Milton Erickson

Milton Erickson

Milton Hyland Erickson (* 5. Dezember 1901 in Aurum (White Pine County), Nevada; † 25. März 1980 in Phoenix, Arizona) war ein amerikanischer Psychiater und Psychotherapeut, der die moderne Hypnotherapie maßgeblich prägte und ihren Einsatz als Psychotherapie förderte.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Milton H. Erickson wurde am 5. Dezember 1901 als zweites von neun Kindern der Eheleute Albert und Clara Erickson geboren. Sein Vater war ein Kind norwegischer Einwanderer, seine Mutter stammte aus einer alteingesessenen Familie aus Neu-England.

Im Alter von fünf Jahren zog seine Familie nach Lowell (Wisconsin), wo er die Grundschule besuchte und anschließend die High School im nahen Wishfield. Er litt an Legasthenie. Sein Spitzname war damals „Dictionary“, was in seinem Unverständnis im Umgang mit dem Wörterbuch begründet war. So las er das Wörterbuch immer von Anfang an, wenn er einen Begriff suchte. Er galt lange Zeit als „zurückgeblieben“. Seine Legasthenie konnte er offenbar dadurch überwinden, indem er übte, schwierige Buchstaben in Halluzination vor sich zu sehen.

Kurz nach Abschluss der Highschool erkrankte Erickson 1919 an Kinderlähmung. Er fiel ins Koma, und zunächst hatte es den Anschein, dass er die Krankheit nicht überleben würde. Drei Tage später kam er wieder zu Bewusstsein, vollkommen gelähmt. Bewegungsunfähig saß er später in einem Schaukelstuhl. Der intensive Wunsch aus einem Fenster zu schauen führte dazu, dass sich der Schaukelstuhl leicht bewegte. Dieses ideomotorische Erlebnis motivierte ihn weiter zu üben. Durch weitere halluzinative Vorstellungen erreichte er es, dass seine gelähmten Muskeln wieder reinnerviert wurden. Nach knapp einem Jahr hatte er es geschafft, konnte auf Krücken gehen und besuchte die Universität von Wisconsin. Entgegen dem ärztlichen Rat, sich auszuruhen, begab er sich jedoch auf einen inzwischen legendären 1.200 Meilen langen Kanu-Trip auf dem Mississippi. Dabei erreichte er wieder eine enorme körperliche Stärke. Zwei Jahre später konnte er wieder ohne Krücken gehen, lediglich ein Hinken auf der rechten Seite blieb.

Im zweiten Jahr auf der Universität kam er in den Kontakt zur Hypnose. Er war fasziniert von den Möglichkeiten, übte unentwegt, erarbeitete unterschiedliche Techniken und erforschte die Einflussmöglichkeiten von Menschen. Im Gegensatz zu der damals vorherrschenden Lehrmeinung, erarbeitete Erickson individualisierbare Methoden.

1925 heiratete er das erste Mal. Drei Kinder gingen aus dieser Ehe hervor.

1928 schloss er sein Studium mit einem Master of Arts (M.A.) in Psychologie und einem Doktor der Medizin (M.D.) ab. 1930 bis 1934 hatte er verschiedene Positionen bis hin zum leitenden Psychiater des Worcester State Hospital in Massachusetts inne. Hier konnte er weiter an der Hypnose und ihren Einsatzmöglichkeiten forschen.

1935 wurde die Ehe geschieden. Kurze Zeit später lernte er seine spätere Frau Betty kennen. Die Hochzeit war 1936. Aus dieser Ehe gingen weitere fünf Kinder hervor.

1939 erhielt er die Approbation als Facharzt für Psychiatrie. 1934 bis 1948 hatte er eine ordentliche Professur für Psychiatrie an der medizinischen Fakultät der Wayne State Universität in Detroit, Michigan.

