Milet

Milet

Milet (ionisch: Μίλητος Miletos, dorisch: Μίλατος Milatos, äolisch: Μίλλατος Millatos, lateinisch: Miletus, hethitisch Millawanda), auch Palatia (Mittelalter) und Balat (Neuzeit) genannt, war eine antike Stadt an der Westküste Kleinasiens, in der heutigen Türkei.

Kleinasien und Mesopotamien in der Antike. Milet in Planquadrat Bd

Inhaltsverzeichnis

Geographische Situation

Milet liegt etwa 80 km südlich der heutigen Stadt İzmir, bei der Ortschaft Balat in der Provinz Aydın.

Die antike Stadt lag auf einer in die Einfahrt des Golf von Milet hineinragenden Landzunge. Der Fluss Mäander (türk. Büyük Menderes), der in diesen Golf mündet und große Mengen Sedimente mit sich führt, sorgte für eine zunehmende Verlandung des Golfes, an dem neben Milet auch noch andere griechische Poleis, wie Magnesia, Herakleia und Priene lagen. Seine besondere wirtschaftliche Bedeutung gewann Milet durch die vier als Häfen rund um die Landzunge nutzbaren Buchten.

Einige Kilometer von Milet entfernt befand sich das von der Stadt verwaltete und überregional bedeutende Apollon-Heiligtum von Didyma.

Geschichte

Der Mythos der alten Griechen

Nach der griechischen sagenhaften Überlieferung wurde Milet von Kretern aus Milatos unter Sarpedon gegründet. Strabon zitiert Ephoros von Kyme, einen Historiker des 4. Jahrhunderts v. Chr.: Milet wurde zuerst von Kretern über dem Meer gegründet … und von Sarpedon besiedelt, der Einwohner des kretischen Miletos herbrachte und die Stadt nach jenem Miletos benannte. Den Platz hatten zuvor die Leleger besessen. Nach einer anderen Version erfolgte die Besiedlung unter dem Kreter Milatos zwei Generationen vor dem Fall Trojas.

Die ionische Besiedlung soll durch Neileos, Sohn des Kodros, aus Pylos bzw. Athen erfolgt sein. Herodot berichtet, dass die Griechen ohne Frauen kamen. Nachdem sie die Karer erschlagen hatten, heirateten sie deren Töchter.

Vorgeschichtliche Besiedlung

Es ist bislang nur ein einziger gesicherter neolithischer Siedlungsplatz in der Nähe Milets bekannt, jedoch finden sich bei Ausgrabungen in Milet immer wieder isolierte steinzeitliche Funde. Im Gebiet des Athenatempels und östlich des Theaters befanden sich im Chalkolithikum Siedlungen, die als Milet I (spätes 4. Jahrtausend v. Chr.) zusammengefasst werden. In der weiteren Umgebung befinden sich heute etwa 600 Fundplätze, die landschaftsarchäologisch ausgewertet wurden. Eine Besiedlung in vorminoischer Zeit ist gut nachweisbar, bleibt aber insgesamt gering. Die minoische und mykenische Besiedlung der Gegend beschränkt sich jedoch im Wesentlichen auf Milet und Didyma.

