Engler / Mathias Iven, Moritz Schlick in Rostock. Rostock: Weiland 2007
  • Fynn Ole Engler / Mathias Iven (Hg.), Moritz Schlick. Leben, Werk und Wirkung. Berlin: Parerga 2008
  • Mathias Iven, Moritz Schlick. Die frühen Jahre (1882–1907). Berlin: Parerga 2008
  • Matthias Neuber: Schlick, Moritz. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, S. 78–80.
  • Bernd Kettern: Schlick, Moritz. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 9, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-058-1, Sp. 280–282.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Peter Csendes : Wien: Von 1790 bis zur Gegenwart Böhlau Verlag, 2006, S. 499
  2. Erinnerungsplakette, Philosophenstiege, Uni Wien (Link nicht mehr abrufbar) moritz-schlick-forschungsstelle.de, abgerufen am 30. Oktober 2010
  3. Schlick, M.: Fragen der Ethik, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2002, S. 71.
  4. Ebd.: S.90 .
  5. Ebd.: S.195 .
  6. Ebd.: S. 120.
  7. Ebd.: S. 167.
  8. Ebd.: S. 191.

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