1947 zog er sich eine Verletzung nach einem Fahrradsturz zu. Wegen der Gefahr einer Tetanusinfektion und trotz seiner bekannten allergischen Reaktion auf den Impfstoff, ließ sich Erickson impfen. Die Folge war ein anaphylaktischer Schock, den er nur knapp überlebte. In dessen Folge bekam er eine schwere Allergie gegen Pollen, die ihn zum Umzug in das mildere Klima von Phoenix (Arizona) zwang, wo er eine private Praxis eröffnete. Es traten weitere Allergien gegen Hausstaub und verschiedene Lebensmittel auf. Er betrieb deshalb seine Praxis direkt von Zuhause aus.

1953 erkrankte er erneut an Kinderlähmung in Verbindung mit Muskeldystrophie. Er ging nach Maryland. Soweit es ihm möglich war, setzte er jedoch seine bis dahin umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeiten und Vortragsreisen fort. In dieser Zeit arbeitete er intensiv mit Jay Haley, Gregory Bateson, Margaret Mead, Lawrence Kubie und John Weakland zusammen.

1957 gründete Erickson die Amerikanische Gesellschaft für Klinische Hypnose, deren Vorsitz er übernahm. 1958 gründete er das „American Journal of Clinical Hypnosis“, das er bis 1968 herausgab.

Wegen seines sich zunehmend verschlechternden Gesundheitszustands gab er 1969 seine Vortrags- und Reisetätigkeiten auf; 1974 gab er auch seine private Praxis auf. Ab 1976 erkrankte er ein drittes Mal an Kinderlähmung, mit Muskelschwund und multiplen Schmerzzuständen. Danach war er auf einen Rollstuhl angewiesen und im Gesicht halbseitig gelähmt.

Am 25. März 1980 starb Milton Erickson in seinem Haus in Phoenix.

Leistungen

Die Bewusstlosigkeit, in die ihn die Erkrankung brachte, nannte er später den Beginn seines Interesses an Trance-Zuständen. Die Phase der Rekonvaleszenz, in der ihm die Medizin wenig Hoffnung auf völlige Genesung ließ, nutzte Erickson, um partielle Dissoziationen zu üben.

Erickson ist es zu verdanken, dass Hypnose in der Psychotherapie wieder mehr zum Einsatz kam, nachdem sie durch Sigmund Freuds Ablehnung lange Zeit in den Hintergrund gerückt war. Er entwickelte einen neuen Ansatz. Dieser betont die Individualität jedes einzelnen Klienten/Patienten und daraus folgend die Notwendigkeit, für jeden den passenden Ansatz und Zugang zu finden. Dieser Ansatz stand im Kontrast zu den standardisierten und autoritären Methoden, die bis in die 50er und 60er Jahre vorherrschend waren. Erickson betont ferner die positive Rolle des Unbewussten. Anders als bei Freud ist für Erickson das Unbewusste eine unerschöpfliche Ressource zur kreativen Selbstheilung. Das Unbewusste ist der Hort von kaum genutzten Erfahrungen des Menschen. Ericksons Ansatz hat zum Ziel, die durch starre Schemata und Denkmuster begrenzte Fähigkeit des Bewusstseins zu erweitern, indem der Hypnotiseur durch spezielle verbale und non-verbale Techniken es dem Unbewussten ermöglicht, die führende Rolle einzunehmen. Gleichzeitig wird es dem Bewusstsein ermöglicht, die unbewussten Selbstheilungskräfte und kreativen Ressourcen zu akzeptieren und zu integrieren.

Erickson hatte eine enorme Wirkung auf die gesamte therapeutische Kollegenschaft und seine Nachwelt. Er prägte Jay Haley, Paul Watzlawick, John Weakland und mit ihnen die gesamte Palo-Alto-Gruppe, beeinflusste die damals in Gründung befindliche Familientherapie und viele Schulen der systemischen Therapie, allen voran den lösungsfokussierten Ansatz von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg, die Provokative Therapie von Frank Farrelly und die Systemischen Strukturaufstellungen von Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd. Die Gründer des NLP, Richard Bandler und John Grinder, studierten und kopierten seine Technik - ebenso wie die von Fritz Perls und Virginia Satir, um daraus NLP zu konstruieren. Sie haben die Art und Weise, wie Erickson meisterhaft mit hypnotischer Sprache arbeitete in einem eigenen Modell, dem Milton-Modell, beschrieben.