Antike

Bronzezeit

Im Gebiet des Athenatempels setzte sich die Besiedlung über Milet II (3. Jahrtausend v. Chr.), die noch von südwestanatolischem Charakter und Bevölkerung war, zur ersten minoischen Ansiedlung (Milet III, etwa 2000–1800 v. Chr.) fort, die von einer Brandkatastrophe zerstört und als Milet IV (etwa 1800–1450 v. Chr.) wiederaufgebaut wurde. Aus dieser Zeit stammen insbesondere Linear A-Inschriften und Reste einer Tempelanlage. Überall fand sich die damals im Ostmittelmeerraum überaus beliebte Kamareskeramik, die von regem Handel mit Kreta zeugt. Die lokal aus stark glimmerhaltigem Ton hergestellte Haushaltskeramik minoischen Typus – zum Beispiel konische Näpfe und dreibeinige Kochtöpfe – spricht dagegen für die Anwesenheit minoischer Bevölkerung (Immigranten bringen ihre Küchenware mit ihren Ess- und Trinksitten mit). Zwei minoische Siegel – eines mit der Darstellung einer kretischen Wildziege (Agrimi) – und eine mit Siegelabdruck versehene Tonplombe wurden ebenfalls gefunden. Keramik lokalen, südwestanatolischen Charakters scheint darauf hinzuweisen, dass ein nicht geringer Anteil der Bevölkerung von Milet III immer noch aus Einheimischen bestand. Die Führungsschicht war aber allem Anschein nach minoisch. Es bestand also zweifellos ein bedeutender kretischer Einfluss auf die Stadt, die damit ein Bindeglied des Metallhandels zwischen Kreta und Inneranatolien darstellte. Den Griechen galt die Gegend um Milet immer als eine in alter Zeit von Karern oder Lelegern besiedeltes Gebiet, das unter minoischem Einfluss stand, bevor sich die Hellenen in größerem Umfang dort niederließen.

Auch diese Siedlung wurde zerstört und als mykenische Stadt (Milet V, etwa 1450–1315 v. Chr.) wiederaufgebaut. Zu dieser Siedlung gehören einige reich ausgestattete Gräber auf dem Degirmentepe. Ein Großteil der bemalten mykenischen Keramik wurde vor Ort gefertigt. Da zudem auch massenweise mykenische Gebrauchskeramik zum Vorschein kam, ist sicher, dass es sich nicht nur um Importe handelte, sondern tatsächlich viele Griechen in Milet lebten. Die herrschende Forschungsmeinung setzt dieses Milet mit der in hethitischen Überlieferungen oft genannten Stadt Millawanda (auch Milawanda) gleich, die unter Vorherrschaft von Ahhijawa (vermutlich das mykenische griechische Festland oder ein mykenischer Staat in der Ägäis) stand. Millawanda wurde ca. 1320/1315 v. Chr. von den Hethitern im zweiten Regierungsjahr Mursilis II. zerstört. Viele Tontafeln mit Angaben zu Westkleinasien fanden sich schon früh in den Archiven von Hattuscha. Allerdings fiel es bisher schwer, die Gebiete genau zu lokalisieren. Durch die neuen Ausgrabungsbefunde, auch neue Inschriftenfunde, hat eine Überprüfung dieser Keilschrifttafeln zu neuen Erkenntnissen zum Land Arzawa in Westkleinasien geführt. Demnach lag Arzawa im Gebiet um Ephesos und dem Mäandertal. Mit Ephesos ist nun seine Hauptstadt, hethitisch Apasa, lokalisiert. Nach der Zerstörung Millawandas eroberte Mursili II. Apasa und besetzte es. Ungefähr in der Zeit der Einnahme Milawandas sank das Schiff von Uluburun vor der karischen Küste bei Bodrum, südlich von Milet. Dieses Datum konnte jüngst dendrochronologisch ermittelt werden. Das Schiff hatte genau die gleiche mykenische Keramik geladen, die sich in der Zerstörungsschicht von Milet V fand.

Diese Zerstörung von Milet V hinterließ eine 30–40 cm dicke Brandschicht, auf der die Stadt von Milet VI (etwa 1315–1100) gebaut wurde. Auffallend ist, dass die Stadtmauer von Milet VI stilistisch viel stärker hethitischen Befestigungsanlagen als denen von Mykene, Tiryns etc. ähnelt. Man beachte etwa das Löwentor, und außerdem das Fundgut aus Milet VI, das hauptsächlich hethitisch geprägt ist. Man muss also annehmen, dass Milet nach 1315 v. Chr. dauerhaft unter hethitischer Kontrolle blieb. Im 13. Jahrhundert beklagte sich der Hethiterkönig Hattusili III. im sogenannten Tawaglawa-Brief beim König von Achijawa über Pijamaradu von Arzawa, der von Millawanda aus gegen westliche Vasallen der Hethiter Krieg führte. Dieser Brief wird mit einer Erstarken des Gebietes um Milet und einer relativen Unabhängigkeit von den Hethitern und möglicherweise Stärkung von Seiten der Achäer her in Zusammenhang gebracht. Dennoch gerieten im 13. Jahrhundert Millawanda und Apasa vermutlich ganz in den Machtbereich der Hethiter. Milet VI bekam deutlich stärkere hethitische Züge.

Im Gegensatz zu vielen mykenischen Siedlungen auf dem griechischen Festland wurde Milet in der Zeit um 1200 v. Chr. nicht zerstört. Dies ist umso bemerkenswerter, als es auch in Kleinasien massive Umwälzungen (z. B. Zusammenbruch des Hethiterreichs, Zerstörung von Troja VIIa) gab. Erst gegen 1100 v. Chr. (nach Angaben des Archäologen Wolf-Dietrich Niemeier) wurde die Stadt zerstört.

Geometrische Zeit

Der Überlieferung nach wurde Milet 1053 v. Chr. durch ionische Kolonisten neu gegründet. Eine Unterbrechung der Besiedlung Milets zwischen der späten Bronzezeit und der protogeometrischen Zeit (Milet VII) konnte nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil: immer mehr deutet darauf hin, dass Milet kontinuierlich besiedelt war. Jedenfalls ist direkt über der spätbronzezeitlichen Zerstörungsschicht von Milet VI protogeometrische Keramik gefunden worden. Auch Scherben, die vermutlich submykenischen Stils sind und dann ins 11. Jahrhundert v. Chr. datierbar wären, traten zu Tage. Diese weisen allerdings deutlich nach Athen, was der Überlieferung der attischen Besiedlung durch Neleus neue Nahrung gibt.

Über die Entwicklung Milets in der Zeit des 11. bis frühen 8. Jahrhunderts v. Chr. ist bisher wenig bekannt. Funde, insbesondere Reste von Architektur, gibt es aus diesem Zeitabschnitt bisher kaum.

Archaische Zeit

Vom 8. Jahrhundert v. Chr. an wurde Milet zum bedeutendsten Umschlaghafen für den Handel mit dem Orient und entwickelte eine eigene beachtliche Industrie, unter anderem für Rohstoffe und Produkte wie zum Beispiel Öl, Wolle und Textilien (bedeutende Purpurfärberei). Außerdem ging von Milet und anderen westkleinasiatischen Städten, vor allem Ephesos und Sardis, die Münzprägung aus (früheste Elektronmünzen des 6. Jahrhunderts v. Chr.), die den Tauschhandel ersetzte. Milet stieg zu einer der bedeutendsten griechischen Poleis auf, übte zeitweise die Seeherrschaft über die Ägäis aus und gründete über 80 Kolonien, besonders an der Propontis und rund um das Schwarze Meer. Eine frühe und bedeutende Schwarzmeerkolonie war Sinope, die nordöstlichste Tanais. Aber auch in ganz anderen Gegenden entstanden milesische Kolonien, wie das ägyptische Naukratis. Unter anderem aufgrund seiner weitreichenden Handelsaktivitäten und der Zahl seiner Kolonien und wurde Milet Haupt Ioniens genannt. Nach den Kimmerier-Einfällen im 7. Jahrhundert v. Chr. kam es zu Konflikten der griechischen Städte an der Westküste Kleinasiens mit den benachbarten Reichen der Lyder und später der Perser. Im 6. Jahrhundert v. Chr. wurde die Stadt erst vom Lyderkönig Kroisos, dann von den Persern unter Kyros II. unterworfen. Ein von Milet ausgehender Aufstand der ionischen Griechen (Ionischer Aufstand) gegen das Perserreich scheiterte, Milet wurde 494 v. Chr. erobert und zerstört (Schlacht von Lade). Herodot schreibt, dass die Einwohner verschleppt und umgesiedelt wurden, doch liegen substantielle Spuren der Wiederbesiedlung teilweise direkt auf der persischen Zerstörungsschicht, so dass zwischen diesen beiden Ereignissen nicht viel Zeit vergangen sein kann.