Schon zu seiner Lebzeit hatte sich Erickson den Ruf eines einmaligen Meisters der Hypnose erworben. Er kam mit seinem Ruf sogar auf das Titelblatt der Times. Seine zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen haben das Denken bezüglich der Hypnose grundlegend revolutioniert. Jeffrey Zeig und Ernest Rossi waren über viele Jahre Schüler von Erickson und haben einige Bücher auch mit ihm zusammen veröffentlicht. In seinem Todesjahr 1980 wurde auch die Milton H. Erickson Gesellschaft zu seinen Ehren gegründet, die bis heute in Phoenix das umfassendste Archiv seiner Arbeit beherbergt.

Erickson hatte professionelle Kontakte auch zu Aldous Huxley, mit dem er Grenzbereiche der Psychologie erforschte.

Deutschsprachige Ausgaben

  • Erickson, M.H.; Rossi, E.L.: Hypnotherapie: Aufbau - Beispiele – Forschungen. Pfeiffer, München, 1999, ISBN 3-608-89672-4
  • Erickson, M.H.; Rossi, E.L.: Der Februarmann. Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung in Hypnose. Junfermann, Paderborn, 1991, ISBN 3-87387-033-9
  • Erickson, M.H.; Rossi. E.L.: Hypnose erleben: veränderte Bewusstseinszustände therapeutisch nutzen. Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart, 2004, ISBN 3-608-89718-6
  • Erickson, M.H.; Rossi, E.L.; Rossi, S.L.: Hypnose: Induktion – psychotherapeutische Anwendung – Beispiele. Pfeiffer, München, 1991, ISBN 3-7904-0265-6
  • Erickson, M.H.; Rossi, E.L.: Gesammelte Schriften von Milton H. Erickson. Carl-Auer, Heidelberg, 1995–1998, ISBN 978-3-89670-020-9

Originalausgaben

Alle Publikationen entweder mit Ernest Rossi gemeinsam verfasst oder von diesem herausgegeben.

  • Hypnotic Realities. New York: Irvington 1976 [Übers.: de, sv]
  • Hypnotherapy: An Exploratory Casebook. New York: Irvington 1979 [Übers.: de]
  • Experiencing Hypnosis: Therapeutic Approaches to Altered States. New York: Irvington 1981
  • The February Man: Evolving Consciousness and Identity in Hypnotherapy. New York: Brunner/Mazel 1989
  • The Collected Papers of Milton H. Erickson on Hypnosis. 3 Bände. New York: Irvington 1980
    • Band 1: The Nature of Hypnosis and Suggestion.
    • Band 2: Hypnotic Alteration of Sensory, Perceptual and Psychophysical Processes.
    • Band 3: Hypnotic Investigation of Psychodynamic Processes.
    • Band 4: Innovative Hypnotherapy
  • The Lectures, Seminars, and Workshops of Milton H. Erickson.
    • Band 1: Healing in Hypnosis. (Hg. gem. mit M. Ryan & F. Sharp). New York: Irvington 1983
    • Band 2: Life Reframing in Hypnosis. (Hg. gem. mit M. Ryan). New York: Irvington 1985
    • Band 3: Mind-Body Communication in Hypnosis. (Hg. gem. mit M. Ryan). New York: Irvington 1986
    • Band 4: Creative Choice in Hypnosis. (Hg. gem. mit M. Ryan). New York: Irvington 1990

Literatur

  • Peter, Burkhard (Hrsg.): Hypnose und Hypnotherapie nach Milton H. Erickson: Grundlagen u. Anwendungsfelder. Pfeiffer, München, 1985, ISBN 3-7904-0424-1
  • Peter, Burkhard: Milton H. Ericksons Weg der Hypnose. In: Experimentelle und klinische Hypnose, 1987, III, Heft 2, S. 129 - 141
  • Walker, Wolfgang: Abenteuer Kommunikation - Bateson, Perls, Satir, Erickson und die Anfänge des Neurolinguistischen Programmierens (NLP). Stuttgart: Klett-Cotta 1996. ISBN 3-608-91976-7

Weblinks


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