Die Zerstörung Milets durch die Perser 494 v. Chr. leitet die für die griechische Geschichte so wichtige Zeit der Perserkriege ein.

Klassische und hellenistisch-römische Zeit

Nach dem streng rasterförmigen Wiederaufbau gemäß den Ideen des Hippodamos von Milet wird die Stadt heute auch als das „Manhattan der Antike“ angesehen. Die Stadt gehörte dem Delisch-Attischen Seebund an, teilweise unter athenischer Besatzung. Im Peloponnesischen Krieg fiel sie 412 v. Chr. von Athen ab, wehrte in der Schlacht von Milet den athenischen Gegenangriff ab und wurde Operationsbasis der spartanischen Flotte.

Im 4. Jahrhundert stand die Stadt unter persischer Oberherrschaft. Da Alexander der Große auf Widerstand traf, verlor sie die führende Rolle in Kleinasien an Ephesos. Der Hafen der Stadt war Schauplatz eines offensiven und erfolgreichen Vorgehens der kleineren makedonischen Flotte gegen die persische Armada. Nach der Eroberung der Stadt mit modernster Belagerungstechnik löste Alexander zur Überraschung seines Führungsstabes die eigene Flotte auf. Der Wiederaufbau der Stadt wurde begonnen und in hellenistischer Zeit konnte sich Milet bereits wieder zwischen den verschiedenen Mächten behaupten, die in Kleinasien herrschten. 133 v. Chr. wurde die Stadt zusammen mit dem Königreich Pergamon Teil der römischen Provinz Asia.

In der römischen Kaiserzeit blühte die Stadt noch einmal auf, wurde mit zahlreichen Bauten geschmückt, blieb jedoch von untergeordneter Bedeutung, da die Römer Ephesos als Provinzhauptstadt wählten. Ebenfalls in die römische Zeit fällt die Bedeutung für die Anfänge der frühchristlichen Zeit. Der Apostel Paulus verabschiedete sich dort gemäß der neutestamentlichen Erzählung in Apostelgeschichte 20, 15–38 von den Leitern der Gemeinde in Ephesos auf seiner dritten und letzten Missionsreise vor seiner Rückkehr nach Jerusalem.

Byzantinische Zeit

Lange meinte man, bereits für die Spätantike sei in Milet ein starker Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen, da man glaubte, einen eng gezogenen neuen Mauerring aufgrund einer Bauinschrift des oströmischen Kaisers Justinian I. auf das Jahr 538 datieren zu können. Erst jüngste Forschungen[1] haben dieses Bild revidiert, da es zahlreiche Hinweise darauf gibt, dass Milet noch im späteren 6. Jahrhundert blühte. Man geht nun davon aus, dass 538 lediglich das alte Markttor renoviert wurde und die zugehörige Inschrift erst später in die byzantinische Mauer integriert wurde, die wohl im späteren 7. Jahrhundert errichtet wurde. Zu dieser Zeit war Milet in der Tat aufgrund von Seuchen und kriegerischen Ereignissen stark geschrumpft. Die Besiedlung konzentrierte sich nunmehr auf das große Theater, in dessen Zuschauerraum Wohnhäuser errichtet wurden und das gegen feindliche Überfälle befestigt wurde. Zudem erbaute man nun auf der höchsten Stelle des Theaters ein Kastell, worauf der mittelalterliche Name Milets „Palatia“ zurückzuführen ist. Als Bischofssitz kam Milet in dieser Zeit eine überregionale Bedeutung zu.

Ilyas Bey-Moschee

Osmanische Zeit

Die Fürsten von Mentesche hatten zeitweise ihren Sitz in Milet. Sie erbauten zahlreiche repräsentative Gebäude. Die hervorragend erhaltene Ilyas Bey Moschee ist ein Beispiel. In diese Zeit fällt die endgültige Verlandung des Hafens von Milet durch Sedimente des Mäanders.

Neuzeit

Bis zu einem schweren Erdbeben 1955 bestand im Ruinengelände ein Dorf namens Balat. Nach dem Erdbeben verlegte man die Siedlung nach Süden, außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes.

Kulturelle Bedeutung

Milet hatte in der Antike eine große Bedeutung für Kultur und Wissenschaft. Die Stadt gilt als Geburtsstätte des rationalen Denkens und der Philosophie im antiken Griechenland. Durch die ionischen Naturphilosophen Thales, Anaximander und Anaximenes wurde Milet im 6. Jahrhundert v. Chr. unter dem Begriff „die Schule von Milet“ als Geburtsstätte der Wissenschaft bekannt. Thales löste sich als erster griechischer Denker von der mythologisch geprägten Weltsicht der Dinge und begann, nach der Arché, also dem Ursprung allen Seins, zu suchen. Anaximander und Anaximenes waren Schüler des Thales und ähnlich bedeutend, zum Beispiel war Anaximander der erste Kartograph.

Archäologie

Geschichte der Ausgrabungen

Erste archäologische Untersuchungen führte Olivier Rayet 1873 durch. Ab 1899 begannen dann großangelegte Ausgrabungen im Stadtgebiet des antiken Milet unter der Leitung Theodor Wiegands. Diese Arbeiten wurden ohne Unterbrechung bis 1913 fortgeführt. Die beiden Weltkriege sowie die Kleinasiatische Katastrophe unterbrachen die regelmäßige Forschungstätigkeit in Milet. 1938 konnte jedoch Carl Weickert eine kurze Grabungskampagne durchführen. Regelmäßige Forschungen vor Ort wurden erst wieder 1955 begonnen. Die Leitung der Nachkriegsgrabungen hatte zunächst wieder Carl Weickert, dann Gerhard Kleiner und Wolfgang Müller-Wiener. Seit 1989 leitet Volkmar von Graeve die Ausgrabung. Die Originale der Dokumentationen der alten Grabungen vor 1909 befinden sich im Pergamonmuseum in Berlin und im DAI in Berlin. Kopien davon befinden sich im Milesischen Archiv an der Ruhr-Universität Bochum, wo auch sämtliche jüngeren Ausgrabungsdokumente gesammelt sind.[2]

Forschungsschwerpunkte

Bronzezeit

Die Ausgrabungen der Bronzezeit stehen seit 1994 unter der Leitung der Universität Heidelberg, finanziert u. a. durch ein amerikanisches Forschungsprojekt. Die Untersuchungen von Milet I bis V haben neue Funde und Erkenntnisse gebracht. Unter anderem fand man in einem minoischen Ziegelheiligtum in Milet IV einen verkohlten hölzernen Thron. Hölzerne Möbelfunde aus der Bronzezeit sind äußerst selten. Ein kultischer Thron aber verspricht besonders aufschlussreich zu sein, zumal solche Throne von minoischen Siegeldarstellungen bekannt sind. Auf einem Thron sitzt eine Priesterin und empfängt Opfergaben. Möglicherweise haben wir hier einen solchen Fund vor uns. Drei minoische Siegel konnten ebenfalls gefunden werden, unter ihnen ein Lentoid aus Rosenquarz. Auf ihm befindet sich die Gravur eines geflügelten Greifen, der im typischen fliegenden Galopp mit einem Löwen kämpft. Eine ebensolche Darstellung einer Löwin fand sich auf der Scherbe eines Rhyton; eine kostbare Pfeilspitze aus Bergkristall, wohl eine Opfergabe, wurde ebenfalls gefunden. Auch Reste typisch minoischer Fresken kamen zum Vorschein. Mehrere in Tongefäße eingeritzte Linear A-Inschriften belegen eine eindeutige minoische Präsenz, denn bei der einheimischen Bevölkerung wäre die Luwische Hieroglyphen- oder hethitische Keilschrift in der Bronzezeit zu erwarten gewesen. Schließlich ist noch ein scheibenförmiger Gewichtsstein aus Marmor mit einer Markierung aus sechs Kreisen zu nennen, der nach dem minoischen Gewichtssystem geeicht wurde. Milet IV ist somit ein weiterer Beweis für eine minoische Seeherrschaft mit Stützpunkten auf den Kykladen und in der östlichen Mittelmeerregion.

Diese Periode endet um 1500 v. Chr. mit einem Zerstörungshorizont, dessen Ursache noch kontrovers diskutiert wird. Ein weiterer Befund ist die etwas früher datierte Asche- und Zerstörungsschicht des Ausbruchs des Vulkans der Insel Thera in der Mitte des 17. Jahrhunderts v. Chr. Nach der Zerstörung wurde aber wie in Kreta und den übrigen östlichen Inseln die Ascheschicht beiseite geräumt und die Städte wieder hergestellt. Möglicherweise kam es aber in der Folge zu ökonomischen Problemen und zu einer Krise im Führungsanspruch der religiösen und politischen Elite, die zum Niedergang der Minoer beitrug. Milet V nahm dann in der importierten wie einheimischen Ware ganz mykenischen Charakter an. Es hatte eine bedeutende Keramikproduktion, so fand man auf engstem Raum sieben Keramiköfen aus Lehmziegeln. Der Anteil der autochthonen anatolischen Bevölkerung scheint weiterhin nur noch gering gewesen zu sein. Auch Milet V wurde durch eine 40 cm dicke Brandschicht beendet. Zur letzten bronzezeitlichen Schicht Milet VI konnten keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden, da im aktuellen Grabungsareal die Schicht durch römische Bauten gestört war. Sie endete um 1100 v. Chr.

Archaische Zeit

Die Ausgrabung in Milet war 1899 begonnen worden mit dem Ziel, das Wissen über diese Stadt in archaischer Zeit zu vermehren, da Milet gerade in dieser Zeit eine herausragende Bedeutung zukam, etwa als Geburtsstätte der ionischen Naturphilosophie oder aufgrund des Schicksals der Stadt am Vorabend der Perserfeldzüge.

Tatsächlich erbrachten die Vorkriegsgrabungen hauptsächlich Ergebnisse zu den späteren Epochen. Archaische Funde und Befunde wurden nur am Kalabak-Tepe und am Athenatempel sowie an vereinzelten Stellen im Stadtgebiet ergraben. Armin von Gerkan bezweifelte aufgrund dieses eher spärlichen Befundes, dass das archaische Milet an derselben Stelle wie die spätere Stadt gelegen hat.

Die Forschungen nach dem Krieg zielten daher vielfach darauf ab, die Thesen Gerkans zu entkräften. Verstärkt grub man daher am Athenatempel.

Die neueren Forschungen widmeten sich wiederum dem Stadtquartier auf dem Kalabak-Tepe, wo ein Teil der Stadtmauer bekannt war. Am südlichen Abhang des Hügels wurde ein Wohnviertel mit mehreren Töpferöfen freigelegt. Weiterhin konnte die Situation auf der Ostterrasse des Hügels geklärt werden, wo ein Heiligtum der Artemis Chitone lag. Auch Probleme der frühklassischen Wiederbesiedelung nach 494 v. Chr. wurden bei diesen Grabungen erhellt. Auch wurde ein bislang nur aus den Quellen bekanntes Heiligtum der Aphrodite von Oikous entdeckt. Nach den Funden der Votivbeigaben des Tempels lässt sich die weite Handelsverbindung Milets ermessen: viele bemalte Trinkgefäße aus Griechenland, vor allem Korinth, Sparta und Athen; aus Etrurien die schwarze Bucchero-Ware; großformatige Tonfiguren aus Zypern, bearbeitete Tridacna-Muscheln aus Nordsyrien und zahlreiche Schmuckstücke, Amulette, Skarabäen und Votivfigürchen aus Ägypten.

Zum Territorium (Chora) Milets gehören auch die Siedlungen Assesos, Pyrrha und Teichioussa in näherer Umgebung. Teichioussa liegt am Golf von Akbük. Assesos wurde 1992 auf dem Mengerev Tepe entdeckt. Nach Herodot (Herodot 1,17–19) wurde sein Heiligtum der Athena Assesia bei einem Einfall des Lyderkönigs Alyattes II. um 600 v. Chr. niedergebrannt. Mit Argassa könnte das bisher einzige gefundene Dorf identisch sein. Es besaß einen heiligen Bezirk, der im 4. Jahrhundert v. Chr. als Temenos ausgemarkt war. Ein dazugehöriger Grenzstein konnte gefunden werden.

Nach heutigem Forschungsstand kann es als gesichert gelten, dass das archaische Milet an derselben Stelle lag wie die spätere Stadt.

Hellenistische und römische Zeit

Zentrum der hellenistisch-römischen Stadt, Zustand 1997

Theodor Wiegand konnte durch großräumige Flächengrabungen wichtige Erkenntnisse zur hellenistischen und römischen Zeit gewinnen:

Die Stadt besaß demnach ein orthogonales Straßensystem, dessen Erfinder Hippodamos von Milet gewesen sein soll. Der Verlauf der hellenistischen und späterer Stadtmauern wurde wiedergewonnen.

Wichtige Gebäude dieser Zeitstufe:

Theater von Südwest.
  • Nymphäum, eine mehrgeschossige Brunnenanlage mit Skulpturenschmuck.
Faustina-Thermen, Zustand 1997
  • Faustina-Thermen, ein römisches Bad.
  • Westmarkt, Markt am Athenatempel.
  • Stadion
  • Delphinion, Heiligtum des Apollon Delphinios, des Hauptgottes der Milesier.
  • Orakelheiligtum des Apollon von Didyma. Das Heiligtum ist durch eine 15 Kilometer lange sogenannte Heilige Straße mit dem Heiligen Tor der Stadt Milet verbunden. Das Apollonheiligtum war mit 118 m das drittgrößte der Griechen in archaischer Zeit und das größte Heiligtum in der hellenistischen Epoche.
  • Die Prozessionsstraße selbst mit ihren sieben Stationen. Seit dem 7. Jahrhundert „bis zum Ende der heidnischen Antike um 400 n. Chr. bildete der Prozessionsweg für mehr als tausend Jahre die „Achse“ des milesischen Territoriums und verband die beiden wichtigsten Heiligtümer, das städtische Delphinion und das außerstädtische Heiligtum in Didyma, als antithetische „Pole“ miteinander.“[3]

Persönlichkeiten

Aus Milet stammten unter anderem folgende Personen:

Tyrannen der archaischen Zeit

  • Amphitres (7. Jh.)
  • Thrasyboulos (spätes 7. Jh.)
  • Thoas (6. Jh.)
  • Damasenor (6. Jh.)
  • Histiaios (ca. 513)
  • Aristagoras (ca. 500 bis ca. 494)

Siehe auch

Literatur

Geschichte

  • Norbert Erhardt: Milet und seine Kolonien, vergleichende Untersuchung der kultischen und politischen Einrichtungen. Frankfurt 1983, ISBN 3-8204-7876-0.
  • Vanessa B. Gorman: Miletos, the ornament of Ionia – a history of the city to 400 B.C.E.. Ann Arbor 2001, ISBN 0-472-11199-X.
  • Alan M. Greaves: Miletos, a history. London 2002, ISBN 0-415-23846-3.

Archäologie

  • Milet – Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahre 1899. Begründet von Theodor Wiegand. Reimer/Schötz/de Gruyter, Berlin 1906ff.
    • Band 1,1: Paul Wilski: Karte der Milesischen Halbinsel. 1906.
    • Band 1,2: Hubert Knackfuß, Carl Fredrich: Das Rathaus von Milet. 1908.
    • Band 1,3: Georg Kawerau, Albert Rehm, Friedrich Hiller von Gaertringen: Das Delphinion in Milet. 1914.
    • Band 1,4: Armin von Gerkan: Der Poseidonaltar bei Kap Monodendri. 1915.
    • Band 1,5: Das Nymphaeum von Milet. 1919.
    • Band 1,6: Armin von Gerkan: Der Nordmarkt und der Hafen an der Loewenbucht. 1922.
    • Band 1,7: Hubert Knackfuss: Der Südmarkt. 1924.
    • Band 1,8: Armin von Gerkan: Kalabaktepe, Athenatempel und Umgebung. 1925.
    • Band 1,9: Armin von Gerkan, Fritz Krischen, Friedrich Drexel: Thermen und Palaestren. 1928.
    • Band 1,10: Berthold F. Weber: Die römischen Heroa von Milet. 2004.
    • Band 2,1: Armin von Gerkan: Das Stadion. 1921.
    • Band 2,2: Theodor Wiegand, Kurt Krause: Die Milesische Landschaft. 1929.
    • Band 2,3: Armin von Gerkan: Die Stadtmauern. 1935.
    • Band 2,4: Walter Bendt: Topographische Karte von Milet. 1968.
    • Band 3,1: Theodor Wiegand: Der Latmos. 1913.
    • Band 3,2: Fritz Krischen: Die Befestigungen von Herakleia am Latmos. 1922.
    • Band 3,4: Karl Wultzinger, Paul Wittek, Friedrich Sarre: Das Islamische Milet. 1935.
    • Band 3,5: Alfred Philippson, Karl Lyncker: Das südliche Jonien. 1936.
    • Band 3,6: Anneliese Peschlow-Bindokat: Feldforschungen im Latmos. 2005.
    • Band 6,1: Peter Herrmann: Inschriften von Milet. Teil 1. A. Inschriften n. 187–406 (Nachdruck aus den Bänden I 5–II 3). B. Nachträge und Übersetzungen zu den Inschriften n. 1–406. 1997.
    • Band 6,2: ders.: Inschriften von Milet. Teil 2. Inschriften n. 407–1019. 1998.
    • Band 6,3: ders.: Inschriften von Milet. Teil 3. Inschriften n. 1020–1580. 2006.
  • Gerhard Kleiner: Die Ruinen von Milet. Berlin 1968.
  • Wolfgang Müller-Wiener (Hrsg.): Milet 1899–1980. Ergebnisse, Probleme u. Perspektiven einer Ausgrabung. Kolloquium, Frankfurt am Main 1980. Istanbuler Mitteilungen, Beiheft 31. Tübingen 1986, ISBN 3-8030-1730-0.
  • Ortwin Dally u. a. (Hrsg.): Zeiträume. Milet in Kaiserzeit und Spätantike. Schnell + Steiner, Regensburg 2009, ISBN 978-3-7954-2235-6.

Weblinks

 Commons: Miletus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dally 2009.
  2. Milesisches Archiv
  3. Alexander Herda: Der Apollon-Delphinios-Kult in Milet und die Neujahrsprozession nach Didyma. In: Milesische Forschungen. Bd 4. Zabern, Mainz 2006.
37.53111111111127.275555555556

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